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Historische Betrachtung der Tuberkulose-Heilversuche.

Die Auszehrung oder Lungenschwindsucht ist eine uralte Krankheit und ist stets einer der Hauptfeinde der Menschheit gewesen. In der indischen Medizin wird sie daher »der Krankheiten König« genannt. Bis vor etwa hundert Jahren galt die Lungenschwindsucht als unheilbar. Laennec (gest. 13. Aug. 1826) der Erfinder des Hörrohres, hat mit diesem Instrument nicht nur viel zur besseren Erkennung der Krankheit beigetragen, sondern auch schon auf die Möglichkeit ihrer Heilung und auf die Aussichten ihrer Behandlung hingewiesen. Einen Tag nach Laennec's Tode, der – kaum 46jährig – der Tuberkulose erlag, erstand in Hermann Brehmer ein neuer Pionier auf dem Gebiete der Bekämpfung der Lungenschwindsucht. Er verdient der Begründer der Lungenheilstätten genannt zu werden. Bereits in seiner Doktorarbeit hatte der junge schlesische Arzt die These ausgesprochen: »Die Lungenschwindsucht ist heilbar.« Was Robert Koch, der Entdecker des Tuberkelbacillus und des Tuberkulins für die Tuberkulose-Forschung gewesen ist, wurde Brehmer für die Behandlung dieser Krankheit. In Görbersdorf hatte er eine »Gesundheitsoase« für die Heilung der Schwindsüchtigen geschaffen, der später viele andere folgten. (Vgl. Erich Ebstein, Von der Heilbarkeit der Tuberkulose. Blätter für Volksgesundheitspflege. 1926. Heft 9. S. 157.)

Die Anwendung des Höhenklimas zwecks Heilung der Lungenschwindsucht hat ihre Geschichte. (Vgl. B. Schuchardt, in: Jahrbücher der Kgl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. Neue Folge. Heft 24, 1898, S. 137–185.)

In dem Corpus hippocraticum finden wir noch keine bestimmten Angaben über Höhenklimate und ihre Beziehungen zu Lungenkrankheiten. Aretaeus von Cappadocien (2. Jahrh. n. Chr.) spricht über die Behandlung der Phthisis durch Ortswechsel und Milchkur, während Cajus Plinius Secundus von einem Freigelassenen erzählt, den er wegen Bluthustens zuerst mit gutem Erfolg nach Ägypten schickte, dann aber, als das Übel sich wieder einstellte, nach Forum Julii, dem heutigen Friaul, zur Genesung bringen will.

Erst in den Schriften des Galenos taucht die Empfehlung des Aufenthalts auf Bergen, und zwar in trockener reiner Luft in Verbindung mit einer Milchkur auf. Tabiä am südlichen Abhang des Vesuvs wird speziell genannt, ohne daß man die genaue Lage heute noch bestimmen könnte (Küchenmeister, Allg. Wiener med. Zeitung 1869 und 1870, Nr. 19 und Thomas in Göschens Deutsche Klinik 1875. S. 17–21).

Dann kommt erst wieder Theophrastus von Hohenheim (1493–1541) auf den sehr günstigen Einfluß des Gebirgsklimas auf verschiedene Krankheiten zu sprechen und erwähnt (Tartar. Krankheiten, Kapitel 15) in der Schweiz das »Land Veldtlin«, das er 1525 auf der Rückreise von Italien kennen lernte. Es ist die Gegend, wo Bormio (1448 Meter hoch) liegt.

Etwa 100 Jahre später findet man bei Richard Morton (1635–1698) den Hinweis in seiner »Phthisiologia« (London 1689), daß man nicht nur gesunde, reine Landluft, sondern auch Milchdiät und Mineralwasserkuren einhalten müsse.

Haller und Sprengel rühmten besonders die Bewegung bei botanischen Exkursionen als Mittel, eine schwache Brust und die Gesundheit überhaupt zu stärken (v. Hovorka und Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin Bd. 2, 60).

Neben Eselinnenmilch spielten die Molkenkuren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Rolle.

Dem 18. Jahrhundert gehört als übermäßig geschätztes Heilmittel der Lungenschwindsucht der beständige Aufenthalt in den Kuhställen oder in eigens dazu eingerichteten Zimmern über diesen. So ließ z. B. Quarin, der Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, einen jungen lungenkranken Arzt in einen Stall zu einem Schuster in die Umgebung Wiens bringen, wo er mitten zwischen den Kühen lag, kein Wort reden und sich nicht bewegen durfte. Nach ein paar Wochen stand er auf und ward gesund. Aber es gab damals auch Ärzte, wie z.B. L. Friedr. Benj. Lentin (1736–1804) in Klausthal am Harz, die klipp und klar den Satz aussprachen: »Oft habe ich gedacht, drei Wochen Aufenthalt in solcher herrlichen Luft würde die langwierigsten Lungenschäden sicherer und weit angenehmer heilen, als das Kontubernium im Kuhställe.«

Was die oben genannten Mineralwasserkuren anlangt, so werden wir sowohl bei Gellerts wie bei Schillers Krankheit hören, daß beiden Dichtern wegen ihres Lungenleidens eine Kur in Karlsbad verordnet wurde.

Geliert war mehrmals dort und stand in Behandlung des Dr. med. Gottlob Karl Springsfeld (1714–1772), der seit 1746 dort praktizierte und sonst fürstl. sächsischer Hofrat und Stadtphysikus zu Weißenfels war. In seiner 1749 erschienenen Schrift über Karlsbad trat er dafür ein, die Kur nach medizinischen Gründen einzurichten. Denn »ein vernünftiger Medicus muß wissen, warum er heute zu trinken aufhören läßt und morgen ein abführendes Mittel verordnet, warum er die Trinkkur verlängert und die Badekur verkürzt. Der Körper muß zum Baden gehörig zubereitet werden nach der Regel: Kein unreiner, oder noch angefüllter Körper soll das Bad gebrauchen.« (Vgl. K. Ludwig, Altkarlsbader Ärzte und ihre Kurmethoden, in: Bd. 10 der »Karlsbader ärztlichen Vorträge.« Bd. 10, 1929, bes. S. 331 f.)

Von Schillers Karlsbader Kur (vom 9. Juli bis 6. August 1791) wissen wir, daß er täglich 18 Becher ohne den mindesten üblen Erfolg trank. (E. Ebstein, Schillers Krankheiten, in Bd. 6 des Jahrbuchs der Sammlung Kippenberg S. 170 ff.) Außerdem ging Schiller spazieren und ritt auf Eseln. Auch Schillers Vater, der Arzt war, riet zu einer Motionskur, und daher erwarb der Sohn ein Pferd. Diese bereits von Sydenham (1624-1689) in die Behandlung der Lungenschwindsucht eingeführte Reitkur bekam ihm indes schlecht.

Auch Geliert bediente sich einer Kur, so daß Joh. Chr. G. Ackermann (1756-1801) in seinem Werk »über die Krankheiten der Gelehrten« (Nürnberg 1777, S. 193) schrieb: »Man weiß ja, daß Gellert nur auf einem sehr geduldigen, sanften, langsam gehenden Pferd reiten konnte.« Als Gellert etwa ein Jahr vor seinem Tode (1769) nach dem Verlust seiner alten Schecke vom Kurfürsten ein neues Pferd erhielt, fürchtete er sich doch »vor dieser Wohltat«; »denn ein kranker alter Professor und ein gesundes junges Pferd schicken sich nicht recht zusammen.« (Gellerts Schriften. Teil 6. S. 25/6. Reutlingen 1775.)

Es mag noch bemerkt werden, daß der Hallenser Kliniker Friedrich Hoffmann (1660-1742), der selbst 20mal nach Karlsbad ging und es durch seine große Klientel populär machte, offenbar auch Lungenkranke mit eitrigem Auswurf dorthin schickte und Karlsbader mit Milch trinken ließ. (B. M. Lersch, Einleitung in die Mineralquellenlehre. Bd. II, 2. Erlangen 1857, S. 1382.) Ebenso lobte es der treffliche Karlsbader Arzt David Becher (1725-1792) bei Lungenkrankheiten und sah nach Anfällen Heilung, auch von hypochondrischen Symptomen. Becher, dem wir die Kurmethode danken, den Sprudel an der Quelle selbst zu trinken, ferner Kreysig (1826) und Fleckles (1844) berichten ebenfalls über Heilung von eingewurzelten Husten. Ja, Jean de Carro (1770–1837), der sich nicht nur um Einführung der Kuhpockenimpfung in Osterreich, sondern auch um die Entwicklung von Karlsbad verdient gemacht hat, behauptet, dadurch, daß er jedes Jahr 4 Wochen den Neubrunn trank, von einer Art Luftröhrenschwindsucht geheilt worden zu sein. (Lersch S. 1381.)

Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich, wie langsam die Kur der Lungenschwindsüchtigen in die richtigen Bahnen gelenkt wurde.

Nach und nach traten diejenigen Ärzte hervor, die die Beobachtung gemacht hatten, daß die Lungentuberkulose in Gebirgen ziemlich selten sei, so Flechner in Wien (1840), C. A. L. Koch in Württemberg (1838) und besonders Brockmann in Klausthal (1843), der übrigens schon wie sein großer Landsmann Robert Koch eine Ahnung von der parasitären Natur der Lungenschwindsucht gehabt zu haben scheint. (Vgl. Schuchardt S. 169.)

Etwa um dieselbe Zeit trat Ruedi in Davos hervor (1841), der dort eine Anstalt zur Heilung scrofulöser Krankheitsformen gründete. (Vgl. E. Ebstein, Z. f. Balneologie [1913.] Bd. 6. S. 177 f und Wehrli, Schweizerische med. Wochenschrift 1926. Nr. 6. S. 125–129.) Auf das weitere Aufblühen von Davos in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts kann hier nicht eingegangen werden.

Es war eine Tat, daß Hermann Brehmer (1826 bis 1889), der im Todesjahr Laennecs (1781–1826) das Licht der Welt erblickte, 1853 in seiner Doktor-Dissertation den Satz aussprach: »Die Lungenschwindsucht ist heilbar.« (Vgl. Bd. 31, Heft 3 der Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Würzburg 1914.)

Seine Bestrebungen, die in der Lungenheilstätte in Görbersdorf ihren sichtbaren Ausdruck fanden, haben eine tatkräftige Unterstützung in seinem Lehrer Johannes Lucas Schoenlein, der den Namen Lungentuberkulose prägte, und in seinem Gönner, Alexander von Humboldt, gefunden.

Alexander von Humboldt hatte auf seinen Reisen die Erfahrung gemacht, daß Höhenorte für die Ausheilung von Lungenkrankheiten sich als besonders geeignet erweisen. Seit dieser Zeit hat man mit besonderer Vorliebe solche Sanatorien in Gebirgsgegenden errichtet. (Vgl. M. Fischer, Die deutsche Krankenpflege in der Neuzeit. Freiburg i. Br. 1924 S. 140.)

Der in Görbersdorf von Hermann Brehmer 1854 errichteten ersten Lungenheilstätte, die lange Zeit die einzige ihrer Art in Deutschland blieb, reihte sich 1875 ebenfalls in Görbersdorf ein zweites Sanatorium an, das Römpler ins Leben rief. (Vgl. Bäumler, Die Behandlung der Tuberkulose im 19. Jahrh. Berl. klin. Wochensch. 1900.)

Im Jahre 1876 gründete Brehmers Schüler, Dettweiler, eine Lungenheilstätte in Falkenstein im Taunus. Er war es, der durch die Einführung der Liegekuren die Tuberkulosebehandlung wesentlich ausgestaltete.

Unabhängig von Dettweiler richtete ein amerikanischer Arzt, Edward L. Trudeau, der selbst schwer tuberkulös war und seine Besserung einer Liegekur in staubfreier Höhenluft verdankte, auf Grund seiner Erfahrungen am eigenen Körper die Freiluft-Liegebehandlung ein und begründete das erste Forschungsinstitut für Tuberkulose in Amerika. (V. Robinson, Trudeau and Tuberculosis, in: Neuburger-Festschrift 1928. S. 269–272; ebenso Knopf in Medical Life, Dezember 1926, mit Trudeaus Bild, Denkmal und der Abbildung seines ersten kleinen Sanatoriums.)

In Andreasberg im Harz ermöglichte Ladendorf auch Unbemittelten, wenn auch nicht Anstaltsbehandlung, so doch Höhenkuren.

Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts setzten die Bestrebungen ein, auch Volksheilstätten für Lungenkranke zu errichten. So wurde 1892 eine solche für männliche Brustkranke und 1893 in Blankenfelde eine für weibliche Brustkranke eingerichtet.

Dadurch daß die Landesversicherungsanstalten die Trägerinnen der Lungenheilstättenbewegung wurden, insofern als sie teils die Kosten für die Kuren in ihnen übernahmen, teils eigene Lungenheilstätten errichteten, entstanden in ziemlich rascher Folge in Deutschland Lungenheilstätten. (Vgl. Wolf Becher, in Neuburger-Pagel's Handbuch der Geschichte der Medizin. Bd. III, 2. S. 1040 f.)

Die Vorträge, die der Berliner Kliniker Ernst von Leyden über die Notwendigkeit der Errichtung von Lungenheilstätten usw. in den Jahren 1895–1904 gehalten hat, um den Gedanken zu popularisieren, sind in seinen »Populären Aufsätzen und Vorträgen« (Deutsche Bücherei, Bd. 67) leicht zugänglich. Dort finde ich die bemerkenswerte Tatsache erwähnt, daß in England der Kampf gegen die Schwindsucht früher als bei allen anderen Nationen ins Werk gesetzt wurde. Denn in England sind zuerst Spezialkrankenhäuser für Lungenkranke errichtet, als erstes das Royal Hospital for Diseases of the Chest mit 80 Betten. Es wurde bereits 1814 eröffnet. (Leyden ebenda S. 42.)

Daher ist es nicht wunderbar, daß die Idee Wolf Becher's (1899), Walderholungsstätten – sog. Tagessanatorien – zu errichten, von denen die erste 1900 in der Jungfernheide bei Berlin entstand, ihren Vorläufer bei Dr. Robertson in Manchester hat, worüber Emil Isensee (1807–1845) in seinen: »Nord-West Europäischen Briefen« (Berlin 1837. S. 33–36) anschaulich berichtet, mit dem Wunsche, daß »eine ähnliche wohltätige Anstalt in allen großen Städten gestiftet würde.« (Vgl. Iwan Bloch, Zur Geschichte der sog. Erholungsstätten. Deutsche Ärzte-Zeitung 1903. Heft 23. S. 537 f.)

Auch Paul Niemeyer (1832–1890) darf als ein Vorläufer der Freiluftbehandlung der Lungenschwindsucht betrachtet werden. In seinen medizinischen Abhandlungen (Bd. I. 1872. S. 130 ff) hat er der Klimatotherapie einen geschichtlichen Abriß gewidmet, aus dem wir einige Tatsachen hervorheben wollen.

Bereits bei Aretäus (2. bis 3. Jahrh. n. Chr.) finden wir die Notiz, daß Brustkranken das Reisen zur See gewöhnlich sehr gut bekomme. Diese Bemerkung machte sich Laennec zu Nutze, indem er in seiner Abteilung für Brustkranke täglich frischen Seetang auf dem Fußboden ausbreiten ließ.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde in einer Edinburger Dissertation von Gilchrist »der medizinische Nutzen des Schiffens« erörtert und Gregory formulierte die Indication des Klimawechsels in der Schrift: »De morbis coeli mutatione medendis.« (Deutsch von Tabor: Heidelberg 1791.)

Der Dubliner Kliniker Graves trat insbesondere für Malta und Australien ein. Henry Bennet nahm namentlich aus eigenen Gesundheitsrücksichten einen mehrjährigen Aufenthalt im Süden und ließ Nizza gegen Mentone und S. Remo zurücktreten. Außerdem wählte man Madeira und Ägypten. Dagegen kamen Florenz, Pisa, Rom und Neapel immer mehr außer Kurs und man schlug Venedig und den Comersee als Stätten mit gleichmäßig temperiertem Klima vor. Wunderlich trat für Corsica ein.

Wir wissen, daß Canstatt, Eisenstein, Riemann, Rudolf Wagner usw. aus Florenz, Pisa, Neapel, Palermo mit großer Enttäuschung zurückkehrten.

Auch die Frage der Bewegung nach Blutstürzen wird schon auf einer Weihtafel erwähnt: »Julian schien nach einem Blutsturz hoffnungslos verloren. Der Gott ließ ihn durch Orakelspruch kommen, vom Altare Pinienkörner nehmen und diese, mit Honig vermischt, drei Tage lang essen. Er ward gerettet, kam und dankte dem Gotte vor dem Volke.«

Sydenham empfahl das Reiten als Therapie mit den Worten: »Tantum valere equitationem ad phthisim curandam quantum chinamchinam ad febres intermittentes.« (Schriften. Ulm 1845. Bd. II. S. 441.)

Boerhave sagt in seinem Aphorismus 1208: »Nachdem sich eine Vomica in der Lunge gebildet hat, entsteht die Indication, sie sofort zur Reife und zum Aufbruch zu bringen: es geschieht dies durch Milchdiät, Reiten, lauwarme Räucherung und Expectorantien. Ist sie durchgebrochen, dann heißt es:

  1. Das Blut gegen die eitrige Ansteckung zu schützen.
  2. Das Geschwür so schnell wie möglich von Eiter zu entleeren und zu vereinen.
  3. Irgend etwas dem Körper einzuverleiben, was die wenigste Kraft erfordert, durch die Lungen zu fließen, dort Ordnung zu machen und dabei ernährt, ohne den Eiter zu ersetzen.

Auch die folgenden Aphorismen Boerhaves mögen hier Platz finden:

1209. Der ersten Indication genügen leichte und angenehm säuerliche oder salzige Arzneien, Wundkräuter, zarte Balsame in jeder Form, die man in großer Menge anwendet;
1210. Der zweiten Indication genügen für das Austreiben harntreibende, hustenerregemde, innerlich und äußerlich angewandte Arzeneien, Bewegung, Reiten, Landaufenthalt; zum Reinigen nehme man diesem Zweck dienende Balsame, innerlich und äußerlich, und zur Vereinigung dazu gebräuchliche, besänftigende Mittel.
1211. Für den dritten Punkt eignen sich Gerstengrütze, Fleisch- und Milchsuppen.
1212. Hauptsächlich gilt es bei der Behandlung dieser Krankheit Husten, Angstgefühle und Diarrhöe zu mäßigen.
1213. Hindert hierbei die Diät (1211), dann setze man vorsichtig Opiate heißen Flüssigkeiten zu.«

Wie vorsichtig man mit statistischen Tabellen umgehen muß, zeigt die Einsicht der Londoner Totenlisten vor 200 Jahren, die von Tuberkulose und Syphilis sprechen.

Süßmilch (Göttliche Ordnung usw. 1776) macht darauf aufmerksam, daß in den Londoner Sterbetabellen (1728 bis 1757) zu viel Phthisische ständen, weil dort viele unter diese Rubrik kommen, die an dem Morbus venereus gestorben sind. Denn: »Alle, die sich ein wenig in guten Umständen befinden, verfinstern und bestechen die Untersucherinnen der Krankheit durch ein Glas Ale, daß sie die, so an der Venusseuche umkommen, zur Vermeidung der Schande zu denen zählen, so an der Auszehrung gestorben; nur der geringste und ganz ausgefressene Pöbel kommt unter diese Rubrik.« (Nach Gottstein, Zur Geschichte der Lungenschwindsucht. Hygienische Rundschau. 1902. Nr. 6. S. 270 f Anmerkung.)

Wie man heute wieder mehr als früher auf ältere Anschauungen zurückkommt, zeigt sich besonders in dem Werke von Bernhard Aschner, Die Krise der Medizin (Hippocrates-Verlag 1928. S. 342 ff), in dem er besonders für die abdominellen Ursachen der Lungentuberkulose eintritt, die heute sehr oft übersehen werden. So pflichtet Aschner auch der Lehre bei, die, wie ich gezeigt habe, die Hypochondrie bzw. die ihr zu Grunde liegenden Unterleibsleiden (Magen- und Lebererkrankungen) als eine der häufigsten Mitursachen zur Lungenkrankheit berücksichtigt.

Die Lehre geht vielleicht auf den Satz im Corpus hippocraticum (Coac. Praenat. Nr. 408) zurück: »Spumosum sanguinen spuunt, dextrum hypochondrium dolentes de hepate spuunt et multi pereunt.«

Bei Christoph Bennet (1617–1655) heißt es (Theatrum tabidorum. London 1656. S. 107): »Magis periclitantur pulmones a pressura per denegatam epatis percolationem, quam a regurgitatione ab infarctis lienis vasculis.« Ähnlich schreibt Richard Morton (1637–1698) in Lib. II, Cap. 5. De phthisi an haemoptoe. (Opera omnia, Genevae 1696 S. 96): »Haemoptoe vero habitualis sicuti ab intestino sanguinis fermentescentis motu, et ab aperientis vasa acrimonia dependet

Besonders lehrreich ist die Göttinger Dissertation von G. A. Gramberg (1766) mit dem Titel: »De haemoptysi in genere et speciatim eius nexu cum varia adversa ex hypochondriis valetudine.« Zum Schluß gesteht der Verfasser, daß er öfter an leichterem Blutspucken gelitten habe und daß es ihm, nachdem das Fieber nachgelassen, niemals besser gegangen sei als nach Bewegungen und selbst nach starkem Reiten. Es schadete ihm immer Ruhe, besonders mit zusammengedrücktem Bauch. (Nocebat mihi semper quies, imprimis cum abdomine compresso. Plus etiam fateor mutato a me vitae generi corporisque mei exercitiis debeo, quam exquisitissimis aliquamdiu mihi commendadtis, e penu pharmaceutico, remediis.« (Vgl. Erich Ebstein, Leber- und Lungenblutungen, in: Die Tuberkulose. 1930, Nr. 5. S. 105.)

Was die verschiedene Behandlung der Lungenschwindsucht in verschiedenen Ländern anlangt, so darf hier eine recht interessante Bemerkung von Kurt Sprengel (kritische Übersicht des Zustandes der Arzneykunde im letzten Jahrzehend. Halle 1801. S. 38) ihren Platz finden: »Über die Natur und Behandlung der Schwindsucht erschienen zwei klassische Werke, von Raulin aus dem Französ. Jena 1874, 1787) und von Thomas Reid (aus dem Engl. Offenbach 1787), durch welche man den klimatischen Unterschied der Behandlung dieser Krankheit bestätigt findet, Der französische Arzt lehrt die Schwindsucht mit anthiphlogistischen und leicht nährenden Mitteln behandeln; der britische Arzt empfiehlt die Brechmittel als die vorzüglichsten zur Auflösung der Stockungen im Unterleibe, von welcher seiner Meinung nach die Lungensucht gewöhnlich abhängt. Dagegen rühmte Matth. Salvadori (Trident. 1789), ein italienischer Arzt, als neues Mittel, das Reiten und andere körperliche Bewegungen.«

»Eine gewisse Einseitigkeit ist,« fährt Sprengel fort, »bei der Empfehlung dieser Methoden unverkennbar, indem man wenig Rücksicht auf die verschiedenen Arten und auf die verschiedenen Zeitpunkte der Krankheit nahm.«

Aus den weiter unten mitgeteilten Biographien ergibt sich, daß eigentlich nur Wundt instinktmäßig die in Vergessenheit geratene Kur im Gebirgsklima einem Aufenthalt im Süden vorzog. Daher sagt von Oordt mit Recht (in Schwalbe, Irrtümer der Diagnostik und Therapie usw. Heft 2. Leipzig 1923. S. 287):

»Man denkt nicht mehr an die logische Entwicklung der Therapie, welche mehr und mehr die Tuberkulösen aus den südlichen Wärmeklimaten, die weniger wegen der Sonnenwirkung als wegen der milden, feuchtwarmen Luft aufgesucht wurden, um durch Beseitigung des Schleimhautreizes vorwiegend ein quälendes Symptom, den Hustenreiz zu mildern, zurückführte in kühlere, ja kalte, aber strahlenreiche, trockene und windstille Höhen einerseits, andererseits wiederum an die viel rauheren, aber strahlenreichen Sommerküsten Nordfrankreichs, Belgiens, Englands und Deutschlands. All das war die Folge der zunehmenden Erkenntnis vom übenden, in letzter Linie nicht mehr schonenden, sondern aktiv, spezifisch oder unspezifisch immunisierenden Charakter der Höhenklimate und nordischen Küstenklimate.«

Wenn auch die Lungenschwindsucht schwer und unaufhaltsam fortschreitend beginnen und in einigen Wochen bis Monaten zum Tode führen kann, so sind doch anderseits Erkrankungen von einer Dauer von Jahrzehnten – mit Einrechnung der oft sehr langen Stillstände – nicht allzu selten. Viele ehemals Lungenkranke erreichen ein hohes Alter. Daher gilt für keine Krankheit wie für die Lungenschwindsucht das Wort von Goethe aus der Achilleis:

   

»Oft begrub der Kranke den Arzt, der das Leben ihm kürzlich
Abgesprochen, genesen und froh der beleuchtenden Sonne.«


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