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Frederic Chopin

1809 – 1849

hat nur ein Alter von 39 Jahren erreicht (geb. 1. März 1809). Cabanès (Chronique medicale 1899. S. 673) hat ihn unter die berühmten Phtisiker gerechnet – und mit Recht. Außerdem war er hochgradig nervös und überempfindlich.

In der von James Huneker verfaßten Biographie (München 1914) sieht man viele Bilder von ihm aus den verschiedenen Lebensaltern. Besonders ergreifend ist Chopins Totenmaske (hinter S. 71), die bei Benkard und Langer-Gruhle fehlt. Dort ist auch der authentische Bericht über Chopins letzte Stunden wiedergegeben. (S. 67-70.)

Danach war Chopins Leben durch viele Jahre nichts als ein Hauch. Sein zarter, schwächlicher Körper war augenscheinlich kein geeignetes Instrument für die Kraft, für die Macht seines Genius. Es war ein Wunder, wie er in seiner Schwäche überhaupt leben und manchmal sogar mit größter Energie handeln konnte. Sein Leib schien beinahe durchsichtig, seine Augen waren fast immer von einer Wolke umschattet, aus der zeitweilig die Blitze seines leuchtenden Blickes hervorzuckten ... In dieser geistigen Verfassung ergriff ihn das Lungenleiden.

Durch den Todeskampf ermattet, sagte Chopin zu den Ärzten: »Laßt mich sterben! Warum verlängert Ihr mein Leben usw.«

Liszt erzählt, daß Chopins Antlitz schön und jung war, als er in dem blumenübersäten Sarg ruhte. Im Frack wurde er beerdigt. Es war nicht sein eigener Wunsch; obwohl es polnische Sitte ist, daß sich die Sterbenden ihre Totengewänder selbst auswählen. Dagegen teilt Lombroso mit, daß Chopin in seinem Testament angeordnet habe, daß er mit weißer Kravatte, Halbschuhen und Kniehose begraben werden solle.

Chopins unheilbares Lungenleiden entwickelte sich um so rascher, als seine zarte Konstitution den doppelten Anstrengungen einer überreizten künstlerischen Tätigkeit und eines aufreibenden gesellschaftlichen Lebens nicht gewachsen war. Dazu kam die Liebe zu der Dichterin George Sand, eine Leidenschaft, die ihn vollends verzehrte. Ein längerer Aufenthalt auf Majorka (1838) vermochte das körperliche Übel nur aufzuhalten. Als scheinbare Besserung ihn zu einer Konzertreise nach England und Schottland verleitet hatte, kehrte Chopin im Herbst 1849 völlig gebrochen nach Paris zurück und verschied dort am 17. Oktober 1849.

G. Ernest hat jüngst (Die med. Welt 1930, 20, S. 723 bis 725) betont, daß Chopins »Herrlichstes« seine vielen kleinen Werke sind, die aus Schmerz, Sehnsucht und Trauer geboren sind und ihren Ursprung in seinen körperlichen und seelischen Leiden hatten. Andere haben Größeres als er in den großen Formen geschaffen, in den kleinen steht er unerreicht da.

Bei Chopin fällt mir des Philosophen Karl Rosenkranz (1805-1879) Erörterung (Ästhetik des Häßlichen. Königsberg 1853. S. 33) der Frage ein, »unter welchen Umständen Krankheit Ursache der Häßlichkeit sein kann.« Darunter rechnet er nicht Hectik und Fieberzustände, die dem Organismus »jene transcedente Tinctur gibt, die ihn ätherischer erscheinen läßt. Die Abmagerung, der brennende Blick, die bleichen oder vom Fieber geröteten Wangen des Kranken können das Wesen des Geistes sogar unmittelbarer zur Anschauung bringen. Der Geist ist dann gleichsam schon von seinem Organismus geschieden. Er durchwohnt ihn noch, allein nur um ihn in der Tat zum reichen Zeichen zu machen. Der ganze Körper in seiner durchsichtigen Morbidezza bedeutet schon nichts mehr und ist durch und durch nur noch Ausdruck des von ihm bereits auswandernden, naturunabhängigen Geistes. Wer hätte nicht schon eine Jungfrau oder einen Jüngling auf dem Sterbebette gesehen, die als Opfer der Schwindsucht einen wahrhaft verklärten Anblick darboten! So etwas ist bei keinem Tiere möglich. – Aus denselben Gründen ergibt sich auch, daß der Tod keineswegs mit Unausbleiblichkeit eine Verhäßlichung der Gesichtszüge hervorzubringen hat, sondern ebensowohl einen schönen seligen Ausdruck hinterlassen kann.«


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