Marie von Ebner-Eschenbach
Die arme Kleine
Marie von Ebner-Eschenbach

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Es war merkwürdig, aber die arme Kleine, die immer kränkelte, immer Kopfschmerzen hatte, Gliederchen so zart, daß man nur staunte, wie sie überhaupt Gebrauch von ihnen machen konnte, und eine Haut, schneerosenbleich, lebte weiter.

Allabendlich wurde Soiree abgehalten im Kinderzimmer. Herr von Kosel saß in seiner Ecke, schaute und schwieg. In seiner Stimmung und in seinem Benehmen genau derselbe wie in den ersten Tagen nach dem Tode seiner Frau. Damals, meinte Frau Budik, sei etwas in ihm gerissen, das nie und nie mehr zusammenwachsen werde.

86 Anfangs war er den Tanten erstaunlich gefaßt vorgekommen, dann erkannten sie: Er hat noch nicht einmal begriffen, daß es wirklich vorbei sein soll mit seinem Glück. Er klagte nie, er schien nicht einmal sehr traurig, nur verträumt, nur wie einer, der sich in einem Zustand fühlt, der unmöglich dauern kann. Sein Aussehen war so frisch und gut wie je, seine Augen glänzten so hell wie je, aber ihr Blick war unstet und seltsam gespannt. Er horchte auf, wenn sich plötzlich Schritte hören ließen, wenn sich jemand der Tür seines Zimmers näherte. Trat dann ein Diener oder eins der Kinder ein, zog er die Augenbrauen in die Höhe und sagte mit plötzlichem Sichbesinnen: »Ach ja!«

Und so saß er auch still in seiner Ecke, und sehr symmetrisch in der nächsten, zwischen zwei Fenstern, saß Heideschmied und war grau vom Kopf bis zu den Füßen. Nach dem Fenster zu seiner Rechten kam ein breiter Pfeiler, abermals ein Fenster, und dann kam die Ecke mit den Tanten. Wie zwei gutmütige alte Dohlen saßen sie nebeneinander in ihren schwarzen Stiftsdamenkleidern, und die große, sanfte Renate 87 arbeitete wieder an einem monumentalen Werke der Kunststrickerei, und die kleinere, lebhafte Charlotte wechselte von Zeit zu Zeit stolze und glückverklärte Blicke mit Frau Budik, die sich mit dem ehrwürdigen hellgrünen Kachelofen in den Besitz der vierten Ecke teilte; und Charlotte murmelte: »Nein, diese Fratzen!« und Frau Budik murmelte: »Nein, diese Kinder!«

Ein Höllenlärm herrschte.

Die drei Buben produzierten vor ihrer Schwester die verwegensten Akrobatenkünste und ließen dabei eine wilde Vokalbegleitung erschallen. Aschantis brüllen nicht schöner. Zeitweise unterbrachen sie ihr Geschrei, um das Publikum durch täuschende Nachahmung von Tierlauten, durch Krähen, Grunzen, Miauen, zu erfreuen.

Als Königin dieses Festes fungierte Elika. Sie saß auf ihrem hohen Kinderstuhle, die flachen Hände auf das in der Lehne eingelassene Tischchen gelegt. Sie hatte jetzt dünne Locken von seidenleichtem, seidenweichem Haar, die bei jeder Bewegung der Luft ein wenig flatterten. Ihre Wangen bekamen, so oft ein besonders kühnes 88 Kunststück ausgeführt wurde, einen rosigen Anhauch; ihr Mund, nicht klein, aber fein geschnitten, und unglaublich ausdrucksvoll für den Mund eines so jungen Kindes, hatte ein rührendes, ein, wie dem Leiden abgewonnenes Lächeln, das die Leistungen der drei Akrobaten reich belohnte. Wenn 89 Elika aber »Bravo! bravo!« rief und in die Händchen klatschte, gerieten die Brüder in Begeisterung. Sie stürzten auf die Kleine zu und erstickten sie fast mit Zärtlichkeiten. Man mußte sie vor ihnen retten.

»Wir können noch viel schönere Sachen,« sagte Leopold einmal. »Kommen Sie nur mit Elika zur Turnstunde in den Garten, Poli, da werden Sie sehn!«

»Da wejn Sie sehn!« wiederholte Franz mit ernstem Kopfnicken, »und auch die Tanten sollen kommen.«

»Ja, ja, freilich, die Tanten auch!« riefen Josef und Leopold, und die Tanten versprachen, sich pünktlich einzufinden. Daß auch das Haupt der Familie, daß auch Herr von Kosel geladen werden könne, fiel niemand ein, nicht einmal ihm selbst.

Renate besann sich dessen plötzlich bei Nacht. Es fiel ihr schwer aufs Herz. Mitten unter den Seinen auf einem Isolierschemel stehen, das kann doch nicht angenehm sein.



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