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Wie die Welle

.Wollen wir nicht bißchen herausfahren?« fragte Melcher.

»Wohin?«

»In den Wald. Irgendwohin. Egal wo.«

»Erst anziehen, dann eine Stunde in der Elektrischen oder Eisenbahn, dieselbe Quälerei beim Rückweg – nee, das lohnt sich nicht.«

»Also zu faul. Wie ist's mit einer Partie Schach?«

Pronitz, der auf dem Sofa lag, eine Zigarette nach der anderen rauchend, winkte müde ab: »Ich mag nicht.«

Melcher ging ein paarmal im Zimmer auf und ab und blieb endlich vor dem Freund stehn.

»Sag, was ist dir eigentlich?«

»Nichts.«

»Bist du krank?«

»Vielleicht.«

Melcher pfiff durch die Zähne. »Ich verstehe. Und der Arzt trägt einen Unterrock.«

»Mensch, ich bitte dich: laß dein Witzeln. Es steht dir nicht. Du bist nicht Fresenius.«

Der Maler setzte sich zu ihm und faßte seine Hand.

»Nimm mir's nicht übel – du weißt ja, ich bin nicht aufdringlich. Aber so geht es nicht weiter mit dir. Ich wollte schon längst mit dir reden. Aber vor den anderen –«

»Um Gotteswillen!! Du bist der einzige, dem ich das erlaube.«

»Sag', ist es was mit der Lucy?«

»Nein.«

»Ich glaube aber doch. Willst du sie los werden? Und kannst nicht? Nimm dich zusammen und schüttle sie ab. Sonst kommt es umgekehrt.«

Pronitz fuhr auf.

»Weißt du etwas von ihr?«

»Gefällt's dir denn, daß sie jedes – aber auch jedesmal mit dem faden Kerl, dem Eggert, zusammenhockt und daß er sie begleitet?«

»Wenn's weiter nichts ist! Da denkt sie sich nichts bei. Warum sollte ich ihr soviel Freiheit nicht gönnen? Ich bin kein Orientale. Über die Haremsgedanken sollte unsereins doch hinaus sein.«

»Bin ich auch. Bei allen Heiligen schwöre ich dir zu. Aber wenn einer so mit meinem Schatz umginge, – ich würde ihn windelweich prügeln. Sieh mal, das ist es ja, was mich krank und wieder gesund ärgern kann: wenn ein Mann wie du durch ein Weib kaput geht. Wie sagt doch unser Schutzheiliger: Ich wollte, daß die Erde in Krämpfen bebte, wenn ein Heiliger und eine Gans sich paaren.«

»Erstens bin ich kein Heiliger. Zweitens ist mein Kaputgehen noch gar nicht so sicher.«

»Hast du nicht gesehen, wie sie mit allen kokettiert? Das ›Weibchen‹ in Reinkultur. Sie kann wohl gar nicht anders: ›Treulos wie die Welle‹, sagt dein Kollege Shakespeare. Wie die Welle, d. h. wie eine Naturkraft–… Und darum mein Rat: mach dich eher heute wie morgen frei. Denn du mußt noch viel leisten und schaffen.«

»Werde ich auch.«

»Wirst du nicht! Wenigstens nicht, solange dir ein Weib wie eine Kette am Fuß hängt. Wie kann ein Künstler so etwas tun?«

»Das sagst du?«

»Es ist unzart, Jens Peter, an das Scherbengericht von neulich zu erinnern. Herrgott, hat die Bande sich blamiert! Natürlich habe ich nie etwas Ernstliches mit Frau Dr. Kraatz gehabt. Das habe ich auch dem Doktor geschrieben.«

Er sah jetzt an dem Freund vorüber, zum Fenster hinaus.

Pronitz lächelte müde. »Rede, was du willst, ich fühle es ja: du bist ja auch nur froh durch ein Weib! Ich höre es ja an deiner Stimme. Man sieht es dir ja auf Kilometer an.«

Er warf sich auf dem Sofa herum und drückte das Gesicht in die Ecke.

Eine kurze Weile schwiegen sie.

»Woran denkst du jetzt?« begann Melcher endlich.

»An Hamburg.«

»Eigentlich bist du zu beneiden, Jens Peter.«

»Ich? Darf ich fragen, wieso?«

»Du hast eine Heimat, eine Familie. Das ist doch etwas!«

»Ach nein, du irrst. Sieh mal, da auf dem Tisch liegt ein Brief an Familie Pronitz, Hamburg. Er ist zurückgekommen mit ›Annahme verweigert‹. Das alles war einmal. Es kommt nie wieder. Und es ist gut so–… Bloß einen Erfolg könnte ich gebrauchen. Denn mein Geld geht auf die Neige. Ich habe es gestern zum erstenmal gemerkt. Zelewski wollte mich anborgen, und ich konnte ihm nichts geben. Zum erstenmal. Es war scheußlich, Martinus.«

»Hast du eigentlich was gearbeitet in dieser Zeit?«

»Nichts.«

»Siehst du wohl? Das ist aber Unrecht. Himmelschreiendes Unrecht von dir. Du darfst einfach nicht verludern. Ich dulde das nicht.«

»Du bist inkonsequent: wolltest du mich aus diesem Grunde zum Schach verführen?«

»Schach ist nur eine Anregung,« eiferte Melcher. »Das schlafende Hirn wird wach gekitzelt.«

»Bitte sprich nicht vom Kitzeln! Ich bin so empfindlich.«

Melcher stand ärgerlich auf.

»Mit dir ist heut nicht zu reden.«

»Nee, ich muß schon so verbraucht werden. Aber, um mal ein vernünftiges Wort zu reden; willst du einen Goldwasser?«

»Nein. Was machst du abends?«

»Bin ich mit Lucy zusammen.«

Nach einigem Zögern fragte der Maler: »Kann ich nicht dabei sein?«

»Es geht nicht gut. Heute ist ihr Geburtstag. Aber ein andermal.«

»Ja, dann will ich halt zu unserm Lyriker gehn und geduldig seine Verse anhören. Etwas Gutes muß ich heute noch tun!«

»Barmherziger Bruder, such dir eine barmherzige Schwester! Das ist das Gescheiteste.«

»Nicht immer. Wiederschau'n!«

»Wiederschau'n!«

Als Pronitz wieder allein war, warf er die Zigarette fort und griff nach den »Ideen« des Douwes Dekker. Er nannte ihn für sich immer bei diesen Namen. Das Einzige, was ihm an diesem seltsam-reinen, tief-menschlichen Dichter mißfiel, war, daß er sich »Multatuli« nannte. War das nicht Koketterie? Wer hatte schließlich nicht das Recht auf diesen Beinamen? Wer hat nicht »viel getragen?«

Aber heute fesselte das Buch ihn nicht. Seine Blicke schielten nach dem Brief, der uneröffnet auf dem Schreibtisch lag. »Annahme verweigert.«

Er stand auf und legte ihn in eine Schublade. Nur nicht mehr ansehen müssen! Es war eine Demütigung. Denn er hatte wohl ein Dutzend Briefe vernichtet, ehe ihm keiner ganz richtig schien, ganz zart, ganz nachgiebig, wie sie es da von dem »Sohn« verlangten. Und nun?? Sie wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er war ihnen fremd geworden.

Er stand nun allein.

Allein!

»Der Starke ist am mächtigsten allein.«

Unwillkürlich reckte er sich. Aber er ließ es gleich wieder, weil ihn die Brust dabei schmerzte –

Und bei diesem kleinen physischen Weh ergriff ihn eine grenzenlose Mut- und Trostlosigkeit: er war ja der Letzte, der im Sturm fest zu stehen vermochte. Er, der mit dem Instinkt des Einsamen sich zu allem hingezogen fühlte, wenn es nur lebte! Er war ja im Grunde todmatt, todmüde, todwund.

Er erinnerte sich seines häufigen hohlen Hustens. Sicher war seine Lunge nicht intakt. Und sein Magen war empfindlich und vertrug die groben Speisen bei Grau nicht. Und was hatte er für diese Schädigungen seiner Gesundheit eingehandelt?

Warum hielt er mit diesen Leuten zusammen, die er im Grunde doch verachtete, weil er sie durchschaute? Anfangs, weil er zu kurzsichtig war, weil er in ihnen flammende Menschen mit beflügelten Seelen sah. Dann, weil er sie brauchte. Weil er Menschen brauchte, denen er von seinem Schaffen, seinen Träumen reden konnte. Es war wie der Resonanzboden, den die Musik braucht–… Einzig Ibo Kay und der Maler taugten was.

Und Lucy!

Er verscheuchte die Zweifel, die Melcher ihm hatte suggerieren wollen.

Hastig wühlte er in der Briefmappe und holte ihre Briefe hervor. Viele waren es nicht: sie schrieb ungern, weil sie schlecht schrieb. Aber gerade diese ungelenken Ausdrücke hatten für ihn, den Stilisten, etwas Rührendes. Und ganz unten lag ihr Bild –

Von der Küche her klang das Schwatzen der Wirtsleute und ihrer Kinder. Sonst ärgerte es ihn. Heute hörte er gespannt zu und versuchte, den Sinn des Geplappers zu erfassen–… Nun klang das Surren der Kaffeemühle. Srrrr. Er sah den Mann dabei sitzen und die Kinder, alle Frohsinn in den Augen–… Ach, es mußte schön sein, so sitzen zu können, das Herz voll Ruh bis zum Rand, voll tiefer, froher Ruhe–…

Er küßte Lucys Bild, wie er es nur in den ersten dummen Tagen seiner Verliebtheit getan hatte: er empfand eine kindliche, sehnsüchtige Zärtlichkeit zu ihr, die ihm allein zur Seite stand auf dieser wüsten Insel »Welt«.

Ihr Geburtstag heute mußte gefeiert werden. Aber nicht bei Grau. Sondern in einem intimen, vornehmen Raum, wo Schönheit hernieder rieselte von Gesims und Wänden.

Sein Geld ging zur Neige, und er wußte nicht, wo neues herkam. Aber dazu mußte es reichen. Er konnte es ja nachher wieder absparen.

Und erst wenn dieser Festtag vorbei war, wenn er ihr flatterndes Seelchen wieder eingefangen hatte, sollte sie wissen, wie es mit ihm stand. Und er sah sich mit ihr, Hand in Hand, in das Leben hineinstürmen, voll Glauben und Zuversicht.


Als er sie abends traf, studierte sie gerade das große kanariengelbe Plakat, das an der Litfaßsäule leuchtete.

Da stand:

 

Morgen Freitag 8½ Uhr:

Große öffentliche Volksversammlung.

(In den Berolinasälen, Chausseestr.)

Tagesordnung:
Brauchen wir eine neue Partei?

Referate:
»Vom Durst der Volksseele.«
(Ibo Kay.)

»An die Frau von heute.«
(Jens Peter Pronitz.)

»Vorschläge zur Gründung der Versöhnungspartei.«
(Kleemann.)

Danach: Freie Diskussion!!!

Männer und Frauen aller Parteien, insbesondere die Leser der »Glocke«, sind freundlichst eingeladen.

Der Einberufer:
Edgar Schönbeck.

 

»Nun ist es also so weit,« sagte sie.

»Ja, Gott sei Dank. Und wenn es doch etwas wird –«

»Glaubst du?«

»Warum nicht? Alle schwören doch darauf. Freilich, vom Verlauf der Versammlung wird viel abhängen. Sieh mich nur recht lieb an – hörst du? – wenn ich spreche! Und wenn alles gut geht, schenke ich dir auch etwas Schönes.«

»Ach, nicht doch! Du mußt nicht soviel Geld für mich ausgeben. Hab viel Dank für die schönen, schönen Rosen!«

»Ich wünschte nur, ich hätte das Hundertfache, um dir das Hundertfache geben zu können,« sagte er leise.

»Du Guter, du!« Sie drückte sich fest an ihn. Einen Augenblick liebte sie ihn wirklich.

»Wo gehen wir eigentlich hin?« fragte er nach einer Weile stummen Nebeneinandergehens.

»Das wirst du schon sehen.«

»Nein, nicht doch! Ich möchte es wissen.«

»So neugierig, Schatz?«

»Es ist nämlich, weil – ich weiß nicht, ob ich es dir schon sagte, daß Eggert heute auch dabei ist.«

»Eggert? Habt ihr euch verabredet?«

Sein Arm ließ den ihren sinken.

»Ich traf ihn gestern zufällig und lud ihn ein.«

»Du ludst ihn ein?«

»Ja. Aber du bist doch wohl nicht –«

»Was?«

»– eifersüchtig?« Sie lachte hell auf.

»Aber nein! Am allerwenigsten auf den! Im Gegenteil: zu mehreren ist es ja gemütlicher.« Mit grimmigem Humor trug er ihr selber die Gründe zu.

Sie trafen Eggert im Automatenrestaurant und einigten sich bald über ein Weinlokal.

Bald kamen sie auf Melchers Affäre zu sprechen.

»Das ist recht, daß sie ihn ausgeschlossen haben.«

»Ich finde es unglaublich, zumal der Fall ja noch verdammt wenig geklärt ist. Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, man muß die hören alle Beede – steht irgendwo in Lübeck. Mir gefällt das Ganze nicht.«

»Mir gefällt's,« entgegnete sie kurz. »Und Ihnen, Herr Eggert?«

Der drehte langsam und wohlgefällig sein Schnurrbärtchen. Er tat dies nicht ganz absichtslos: bei dieser Gelegenheit kam der Ring an seiner Rechten wundervoll zur Geltung, in dem ein linsengroßer Simili brillierte.

»Pardon, ich habe nicht aufgepaßt, Verehrteste.«

Sie drohte ihm mit dem Finger. »Woran denken Sie? Respektive, an wen?? Ei, ei! Also sind Sie mit Melchers Kaltstellung einverstanden?«

»Völlig, völlig!! Wenn ich mich auch dem Sprichwort nicht ganz verschließen kann, daß tout comprendre tout pardonner ist!«

Dieser Mensch war nie über Tertia hinausgekommen und riskierte das Glatteis der fremden Sprache? Pronitz ärgerte sich.

»Martin Melcher steht viel zu hoch. Er versteht sicher gar nicht, was sie unten grunzen.«

»Da wundere ich mich nur, daß du immer noch mit den anderen zusammenhältst, wenn dir so viel an Herrn Melcher liegt.«

»Ich tue es ja nicht meinetwegen. Doch für alle. Für die gute Sache.«

Eggert erwies sich als Diplomat: »Ja, das tun Sie, Herr Pronitz! Ein Schluck auf das Gedeihen des Abends und der Partei.«

Sie stießen an.

»Wie finden Sie die Rosen?«

Er legte die Hand aufs Herz. »Einfach Ihrer würdig!« Er war ganz jugendlicher Liebhaber.

»Sie sind köstlich. Dafür dürfen Sie sich eine aussuchen.«

»Sie erdrücken mich armen Sterblichen mit Ihrer Güte!«

»Nein, warten Sie: ich suche Ihnen selber eine aus.«

Und es war Pronitz, als ruhte ihr Fuß auf dem des Schauspielers.

»Jens wird zwar bißel eifersüchtig sein. Aber das schadet nix.«

Pronitz biß sich auf die Lippen und schwieg.

Sie lachte.

Eggert drehte sein Bärtchen. Diesmal diente die Bewegung dazu, einen seiner feurigen Blicke zu verbergen.

Einen Augenblick war Pronitz nahe daran aufzuspringen. Aber er bezwang sich. Er bezwang sich so weit, daß er mit dem Schauspieler anstieß und ihn bat, einige neue Schnurren aus dem Theaterleben zu erzählen.

Und Eggert erzählte und ließ um seine Person ein kleines Brillantfeuerwerk von interessanten Erlebnissen und Geschehnissen abbrennen. Er hatte die Memoiren seiner berühmteren Kollegen mit Nutzen gelesen.

Pronitz unterbrach ihn einmal: »So etwas Ähnliches hat Wohlmuth von sich erzählt.«

Aber der Schauspieler ließ sich nicht aus dem Text bringen.

»Möglich. Bei der Gleichheit des Milieus sogar sehr wahrscheinlich.«

Patsch! – da hatte er es. Lucy warf dem Störer einen bitterbösen Blick zu.

Er lehnte sich in den Sessel zurück und ließ fortan den anderen reden, reden, reden.

Es gewährte ihm einen eigenartigen, schmerzlich-wohligen Genuß, das wachsende Einverständnis der beiden zu kontrollieren. Wie sie sich dem faden Burschen aufdrängte! Wie ihre Augen an ihm hingen, ihre dunklen Märchenaugen–…

Die alte Schifferuhr ließ einen leise surrenden Klang vernehmen. Er ertrank im Wortgeriesel Eggerts.

Ihm fiel der Titel des sonnigen, jungenhaft dahinspringenden Werks ein, das er neulich gehört, Mozarts » Così fan tutte«.

Così fan tutte – so sind sie alle – –

Alle??

Er erwürgte den Gedanken, kaum, daß er zum Leben erwacht war: er dachte an Regine Luther. Nein, sie würde anders sein. Sie–…

Sie war so still und vornehm und kühl. Und kühl – ja, das war es. Sie war gar nicht imstande, so zu sein wie Lucy!! Und ihr deshalb einen Kranz winden? Weil ihr hamburger Blut ein paar Grade kühler war und langsamer floß als berliner Blut?? Wie dumm! Sie hatte es freilich bequem: geschützt und gehegt, bewahrt gegen jede Versuchung, in Watte gewickelt gegen die Zugluft des Lebens. Nicht wie die Feldblume Lucy, jedem Windhauch ausgesetzt. Man mußte gerecht sein!

Und dennoch –

Seine Gedanken wanderten wieder zu der schlanken Gestalt, um die das gedämpfte, mystische Licht der bunten Glasscheiben des Museums spielte. Er sah sie ganz deutlich. Und wunderte sich, wie er hier sitzen konnte, hier unter diesen Plebejern.

Diese Stunde warf ein neues, grelles Licht auf seinen Weg: er verirrte sich, er hatte hier nichts zu suchen. Das Wahrste wäre, er stünde auf und liefe hinaus.

Wohin?

Ach, das war es: er hatte kein Wohin.

Alles war versperrt. Er kam sich vor wie ein flüchtender König, der sein Heimatland verwirkt hat, und den das neue Land als Eindringling betrachtet und unfreundlich behandelt: er wird nirgends mehr recht warm, der alte König.

Wie müde war er doch.

Er hörte längst nicht mehr, was Eggert sprach. Die Augenlider wurden ihm schwer. Er war in einem Halbtraum. Der Rhythmus des Operntitels ließ sein Blut mitschwingen: » Cosi fan tutte – so sind sie alle – –« Er glaubte Blumen in der Hand zu halten – eine nach der anderen entglitt ihm und sank in eine dunkle hungrige Tiefe: Cosi fan tutte – so sind sie alle –«

» Cosi –«

Das sagte er plötzlich ganz laut.

»Wie meinen Sie?«

»Mir scheint gar, du schliefst?«

Er trank sein Glas mit einem Zuge leer.

»Ja, ich bin müde. Kellner, zahlen!«

»Ja, wenn man Wein nicht gewöhnt ist!« sagte Eggert lächelnd.

Sie erhoben sich.

Er ging voraus.

Eggert und Lucy folgten.

Als er sich in dem dunklen Gang, der zum Garderobenraum führte, plötzlich zufällig umdrehte, sah er, wie Lucy in des Schauspielers Arm lag und sich widerstandslos ein-, zweimal von ihm küssen ließ.

Es war sicher nicht das erstemal.

Ihn überrieselte es eiskalt. Erst wollte er zurück und die beiden zur Rede stellen und ihnen in das Gesicht schlagen. Aber er bekam es nicht einmal fertig, genauer hinzusehen. Das alles ekelte ihn an und betäubte ihn förmlich. Es war so häßlich und so lächerlich und doch eigentlich zum Weinen.

»Warum tut sie das? Warum tut sie das jetzt?«

Draußen vor der Türe reichte ihm Eggert die Hand zum Abschied.

Da erwachte Pronitz und er reckte sich hoch auf: »Ihnen – meine Hand?? Nein. Nein. Nein.«

Eggert zuckte zusammen. Denn Pronitz hatte in diesem Augenblick Ähnlichkeit mit einem gereizten Raubtier, das zum Sprung ansetzt.

Und jedes »Nein« war wie ein Prankenschlag.

Er verschwand eilends im Dunkel der Straße, ohne sich um Lucy zu kümmern, die ihm ängstlich nachrief.


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