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An die Frau von heute

. Es war sieben Uhr. Im Vorflur der »Berolina-Säle« brannten bereits die Gaslampen.

Der große Saal, der am Tage wie ein großer Schafstall aussah, gewann etwas an Stimmung, als jetzt die Kandelaber an den Wänden aufflammten. Er hatte etwas an sich, das zwischen »gemütlich« und »prunkvoll« die Wage hielt.

Der Wirt ging schlürfend durch den Raum und begrüßte mit jovialem Händedruck den Zeitungshändler, der am Eingang des Saals seinen Tisch mit Abendzeitungen und Sensations-Broschüren bepackte.

Der Händler war buckelig und hatte ein dreieckiges käsiges Gesicht, aus dem die Augen wie schwarze angebrannte Rosinen herausglänzten.

»Heute wird sich's lohnen,« sagte er schmunzelnd und die Hände reibend. »Heute ist hier was los.«

Der Wirt zuckte die Achseln. Er war gewöhnt, sein Personal mit allgemeinen Armbewegungen zu lenken und zu dirigieren, und war im Lauf der Jahre mundfaul geworden.

»Die jungen Leute kommen! Die jungen Leute kommen! Die kaufen für ihre letzte Mark so'n Zeug und essen lieber kein Abendbrot dafür. Schnorrer? Ach nee, schimpfen Sie nicht. Es muß auch solche Käuze geben. Wer füllt denn die Säle? He?«

Er packte einen Stapel auffällig bedruckter Hefte aus.

»Die Sozialdemokraten kommen heute auch. Ich weiß es vom Bruder meiner Wirtin, der Parteikontrolleur ist. Oder sowas. Sie sind direkt eingeladen. Sonst hätten sie die Brüder wohl unter sich gelassen. Es wird 'nen netten Knaatsch geben.«

Der Wirt schlürfte fort. Am Telephon bestellte er beim Stellenbüro noch ein paar Aushilfskellner. Wenn es erregte Debatten gab, gab es Durst. Da konnten gar nicht genug Kräfte sein. Das war das einzige, was ihn an der ganzen Sache interessierte.

Der Händler steckte sich eine Zigarette an und setzte sich auf einen Gartenstuhl neben sein Bücherlager.

Die ersten, die vom Komitee kamen, waren Schönbeck und Kleemann.

Schönbeck war verblüfft, daß noch niemand da war, und schob das in sehr erregter Rede auf den nichtswürdigen Geiz des Wirts, der am Licht sparte.

Bald tauchte das Ehepaar Zelewski auf. Zelewski, der am Vorstandstische sitzen sollte, war nervös und schob seine Brille auf und ab. Schönbeck konstatierte aber mit Befriedigung und Verwunderung, daß er tadellos rasiert war und fast blendend reine Wäsche trug.

Sie mußten alle noch eine Weile warten, bis die ersten Besucher kamen und die beiden elektrischen Monde drinnen aufleuchteten. Da strömte aber auch wie auf Kommando eine ununterbrochene Menschenflut herein.

Um acht Uhr kam Fresenius. Er rieb sich die Hände und sagte ein über das andere Mal: »Ein Bombenerfolg!« Er war blendender Laune und wollte Kleemann eins seiner berühmten Rätsel aufgeben; der schob ihn aber beiseite. Er war gar nicht in der Stimmung, die faulen Witze Fresenius' über sich ergehen zu lassen: »Menschenskind, verschone mich! Bei solcher Gelegenheit muß man die Würde wahren!«

Allmählich füllte sich der Saal.

Wie es der Händler prophezeit hatte, wurde eine Menge Blätter und Broschüren gekauft. Seine Auslage zeigte bereits deutliche Lücken.

Zelewski, dessen Frau sich bereits an einem der reservierten Tische niedergelassen hatte, wandte sich an Kleemann: »Sind die Listen alle bereit?«

»Fix und fertig. Die alten, uns persönlich bekannten Abonnenten der ›Glocke‹ sitzen an einzelnen Tischen verteilt. Wenn die Listen herumgereicht werden, unterschreiben sie eifrig. Und die anderen natürlich auch. Herdentrieb!«

»Das haben Sie glänzend arrangiert.«

»Gott, solch alter Praktikus.« Kleemann tat so, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, als neue Parteien gegründet und Seelen dafür eingefangen.

Wieder kam ein Schwarm gutgekleideter junger Leute, darunter einige in schwarzen Anzügen und Zylindern. Die meisten grüßten das Komitee höflich, fast ehrfurchtsvoll.

»Ja, ja, wir sind bereits eine Nummer in Berlin,« quittierte Kleemann über die Huldigung.

Keiner widersprach.

»Alles kommt darauf an, wie die Referate einschlagen.«

»Ibo Kay packt sicher.«

»Ja, er reißt die Frauen mit. Er hat das so an sich. Weiß der Teufel, wo er es her hat. Ich kriege das im Leben nicht fertig.« Und Kleemann schüttelte sein Haupt.

»Na, na?« machte Fresenius.

»Ich meine, so in Masse. Du alter Sünder, was dachtest du schon wieder?«

»Wir wollen mal Einen am Büfett verlöten, wie? Einen Begeisterungstrunk.«

Zelewski war gleich dabei.

Aber man kam durch das Gedränge nicht mehr hindurch.

»Ist Pronitz schon da?«

»Ich habe ihn noch nicht gesehen. Ich wollte ihn abholen, er war aber schon fort. Schon seit Mittag – sagte die Wirtin.«

»Rampenfieber,« entschied Kleemann.

Schönbeck krauste die Stirn. »War er eigentlich notwendig?«

»Ibo Kay protegiert ihn. Er wollte ihn durchaus auf dem Programm haben. Und schließlich gibt es der Sache auch so 'nen ästhetischen Anstrich. Speziell für unsere Glockenblumen. Ich habe ihm die nötigen Direktiven schriftlich gegeben.«

»Dann ist's gut.«

Es kam ein Trupp Leute in Arbeitskleidung. Meist kräftige untersetzte Gestalten mit frühreifen Gesichtern. Sie schienen alle in fröhlicher animierter Stimmung. Für Fresenius zu animiert. Er kannte seine Berliner: diese da waren zu sicher. Sie erwarteten einen Ulk, einen Hauptfeez, bei dem es was zu lachen geben würde. Die konnten gefährlich werden.

Da kam aber schon eine Schar Damen: Literaturweiber, die man in der »Glocke« vorsichtigerweise verschiedene Male hatte zu Worte kommen lassen.

Fresenius begrüßte einige davon mit Komplimenten, bei denen ein assyrischer Satrap errötet wäre.

Aber keine zuckte mit den Wimpern.

»Die Bude ist ja voll,« grollte Zelewski, dem hier nichts schmeckte, und dessen Laune sich daher getrübt hatte. »Fangen wir noch nicht an?«

Der Kunstwissenschaftler wies Dr. Kraatz, mit dem er zusammen gekommen war – Frau Isolde war nicht zu sehen – auf Ibo Kay, der einsam, wie weltentrückt, vorne an einer Säule lehnte.

»Posiert er eigentlich?«

»Solche Menschen posieren immer. Auch wenn sie allein im Kämmerlein sind. Oder nie. Ich bin hinter sein Geheimnis nicht gekommen. Vielleicht ist auch keins da –«

In diesem Moment läutete oben auf der Rednerbühne die Glocke des Vorsitzenden. Zelewski und die anderen nahmen oben an dem weißgedeckten Tische Platz.

Ein Rücken der Tische und Stühle – ein Husten und Räuspern – ein Klappern von Bierseideln und Knistern von Zeitungen – dann wurde es still.

Zuerst wurde gebeten, im Interesse der Damen und der Redner das Rauchen einzustellen.

Damit war der große Moment gekommen.

Schönbeck eröffnete feierlich die Versammlung und erteilte Ibo Kay das Wort.

Ibo Kay sprach eine volle Stunde – viel zu lange für den Zweck des Abends. Aber er beherrschte mit seiner dunklen weichen, schmiegsamen Stimme die Zuhörer von seinem ersten: »Ich grüße Sie, Kampfgenossen und Mitkämpfer« bis zu seinen Schlußsätzen.

»… Und frei wollen wir sein, weil wir nur so freie Menschen erziehen und um uns sammeln können. Die Freiheit wollen wir in die müden Seelen pflanzen, in die dürren Äcker, die so lange kein Regentropfen netzte – und nicht jene Freiheit mit Barrikaden und ökonomischen Katechismen – aber auch nicht jene Freiheit mit dem ›heiligen‹ Buch der Legenden in der Linken und dem Säbel in der Rechten – nein, Brüder, Schwestern: eine neue Freiheit erschauen wir–…

Unser Volk ist des Parteihaders übermüde. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Kommen wir unseren Brüdern entgegen! Noch den letzten Kampf um dies – Ziel und dann der Friede!–…

Die Versöhnungspartei ist das Palladium, um das es sich lohnt, Mauern nieder zu reißen und Kämpfer zu werden–…

Helft uns dazu! Schließt die Reihen! Kommt mit uns und unseren Forderungen in Hütten und Paläste, zu den Reichsten der Reichen und den Ärmsten der Armen. Reißt sie aus der Gewalt verrotteter Meinungen und Vorurteile und lehrt sie das Evangelium der Menschheit!

Auf zum Kampf, zum Sieg, zum Frieden!«

Er schlug mit der Hand schwer auf das Rednerpult, daß das Wasserglas herunterfiel und zerbrach.

Die Zuhörer tobten.

Es war aber ungewiß, ob der Beifall oder der Widerspruch stärker war. Wütendes Händeklatschen und Hochrufe mischten sich mit höhnischen Worten: »Weltbeglücker – Missionar – Konfusionsrat – Narr –«

Die Frauen waren für ihn. Eine drängte sich eben hervor und überreichte ihm einen Lorbeerkranz.

Er wehrte ängstlich ab. Aber es half ihm nichts. Der Kranz – von dem nur Fresenius wußte, wer ihn bezahlt hatte – wurde ihm wieder und wieder in die Hand gedrückt.

Über sein schönes Schwärmergesicht glitt ein Schatten. Das alles war nichts für ihn.

Solange er auf der Tribüne stand, ergriffen ihn seine Ideen, und er berauschte sich an seinen eigenen Worten. Er baute dann wie Korallenpolypen auf's Geratewohl. Nur in ganz weitgestecktem Rahmen des Möglichen und Richtigen. Er widersprach sich dann oft. Aber das beeinträchtigte die Wirkung seiner Worte nicht. Im Gegenteil. Dieser Wirbelwind von Gedanken und Empfindungen und Worten fachte die letzten Flämmchen in den Seelchen seiner kritiklosen Zuhörerinnen an.

Er fühlte das auch. Und daß ihn auch in dieser Stunde das Gefühl nicht verließ, dafür sorgten die andauernden Zurufe seiner Gegner.

So kam er sich in diesem Moment, der ihm den höchsten Triumph seines jungen Lebens brachte, klein, schwächlich, unbedeutend, phrasenhaft vor – ein Epigone, nur mit mehr Herz als die anderen–…

»Sehen Sie nur,« sagte unten im Saal Dr. Kraatz zu seinem Nachbar, »wie die Weiber an ihm hängen!«

Marcuse lächelte. »Ich denke an Savonarola und die Florentinerinnen.«

Der Vorsitzende rührte die Glocke.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich Gehör verschaffen konnte.

»Bevor wir zum zweiten Punkt der Tagesordnung kommen, machen wir eine Pause von zehn Minuten.«

Ein Mann in Arbeiterkleidung erhob sich.

»Zur Geschäftsordnung!«

»Sie wünschen?«

»Ich denke, wir sind hier alle im Saal begierig, die neue Partei, von der die Herren auf den Litfaßsäulen soviel reden, kennen zu lernen. Ich schlage vor, sich oben etwas mehr zu beeilen. Wir haben nicht alle soviel Zeit, wie wahrscheinlich der Herr Vorsitzende, und wollen nicht bis nach Mitternacht auf Ihre Aufklärung warten.«

Sofort erhob sich Fresenius in seiner ganzen Größe.

»Es freut uns aufrichtig, daß der Herr Vorredner so gespannt ist. Das beweist die Werbekraft und die Anziehungskraft unserer Ideen. Aber wenn es ihm zu lange dauert, stellen wir ihm gern die gedruckten Referate portofrei im Lauf der Woche zu.«

Die Situation war so noch einmal gerettet. Aber es war doch ein schriller Mißton angeschlagen.

Die Wahrheit war, daß Pronitz noch immer nicht da war. Am Vorstandtisch herrschte große Unruhe. Zwei Boten waren bereits nach seiner Wohnung gesandt, aber unverrichteter Sache zurückgekehrt.

Es war bereits eine Viertelstunde vorbei, und noch war er nicht zu sehen.

Das Publikum wurde unruhig. Man scharrte mit den Füßen. Schon wollte der Vorsitzende Kleemann das Wort geben, als ihm Zelewski zuraunte: »Da kommt er.«

Pronitz kam.

Langsam, mit schwerem, schleppenden Schritt, leicht taumelnd wie ein Trunkener, durchschritt er den schmalen Gang, der an der Wand freigelassen war.

Ein Kellner kam mit einem Tablett leerer Gläser direkt auf ihn zu und rief ihn an. Pronitz sah ihn nicht und hörte ihn nicht. Der Kellner schob ihn unsanft beiseite und sah ihm mit frechem Grinsen nach.

Der Hut saß ihm schief, war eingebeult und mit Staub bedeckt. Die Krawatte hing halb heraus. Das Gesicht war fahl und gelblich.

Müde warf er sich oben am Vorstandstisch in einen leeren Stuhl.

»Um Gottes willen, Mann,« rief Schönbeck, »wie sehen Sie aus? Sind Sie krank?«

Er verneinte kopfschüttelnd.

»Wir warten schon mit Schmerzen auf Sie.« Und als er ihn verständnislos ansah: »Sie haben doch Ihren Vortrag nicht vergessen?«

»Den Vortrag?« begann Pronitz ganz langsam. »Nein, nein. Den habe ich nicht vergessen: an die Frau von heute!«

»Er hat sich zu viel Mut angetrunken,« flüsterte Fresenius Zelewski zu. Der nickte lachend.

Schönbeck war wütend: »Soll ich Ihnen das Wort geben oder verzichten Sie?«

»Aber ja, zum Teufel!« rief Pronitz ungeduldig und warf den Hut zur Erde.

Wieder ein Klingeln.

Dann: »Ich erteile dem bekannten Dichter, unserm verehrten Jens Peter Pronitz, das Wort zu seinem Referat: ›An die Frau von heute‹.«

Einige erhoben sich, als Pronitz ans Rednerpult trat; andere benützten ungeniert ihre Operngläser. Viele klatschten.

Er sah eine ganze Weile schweigend in die erwartungsvolle Menge.

»Klatschen Sie nicht!« begann er endlich. »Vielleicht pfeifen Sie, wenn ich abtrete.

Sie sagen: Sie kennen meine Meinung von gestern. Aber kennen Sie auch die von heute? Wissen Sie, wieviel Wellen zwischen gestern und heute wogten? Wissen Sie, wieviel von meinem Ich diese Wellen mit sich rissen?

Ich könnte Ihnen ›Panta Rhei‹ sagen und damit würde alles Nonsens, purer, blanker Nonsens, was hier gesprochen und geglaubt wird. Aber Sie würden das ja gar nicht verstehen. Sie wüßten vielleicht nicht einmal, was das auf Deutsch heißt!!«

Einem Augenblick eisigen, atembeklemmenden Schweigens folgten Rufe: »Zur Ordnung! Zur Sache!«

»An die Frau von heute wollte ich appellieren. Und vergaß, daß das, was ich sagen wollte, der Frau von gestern und vorgestern gesagt wurde. Und immer, immer umsonst. Das ist ja alles so entsetzlich zwecklos –«

Mit einem Male verlor seine Stimme ihren matten, monotonen Klang. Er bog sich jäh über das Pult und schrie: »Seid ihr es denn wert, daß man euch hinaufzieht? Daß man euch seine Träume, seinen Geist, seinen Willen, seine Phantasie, sein Leben opfert?« Seine des Redens ungewohnte Stimme schrillte in den Diskant über, als er in die sich erhebende Menge hineinbrüllte. Und durch einen Hustenanfall hindurch, der ihn jetzt erfaßte und durchschüttelte, stieß er mühsam und gequält hervor: »Dirnen – Dirnen –!«

Seine Worte wurden übertönt von dem tobenden Gejohl der Hörer. Hunderte schrien ihm Schimpfworte und Schmähungen zu. Es kreischte, lachte, heulte, quiekte, pfiff, zischte.

Die Versammlung glich in diesem Augenblick einem brausenden Meer.

Schönbeck und Fresenius zogen ihn zurück. Kleemann jammerte: »Was nun, meine Härren, was nun?«

Als könne er sie nicht verstehen, weil sie eine fremde Sprache redeten, starrte er sie an. Wortlos nahm er den Hut und ging langsam dem Ausgang zu.

Die Meisten hatten sich erhoben. Die Damen vom Literaturverein drängten sich zu ihm. Sie waren die einzigen im Saal, die ihn jetzt bewunderten. Sie waren alle entschlossen, ihm die Ehrenmitgliedschaft anzubieten. Das war ja ein furchtbar interessanter Mensch.

Eine Gruppe Arbeiter oder Handwerker, die mehr im Hintergrunde saß, sah ihm lachend und ulkend zu. Der Sprecher von vorhin rief ihm zu: »Nur so weiter, Herr Doktor.«

Ein gutgekleideter, gutgenährter Herr – es war Rentier Schwandtke – sagte keuchend zu seiner erblaßten Tochter Katharina: »Das ist nun Idealismus! Das ist moderne Jugend.«

Pronitz hörte von alledem nichts. Er ergriff mechanisch die Hände, die sich ihm entgegenstreckten.

Aber einer spie vor ihm aus.

Da schrie er auf wie ein mißhandeltes Tier. Mit geballter Faust stürzte er dem Angreifer nach.

Einige kräftige Hände rissen ihn aber zurück und drängten ihn zur Ausgangstüre.

Der Zeitungshändler, der im Vorflur gerade sein Bündel schnürte, bog gewandt aus. »Rausgeschmissen,« konstatierte er, und über sein Käsegesicht flog ein verständnisvolles Lächeln. Das war nichts neues. Bei besseren Versammlungen war das so Usus. –

Nun stand Pronitz draußen, halb zusammengeknickt gegen den Türpfosten gelehnt.

Geschminkte Frauen gingen an ihm vorbei und spotteten. Er hörte es nicht. Beim Öffnen der Saaltüre vernahm er für einen Moment das Toben der Menge drinnen – wie man aus weiter Ferne die Wellen der See an die Granitstufen des Leuchtturms branden hört.

Plötzlich stand Ibo Kay neben ihm. Seine dunklen Augen leuchteten.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Ich weiß ja, Sie sind nur unglücklich.«

Pronitz sah ihn groß an und richtete sich straff auf. »Ich unglücklich? Haha. Sie sind verrückt, mein Lieber.«

Ibo Kay drückte ihm die Hand. »Sie sind heute nicht unser Jens Peter. Ich suche Sie morgen auf. Adieu. Die Pflicht ruft.«

Einen Augenblick stand Pronitz noch, dem Raunen der Gassen lauschend. Das war wie das Knurren des Raubtiers im Zoo, wenn die Bestie verdaut und im Halbschlaf liegt–… die große Bestie »Berlin« knurrte da–…

Plötzlich kamen drei Schutzleute im schnellen Lauf. Voran ein Herr im schwarzen Rock: Fresenius, der sie wohl herbeigerufen hatte. Sie stürzten an ihm vorbei in das Lokal. Er hörte drinnen Rufe, einen Moment Schweigen und jähen Umschlag zum Tumult.

Wieder stürzte ein Schutzmann heraus und pfiff. Eine Anzahl Uniformen näherten sich.

Langsam ging Jens Peter Pronitz seines Wegs, seiner dunklen, kalten Wohnung zu.


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