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Surrogate

. Pronitz saß, mit großer Nonchalance in den bequemen Korbsessel des Cafés zurückgelehnt, und rauchte eine Gianaclis. Sein Gehrock war malerisch drapiert. Die Kellner und Pikkolos wurden mit herablassender Liebenswürdigkeit behandelt.

Lucy bemerkte seine totale Veränderung mit gemischten Gefühlen.

Anfangs war sie entzückt gewesen. Denn er imponierte ihr jetzt.

Wie anders war er früher oft gewesen: phlegmatisch, zerstreut, gedankenlos, mit einem deutlichen Stich ins Lächerliche; da hatte er zu allen Fremden – auch zu Kellnern und Zeitungsjungen – mit so leiser, zaghafter Stimme gesprochen, daß diese es für Schüchternheit gehalten und ihn verulkt hatten. Viertelstundenlang hatte er wortlos gesessen, um dann jäh aufzufahren und einen Sprudel von Paradoxen, Geistreicheleien und Projekten über sie zu ergießen, um wiederum die Beute einer unerklärlichen Zaghaftigkeit zu werden.

Sie kam da nicht mit. Die Berlinerin in ihr fand es »thranig« und »doof«. Auf Seelen-Nuancierung verstand sie sich nicht.

Diese Veränderung zum Weltmännischen verstand sie und bewunderte sie. Aber dann wurde sie wieder mißtrauisch: das Warum war ihr rätselhaft. Denn daß es nicht mit seinen gebesserten Finanzen zusammenhing, hatte sie bald heraus. Und als er eines Tages eingestand, seinen goldenen Ring mit dem Topas darin verkauft zu haben, erwachte ihr Argwohn.

Es gab ja nur noch zwei Möglichkeiten: entweder er näherte sich wieder seiner Familie oder – sie hatte eine Rivalin.

Ihr Fraueninstinkt entschied sich für das zweite, und manchmal glaubte sie irgend ein neues Parfüm zu wittern. Die Feindin!

Ob ihn die Familie nahm oder die »andere« – sie verlor ihn. Und dieser Gedanke fachte die letzten Fünkchen ihrer Liebe an.

Beide sprachen heute nicht viel. Sie blätterten in Zeitungen und lauschten der Musik.

Ein sehr elegant gekleideter Herr trat ins Café. Er war dick, mit rosigen Wangen und wohlgepflegtem Schnurrbart.

»Guten Tag, Fräulein Lucy! Wo kommen Sie denn her?«

Lucy war aufgesprungen und begrüßte ihn nun mit überströmender Freundlichkeit. Ihre Augen glänzten. Sie war ganz rot geworden.

Der dicke Herr beachtete ihn mit keinem Blick.

Als sie zum Tisch zurückkam, erzählte sie, es wäre ein früherer Chef gewesen. Sie stockte dabei und sah ihn nicht an.

Seine Stimme war messerscharf, als er fragte: »Mein Vorgänger im Reich?«

Aber im selben Moment tat ihm sein Angriff leid. Der Vorgang eben wurzelte sicherlich nur in ihrer unglaublichen Impulsivität, die sie zu allem Guten und Bösen im Handumdrehen fähig machte. Er legte die Hand auf ihren Arm: »Verzeih! Ich bin nur bißchen nervös.«

Sie fuhr empor, als hätte sie in Feuer gegriffen.

»Du willst mir Vorwürfe machen, du? Ich weiß auch, weshalb? Los werden willst du mich, weil du eine andere heiraten willst!«

»Ich will niemand heiraten.« Er war schon wieder ganz ruhig.

»Meinst du, ich spüre das nicht? O, ich bin nicht so dumm, wie du denkst. Irgend ein feines Dämchen, nicht? So eine gebildete Gans–… Aber hab' doch den Mut und sag' es doch. Denkst du, ich werde mich an dich hängen? Was habe ich denn von dir?? Etwa die Grau'sche Kneipe? und deine sauberen Freunde da? Meinst du, ich könnte nicht ganz was anderes haben??«

Zuerst hatte sie leise, zischend, dann aber bei der wachsenden Erregung lauter gesprochen; so laut, daß die Gäste ringsumher aufmerksam wurden und verwundert hinsahen.

Er wollte sagen: »Ich zweifle nicht daran. Ich gebe dich darum gerne frei.« Aber er schämte sich. Auch für sie.

Ihn überkam ein seltsames, selbstquälerisches Bedürfnis, die zu beobachten, die er solange geliebt hatte. Wie häßlich sie in ihrem kleinen Zorn war!

»Wenn man kein Geld hat, geht man nicht mit einem Mädel wie ich!«

Da fuhr er zusammen und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Sie war augenblicklich still.

Der Kellner kam. Pronitz zahlte.

Draußen hing sie sich wie sonst in seinen Arm. Als sei nichts geschehen.

Er beherrschte sich und begleitete sie bis vor ihr Haus. Er spürte das Zittern ihres Armes und fühlte ihre um Verzeihung bittenden Augen. Aber er hütete sich wohl hinzusehen.

Wie oft hatte er nicht in der letzten Zeit erwogen, von ihr los zu kommen. Denn die heutige Szene war ja nicht die erste ihrer Art gewesen. Vom Gedanken bis zum Entschluß und von da zur Tat war ein so weiter Weg–…

Er brauchte dann nur wieder vor ihr zu stehen – dann gefiel ihm ein neuer, unbekannter Zug im Gesicht, eine Biegung des Nackens, der Klang eines leise gesprochenen Wortes. Sie reizte dann unbewußt den Poeten in ihm. Das fühlte er und – er war fast stolz darauf: War's nicht eine Bürgschaft dafür, daß er Künstler war? Künstler bis in die Fingerspitzen?

Aber diesmal – diesmal – wollte er fest bleiben: Regine Luther sah ihn mit hochmütigem Lächeln an, und er genierte sich. Dies kalte, zugespitzte Lächeln verscheuchte die Phantasmen.

Lucy bemühte sich, den Abschied zu verlängern.

»Wann sehen wir uns wieder?« Es kam schüchtern, kindlich, hilflos heraus. Vielleicht lag es auch nur daran, daß sie etwas lispelte–…

»Ich werde schreiben.«

»Ja, Jens Peter! Morgen, ja?«

Er nickte, grüßte mit etwas übertriebener Höflichkeit und ging fort.

Einen Augenblick wollte sie ihm nach. Aber diese Höflichkeit, die ihr aus einer Sphäre zu kommen schien, die unnahbar war, verletzte sie tiefer, als wenn er sie geschlagen hätte.

* * *

Inzwischen saß Martin Melcher mit Zelewski im Grau'schen Lokal. Jeder an einer Seite des Tisches mit der Landkarte. Zelewski bei Dänemark, Melcher nahe den Schweizer Bergen.

Zelewski zog den bestellten Kognak näher heran, schnupperte erst eine Weile an ihm herum, zog sein Gesicht in Falten der Zufriedenheit und trank ihn aus. Dann schmatzte er und gab sein Urteil ab: »Trinkbar.«

»Bischen schwach,« grunzte der Maler.

»Schwach? So?« Um dieser Eigenschaft des Trankes auf die Spur zu kommen, bestellte er gleich einen zweiten.

»Hast du eigentlich heute schon was getan, Zacharias?«

»Ich? Ich arbeite immer. Ihr werdet sehen, wenn mein Werk erscheint!«

Dann blätterte er in Melchers Skizzenbuch und vermißte bei den Zeichnungen »Schlagschatten«, »Weichheit« usw.

»Wo dieser Parasit bloß die Dreistigkeit zur Kritik hernimmt,« dachte der Maler. Laut sagte er: »Wenn man, wie ich jetzt, für Witzblätter arbeitet, muß man bestimmte Grenzen einhalten.«

»Ja, ja, die Kuli-Arbeit!!«

»Seit mein Mäcen in Seligkeit entschlafen ist, was du vergessen zu haben scheinst, bleibt nicht viel übrig. Oder meinst du, es macht mir absonderliches Vergnügen?«

Der andere überhörte die Frage. »Ich muß nun aber meine Frau abholen. Den Ramdohr und Tacke bringe ich mit. Wo steckt eigentlich Pronitz?«

»Er hat sich acht Tage lang nicht sehen lassen. Man müßte ihn mal aufsuchen.«

»In einer halben Stunde bin ich zurück.«

Er war kaum draußen, als Pronitz eintrat. Er war eine ganze Zeit in der Straße umhergeirrt und hatte sich endlich dazu gezwungen, hierher zu gehen. Hier war man wenigstens nicht allein. Hier fand man ein Echo.

Der Gedanke, jetzt in der einsamen Stube zu sitzen, flößte ihm Grauen ein.

»Wir haben dich her suggeriert, Poet!«

Pronitz trank hastig sein Bier und schwieg.

»Wenn man kein Geld mehr hat –,« dieser Satz Lucys saß ihm noch im Ohr. Vor wenig Tagen noch hätte er ihm ein Lächeln entlockt. » Sans six sous et sans souci.« Aber jetzt wirkte er wie ein Peitschenhieb. Und jetzt sprach den Satz nicht mehr Lucy Valentin, sondern Regine Luther! Regine –

»Du siehst so mies aus«, begann Melcher wieder. »Du willst mich doch nicht anpumpen. Ich habe schon Zelewski abgewimmelt.«

»Ich bin bald so weit.«

»Wie Zelewski?«

Im Stuhl weit zurückgelehnt, die Hände um den Tischrand geklammert, sah Pronitz ihn groß an. »Nein. Soweit komme ich nie. Nie. Das verspreche ich dir.«

»So feierlich??«

»Aber es muß ein Wunder geschehen. Jetzt geht es noch. Etwas Geld habe ich ja noch. Aber ich kann die Wochen abzählen, nein Monate, wo es zu Ende ist. Und verdienen, dieses groschenweise Ausnützen meines Gehirnschmalzes, ist mir so entsetzlich zuwider. Und ich bin ja auch so unmenschlich unpraktisch.«

»Und das Theater des Nordens?«

»Will Zuschuß zur Erstaufführung haben.«

»Bande!«

»Es ist ein Vergnügen, nicht wahr, sich sagen zu müssen: diesen Genuß hast du zum letztenmal, mein Lieber. Es schmeckt einem gar nichts mehr. Es ist nur gut, daß ich keine rechte Herzliebste habe, – ich könnte ihr gar nichts schenken!! Denk, wäre es nicht entsetzlich, wenn – ich will mal den Fall nehmen: etwa eine Jugendfreundin, eine Kindheitsgenossin meinetwegen, käme hier durch Berlin durch und alles flammte zwischen uns lichterloh auf! Und ich liebte sie! Liebte sie mit stiller, reiner Liebe, Martin –!!«

Also daher! – dachte der Maler. Jetzt verstand er den Freund.

»Glaubst du an Wunder?«

»Nee.«

»Warum eigentlich nicht? Warum soll ein Künstler nicht den Wunderglauben haben? Wir sind doch alle dem Zufall, dem Wunder preisgegeben, leibeigen! Alles ist davon abhängig. Man trifft am Montag die kleine Blonde und man verliebt sich in sie. Hätte man an dem Tag Zahnschmerzen gehabt, hätte man am Dienstag die Brünette gewählt und ein Teufelsherz gegen eine Kinderseele eingetauscht. Und wäre grenzenlos selig geworden. Man taumelt durch das Leben! Wie sollte man auch nicht? Auf der schwebenden Kugel im Raum?–… Man ist doch am Ende kein Jongleur, he?«

Er stützte den Kopf in beide Hände und lachte vor sich hin.

»Was du wohl davon verstehst, möchte ich wissen! Du siehst in eine dunkle Kammer, wenn du in mich hineinsiehst–… Licht her! Aber du hast nicht genug. Gib dir keine Mühe, Alterchen: du siehst doch nichts.«

Melcher sah ängstlich seine fiebernden Augen. Schauspielerte er? War es echt? Warum kamen denn nur die anderen nicht?

»Ach, ist das ein Leben! Ist das nicht ein Hundeleben, das man führt? Martin, wo sind unsere Träume geblieben? Nicht mal ein Vers blieb davon. Ein lumpiger, klingender Vers.«

»Ich bin mit meinem sogenannten Zufall zufrieden –«

Pronitz hörte ihn gar nicht an.

»Ist das ein Leben, wo man sich an Surrogaten förmlich mästet? Denk nur mal nach: man wacht früh vergnügt auf, frisch und froh – die Sonne scheint ins Zimmer – man denkt: Gott, wie schön ist eigentlich die Welt! Und es kommt die dicke Wirtin mit dem Kartoffelbauch und bringt die dünne, lauwarme Kaffeebrühe und erzählt, daß Fritzchen sich an Kuchen den Magen verdorben hat. Da liegt verdammt viel Stimmung drin, was? Statt Morgensonnenschönheit die alte Vettel. – Man müßte auf sonnigen Höhen sitzen, roten Wein schlürfen und schöne Worte aneinanderklingen lassen, daß sie tönen wie Kristall! Und man sitzt in dieser Schauerkneipe, weil sie so billig ist, trinkt dies Bier und fragt, was Kleemann, der Schmierfink, herausrücken wird! Man müßte eine stolze Liebe haben – eine Liebe, zu der man emporsieht, an der man engelsfroh und teufelsstark wird und – und –«

Er wollte vollenden: »– und man küßt Lucy.« Aber dies sprach er doch nicht aus.

»Das ist konfus. Und beweist nur, daß Norddeutsche alles sein können, nur nicht Bohémiens!« sagte Melcher. Im Grunde aber war er traurig. Was war dem Freund geschehen? So hatte er ihn noch nie gesehn. Wer hatte Schuld? Hatte diese Lucy in dies feine Gewebe mit ihren plumpen Händen gegriffen und es verwirrt? War es die Neue, Ungekannte, nach der er nicht fragen mochte? Die war noch gefährlicher. Das fühlte er heraus. O, er hätte sie erwürgen können –

Da kam Zelewski mit dem Lyriker und einer ganzen Schar, die er zufällig getroffen hatte. Alle waren schon sehr animiert.

Einer war Musikkritiker, ein stämmiger, untersetzter Mensch mit einem Negergesicht.

Er holte aus seiner großen Ledertasche ein Manuskript hervor.

»Hören Sie mal, habe ich den nicht gut abgeschlachtet?« Und er las: »Seine musikalischen Gedanken sind bleichsüchtig zum Erbarmen. Seine Musik ist mit Kakophonien wie ein überheizter Motor geladen, der nun ziellos in das unglückliche Publikum hineinrast und Opfer fordert. Manche Stellen sinken zu tierischen Naturlauten herab – wahrscheinlich, um die Paradiesstimmung dieser ›Eva‹ genannten Sinfonie zu charakterisieren. Tohuwabohu. Alles ist wüst und leer. Und der Geist des hoffnungslosesten Dilettantismus schwebt über den Wassern. Und dazu wird man in diesen schönen Spätsommertagen in die Philharmonie gelockt! Usw–… Fein runtergerissen, nicht wahr?«

Zelewski schrie Bravo.

»War denn heute Konzert?«

Der Kritiker sah den Frager – es war Pronitz – verächtlichen Blickes an.

»Halten Sie mich für einen Pedanten? Das ist die Kritik für das neuentdeckte Genie aus Slavonien oder Slovakien, das morgen seine Kompositionen verzapfen will.«

»Morgen??«

»Na ja.«

»Machen Sie das immer so?«

Der Kritiker verschloß wortlos seine große Tasche und sah nur Zelewski achselzuckend an. –

Es wurde noch sehr lustig. Um zwölf erzählte Zelewski, er habe in einer alten Chronik entdeckt, daß einer seiner Vorfahren polnischer König gewesen sei. Wahlkönig. Und auch nur ein halbes Jahr. »Aber es läßt sich nicht leugnen, daß Königsblut in meinen Adern rollt. Es verleugnet sich nicht: herrschen muß ich. Wenn auch nur in einem kleinen Kreis wie diesem.«

Einige riefen: »Es lebe der König!«

Melcher sagte: »Soviel ich noch aus der Geschichtsstunde weiß, war ein König damals soviel wie heute ein Stadtverordneter.«

Zelewski hörte solche Dinge nie. Er donnerte: »Als moderner Mensch freilich verzichte ich auf jede Aufwärmung meiner Privilegien, z. B. auch meines ›von‹. Mein Reich ist nicht von dieser Welt.«

Darauf trank er einen Pfefferminz, der abscheulich grün aussah.

Dann schnorrte er den Lyriker um eine seiner guten Zigarren an.

Der blieb aber hartherzig. »Du hast ja gestern eine halbe Kiste geschenkt gekriegt. Von Kraatz. Schämst du dich nicht? Kennst du nicht die Geschichte von dem armen Mann, der nur eine Zigarre hatte, und dem reichen Mann, der einen Tabakladen besaß und dem armen Mann dennoch die letzte Zigarre raubte?«

Zelewski aber schwor, nie eine solche Legende gelesen zu haben. Selbst nicht in seiner theologischesten Zeit.

Als man ihm nicht glaubte, gab er sein »Königswort« zum Pfande.


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