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Robert Hamerling

1830 – 1889

Als ich vor einiger Zeit in H. Vierordts lehrreichem Buche: »Medizinisches aus der Weltgeschichte« (Tübingen 1910. S. 109) las, daß Robert Hamerling (1830–1889) – 59 Jahre alt – am Nierenkrebs gestorben sei, interessierte es mich, die Begründung dieser Diagnose in der Arbeit von J. Sadger zu lesen, die seiner Zeit in der Wiener med. Presse 1898, Nr. 9 u. 10 Sp. 343 f u. 386f erschienen ist. Herr Kollege Sadger war so freundlich, mir seine Arbeit zugänglich zu machen, auf die ich weiter unten zurückkommen werde.

Inzwischen fand ich bei Otto Hamann, Biologie deutscher Dichter und Denker (Amalthea-Verlag 1923) S. 133 den Satz: »Hamerling litt durch zwanzig Jahre an Darm- und Nierentuberkulose; er hat aber eigensinnig nie einen Arzt beigezogen.« Als Quelle der kleinen Krankengeschichte Hamerlings wird Rabenlechners Ausgabe von Hamerlings Werken (Leipzig 1916) genannt.

Bei der Verschiedenheit der Ansichten über Hamerlings Leiden hielt ich es immerhin der Mühe für wert, herauszubringen, was es mit der zwanzigjährigen Krankheit Hamerlings für eine Bewandtnis habe.

Ein Sektionsprotokoll über Hamerling, wie wir es z. B. über Schiller besitzen, existiert nicht. Wenigstens schrieb mir Herr Prof. Beitzke in Graz, daß im dortigen pathologischen Institut ein solches nicht vorhanden sei. Es scheint mir aber so, als ob eine Autopsie bei Hamerling überhaupt nicht gemacht ist. (Sadger S. 386.)

Kehren wir nun zu einer möglichst kurzen Wiedergabe der Sadger'schen Arbeit zurück. Gleichzeitig erschien von Sadger eine zweite Arbeit über Hamerling, in der der Nachweis versucht wird, daß der Dichter kein Belasteter war (in: Die Wage 1898). Diese zweite Arbeit war mir nicht zugänglich.

Sadger hält den Dichter vor allem für einen »starken Angstneurotiker«. So hatte er ausgesprochene Krankheitsfurcht nicht nur vor Cholera und Diphtherie, sondern auch vor einfacher Angina. Außerdem bestand offenbar eine rheumatische Disposition, besonders mit Neuralgien im Bereich des Kopfes, Halses und Gesichtes, so daß Hamerling im Jahre 1858 von »hartnäckigen Kopfleiden« spricht. Von einer Beteiligung irgendwelcher Gelenke verlautet nichts.

Die eigentliche Darmaffektion hatte im Mai 1855 eingesetzt. Sie währte mit geringerer Besserung von 1870 bis 1880 über 34 Jahre lang bis zum Tode, »der aus anderem Grunde erfolgte.« Die ganze Zeit bestanden fast tägliche Darmkoliken, besonders »unterhalb der Herzgrube«. In den Jahren 1855–1866 und zwei Jahre vor dem Tode – 1887 – hatte der Dichter buchstäblich keine gute Stunde mehr. So mußte sich Hamerling oft Tage lang auf »dumpfes Vegetieren« beschränken. Immer Neigung zum Durchfall, niemals Obstipation. Ob die Stühle Schleim usw. enthielten, wird nicht berichtet. 1867 wog der Dichter 100 Pfund. Sadger schließt Krebs und Tuberkulose aus, obwohl letztere zu Lebzeiten des Dichters diagnostiziert, sagen wir besser – angenommen oder vermutet wurde. Denn Sadger ist der Ansicht, daß eine Darmtuberkulose von 34jähriger Dauer eine Seltsamkeit sei. Von Nebenaffektionen ist für Sadger sicher »der chronische Dickdarmkatarrh, wahrscheinlich sind Geschwüre. Das Hauptleiden ist aber unbestimmbar ... Viel sicherer als die Darmaffektion kennt man das Nierenleiden des Dichters.«

8 bis 10 Jahre vor dem Tode traten Blasenblutungen, wenn auch nicht häufig auf. Darin erblickt Sadger die ersten Symptome einer »Pyelitis calculosa.« Im Jahre 1883 traten »dumpfe Nierenschmerzen« auf, und in den letzten Lebensjahren »litt er oft an Urinsperre und den halben Tag mußte er oft leiden, ja, er gebrauchte zuweilen den Katheter, aber alles allein, und trotz der innigsten Bitten rief Hamerling keinen Arzt. Ja, von dem letzteren Leiden wußte Niemand.« (Mitteilungen der Frau Gstirner an Sadger.)

Da Hamerling in Wien bei Hyrtl Anatomie gehört hatte, bildete er sich ein, daß er etwas von dem kranken Körper verstände – und seiner Behandlung.

In der »Geschichte meiner Krankheit«, die zuerst in seinen »Stationen meiner Lebenspilgerschaft« (Hamburg 1889. S. 431–440) erschien, erzählt er, daß er 1862 von einem Triester Arzte einem Homöopathen übergeben sei.

Von Medikamenten hielt Hamerling nichts. Am meisten bewährten sich gegen seine Beschwerden Wärme und Ruhe, die Linderung brachten. Die durch das eigene Katheterisieren verursachte Cystitis bestand wahrscheinlich mehrere Jahre vor seinem Tode. In den letzten 3 Monaten kam es zu einer putriden Pyelitis. (Schwarzer Harn von üblem Geruch.) Der Katheter wurde nur in Wasser gereinigt, aber nicht ausgekocht. Diese 3 Monate war Hamerling völlig bettlägerig. Er war fast bis zum Skelett abgemagert. Mit zitternder Hand schrieb er einem Jugendfreund: »Mein Leiden hat sich allgemein verschlimmert, es ist ein unbeschreiblich peinvolles, beständiges. Aber ich darf wie Ahasver nicht sterben.« Jeden Augenblick geringster Linderung benutzte der Dichter noch zu intensiver Arbeit. In den letzten drei Tagen waren seine Sinne verwirrt; er glaubte sich oberhalb einer Apotheke wohnend und verlangte dringend nach Pulvis Doveri. Am Abend des 12. Juli verfiel er in Agonie. Am 13. Juli 1899 war der Dichter verschieden.

Die Sadger'schen Mitteilungen ergeben also jedenfalls soviel, daß dort von einem Nierenkrebs keine Rede ist. Es ist seltsam, daß es auch bei Adolf Altmann, Robert Hamerlings Weltanschauung – ein Optimismus (Salzburg 1914. S. 6) heißt:

»Die Krankheit nahm rasch zu und zum alten Unterleibsleiden gesellte sich ein Nierenkrebs, dem Robert Hamerling, allzufrüh, am 13. Juli 1889 erlag.«

Wunderbar ist es, daß Hamerling im Hinblick auf die Schönheit, die die Welt erfüllt, das Leben noch in den trostlosesten Lagen so wundersam lebenswert fand:

»Wem keine Rose das Schicksal flicht,
Gelebt hat er vergebens nicht,
Wenn er geschwelgt in der Schönheit Licht.«

Auf Grund erneuter Durchsicht der Hamerling-Literatur vgl. R. M. Meyer, Grundriß der neueren Literaturgeschichte, Berlin 1907, S. 213), unter der ich besonders auf seine Briefe und seine Selbstbiographie (Stationen meiner Lebenspilgerschaft. Hamburg 1889) verweise, neige ich der Ansicht zu, daß wir Hamerlings Krankheit als Darm- und Nierentuberkulose ansprechen müssen.

An eine Pyelitis calculosa im Sinne Sadgers glaube ich weniger. An Nierenkrebs als Todesursache zu denken, liegen gar keine Anhaltspunkte vor.

Es mag hier zum Schluß daran erinnert werden, daß eine Sektion Hamerlings nicht stattgefunden hat, daß aber der Grazer Anatom Holl im Arch. für Anthropologie Bd. 18, Heft 3 u. 4. 1903, S. 257–270) im Jahre 1901 den Schädel Hamerlings untersuchen konnte. Danach dürfte bei Hamerling seine hervorragende geistige Veranlagung in der besonders mächtigen Entwicklung des Scheitelhirns zum Ausdruck gekommen sein.


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