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Die Madonna des Cima da Conegliano

. Ferdinand Kraatz war in Steglitz in dem neuen Atelier Melchers gewesen, hatte ihn aber nicht angetroffen. Die Portierfrau hatte ihm geöffnet, da er sich als Käufer ausgegeben, der sich die Bilder des Malers mal ansehen wolle.

Er hatte alles genau betrachtet, jedes Bild, jede Studie umgedreht, jedes Skizzenbuch durchblättert, ohne etwas Bedenkliches zu finden. Nichts darin hatte mit seiner Frau zu tun. Höchstens der Hund, der in verschiedenen Augenblicksbewegungen hier festgehalten war, konnte der Terrier Purzel sein, den sie zum Geburtstag bekommen hatte. Aber es war doch zweifelhaft.

In das kleine Kabinett jedoch war er nicht gelassen worden, da Martin Melcher den Schlüssel dazu immer bei sich behielt. Das genügte, seinen Argwohn zu heller Flamme aufschlagen zu lassen. Er machte einen Bestechungsversuch. Die Frau nahm das Geld, konnte es aber nur für das nächste Mal versprechen. Er kniete sich sogar hin, um genauer durch das Schlüsselloch zu sehen, entdeckte aber nur ein tapetenartig gemustertes Brokatstück, das über einen Reisekorb geworfen war.

Sein Mißtrauen und seine Eifersucht loderten weiter, während er zum Potsdamer Bahnhof fuhr und von da in einem Auto nach Hause sauste. Seine Phantasie belebte das verschlossene Gemach mit abscheulichen Szenen, die da vorgegangen waren.

Unterwegs ließ er paarmal halten, da er den Maler zu sehen glaubte. Es war jedesmal ein Irrtum. Und daß er ihn nicht sah, lenkte seinen Argwohn nach einer anderen Richtung: warum sollte sie sich die Unbequemlichkeit einer Steglitzer Fahrt machen? Er, der Galan, war natürlich bei ihr –

Kurz vor Tegelort bezahlte er schon und sprang dicht vor seinem Haus ab, um durch den Vorgarten schnell in das Innere zu stürzen, ehe jemand die hintere Türe benützen könnte.

Melcher konnte ihm nicht entrinnen.

Er entrann ihm auch nicht. Denn er war gar nicht da.

Isolde wußte sofort, was es zu bedeuten hatte, als er ohne weiteres in ihr Zimmer stürmte, armfuchtelnd und mit Späherblicken.

Sie kannte ihren Mann.

Das Mißtrauen überfiel ihn von Zeit zu Zeit. Wie ein Hund, der lange geschlafen hat, reckte es sich, streckte sich, blinzelte ins Licht und fuhr dann plötzlich sinnlos kläffend in den Tag hinein.

Er ging schwer atmend im Zimmer auf und ab.

Endlich begann er im erzwungenen Plauderton: »Ich sah gestern den Maler den – wie heißt er doch? – den Melcher.«

»So?«

»Er ging mit einer dicken Blondine Arm in Arm. Wohl sein Schatz. Diese Maler sind doch tolle Kerle.«

Sie fuhr herum.

»Das glaube ich nicht.«

Er tat ganz unschuldig.

»Nanu? Wenn ich's dir doch sage! Ich hab's doch gesehen. Interessiert dich das überhaupt so??«

Nun ärgerte sie sich, daß sie auf den plumpen Trick hereingefallen war.

Natürlich war es erlogen. Oder sollte es doch wahr sein? Diese Modelle waren gewiß leichtsinnig. Wie leicht konnte eine ihn umgirrt haben! Aber vermochte er in solche Netze zu fallen – zur gleichen Zeit, wo sie ihm ihre Liebe schenkte? Sie empfand einen stechenden Schmerz bei dem Gedanken.

Aber gleich darauf warf sie ihn weit weg. Sie hätte es ihm ja beim ersten Blick anmerken müssen. Sie kannte ihn ja so gut. Jedes Zucken seiner Augenlider konnte sie deuten, jede Nüance seines Händedrucks, seiner Küsse. Nicht einmal im Scherz bekam er es fertig, sie zu überlisten: sie spürte sein heimlichstes Kichern und ertappte ihn jedesmal dabei.

Nein. Nein, ihr lieber Bär war wohl fähig, sie im Liebeswahnsinn zu morden, aber nicht sie zu betrügen, wie der Kommis Friedrich Wilhelm Schultze sein Verhältnis hintergeht.

»Er hat Geschmack,« fuhr Kraatz fort. »Die könnte mir auch gefallen. Da hat man doch was. Ein gutes Stück in die Wirtschaft – das muß man sagen!«

»Dann mach' sie ihm doch abspenstig,« sagte sie lachend und ging hinaus in den Garten, wo sie ihr Terrier mit freudigem Gebell empfing.

Kraatz blieb verdutzt stehen. Irrte er sich doch?

Und er dachte daran, wie Zelewski ihm neulich nach einer solennen Kneiperei, wo sie einander Brüderschaft zugetrunken, unter Tränen versichert hatte, daß die Frauen immer noch zehnmal besser wären als die Männer.

Aber das ärgerte ihn jetzt wieder. Eigentlich hatte es ihn schon damals geärgert. Er war nur nicht gleich auf die richtige Entgegnung gekommen. So etwas dauerte bei ihm immer länger, als ihm lieb war.

»Was verstehst du überhaupt von Frauen?« Das wäre die einzig richtige Antwort gewesen.

Und ferner: »Du hast gut reden, du alberner Schwätzer, du hast die Frau den ganzen Tag nicht zu Hause. Du siehst sie drei Stunden von den vierundzwanzig des Tages. Die übrigen bist du fern von ihr oder schläfst. Meinst du, daß ich mich mit meiner Frau überwerfe, wenn ich am Schreibtisch sitze oder bei Patienten bin? Weit gefehlt! Die besten Freunde sind wir, wenn ich dann nach Hause komme. Du sollst mal sehen: die Zärtlichkeit! Das ist was anderes, wenn die graziöse Isolde einem 'nen Kuß auf den Mund drückt als deine – wir wollen mal höflich sein – doch recht plumpe, spießbürgerliche Frau. Ich will damit nichts gegen sie gesagt haben. Im Gegenteil: ich habe volle Hochachtung vor ihr. Ich bin überhaupt mit etlichen anderen der Meinung, daß sie viel zu schade für dich ist. Jawohl, viel zu schade. Und wenn du auch zehnmal die Brille rückst, – ich wiederhole es: viel zu schade!«

Die Adern auf seiner Stirn schwollen an. Er reckte drohend die Faust nach dem gedachten Gegenüber.

»Wenn ich etwas gegen die Frau gesagt habe, so ist das nur ästhetisch gemeint. Etwas, wovon du freilich nichts verstehst. Du kannst mir – das wollen wir bei der Gelegenheit gleich feststellen – überhaupt nicht mehr imponieren. Der Staub, der in deinen alten Scharteken sitzt, ist dir ins Gehirn gedrungen, du nießest und spuckst es aus und gibst es für Weisheit aus. Es ist aber nur Dreck und bleibt es, du – du polnischer Zaunkönig, du! Deinen Vierzehntelbrüdern magst du imponieren. Mir nicht. Mir nicht. Und ich, als Akademiker, bezweifle überhaupt, ob du je theologische Bildung genossen hast. Beweise her! Beweise, sage ich!«

Er stand finster, aufrecht, groß. Wie Shylock.

»Beweise! Nun, wo sind sie? Haha. Die willst du wohl auch erst von deinen fliegenden Buchhändlern kaufen oder von Kleemann? Pfundweise, nicht wahr? Kannst du Hebräisch? Das wäre ein Beweis. Aber du kennst vom Hebräischen nur die Pfandleihe, wo ihr eure Eheringe versetzt, wenn es Matthäi am Letzten ist. Und das ist ein Skandal: Eheringe zu versetzen, auch wenn sie ungraviert sind wie eure. Aber ich will mich nicht länger mit dir herumärgern. Wie sagte doch der angeblich große Fritz bei Leuthen? Mit solchem Gesindel muß ich mich herumschlagen!«

Er ging nach dem Wandschränkchen, das den alten Sherry enthielt, und goß sich ein Glas ein. Er trank noch zwei. Erst da glaubte er zu spüren, daß sich sein wallendes Blut geglättet.

Aber ein Nachgrollen seines inneren Gewitters war noch in den abgebrochenen Silben zu spüren, die er ab und zu hervorstieß.

Plötzlich blieb er vor der kleinen Landschaft stehen, die Melcher neulich gestiftet hatte. Seine Gedanken, die den langen Umweg über Zelewski gemacht hatten, fanden sich wieder zum Hauptgeleise zurück.

»Der Umgang mit Melcher muß aufhören – von Stund an!«

Und verschiedenes andere mußte auch aufhören. Zum Beispiel, daß Isolde so oft allein nach Berlin fuhr – – Herrgott, war er denn blind gewesen? Wie hatte er das nur erlauben können!

Aber das hatte nun ein Ende – –

»Das hat nun ein Ende,« sagte er auch draußen, als er im Vorgarten auf seine Frau zutrat.

»Was?« Sie spielte mit dem Terrier.

»Das hat ein Ende!« Jetzt war es bedeutend lauter.

»Schrei nicht so! Die Leute hören es ja.«

»Sie sollen es auch hören. Bald werden es noch mehr hören. Natürlich ist er wieder hier gewesen.«

»Wer?«

»Na, dieser – dieser Pinselheld, der Melcher.«

Sie schwieg achselzuckend.

In ihm begann es zu kochen. »Oder ist er etwa noch oben?? Sag's gleich! Sag's lieber gleich!«

Sie drehte sich nicht nach ihm um.

Da packte er sie am Arm.

»Du kommst jetzt hinein.«

Seitwärts am Hause, wo die Küchenräume waren, bewegte sich eine Gardine.

Sie preßte die Lippen aufeinander und folgte ihm ins Zimmer.

»Wo ist Melcher?« schrie er. »Rede! Oder –«

»Oder??«

Er wagte doch nicht zuzuschlagen.

»Hier bleibst du stehen und rührst dich nicht!«

Er hob die Tischdecke auf, ging ins Nebenzimmer, schloß die Schränke auf, ging ins Schlafgemach, kroch halb unter die Betten und sprach während dessen halbe Worte und Verwünschungen.

In diesem Augenblick spürte sie, wie das letzte Band zwischen ihr und diesem Menschen zerriß, der sie nur geheiratet hatte, um ein Besitztum mehr zu haben, der nie, nie um sie geworben hatte.

Mit großen, verwunderten Augen sah sie seinem wilden Gebaren zu.

Wie grotesk er auch aussah in diesem erregten Zustand, der ihm das Gesicht erhitzte und ein Ohr – das rechte – rötete, als hätte er dorthin einen Schlag bekommen.

Plötzlich kam ihr der Gedanke: ob er auch so eifrig suchen würde, wenn er nicht genau wüßte, daß Melcher nicht da wäre –

Und sie lachte laut.

Etwas verlegen erhob er sich.

»Da hast du auch den Schlüssel zu meiner Brieflade. Vielleicht findest du da etwas.«

Sie warf lachend den Schlüssel auf den Tisch und ging hinaus.

Draußen setzte sie den Hut auf und pfiff Purzel herbei, um mit ihm an den See zu wandern.

Sie hatte ihren Mann zu beschämen gedacht.

Aber sie hatte sich in ihm verrechnet.

Dr. Kraatz nahm den Schlüssel und öffnete die kleine Truhe seiner Frau.

Er stöberte eine ganze Weile darin umher und entdeckte endlich ganz unten einen Eilbrief, der Melchers Handschrift trug.

Er riß den Bogen heraus.

Das war der Brief, in dem Martin Melcher seine Frau bat, gemeinsam ins Museum zu wandern, um ihre Schwester, die Madonna auf einem Bilde des Cima da Conegliano, zu suchen. Er werde warten wie ein Ritter Toggenburg usw.

Es war der einzige Brief, den Frau Isolde von Martin bewahrt hatte.

Alle anderen – viel waren es nicht gewesen – hatte sie stets rechtzeitig vernichtet.


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