Marie von Ebner-Eschenbach
Die arme Kleine
Marie von Ebner-Eschenbach

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90 An einer der geschütztesten Stellen im Garten, unter alten, hohen Erlen, befand sich Elikas Spielplatz und der Pavillon, in dem sie ihre Puppenwirtschaft eingerichtet hatte. Eine Eremitage mit strohgedecktem Dache, die Wände in- und auswendig mit Baumrinde benagelt. Auf dem Wege neben dem Pavillon war ein Hügelchen aus feinem Sande aufgeschichtet, den Elika siebte, mit dem sie kochte, in den sie ihre Puppen bis an den Hals eingrub, weil das für Kinder so gesund ist.

Bei der Eremitage traf, eine halbe Stunde vor der Produktion, Herr Heideschmied mit seinen Zöglingen ein, und während die Jugend beim Sandhügel spielte, nahm der Hofmeister neben Frau Budik auf der Bank am Hause Platz und beugte sein Haupt unter dem Schwall der Rede, der sich alsbald über ihn ergoß. Apollonia hatte sich auf ihr Steckenpferd geschwungen und ließ sich von ihrem hölzernen Pegasus in schwindelnde Höhen tragen. Sie wurde zur begeisterten Dichterin, wenn sie das Lob des Hauses Kosel sang. Das Äußerste leistete sie in der Verherrlichung der drei jungen Herren. Das 91 waren Kinder von ihrem ersten Atemzuge an, Kinder, wie die Erde keine besseren trägt. Herzen hatten sie – das pure Gold! 's ist wahr, Apollonia gab dem Eigentümer eines dieser goldenen Herzen hier und da einen Puff, daß ihm die Rippen krachten, aber – »Du lieber Gott, es sind halt Buben!«

»Knaben, ja wohl, sehr lebhafte Knaben,« flocht hier Heideschmied in die krausen Reden Frau Budiks ein, und diese Worte schienen ihr, sie wußte selbst nicht warum, eine Art Tadel zu enthalten, und jetzt ging sie los wie eine überladene Mine. Die Lobpreisungen begannen von neuem und dauerten – Heideschmied konnte nicht genau sagen, wie lange, denn eine Uhr besaß er nicht, aber sehr lange kam es ihm vor.

Endlich wurden sie unterbrochen. »Poli!« schrie Josef aus vollem Halse und mit dem Ausdruck der Bestürzung: »Komm! schau! die arme Kleine ist tot!«

Frau Budik und der Erzieher sprangen auf, wandten sich. »Jesus, Maria!« stöhnte die Wärterin.

Die Knaben hatten den Sandhaufen neben 92 dem Gartenhause zu einem regelrechten Grabhügel zusammengeschaufelt, eine längliche Vertiefung hineingegraben und mit Latten ausgelegt, die den Rand eines Sarges vorstellen sollten. In dem improvisierten Sarge lag auf Gras und Wiesenblumen gebettet, mit geschlossenen Augen und über der Brust gefalteten Händen, die Kleine und sah in der grünlichen Dämmerung unter den Bäumen wahrhaftig wie eine Tote aus. Zu beiden Seiten knieten Leopold und Franz, hielten ihre Taschentücher an ihre Gesichter gepreßt und heulten aus Leibeskräften.

»Nein,« rief Apollonia händeringend, »diese Dummheit! Hat man je etwas so Dummes gesehen wie diese Buben! Was ist das für ein Spiel? Wer spielt denn mit dem Tod?«

Leopold lachte über den Ausbruch, Franz rang mit wirklichen Tränen, und Josef sagte beschwichtigend:

»Aber Poli, ärger' dich nicht! Sie hat's ja selbst gewollt. Was soll man denn tun, wenn sie's will?«

Heideschmied stand regungslos und blickte zu dem Kinde nieder. Plötzlich schüttelte es 93 ihn wie Fieberfrost, und mit einem trockenen Schluchzen brachte er die Worte hervor: »Ganz wie meine kleine Mili, so ist sie im Sarge gelegen!«

Die Tote jedoch war unzufrieden mit der Unterbrechung des Weinens und Klagens um sie und flüsterte ihren Brüdern zu: »Besser jammern!«

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