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Ein Sommertag in der Provence

. Als Pronitz am Mittag des nächsten Tages zu seiner Wohnung empor stieg, begegnete er Fräulein Katharina Eysler.

Sie war eine ebenso unbegabte wie fleißige Zeichnerin, die oben im vierten Stock hauste. Pronitz hatte sie auf einem Atelierfest bei Melcher kennen gelernt.

Ihr runder, à la Botticelli gescheitelter Kopf leuchtete ordentlich im Dämmerlicht des Treppenflurs. Sie lächelte ihn an. Es war ein feines ›diskretes‹ mütterliches Lächeln, das ihr verblühtes Altjungferngesicht verklärte. Es war wohl eher das Lächeln einer Stiefmutter – nicht einer, wie sie, von eifersüchtigen Müttern erfunden, in den dummen Kinderbüchern stehen, sondern einer feinen ernsten klugen Frau, die sich den anvertrauten Kindern zu nähern sucht, ganz vorsichtig, um sie nicht zu überraschen und mißtrauisch zu machen. Also, sie lächelte ihn an.

»Schon gespeist?« fragte er.

»O ja. Und zwar fein!« Sie lachte. »Rührei mit Speck! Selbstgemacht.«

Sie stand so zögernd und wartend, daß er nicht mit leichtem Wort weiter gehen mochte. Schließlich war sie ein Mensch, mit dem es sich plaudern ließ. Aber was nur, was?

Sie kam ihm zu Hilfe. »Hat Herr Melcher etwas eingeschickt?«

»Zur Ausstellung? Ich glaube nicht. Er kämpft überhaupt nur noch mit Problemen.«

»Das ist das Schlimmste, was einem Maler passieren kann.«

»Nur einem Maler?« fragte er lächelnd. »Sind die Poeten robuster?«

»Robuster nicht! Aber die können auch daraus noch Gestaltungsmöglichkeiten schöpfen.«

»Gestaltungsmöglichkeiten? Ein feines Wort, Donnerwetter!«

»Ja, es ist dumm,« sagte sie errötend. »Aber ich finde nicht immer den richtigen Ausdruck. Man müßte ihm helfen.«

»Helfen? Wem?«

»Herrn Melcher!« Sie sah ihn etwas vorwurfsvoll an. Hatte er den Freund schon wieder vergessen?

Er lachte. »Das lassen Sie nur! Der hilft sich allein! Er ist aus festem Holz geschnitzt–… Aber wie ist mir, malten Sie nicht etwas? Neulich, als wir die ›Große‹ besuchten, erwähnten Sie doch etwas?«

Sie war ganz glücklich, daß er das behalten hatte. »Wollen Sie es sich vielleicht ansehen?«

»Wenn man darf –«

»Sie dürfen.« Wieder war das Gesicht in ein eigentlich unmögliches Rot getaucht.

Sie stürmte eifrig voran. So eifrig, daß sie auf ihren Rock trat und beinahe heruntergefallen wäre.

»O Gott, bin ich ungeschickt!«

Das Bild stand auf einer mannshohen, sehr sauberen Staffelei, der man es ansah, daß sie wenig in Gebrauch war.

Sie zog die Gardine etwas beiseite und rückte an der Staffelei, damit das Bild besseres Licht bekäme.

Aber es half nichts. Es war scheußlich.

Pronitz war ehrlich entsetzt; aber er wußte, daß ihre treuen Hundeaugen auf ihm ruhten und nahm sich zusammen.

»Hm,« sagte er nur.

Man sah der Landschaft, die ein »Sommertag in der Provence« sein sollte, das Konstruierte von weitem an. In unwahrscheinlicher, peinlich wirkender Detaillierung tanzten da sehr bunte Leute, indes andere sehr schwarze Weintrauben sammelten.

»Sie waren mal in der Provence, Sie Glückliche? Im Land Daudets, Bertrand de Born's und der Mireio?« So konnte er ablenken.

»Nein. Leider, nie.«

»So?«

»Alles ist nach Ansichtskarten gemalt. Eine Schwester meiner Freundin schickte sie mir.«

Pronitz setzte sich erschreckt auf einen Stuhl.

Das Licht im Zimmer war gedämpft, trotz des herrlichen Sonnenscheins draußen. Denn die Quermauern des Hinterhauses schoben sich groß und breit vor die Sonne. Bei bewölktem Himmel konnte hier nur ein Halbdunkel herrschen. Und hier, hier erlaubte sich dies Malweib, die sonnendurchglutete Provence zu malen, die Provence, wo alles Klang, Licht, Farbe war, die Provence, bei deren Namen wir schon die Augen schließen, weil sie der Sonnenglast blendet. Und nach Ansichtskarten –

Nein. Es ging nicht. Er konnte nicht lügen und loben.

»Es ist natürlich noch nicht fertig.« Sie sah ganz so drein, als ob sie ein schlechtes Gewissen hatte.

»Na, wenn es fertig ist, mehr darüber!« Er drückte ihr die Hand, wie um für einen gehabten Genuß zu danken, und unterdrückte energisch den Satz: »Daß es nicht fertig ist, ist ja das einzige Gute daran. Möge es immer so bleiben!«

Er war froh, als er ihre kunstgewerblichen Sachen in die Hand bekam und ihr etwas Gutes sagen konnte. »Diese Tischkarten – nein wirklich, direkt Fragonard. Wo haben Sie bloß den Strich her? diese graziöse Linie der Putten –«

»Es sind Kopien. Nach Eysen.«

»Aha. Also die Schule habe ich doch wirklich getroffen. Aber die Umrahmung ist Ihr Werk!«

»Ja. Gefällt es Ihnen?«

Und sie war ganz selig, daß es ihm gefiel.

»Das nackte Figürchen in der Lotosblume – ist das nicht Fidus?«

»Ja. Alles von ihm ist wundervoll, nicht wahr?«

»Unter alle seine Figuren könnte man als Unterschrift »Liebe' schreiben.«

»Ja sie sind so keusch, so rein.«

»Nicht deshalb! Rechte Liebe ist nicht »keusche und ›rein‹. Sondern: weil sie so zerbrechlich sind. Man fühlt, sie sterben alle bald.«

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Sie haben zuviel Seele, meinen Sie?« Es war aber zu merken, daß sie etwas anderes hatte sagen wollen.

Er war ganz verdutzt. »Die Seele? Ja, was hat die damit zu tun??«

»O pfui, so dürfen Sie nicht reden, Sie als Dichter!«

»Übrigens haben Sie recht,« begann er nach einer Weile. »Seine Figuren haben eigentlich überhaupt nur Seele. Das ist der Hauptfehler. Dadurch werden sie so unwahrscheinlich, so wenig menschlich.«

Sie war ganz traurig geworden und stand abseits.

»Wir haben alle unsere Geschichte, glauben Sie nur.«

Die kleine Kuckucksuhr, die über dem Sofa hing, schlug zwei.

»Schon zwei. Da müßte ich längst im Geschäft sein. In der Anstalt.«

»Nehmen Sie sich doch einen Wagen.«

»Bis Wilmersdorf einen Wagen? Das würde ein schönes Stück Geld kosten. Da müßte ich viele Tischkarten zeichnen.«

Sie standen auf den Flur.

»Wird das Zeug denn so schlecht bezahlt?«

»Ach!«

»Merkwürdig: überall, wo man hinhört, wird Menschenkraft, Menschengeist, Menschenhirn ausgenützt!«

»Ach, das ist es nicht. So ein Chef eines kunstgewerblichen Instituts hat seine redliche Mühe und Plage. Ich klage auch nicht darüber. Schmerzlich daran ist nur: man kann so wenig tun mit dem bißchen Geld! Man kann so wenig Gutes tun!«

»Und das quält Sie wirklich?«

Ihr standen die Tränen in den Augen.

»Was hat man sonst vom Leben, Herr Pronitz! Addio!«

Schon auf dem nächsten Treppenabsatz stehend, rief sie noch herauf: »Und Ihrem Freund müssen wir helfen! Er muß wieder schaffen können!«

Eine zu verrückte kleine Person, konstatierte er. Das muß ich doch Martin erzählen. Und er machte wieder kehrt.

Als er bei Melcher klingeln wollte, trat mit allen Anzeichen des Ärgers und der Erregung Fräulein Zielke heraus.

»Na, wat denn, wat denn?«

Er kannte das Modell als quecksilberiges, schwatzhaftes Persönchen.

Sie gab ihm flüchtig die Hand. »Das müssen Sie mir sagen, Herr Doktor. Eine Person hat er mich genannt. Eine Person! Muß ich mir das gefallen lassen? Eine Person! Aber ich verklage ihn.«

»›Eine Person‹ ist keine Beleidigung, liebe Seele. Noch lange nicht. Sehen Sie mal: dann wäre ja die erste Seite meiner Buchdramen jedes Wort einen Haufen Beleidigungen. Da steht groß drüber: Personen! Und denken Sie etwa, einer wehrt sich?«

»Aber den Ton hätten Sie hören sollen, den Ton!«

»›Töne‹ verklagt man nicht. Ich kenne wenigstens keinen Paragraphen, nach dem es statthaft wäre. Es ist ein Manko im Gesetzbuch. Das gebe ich zu. Aber als Nichtjurist bin ich wirklich nicht dafür verantwortlich zu machen.«

»Ach Sie!«

Und sie war wie ein Wirbelwind davon.

Martin Melcher sah den Eintretenden nicht sehr freundlich an.

»Störe ich dich?«

»Nein. Ich habe die Zielke eben rausgeschmissen.«

»Weiß ich. Aber du malst wieder! Darf man sehen?«

»Bitte, vorläufig nicht! Es taugt nichts. Die Plakaterei hol der Teufel! Man versaut sich seinen ganzen Stil damit.«

»Du kommst schon wieder rein. Was macht ›Ruth im Ährenfeld‹?«

»Ist jetzt zum sechstenmal zurückgekommen. Wenn sie es zum fünfundzwanzigstenmal zurückschicken, feiere ich ein Jubiläum. Ich lade dich ein.«

»Danke.«

»Am Ende malt man schon immer für sich allein. Noble Passion. Neulich war ich bei Zedlitz. Guter Landschafter, du weißt. Bißchen pastos. Aber er weiß doch, was Farbe ist. Er hat seit fünf Jahren seine Bilder in München angeboten und immer zurückgekriegt. Weißt du, wieso? Wenn die Jury kam, hat man seine Bilder einfach umgedreht. Das taten die Herren Professoren, um die Konkurrenz von ihren Protégés abzuhalten! Ohne Protektion geht's eben nicht.«

»Wie bei uns.«

»Jetzt flüchtet er aus Berlin.«

Er saß noch immer auf dem Schemel am großen Fenster und betrachtete angelegentlichst ein Stück rötlichen Tuches in seiner Hand.

»Was ist das?«

»Dies? Eine alte Schürze der Zielke.«

Pronitz lachte.

»Bist du Fetischist?«

Melcher sah ihn mit wütender Verwunderung an. Wie kam er dazu, zu lachen? Sah er denn nicht, daß es genau der Farbenton des Kleides war, das Frau Isolde gestern getragen hatte?–…

Er legte es schnell fort und erhob sich.

»Mir schwebt eine Salambo vor, weißt du! Es muß der Augenblick sein, wo sie, über die Mauer gebeugt, Matho erwartet. Ich las die Stelle gestern wieder durch. Alles Feuer des Romans, dieser breite, schwerflüssige, glühheiße Lavastrom des Werkes, muß darin sein.«

»Fein!«

»Ja, wie klein ist Salome gegen dies Weib! Ich suche nur noch ein Modell. Es müßte eine intelligente Frau sein, beinahe eine Schauspielerin, die diese durch Schmerz und Liebe vertiefte Spannung des temperamentvollen Gesichtes herausbringt. Hoch und schlank müßte sie sein und Augen haben, Augen! Nicht die Glasknöpfe, die man sonst dafür hält. Und eine Haarflut, wie die Abendsonne« –

Er stockte.

Pronitz sah zum Fenster hinaus.

Beide sahen das Bild der schönen Frau am Walde vor sich hinziehen.

Und beide schwiegen.

»Und Farben könnten, nein, – müßten da hinein!! Orient und Okzident!«

»Ich bin nur froh, daß du wieder malst.«

»Ja, die Plakaterei hat den einen Vorzug, daß sie Silberlinge ins Haus bringt und einem bißchen Luft schafft. Die neusten Aufträge sind von einem Hofschuster und einem Ölfritzen.«

Das brachte Pronitz auf die Provence-Malerei, und er erzählte Melcher von seiner Kollegin. »Du hattest neulich recht mit den Malweibern: die einen sind hübsch, und die andern haben auch kein Talent.«

»Zu verrückt!«

»Ja. Aber ein gutes Herz hat sie!«

Pronitz stutzte bei seinen eigenen Worten und lächelte dann: jetzt wußte er plötzlich, wer ihm am Weihnachtsabend den Baum ins Zimmer gebracht hatte. Den gräßlichen Baum mit den vielen Geschmacklosigkeiten und dem vielen Gemüt.


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