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Letztes Kapitel

. Der Lyriker war – wenn man Zelewski glauben wollte – heruntergekommen; er war Gefühlsnihilist, Zyniker usw. geworden.

Vollends erledigt war er, seit er in den westlichen Cafés und Weinlokalen der offiziellen Bohème verkehrte, jener Bohème, die – nach Zelewskis Wort – im Bädeker stand und von Reisegesellschaften engagiert war, um einem geehrten Publikum ebenso wie Aquarium und Zoo zur Besichtigung freigegeben zu werden. Die Bohème mit Smoking im Spind und dem regelmäßigen Monatswechsel in der Tasche – quel horreur!

Er hatte seit einiger Zeit sein Talent in den einträglichen Dienst der Berliner Muse gestellt und beutete sein Reimtalent skrupellos für die Witzblätter aus. Er verstand dem Berliner Dialekt wahre Blüten von Koddrigkeit zu entlocken.

Eins seiner zahmsten hieß »Carpe diem« und schloß:

»… So nimm se dir se denn se,
So nimm se dir se doch!
Schon wartet mit der Sense
Der Tod am Grabesloch–…
Ist er bei dir zu Gaste
Und hat es dann geschnappt,
Na, sage, Mensch, wat haste
Vom Leben dann gehabt?
Bei näherer Betrachtung
Wirste dir selbst zu dumm –
Wat haste von der ›Achtung‹
Im Krematorium?«

Er behauptete Julius Marcuse gegenüber, daß dies mit den Renaissancegedichten seiner »Säuglingsperiode« den seelischen Grundcharakter gemeinsam habe: die große begehrende Geste, den ungezügelten Willen starker Genießer usw. Aber Marcuse donnerte ihn mit einer Philippika über die Sforza, die Bentivoglio und Malatesta nieder, daß er eine Weile an seinem seelischen Aufkommen verzweifelte – aber mit anmutiger Gebärde. Dann setzte er sich hin und verfaßte ein später vielgesungenes Chanson von »Maxe mit der Renässanx«.

Von seinen gebesserten pekuniären Verhältnissen schien sich auch Fresenius mehr und mehr überzeugt zu haben, und er sah mit großem Mißbehagen, daß sein junger Freund sich ostentativ von ihm zurückzog und zu diesem Zweck sogar in die entgegengesetzte Stadtgegend – unweit Bellevue – verzogen war.

Und er entsann sich, daß er für die Herausgabe jenes Lyrikbandes außer der Provision für Meyers Konversationslexikon nichts bekommen hatte. Sollte er sich diesen »Astpreißen« entgehen lassen? Da hätte er nicht Leo Fresenius sein müssen.

Es galt aber, strategisch vorzugehen, um die Festung desto sicherer zu besetzen. So flatterten denn in wohlbemessenen Abständen diese Briefe auf des Lyrikers Schreibtisch:

 

»Werter Herr!

Nachdem ich vergeblich darauf gewartet hatte, daß Sie meine Bemühungen um Ihre Gedichte mindestens durch einmalige Anfrage meiner zu beanspruchenden Entschädigung berühren würden, dies jedoch bisher nicht geschah, schicke ich nunmehr meine Liquidation ein, genau den Normen der Berliner ›Literarischen Bureaus‹ entsprechend.

Für Prüfung, Kritik und Unterbringung
Ihrer Gedichte…
M 75. –
Für Prüfung und Kritik Ihrer Novellen … M 50. –
 
Macht in Summa M 125. –

Um nicht einen moralischen Vorwurf von Ihnen zu hören, überlasse ich es Ihnen, von der Summe die für mich freundlichst geleisteten Bier- und Zigarrenspenden in Abzug zu bringen.

Bequemer kann ich doch die Abfindung für meine seit einem halben Jahre (!!) geleisteten Bemühungen nicht machen.

Im übrigen bin ich Ihnen gerne weiter behilflich und begrüße Sie in alter Gesinnung

als Ihr Sie sehr schätzender
Leo Fresenius.

Kopiert!«

— — — — — — — — — —

»Werter Herr!

In kurzer Zeit war ich zweimal bei Ihnen. Beide Male vergeblich. Wollte Sie auf das neue Blatt ›Pikanterien‹ aufmerksam machen, dem ich nahe stehe.

Wollen Sie nicht einsenden?

Wann bekomme ich Bescheid auf meinen Brief vom vorigen Montag?

Inzwischen

besten Gruß
Ihr
Leo Fresenius.«

— — — — — — — — — —

»Werter Herr!

Ihr Schweigen verblüfft mich, wenn ich jener Zeit denke, da wir beide so intim und angeregt verkehrten. Ich bin aber noch immer bereit, für Sie zu wirken und Aufnahme etwaiger Einsendungen Ihrerseits in die ›Pikanterien‹ zu befürworten.

Können wir uns nicht einmal treffen?

Ich rechne bestimmt darauf, daß Sie mündlich auf meinen Brief zurückkommen nach dem Grundsatz › Manus manum lavat‹.

Hochachtungsvoll
Leo Fresenius.«

— — — — — — — — — —

»Sehr geehrter Herr!

Wir wollen als Männer die Streitaxt begraben: ich bin zufrieden, wenn Sie mir die runde Summe von 100 Mark übersenden. Eine ausgefüllte Postanweisung anbei.

In der Hoffnung, daß Sie meinen guten Willen anerkennen werden, zeichne

ergebenst
Leo Fresenius.

Kopiert!«

— — — — — — — — — —

 

Zwei Tage später kam ein blauumrandeter Zeitungsausschnitt, in dem von den »Zahlungsfähigen Narren« gesprochen wurde, die sich in Deutschland ihre eigenen Bücher etwas kosten lassen, wodurch die Behauptung, daß die Deutschen kein Geld für Bücher hätten, der Boden entzogen würde.

Das war undiplomatisch von Fresenius. Der Lyriker, der schon eine Ratenzahlung erwogen hatte, überlegte sich das jetzt anders und sah vergnügt dem Kommenden entgegen.

Das Kommende war eine freundliche Drohung mit dem Kadi: »Sollte ich bis Ende der Woche nicht zu meinem Geld gekommen sein, müßte ich die Angelegenheit bedauerlicherweise meinem Rechtsanwalt übergeben.« Bum.

Dies Schreiben drehte der Lyriker verblüfft in der Hand, als Martin Melcher kam. Er hatte sich zum Abschiedsbesuch angemeldet.

»Was sagst du zu dem Brief? Zu Hilfe! Eine Hyäne schnappt nach mir.«

»Hast du von ihm was anderes erwartet?«

»Ja, aber was macht man nun?«

»Man faßt es mit zwei Fingern, besser noch mit der Kneifzange an und überliefert es dem feurigen Ofen.«

»Nee. Ich verwahre es mir lieber als document inhumain.«

Sein Haar hatte sich merklich gelichtet in der letzten Zeit. Man hatte ihm schon prophezeit, daß er sich nächstens mit dem Rasiermesser werde kämmen müssen. Und seine gutgepflegte und beringte Hand zitterte merklich, als er den Kognak für sich und Melcher eingoß.

»Also Paris? Und dann Höhenkunst? Na, viel Amüsement!«

»Danke.«

»Du, neulich traf ich Ramdohr. Er malt jetzt – Leistikow.«

»Nanu?

»Ja. Grunewaldseen. Immer eine Ecke. Pro Stück zwanzig Mark. Was meinst du, was er dabei an Naturgefühl zunimmt! Ich glaub', ich könnte die Kiefern nicht mehr riechen

»Und er schmunzelte?«

»Er lächelte wie Honigseim. Aber ich bin nicht bange um ihn. Er wird mal eine dicke reiche Witwe heiraten und sich sanft und selig zu Tode füttern lassen. Er hat sogar eine Anlage zum Bäuchlein. Und er ist stolz darauf. Eine glückliche Natur. Fi donc.«

Er goß noch einen Kognak ein.

»Und was machst du jetzt?«

»Ick dichte.«

Er wies mit schlecht verhehltem Stolz auf drei verschiedene Witzblätter, die Verse von ihm gebracht hatten.

»Mein Leben ist sehr interessant geworden, Palettemeister. Ich studiere augenblicklich die Liebe des jungen und erfahrenen Mädels.«

»Ach?«

»Ja. Ein ganzer Abgrund von Erstaunlichkeiten und Verwunderlichkeiten tut sich auf, sage ich dir. Das ist überhaupt das einzige, weshalb sich solche Chosen für einen differenzierten Menschen eignen. Sonst –«

Er schloß mit einer großen Gebärde des Ekels.

»Bist du schon so weit? Wie alt bist du eigentlich?«

»Du wirst Philister, Martin. Anlage dazu hat Zelewski schon immer bei dir entdeckt. Das kommt wohl mit dem gefüllten Portemonnaie von selber. Ananke. Naturerscheinung. Wie gefällt dir übrigens dies himbeerfarbene Gedicht?« Er meinte seine Krawatte. »Ich notiere übrigens jede Äußerung Bettys – so heißt sie – für eine psychologische Studie oder so. Du wirst staunen.«

»Ich staune jetzt schon.«

Martin Melcher staunte wirklich. Das war Einer, der das Recht hatte, ihn »Du« und »Freund« zu nennen! Es war doch eigentlich ein recht übler Typus der Gattung homo sapiens. War der da eigentlich immer so gewesen und hatte er selber nur sich geändert??

Von der Straße her klang das Klappern und Kratzen der Schneeschaufler.

»Es ist bald wieder Weihnachten.«

»Ja. Wie gemütlich war es doch das letztemal. Weißt du noch? Was doch ein Jahr verändert!«

»Ja. Das kommt nicht wieder.«

»Du sangst damals das von dem › bouquet de deux sous‹.«

Beide summten halblaut das Montmartreliedchen, und der Lyriker imitierte in der Luft das Gitarrezupfen. Aber beide stockten und schwiegen, als die Stelle kam: »… L'amour qui tue.«

Keiner nannte Pronitzens Namen.

Nach einer Weile brummte der Lyriker: »Sterben?? Brrr. Lewer Slav üs dood!!! Denn das Leben ist eine patente Erfindung, du!«

Melcher wollte gehen.

»Warte doch noch einen Augenblick, dann kannst du Frau Amanda hier treffen.«

»Wen??«

Der andere lachte. »Du bist auf falscher Fährte, wenn ich deine Gedanken richtig errate. Es geschieht nur wegen – Eigentlich habe ich ja Diskretion versprochen. Aber dir gegenüber –! Zelewski ist doch krank. Gelenkrheumatismus, glaube ich. Er büßt jetzt mancherlei ab. Und nun braucht sie Geld.«

»Und du gibst?«

»Einen ganzen Haufen hab' ich schon à fonds perdu gegeben. Es ist scheußlich.«

Melcher drückte ihm die Hand.

»Du bist doch anständiger, als ich dachte.«

»Ich danke schön für die gute Meinung –«

Es klingelte.

»Da ist sie. Sie kommt immer pünktlich. Heute wird mir das Bluten sauer.«

Melcher griff nach seinem Geld.

»Laß nur!«

Es kam ganz anders: Frau Amanda Zelewski gab das Geld zurück. Sie war sehr stolz.

Sie hatten eine kleine Erbschaft gemacht. Paar Hunderter. Von einem vergessenen Onkel, der ein Geschäft in Hannover hatte.

Jetzt zahlte sie alle Schulden ihres Mannes ab. »Es bleibt dann noch eine Menge. Ich kann paar Wochen ausruhen, meinen Zacharias pflegen und ihm vorlesen. Und wir haben uns sogar ein eichenes Bücherspind gekauft. Sehen Sie sich's doch mal an!«

Der Lyriker versprach es.

Melcher erkundigte sich nach Vespasian.

Sie triumphierte. »Er ist fort. Wahrscheinlich ist er mal bei offener Tür hinausgelaufen und Jungens haben ihn gestohlen. Es war ein abscheuliches Tier.«

Sie schüttelte sich vor Unbehagen bei der Erinnerung an den aufgezwungenen Hausgenossen. Und gleichzeitig blitzten ihre Augen vor Lust und List. Sie war offenbar nicht unschuldig an dem Verschwinden des unglücklichen Igels.

Um einige Jahre jünger sah sie aus, seit Frau Sorge eine kurze Zeit die drückende Hand von ihrer Schulter genommen hatte.

Als Melcher mit ihr draußen stand, fragte er ärgerlich: »Und wenn dies Geld zu Ende ist – und wie lange kann das dauern? –, dann arbeiten Sie wieder wie früher an der Stanzmaschine?«

»Gewiß. Es wird ja gut bezahlt.«

»Und für Zacharias Zelewski!! Hat denn das einen Sinn?? Machen Sie sich doch von ihm frei! Jeder ist sich doch selber am Ende der Nächste.«

Sie sah ihn groß und kopfschüttelnd an.

»Sie scheinen doch nicht zu wissen, was Liebe ist, Herr Melcher! Nein,« wiederholte sie mit unendlich überlegenem Lächeln. »Was Liebe ist, wissen Sie nicht!!«

Er lachte kurz auf und sprach von Arbeit, Kunst und Zukunft.

Sie hörte aufmerksam zu. Aber dies Lächeln verließ sie nicht.

… Und dies Lächeln und ihre letzten Worte verfolgten Martin Melcher noch lange, lange, als er im Wagen saß, als ihn die rollenden Räder nach Westen trugen, als er den Berg sicher, ohne Umwege, emporklomm, und als er den Gipfel mit festem Fuß betreten.

 

Ende


Umschlag und Einband von Alphons Woelfle

Druck von Hesse & Becker in Leipzig Papier von Bohnenberger & Cie., Papierfabrik, Niefern bei Pforzheim
Einbände von E. A. Enders, Großbuchbinderei, Leipzig

 


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