Marie von Ebner-Eschenbach
Die arme Kleine
Marie von Ebner-Eschenbach

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»Tante Luise!« rief jetzt eine junge Stimme, und Elika öffnete die Tür so weit als nötig, um durch den Spalt hereingucken zu können. Beim Anblick Bornholms stotterte sie: »O – o!« . . . zögerte ein wenig und trat dann ein und sah in ihrem langen, lichten Regenmantel mit aufgestülpter Kapuze hübsch und herzig aus. Luise war rot geworden, Bornholm plötzlich in Verstimmung geraten.

»Frau Heideschmied ist auch da,« sprach Elika, aber mehr um das peinliche Schweigen zu brechen, als um auf die Anwesenheit der Französin aufmerksam zu machen, die ihren Mantel auf dem Gange abgelegt hatte und jetzt knapp 308 vor der Tür eine zierliche Reverenz ins Werk setzte.

Luise war aufgestanden und begrüßte die Damen, Bornholm blieb sitzen. Er gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie verdrießlich die Unterbrechung seines Gesprächs mit Fräulein von Kosel ihm war. Frau Heideschmied, viel zu wohlerzogen,. um die Verlegenheit der Herrin des Hauses 309 und die Unart ihres Gastes zu bemerken, nahm dankend die Einladung Luisens, sich neben sie aufs Kanapee zu setzen, an und berichtete ihr mit großer Lebhaftigkeit, daß es regne und wahrscheinlich den ganzen Tag fortregnen werde, wenn nicht etwa Aufheiterung eintreten sollte.

Elika nahm Platz auf einem Fauteuil. Ihr kluger Blick glitt über die drei; über Bornholms finsteres Gesicht, über Luise, die so befangen, Frau Heideschmied, die so wohlerzogen war. Sie verstand alle, erriet, was in jedem von ihnen vorging, sie hatte das stolze Bewußtsein, die Situation völlig zu beherrschen, sie, die jüngste, sie, das »kleine Mädchen«. – »Wir kommen, dich zu Tische zu bitten, Tante Luise,« sagte sie mit einer freundlichen und anmutigen Überlegenheit, die Frau Heideschmied entzückte. »Der Herr Pfarrer und der Herr Doktor und der Herr Direktor und seine Frau werden erscheinen. Nachmittags soll eine Partie à la guerre gespielt werden. – Wollen Sie uns auch das Vergnügen machen, zu Tische zu kommen, Herr Bornholm?«

Er verneigte sich obenhin, in seiner spöttischen 310 Miene war die Frage zu lesen: Ist das Ihre Sache, mich einzuladen?

Schnell und gleichsam zu ihrer Rechtfertigung setzte Elika hinzu: »Der Papa und die Tanten würden sich gewiß sehr freuen, Sie zu sehen.«

»Ja dann, und wenn Sie es erlauben, werde ich am Nachmittag nach Velice kommen.«

»Zu Tische nicht?«

»Mit Ihrer Erlaubnis, am Nachmittag,« wiederholte er.

»Auf Wiedersehen also!« Elika stand auf und, als ob sie elektrisch mit ihr verbunden wäre, zugleich auch Frau Heideschmied.

»Auf Wiedersehen, meine, meine Kleine,« sprach Luise, winkte sie heran, umschlang und küßte sie.

Zu ihr herabgeneigt, hatte sich Elika ihre Liebkosungen eben nur gefallen lassen. Jetzt, wieder aufgerichtet, warf sie einen Seitenblick auf Bornholm und fragte: »Wie geht's dem Hansl?«

»Gut.«

»Ist er brav und haben Sie ihn lieb?«

»Lieb? – er nützt mir und ich nütze ihm. 311 Das hat mit dem Liebhaben nichts zu tun,« erwiderte er trocken und abweisend.

Elika zuckte traurig die Achseln, wandte sich und ging, wurde aber, ehe sie die Tür erreichte, von Luise eingeholt. Die nahm ihren Arm und begleitete sie die Treppe hinab. In der Halle blieben sie stehen, und die Kleine sagte mit einem tiefen Seufzer: »Er ist noch sehr verwunschen!«

»Warum sind Sie so unfreundlich mit ihr?« fragte Luise, die, in den Salon zurückkehrend, Bornholm auf seinem frühern Platze fand. Er hatte beide Hände in die Taschen gesteckt und schaukelte sich auf seinem Sessel: »Ich weiß es selbst nicht. Sie ärgert und langweilt mich. Sie hat etwas so Gouvernantenmäßiges. ›Haben Sie ihn lieb?‹ Unerträglich fad, solche Sachen . . . Ich habe überhaupt nichts lieb. Ich kenne das nicht.«

»Sie kennen das nicht?« wiederholte Luise ungläubig. – »Herr Bornholm, wenn ich ein Wort wüßte, das genau das Gegenteil von Selbstüberschätzung bedeutet, würde ich es Ihnen zurufen.«

»Es träfe mich aber nicht. Ich habe den 312 traurigen Vorzug, mich zu kennen, mein ganzes miserables Ich . . . Sie erschrecken?« fragte er, da Luise plötzlich zusammenfuhr. »Warum sind Sie erschrocken?«

Sie lachte. »Weil Ihr miserables Ich, und zwar nicht das geistige, sondern das körperliche, eben in Gefahr gewesen ist, umzukippen. Wollen Sie nicht die Güte haben, ruhig sitzen zu bleiben?« Sie sprach es bittend, lehnte sich vor und sah ihn, der die Hände aus den Taschen gezogen und eine stramme Haltung angenommen hatte, heiter und freundlich an. Ihre Blicke ruhten ineinander, und die Härte und der Trotz des seinen milderten sich unter dem Einfluß der unendlichen Güte, die ihm aus dem ihren entgegenleuchtete.

»Jetzt haben Sie mir wieder wohlgetan,« sprach er. »Sie übersehen das Unverbesserliche an mir und rügen eine üble Gewohnheit, die ich – in Ihrer Gegenwart wenigstens – ablegen kann.«

»Die Rüge war doch auch recht gouvernantenmäßig . . . Dank, daß Sie es mir verzeihen,« kam sie der Einwendung zuvor, die er machen wollte. 313 »Und jetzt muß ich Sie verabschieden. Ich habe noch viel zu tun und weiß nicht, wie ich's in ein paar Stunden fertig bringe.« Sie reichte ihm über dem Weißzeugberg die Hand, die er kräftig schüttelte.

*


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