Marie von Ebner-Eschenbach
Die arme Kleine
Marie von Ebner-Eschenbach

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135 Das Leben ging gleichmäßig hin. Zwei Jahre, nachdem Heideschmied sein schwieriges Amt angetreten hatte, unternahm er ein Wagnis. Er fuhr mit seinen Zöglingen nach der Kreisstadt, wo Franz in der Volksschule aus der vierten, Josef und Leopold auf dem Gymnasium aus der zweiten Klasse Prüfung ablegten; Franz und Leopold bestanden schlecht und recht. Josef fiel durch.

Bald darauf wurde Familienrat gehalten und beschlossen, zum Beginn des nächsten Schuljahrs nach Wien zu ziehen. Herrn von Kosel würde einige Zerstreuung gut tun, den Knaben das Studieren in öffentlichen Schulen leichter und lieber sein als das Studieren zu Hause. Und für Elika, die in letzter Zeit um ein paar Deka ab- statt zugenommen hatte, wäre es gut, einige Monate unter den Augen einer ärztlichen Celebrität zu verbringen.

So zog die Familie nach Wien und verweilte dort vollzählig bis zum Frühling. Länger hielt es Kosel in der Stadt nicht aus. Die Aufsicht der ärztlichen Celebrität, unter der Elika gestanden, hatte eine wahrnehmbare Wirkung 136 nicht ausgeübt. Sie kam ebenso blaß, schmal und zart heim, als sie abgereist war. Heideschmied und die Knaben blieben in Wien und trafen erst zur Ferienzeit im gelobten Lande Velice ein. Leopold hatte die dritte, Franz die erste Gymnasialklasse absolviert. Josef war wieder durchgefallen. Der vierzehnjährige Mensch, der aussah wie ein siebzehnjähriger, der Prachtbursche, der einen so klaren Verstand hatte und so vieles konnte und wußte, was sich nicht erlernen läßt, war nicht imstande, in seinen hellen Kopf hineinzubringen, was Tausende dummer Jungen von zwölf Jahren in ihren Schädeln beherbergen.

Eine gute Frucht trug die Wiener Expedition aber doch; die Familie machte die Bekanntschaft Frau Heideschmieds, und das war ein wirklicher Gewinn. Die unansehnliche kleine Frau mit den müden Augen, der zierlichen Gestalt und den abgearbeiteten Händen gewann alle Herzen und wurde als zukünftige Erzieherin Elikas nach Velice mitgenommen.

Als Josef dahin zurückkehrte und schon am ersten Tag nach Valahora eilte, fand er das alte Haus herrenlos. Bornholm hatte sich auch in 137 diesem Jahre vergeblich erwarten lassen. Hingegen traf in einem anderen alten Schlößchen eine sehr liebe Nachbarin ein.

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