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Der bewußte Hammel

. Als die vier bei Zabel eintraten, machte sie der Wirt schon darauf aufmerksam, daß Herrschaften hinten auf sie warteten.

In der Nische war der ganze Kreis versammelt.

Zelewski setzte eben wie beiläufig den gutmütigen Zuhörern auseinander, wie verkehrt die Taktik Cromwells bei Morston Moor gewesen sei, und überhäufte sie mit technischen Ausdrücken, die er am Nachmittag in einer vergilbten Broschüre aufgefangen. Solche Themata, die abseits der Landstraße lagen, liebte er. Da konnte ihm keiner dazwischenreden.

Unter dem Auditorium befand sich auch Dr. Ferdinand Kraatz, der in Tegelort Arzt war, aber seine Tätigkeit auf wissenschaftlich-statistische Broschüren und Bohèmestudien beschränkte. Dann: ein gewisser Tacke, der zu Zelewskis Auserwählten gehörte, seitdem er einmal einen Brief an ihn mit »Werter Meister« begonnen hatte. Schließlich: eine junge Schauspielerin, die noch in der Seebachschule lernte. Es wurde behauptet, daß man sie mit einem Blick nicht übersehen könne. Das war übertrieben. Immerhin wäre sie als Sängerin für Wagnerrollen prädestiniert gewesen. Melcher, den sie mal durch Nichtachtung auf der Straße gekränkt hatte, hatte sie »Grane das Roß« getauft.

Alle überhäuften Pronitz mit Fragen, was er denn vorlesen lassen wolle.

»Weiß nicht. Jedenfalls nur was Kurzes.«

»Er handelt nach dem Grundsatz Ciceros › Non multa‹.«

»Pardon, sagt das nicht Seneca?«

»Nu, wenn schon!« meinte Fresenius achselzuckend.

Aber da fuhr ihm Zelewski in die Parade; er habe gar keinen wissenschaftlichen Sinn; nicht für fünf Pfennig.

»Nu, wenn schon!« wiederholte Fresenius hartnäckig.

Es drohte ein Zwist. Aber Dr. Kraatz schlug mit dem Seidel auf den Tisch, daß die anderen Gläser erschreckt in die Höhe wippten und überspritzten.

Das lenkte ab.

Und nun erzählte der Arzt seine neueste Operation. Sie war sehr unappetitlich, und er erzählte sie mit lückenloser Ausführlichkeit.

Der Lyriker behauptete, daß er beim Anhören alle Schmerzen an den einzelnen Stellen mitempfinde.

Die Schauspielerin krauste die Nase. Frau Amanda war begeistert über soviel Fachkenntnis und Fremdwörter: der Berlinerin in ihr imponierte dies am meisten.

Beim Sprechen machte Dr. Kraatz immer minutenlange Pausen, vollendete aber beharrlich seinen einmal begonnenen Satz. Pronitz meinte mal: bei seinem ruckweisen Reden erhalte man durch irgendeine Gedankenverbindung die Vision einer – Sekundärbahn. Er kam wie diese doch immer – wider alles Erwarten – über alle Hindernisse hinweg ans Ziel.

»Da ist Ibo Kay,« sagte Tacke.

Alle blickten sich um. Denn die Wenigsten kannten ihn vom Ansehen.

Er war jung, schlank, mit einem Kopf, der ein Shelleykopf gewesen wäre, wenn nicht die vorspringende Stirn und die tiefliegenden großen brennenden Augen den Fanatiker verraten hätten. Von diesem Menschen ging eine starke suggestive Kraft aus, der sich niemand leicht entzog. Die Frauen am wenigsten.

»Warum halten Sie nicht die Eingangsrede? Wir hatten alle darauf gerechnet.«

»Ich wollte mich nicht in den Vordergrund stellen. Es soll nicht heißen, ich handelte aus Ehrgeiz.« Übrigens war ihm ein passendes Lokal angeboten worden. In der Bülowstraße. Die Aula einer Höheren Töchterschule.

»Wenn da nur nichts von den modernen Ideen kleben bleibt!«

»Ich wünschte, es bliebe!« antwortete Ibo Kay, immer mit demselben unerschütterlichen Ernst.

Trotz aller Bitten hielt er sich nicht länger auf. Er müsse früh schlafen gehen. Denn die nächsten Tage sei viel zu tun. »Auf Wiedersehen!«

Fresenius zuckte die Achseln. »Poseur. Soviel Aposteltum gibt's ja gar nicht.«

Aber alle wandten sich gegen ihn und schwärmten für Ibo Kay.

»O weh, da hab' ich ja schön ins Fettnäpfchen getreten, was, Doktor?«

»Das haben Sie, und das kann nur durch eine neue Lage gutgemacht werden.«

Fresenius bestellte und wurde angehocht.

Die junge Schauspielerin ließ sich von ihrem Nachbar, dem Lyriker, alles erklären. Sie interessiere sich so furchtbar für die Bohème und müsse als Künstlerin doch auch Einblick darin gewinnen.

Der Lyriker suchte nur Einblick in den Ausschnitt ihres dunkelblauen Gewandes zu gewinnen. Sie verbat sich das, erlaubte es aber, als er beschwor, das gehöre zur Bohème.

Sie besaß schon einen ganz hübschen Schatz von Kulissenruppigkeiten. Sie titulierte ihn nur »Idiot«, behauptete, »er rede einen Stiefel«, er sei »märchenhaft blöd«, »schwer gehirnleidend«, »ein blasser Schurke«, »ein niederer Sklav'«, »ein Galeerensträfling« – ließ es aber doch zu, daß er sie auf den Nacken küßte.

Drüben definierte Jens Peter Pronitz dem etwas angetrunkenen Tacke den Begriff des Zynikers: »Ein Mensch, der am Strom des Lebens steht, nicht mitschwimmt, weil er nicht schwimmen kann, und sich dadurch rächt, daß er ab und zu hineinspuckt.«

Zelewski, der schon beim zwölften Glas war, bewies nun allen haarklein, daß das Wurstblatt »Die Glocke« ausgebaut werden müßte.

Alle waren Feuer und Flamme.

Kunstkritische, philosophische, strategische, astronomische, sexuell aufklärende, naturwissenschaftliche Artikel müßten rein. »Wir müssen alle Intelligenz, die auf dem Mistbeet Berlin gedeiht, sammeln und in unsere Scheuern fahren. Dann ist es im nächsten Winter ein Kinderspiel, die neue Partei zu gründen. ›Die Partei‹!«

Ja, das war es. Mit einemmal sah man die Verwirklichung vor sich! Handgreiflich, deutlich. Und ein Bombenverdienst winkte, wenn die Berliner drauf reinfielen. Und sie würden eben drauf reinfallen –

»Natürlich kommt zunächst unser Kreis heran. Und die Kritik reformieren wir. Nein, wir revolutionieren sie!«

Stürmisches Bravo.

Die Frage war nur, wie?

»Wir gründen mit – hupp – beschränkter Haftung eine Lobesversicherung auf Gegenseitigkeit. Denn wir wissen, daß wir es verdienen. Wer nicht mithält, fliegt raus. Ich lobe dich, du lobst mich, er lobt sich, wir loben euch, ihr lobt uns, sie loben sich alle zusammen. Kapiert?«

Die Gläser leerten sich wieder.

Wirt und Kellner hatten alle Hände voll für diesen Tisch zu tun.

»Wer nicht mitwill, kann mir nur leid tun.«

Alle wollten.

Die junge Schauspielerin nannte Zelewski einen »genialen Hund«.

Dies Lob, das er – so leise es auch gesprochen war – aufgeschnappt hatte, beflügelte ihn.

»Natürlich muß dann auch der Name des Zentralorgans unserer Zeit geändert werden. ›Glocke‹ riecht zu sehr nach Weihrauch und Pastorenknaster.«

Nun zerbrachen sich alle den Kopf. Die Neuformung des Titels war wirklich eine Notwendigkeit.

»Der Pokal« –

»Das Sprungbrett« –

»Sonnenblume« –

»Die Himmelsleiter« –

»Die Honigwabe« –

»Das Känguruh« (weil es in wenigen Sprüngen das erreichen würde, was andere im Kriechen erreichen) –

»Gralshüter« –

»Der Sturmwind« –

»Das neue Kaiserreich« –

»Leute von heute« –

»Mörtel« (weil es den Neubau der neuen Zeit in den Fugen festhielt) –

»Wir« –

Alles wurde nach reiflicher Überlegung abgelehnt und man beschloß, diese wichtige Angelegenheit auf ein andermal zu verschieben, als Fresenius, der solange geschwiegen hatte, seinen Vorschlag machte:

»Der bewußte Hammel.«

Alle platzten.

»Bitte. Das ist gut symbolisch. Es soll der Hammel d. h. die Zeitschrift sein, auf den man immer wieder zurückkommt.«

Der Jubel war groß.

Nur Dr. Kraatz machte den Einwand: »Melcher hat, wie er mir verriet, das Plakat schon auf ›die Glocke‹ eingestellt. Bimbam! Soviel ich ihn kenne, ändert er nichts mehr.«

»Ist das wahr?« fragte Fresenius finster.

»Es könnte ja auch ein Hammel resp. ein Schaf sein,« meinte Melcher, »Nur –«

»Na also. Ihr hört, Quiriten! Zelewski, schreiben Sie was Philosophisches vom bewußten und unbewußten Hammel als Leitartikel!«

»Nur,« vollendete der Maler, »müßte das Viech dann Ihren Kopf tragen.«

Fresenius schwor, daß sein Zorn keine Grenzen kenne; er verlange Sühne –

Dann bot er ihm die Brüderschaft an.

Melcher war aber noch ziemlich nüchtern. »Wissen Sie: es gibt hier und da Momente, wo einem sowas unangenehm wird.«

Fresenius nahm es nicht übel.

Bald danach brach man auf. Tacke schlug ein Café vor. Der ganze Knäuel wälzte sich dorthin.

Nur der Lyriker und die junge Schauspielerin bogen an der nächsten Ecke links ab.


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