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Konstantin
(Café unter den Linden)

. Frau Isolde sitzt an einem Fenstertisch, in einem Reklam-Heft blätternd.

Pronitz tritt ein, zögert einen Augenblick, kommt dann, gleichsam schüchtern, näher.

Pronitz. Sie hier, gnädige Frau? Ist es gestattet?

Isolde. Aber bitte! Ich warte auf meinen Mann. Er ist mit Herrn Zelewski auf der Königlichen Bibliothek.

Pronitz. Und Melcher?

Isolde ( errötend). Wollte Herr Melcher auch kommen?

Pronitz. Er ist um diese Zeit meistens hier.

Isolde. Kennen Sie Tschechows »Möwe«?

Pronitz. Ja, Decadence. Ich begreife nicht. Er kann so gesund schreiben. Seine Novellen sind Leckerbissen. Ich dachte, sein Nächstes würde ein großer realistischer Roman werden. Gefällt es Ihnen?

Isolde. Der Konstantin gefällt mir nicht.

Pronitz. Und warum?

Isolde. Warum erschießt er sich denn? Er hat doch gar keinen Grund?

Pronitz ( lächelnd). Was wäre denn zum Beispiel ein »Grund«? Wenn Nina ihn anfangs erhört und dann verraten hätte, wie?

Isolde ( eifrig). Ja. Das wäre ein Grund. Nicht erhört zu werden – ach, du lieber Gott! Aber Verrat in der Liebe!!! Das muß furchtbar sein.

Pronitz. Ich glaube, es ist viel schlimmer, wenn einem das Geld ausgeht.

Isolde. O pfui!

Pronitz. Ja, in die Verlegenheit werden Sie nie kommen. Aber ich halte es für den einzigen plausiblen Selbstmordgrund.

Isolde. Ach, das sagen Sie ja nur so. Im Stillen denken Sie wie ich. ( Sie sieht wieder aus dem Fenster.) Ich glaube, noch kann er nicht hier sein–… noch nicht–…

Pronitz ( blickt sie verwundert an. Sie errötet. Er versteht und lenkt ab.) Dieser Konstantin verdiente nichts anderes. Er wußte mit Leben und Sterben nichts anzufangen. Solche Menschen sind gerade gut genug, Gräben auszufüllen.

Isolde. So muß man aber niemand verurteilen.

Pronitz. Doch! Solche Menschen hindern die Entwickelung. O, es gibt so viele Konstantins. Auch in unserer sogenannten Bohème. Ich hasse sie.

Isolde. Warum hassen? Man muß alles Menschliche lieben können. Das ist viel schöner.

Pronitz. Ich weiß nicht, ob es gerade schöner ist. Bequemer ist es ja auf alle Fälle.

( Die Musik aus der oberen Etage wird vernehmbar. Man hört einen »Ungarischen Tanz« von Brahms.)

Isolde. Wie schön! Wieviel Leben steckt darin! Wieviel Sehnsucht!

Pronitz. Wie Brahms das schrieb, muß er noch sehr jung gewesen sein.

Isolde. Das weiß ich nicht.

Pronitz. Er war sicher jung. Man merkt es. Er ist noch sentimental, ohne hinterher mit den Achseln zu zucken.

( Die Musik verstummt.)

Isolde. Sie sprechen heute so bitter. Das mag ich nicht hören. Sie haben doch gar kein Recht dazu? Sie haben doch noch so viel vor sich. In Ihren Jahren als Künstler, als Mann!

Pronitz. Wissen Sie, was Heinrich Heine von Alfred de Musset sagte? Er lernte ihn in Paris kennen. »Der junge Mann hat eine große Vergangenheit vor sich.«

Isolde. Das ist hübsch gesagt, aber so könnte der Konstantin hier in der »Möve« auch sprechen. Und ich verstehe nicht –

Pronitz. Ich habe nicht einmal eine Vergangenheit. Oder doch eine recht wertlose. Das bißchen Reisen – na ja! Und Zukunft? Ich glaube bisweilen, daß ich fertig bin. Ich wüßte nicht, was mich retten könnte – – –

Isolde. Kokettieren Sie nicht bißchen mit Ihrem Leid? Ei, so was ist sehr verführerisch. Wir Frauen wissen das. Ich fühle ja heraus, daß Ihre Braut Ihnen wenig ist. Das tut mir leid. Denn gerade Ihnen wünschte ich ein Menschenkind, dessen Liebe Sie beglücken könnte. Sie würden ein ganz anderer Mensch sein. Glauben Sie mir. Glücklich, stark und froh. In der Ruhe. Beim Lampenschimmer.

Pronitz. Was für eine Phantasie! – – – Oder reproduzieren Sie Wirklichkeit??

Isolde ( stockend). Es gehört vielleicht gar nicht das Behagliche, Legitime dazu – – In Schmerz und Leid liebt man vielleicht am tiefsten.

Pronitz. Ja, die Hebräer wußten wohl, warum sie ihren Gott nur mit Sturm und Wetter kommen ließen!

Isolde ( den Kopf in beide Hände gestützt). Und wenn es in Schande und Schmach ist, – es ist doch etwas. Man lebt doch–… Wenn man auch schlecht, schlecht, schlecht ist–…

Pronitz ( zart). Aber liebe gnädige Frau!

Isolde ( schweigt; weint leise vor sich hin).

Pronitz. Ich möchte Ihnen ja gerne etwas Tröstliches sagen. Aber ich weiß ja nicht, was das sein könnte.

Isolde ( trocknet hastig die Augen). Ach, es ist auch nichts. Es ist schon wieder gut. Ich bin jetzt nur immer so nervös. So schrecklich nervös. Bitte vergessen Sie dies sobald wie möglich!

Pronitz. Sie dürfen gar nicht traurig sein. Das scheint mir ein so tiefer Widerspruch: Sie und verzagt –!

Isolde. Ich bin es ja auch gar nicht mehr. ( Sieht zum Fenster hinaus.) Da kommt Martin Melcher!!!

Pronitz ( merkt, wie eine Flamme der Freude sie durchglutet. Er steht auf und geht wortlos).

Isolde ( beachtet es gar nicht; sie blickt auf die Straße, die Martin Melcher eben überquert).


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