Marie von Ebner-Eschenbach
Die arme Kleine
Marie von Ebner-Eschenbach

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Mit flammenden Wangen erschien sie vor ihrem Neffen und fand ihn vertieft in eine Zeitungsanzeige. Ach diese Zeitungen! er verschlang nicht sie, er las ja wenig, sie verschlangen ihn. Alle acht Tage abonnierte er auf eine neue und gab die alten nie auf, ordnete sie, verwendete unendliche Zeit, um nach einer fehlenden oder an einen ungewohnten Platz geratenen Nummer zu suchen.

»Ich störe dich,« sagte die Tante mit einem Anflug von Ironie, »das macht aber nichts, denn es handelt sich um etwas Wichtiges.«

131 Er sah sie freundlich und ganz abwesend an und sprach: »Ich bitte, setze dich.«

Sie hatte Mühe, einen zeitungsfreien Sessel zu finden, aber endlich gelang's, und Kosel pflanzte sich vor sie hin, ein Postpaket mit amerikanischen Stempeln in der Hand.

»Es ist merkwürdig, 132 was jetzt geleistet wird,« begann er. »Das ist die ›Union‹. In Washington erscheint sie und hat eine Viertelmillion Abonnenten. Eine Viertelmillion. Denk nur – das Papier!«

»Viel, erstaunlich viel Papier . . . Was ich dir sagen wollte, Lieber, du hast doch mit Heideschmied die Gehaltsangelegenheit besprochen? Bei seinem Eintritt ins Haus, nicht wahr? Hundert Gulden monatlich verlangte der Schuldirektor in seinem Namen. Wenig Geld für die große Leistung: unsere drei Löwen bändigen und abrichten! Nun ist Heideschmied schon länger als ein halbes Jahr im Hause. Du entrichtest sein Honorar doch pünktlich, Lieber?«

Er schien aufmerksam zugehört zu haben, Charlotte war gerührt und bereute schon ihren entwürdigenden Verdacht.

Ihr Neffe blickte sie noch freundlicher an als früher und sagte: »Diese Papiermühlen in Amerika. Ja, was das für Mühlen sind, was die leisten! Wir könnten das nicht, wir sind weit zurück.«

Sie wurde gleich wieder böse. Er hatte ihr gar nicht zugehört, seine Gedanken waren in den 133 amerikanischen Papiermühlen. »Weit zurück, jawohl! im Rückstand, das bist du, mit dem Honorar des guten Heideschmied, und das ist äußerst sträflich, es ist eine Pflichtvergessenheit –« . . . Sie hielt inne, sie fürchtete, ihm weh getan zu haben.

Er hatte sie nicht aus den Augen gelassen und schien sie doch nicht zu sehen. Seine Miene hatte etwas Visionäres, von innen heraus Leuchtendes. Ein Forscher, dem eben die Lösung eines schwierigen Problems eingefallen ist, mag sich so ausnehmen. »Zurück, ja, weit zurück sind wir. Wir können es nicht herstellen. Das kommt vom Wasser.«

Charlotte entfloh. Sie wollte sich nicht über ihn ärgern. Er war schließlich doch sehr bedauernswert und hatte nichts als sein unfruchtbares Spintisieren. Man lasse ihn dabei, störe seine Kreise nicht.

»Heideschmied hat noch keinen Heller bekommen!« rief sie, in den Sibyllenturm zurückgekehrt, ihrer Schwester zu, »und bekommt keinen, wenn er wartet, bis Felix es sich zum Bewußtsein bringt, daß man Hofmeister zu besolden 134 pflegt. Da müssen wir eintreten, bestes Herz, müssen diesen Sprung in der Ehre des Hauses verkitten.«

»Aber wie, liebes Herz?«

Wenn die Schwestern sich in Bedrängnis befanden, gebrauchten sie gegeneinander zärtliche Ausdrücke.

»Ich glaube, so. Ich überreiche Heideschmied in unseres Felix Namen die rückständige Besoldung und sage ihm: ›Mein Neffe übersendet Ihnen dieses erste Mal Ihr Honorar halbjährlich, wird es Ihnen aber von nun an monatlich zustellen lassen, wenn es Ihnen paßt.‹«

»Eine Lüge?«

»Eine Notlüge; und dann – es geht nicht anders! – nimmst du Heideschmied in die Küchenrechnung.«

– »Charlotte, welcher Einfall! . . . Unmöglich. Soll ich ihn einschalten zwischen dem Fleischer und dem Gewürzkrämer, oder wo?«

»Das braucht nicht zu sein. Setz ihn obenan.«

So trat der mäßigste Mann im Hause an die Spitze der Küchenrechnung.



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