Marie von Ebner-Eschenbach
Die arme Kleine
Marie von Ebner-Eschenbach

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Der Hochsommer war da. In Garben gebunden lag das schwere, fruchtstrotzende Getreide auf den Feldern. Josef hatte seine Landung in England angezeigt, den Tag seiner Ankunft aber noch immer nicht. Er wartete. Seine Schwester 378 erriet wohl worauf. Er wollte die Braut Bornholms nicht mehr daheim finden. – Noch fühlte er sich nicht völlig gefeit, noch bebte etwas von seiner ersten Liebe in ihm nach.

Endlich durfte Elika ihm doch schreiben: Komm! Die Tanten waren aus Wien, wo Bornholm seine Braut erwartet hatte, zurückgekehrt; sie hatten ihre Luise zum Altar begleitet und befanden sich in weicher, wehmütiger Stimmung, schienen aber von jeder herben und peinigenden Sorge um das 379 zeitliche Wohl und das ewige Heil ihres Lieblings befreit.

»Wenn Bornholm seinen Treuschwur nicht hält,« sagte Charlotte nachdrücklich und energisch, »dann geht die Sonne nächstens schwarz auf. Ich habe nie einen solchen Ausdruck, einen so konzentrierten, von Glück, Ernst, Kraft, und ich behaupte, guten Vorsätzen im Gesicht eines Menschen gesehen, wie er ihn die ganze Zeit hindurch hatte. Nie!« und sie ließ einen strengen Blick über die ganze Gesellschaft gleiten, als ob sie es allen übelnehmen würde, daß sie nicht auch einen solchen Ausdruck besaßen.

»Sie werden sehen, Hochwürden,« wendete Renate sich an den Pfarrer, »er wird nicht sie zur Heidin, sie wird ihn zum Christen machen.«

»Gott gebe es und Gott segne sie, Gott segne beide,« erwiderte der geistliche Herr.

Die Wangen Elikas glühten, ein feuchter Glanz schimmerte in ihren Augen. »Wie war also Herr Bornholm?« fragte sie, und Charlotte sprach feierlich:

»Vertrauen einflößend.«

Nach einer Weile stellte Kosel die Frage auf, 380 ob die Zeitungen nicht vielleicht eine Notiz über die Vermählung Bornholms mit Luise bringen würden: »Was meinst du, Elika?«

Alle Blicke richteten sich auf den Platz, den sie eben noch eingenommen hatte – er war leer. Sie hatte sich fortgestohlen aus dem Zimmer, aus dem Hause, sie war durch den Garten gegangen, immer rascher und rascher, sie rannte zuletzt wie gejagt. Ihrem Fichtenhaine am Ende des Gartens rannte sie zu, warf sich dort zur Erde, drückte ihr Gesicht ins feuchte kühle Moos und weinte und schluchzte sich aus. Wirklich: aus, bis ihr schien, als hätte sie keine einzige Träne mehr. Dann stand sie auf. Es war ihr plötzlich gekommen: Ist es nicht unwürdig, sich wie verzweifelt zu gebärden um einen, der nie verborgen hat, wie gleichgültig man ihm ist? Durchaus unwürdig einer jeden und nun erst ihrer, die einen so tapferen Bruder gehabt hatte.

Von neuem füllten ihre Augen sich mit Tränen, das waren aber andere, die erpreßte ihr nicht der Gedanke, daß Levin Bornholm nun eine Frau besaß, die ihn lieben durfte, die ihn erlösen würde . . . . Elika breitete die Arme weit 381 aus: »Franz, mein Lieber, siehst du mich? weißt du etwas von mir? . . . Ich denke immer an dich, wie gut und stark du gewesen bist . . . und ich will auch stark sein, deine echte Schwester will ich sein.«



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