Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XXV.

Am 5. Januar hatte sich Louis XV. zur Feier des Heiligen Dreikönigstages nach Trianon begeben wollen. Die Marquise war in Gesellschaft von Frau von Brancas, unter starker militärischer Bedeckung, ohne die sie sich seit kurzem nicht mehr nach Paris wagen durfte, in das Hôtel d'Évreux gefahren.

Gleich in den ersten Vormittagsstunden hatte sie die Minister Bernis und Machault zu sich beschieden, um ihnen den Inhalt eines Geheimbriefes Kaunitz', der sie gestern noch in Versailles erreicht hatte, mitzuteilen.

Jetzt saß sie in ihrem Arbeitskabinett. Collin war eben mit den letzten Aufträgen entlassen worden; die Minister würden erst in einer halben Stunde erwartet, als sie von einem Brief an Bruder Abel aufschreckte.

Ein wüster, immer mehr anwachsender Lärm war plötzlich unter ihrem Fenster laut geworden. Weiber kreischten, schrille Pfiffe tönten, lautes Gebrüll, untermischt mit den zuerst undeutlichen, dann immer klarer vernehmbaren Rufen:

»Feiner Hund!« »Meuchelmörder!« »Mord!« »Mord!« drangen zu ihr herauf.

Jeanne hatte sich im ersten Entsetzen von ihrem Arbeitstisch am Fenster fort in die Mitte des Zimmers geflüchtet. Ihre flatternden Hände krampften sich um eine Stuhllehne. Sie hielt den Kopf vornübergebeugt. Angstvoll gespannt lauschte sie hinaus. Plötzlich brach ein lauter Wehruf über ihre Lippen.

Nein, dar galt nicht ihr, das, das galt dem König. Entsetzliches, Unfaßbares war geschehen.

»Der König ist ermordet!« »Fluch dem Mörder!« »Der König ist tot!«

Wie gefällt schlug Jeanne zu Boden. Laut aufschreiend vor Schmerz und Grauen, das Gesicht in den Händen vergrabend. War es wahr? Konnte dies Entsetzliche Wahrheit sein? Louis tot? Der einzige Mann, den sie geliebt hatte, tot? Tot, dem sie alles war. Sie selbst vernichtet. Verflucht, beschimpft von der brüllenden Rotte da draußen. Unbeschützt, der Rache des Dauphins preisgegeben. Hinter Klostermauern verbannt, ausgelöscht aus dem Buche des Lebens, aus dem Buche der Geschichte!

Einen Augenblick schien der wütende Lärm da draußen den Atem anzuhalten. Starren Blickes, weißen Antlitzes richtete sich Jeanne mühsam ein wenig auf und lauschte hinaus.

Irrte sie oder war es das Rollen eines Wagens, das Stampfen von raschen Pferden, das statt des Brüllens zu ihr heraufdrang?

Mit den kalkweißen, erstarrten Händen eine Lehne des Stuhles fassend, neben dem sie niedergestürzt war, hob sie sich schwer vom Boden. In dem gleichen Augenblick wurde die Tür rasch geöffnet. Bernis stand auf der Schwelle.

Tränenüberströmt, schluchzend, stammelnd, keuchend warf sich Jeanne an seine Brust.

»Ist es wahr, mein Freund, ist es wahr?«

Bernis ließ die verzweifelte Frau sanft in einen Stuhl gleiten.

»Trocknen Sie Ihre Tränen, Marquise, es ist nichts oder wenigstens so gut wie nichts geschehen.«

»Er lebt, o Gott, er lebt?«

»Der König lebt! Gelobt sei Gott! Nur eine kleine, kaum nennenswerte Wunde hat der Verruchte ihm in der Schultergegend beigebracht, gerade in dem Augenblick, als Seine Majestät in den Wagen steigen wollten, um sich nach Trianon zu begeben.«

Jeanne faltete die Hände. »Der König lebt, gelobt sei Gott,« stammelte sie, noch weiß vor Schrecken, Bernis nach.

»Seine Majestät nehmen die Wunde schwerer, als sie nach Ausspruch der Ärzte ist. Sie selbst, Marquise, haben mir anvertraut, daß der Monarch letzthin unter der verzehrenden Angst lebe, das Opfer eines Meuchelmordes zu werden. Nun glaubt er wohl, sein schauriges Schicksal habe sich erfüllt.«

»Ich will zu, ihm, ihn aufrichten, ihn trösten. Nur ich, ich allein bin dazu imstande. Hat er nicht nach mir verlangt, mich nicht rufen lassen?«

Bernis wandte den Kopf ein wenig zur Seite.

»Seine Majestät haben die ganze königliche Familie und seinen Beichtiger, Pere Desmarets, an sein Lager befohlen.«

»Und Machault? Warum ist er nicht mit Ihnen gekommen, Bernis? Ich erwartete ihn und Sie! Hat ein so alter Freund in einer so schweren Stunde mir nichts zu sagen?«

In Bernis' noch immer schönes Antlitz trat eine feine Röte.

»Seine Hoheit der Dauphin haben Machault in einem anderen Auftrag –«

»Seine Hoheit der Dauphin?«

Jeanne fragte es atemlos vor Staunen.

Eine kurze, schwüle Pause entstand. Dann sagte Bernis gepreßt mit einem mitleidigen Blick auf die Marquise:

»Seine Majestät haben während der Dauer seiner Krankheit Seiner Hoheit dem Dauphin die Staatsgeschäfte übertragen.«

Mit gefurchter Stirn, die Zähne in der Unterlippe vergraben, die Hände zur Faust zusammengeballt saß die Marquise. »Der König wird genesen. Es dürfte Monsieur Machault bald gereuen, dem Dauphin gehorsamer gewesen zu sein als mir.«

Sie sprach es in eiskaltem, herrischem Ton. Dann richtete sie sich mühsam auf, trat an ihren Arbeitstisch und setzte die silberne Klingel in Bewegung, daß ihr schriller Klang durch das Haus gellte.

Madame du Hausset erschien. An ihren verstörten Mienen sah Jeanne, daß die treue Frau alles wußte.

Jeanne preßte die Hand aufs Herz, das seinen Schlag auszusetzen drohte.

Mit heiserer Stimme gab sie den Befehl:

»Es soll angespannt werden, sofort. Die Rappen, Sie sollen laufen, was ihre Lungen hergeben können.«

Bernis hob erschreckt die Hand.

»Um Gott, Marquise, Sie wollten –«

»Wie ein dummes, kleines Gänschen nach Verisailles laufen? Dem Dauphin geradeswegs in die Arme? Mich von den Wachen fortweisen lassen?« Sie lachte höhnisch auf. »Nein, Exzellenz, da sollten Sie die Marquise von Pompadour doch besser kennen.«

Sie wandte sich an die Hausset zurück.

»Ihr Sohn soll nach Versailles fahren, er soll mir rascheste Nachricht von dem Befinden des Königs bringen, Lebel selbst soll ihm Antwort geben.« Und leiser fügte sie hinzu: »Lebel soll den König fragen, ob Seine Majestät nicht den Wunsch habe, mich zu sehen. Eilen Sie, Hausset!«

Nachdem die Kammerfrau das Zimmer verlassen hatte, fragte Jeanne spöttisch:

»Wie ist es, Exzellenz, wollen Sie nicht auch die alte Freundschaft vergessen, wie Monsieur Machault sie vergessen hat? Wer weiß, ob es nicht das klügste wäre!«

»Er wich nur der Gewalt, teure Freundin.«

Jeanne lächelte melancholisch.

»Sie werden mich bald anders nennen, mein lieber Bernis, morgen, übermorgen, in drei Tagen, wenn ich ein Bonmot von vorgestern geworden bin.«

Frau von Brancas trat ein. Sie umarmte die Marquise. Beide Frauen weinten laut.

»Es geht bergab mit mir, meine Liebe. Seine Majestät haben es nicht einmal der Mühe wert gehalten, mir Nachricht von dem Unglück zu senden.«

Die Brancas tröstete, selbst von der Wahrheit ihrer Worte vollkommen überzeugt.

»Meine Liebe! Sie und der König! Der König und Sie! Das ist ein untrennbarer Begriff. Sie sind sein Herz, sein Kopf, sein Gewissen. Nur zugleich mit seinem Leben wird der König von Ihnen lassen.«

Still blieben sie beisammen. Nach einer Weile fragte Frau von Brancas Bernis leise nach dem Namen des Attentäters.

»Ein gewisser Damiens, ein Fanatiker, wie man sagt.«

»Ein Werkzeug der Jesuiten?«

»Nicht unmöglich. Die einen schreiben den Anschlag den Jesuiten, die anderen dem Parlament zu.«

Mit verhaltenem Atem, die Zähne tief in die blutende Unterlippe vergraben, wartete Jeanne auf die Rückkehr des Boten aus Versailles.

Endlich hörte sie die Hufe ihrer Rappen auf dem Pflaster. Bis ins Vorzimmer stürzte sie dem jungen du Hausset entgegen.

Der arme, junge Mensch zitterte am ganzen Leibe und stützte sich auf seine Mutter, die herbeigeeilt war. »Was ist? Schnell, sprechen Sie!«

»Das Befinden Seiner Majestät ist befriedigend.«

»Und weiter, rasch doch, reden Sie!«

Der Arme ward grün im Gesicht.

»Es war mir unmöglich, Herrn Lebel zu sprechen. Überhaupt jemand –.«

»Was soll das heißen?« herrschte die Marquise.

»Mut! Mut!« flüsterte die Hausset ihrem Sohn zu.

»Seine Hoheit der Dauphin haben den Befehl gegeben, jedem Boten der Frau Marquise die Tür zu sperren.«

Die Marquise schrie auf. Sie packte den jungen Menschen am Arm und schüttelte ihn.

»Durch wen kam dieser Befehl? Ich will es wissen! Die Wahrheit will ich wissen!«

Der junge Hausset stammelte Undeutliches.

»Lauter!« Sie trat hart mit dem Fuß auf die Marmorfliesen.

»Durch den Herrn Kriegsminister d'Argenson.«

Laut und gellend lachte sie auf.

»Sein Werk also, sein Werk!«

Der Fluch, den sie auf den Lippen hatte, verflatterte. Geschlossenen Auges sank sie gegen Bernis, der hinter ihr stand.

Eine tiefe Ohnmacht hielt sie umfangen. – – –

Der Tag sank in den Abend. Das Hôtel d'Évreux wurde nicht leer von Besuchern, die aus Neugierde oder wahrer Anteilnahme kamen.

Oft warteten fünfzig Personen und mehr im Vorzimmer, um vorgelassen zu werden. Nur die erprobtesten Freunde wurden empfangen. Boucher, Pâris-Duverney, Gabriel, Bruder Abel, der Herzog von Auteuil. Die kleine Marschallin von Mirepoix hatte schon mehrmals nachfragen lassen und ihren Besuch angemeldet.

Doktor Quesnay fuhr zwischen Paris und Versailles hin und her. Er fürchtete sich nicht, der Marquise Nachrichten aus dem Krankenzimmer zu bringen.

Immer noch hoffte Jeanne, Machault würde sich eines anderen besinnen, eingedenk seiner glänzenden Karriere, die er allein ihr zu danken hatte, der aufrichtigen Freundschaft, die sie ihm geschenkt. Ayen war auf dem Lande bei seiner Familie. Wenn man ihn benachrichtigte, ehe es zu spät war!

Wie eine plötzliche Vision kam das Erinnern an die Stunde über sie, da Ayen und Richelieu sie dem König im Stadthaus zugeführt hatten.

Trotz alles Schweren, welch eine große Zeit war seit jener Stunde für sie angebrochen! Triumphierend hatte sie eine Sprosse nach der andern auf der goldenen Leiter des Ruhmes zurückgelegt. Jetzt stand sie oben, eine siegreiche Herrscherin! Herrscherin über den König, über Frankreich, wer wollte es wissen, über Europa vielleicht!

Und das alles sollte der Dolchstoß eines Verruchten vernichtet haben?!

Sie richtete sich ein wenig auf ihrem Lager auf, das die Freunde umstanden. Waren nicht wieder neue Schritte im Vorzimmer lautgeworden? Vielleicht – – Ah!

Collin selbst hatte die Tür zum Kabinett der Marquise geöffnet und ließ den Großsiegelbewahrer eintreten.

Jeanne nahm all ihre Kraft, all ihren zähen Willen zusammen. Während die anderen das Zimmer verließen, richtete sie sich stolz und gerade auf. Ehe sie nicht wußte, wie weit sie Machault trauen konnte, sollte er nichts als die Maske ihrer Gefühle und Gedanken sehen.

Machaults Antlitz, das in Gegenwart Bernis' für einen Augenblick eine lächelnde Miene gezeigt hatte, wurde streng und kalt, sobald sie allein waren. In eisigem Ton fragte er nach dem Befinden der Marquise.

Jeanne umging die Frage.

»Und Seine Majestät der König, wie befindet er sich?«

Machault streifte die Frau, der er in der Tat alles zu danken hatte, mit einem kalten Blick.

»Es ist besser, Frau Marquise, Sie fragen nicht nach dem König.«

Jeanne war im Begriff, aufzufahren. Aber sie beherrschte sich. Ein Feind, und als solcher kam Machault, das fühlte sie, noch bevor er zu sprechen begonnen, ein Feind sollte zuletzt in ihr schmerzzerrissenes, zu Tode getroffenes Innere sehen.

»Seiner Majestät Wunsch geht dahin, daß die Frau Marquise Versailles nicht mehr betritt, daß die Frau Marquise –«

Jeanne schnellte auf. Ihre Augen funkelten ihn mit der Wut einer gereizten Tigerin an. Ihre Hände hoben sich drohend gegen ihn.

»Gehen Sie, gehen Sie auf der Stelle, wenn Sie mir nichts anderes zu bringen haben als eine Botschaft des Dauphins. So also sieht Ihre Freundschaft – Ihr Dank aus!«

Sie wendete sich mit verächtlichem Lächeln von ihm ab. »Auch der meine wird nicht ausbleiben, verlassen Sie sich darauf. Noch bin ich die Marquise von Pompadour!«

Nachdem Machault, froh, der Mission des Dauphins ledig zu sein, die Tür hinter sich geschlossen hatte, brach Jeannes künstliche Fassung zusammen. Sie schleppte sich bis zur Klingel und läutete schwach. Dann brach sie in konvulsivisches Weinen aus. Erst allmählich begriff Bernis, nach dem sie verlangt hatte, was vorgegangen war. Vergebens versuchte er sie zu trösten, ihr vorzustellen, daß Machault in der Tat nichts anderes als den Befehl des Dauphins überbracht habe.

Bis auf den Grund ihrer Seele verletzt, erklärte sie Bernis, daß sie gehen werde um jeden Preis. Fort von Paris, fort aus Frankreich.

Bei Maria Theresia würde sie eine Heimat finden.

Sie ließ die du Hausset und ihren Haushofmeister kommen. Sie gab Order, das Nötigste einzupacken und nach Bellevue zu bringen. Von dort aus würde sie weitere Entschlüsse fassen.

Trotzdem es fast Nacht geworden, mußte sofort mit dem Einpacken begonnen werden.

Die Marschallin von Mirepoix wäre beinahe über die Gepäckstücke gefallen, die am Fuß der Treppe aufgestapelt lagen.

Lebhaft trat die kleine Frau ins Zimmer. Matt und verweint lag die Marquise auf ihrem Ruhebett.

»Sie wollen fort? Ja, warum in aller Welt?«

»Ach meine liebe Freundin, der König will es so.«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Monsieur Machault.« Die Marschallin empörte sich ehrlich. »Er steckt mit dem Dauphin und d'Argenson unter einer Decke, dieser Biedermann, verlassen Sie sich darauf. Das fromme Kleeblatt redet sich ein, es stehe mit dem König schlimmer, als die Ärzte wahrhaben wollen. Glauben Sie mir, meine Liebe, es ist alles Lug und Trug. In wenigen Tagen wird der König im Hotel d'Evreux an der Seite seiner lieben und getreuen Freundin sitzen, der besten, die er auf der Welt hat, oder besser noch, sie nach Versailles zurückbitten.«

Die kleine Marschallin sollte recht behalten. Nach kaum einer Woche saßen der König und die Marquise in dem prunkvollen Boudoir Jeannes beisammen und blickten heiteren Auges in die verschneite Pracht des Versailler Parkes.

Der König war glücklich, der Gefahr so leichten Kaufs entronnen zu sein.

Jeannes Hand in der seinen, fragte er in beinahe zärtlichem Ton, nach langer Zeit wieder einmal in das trauliche Du fallend:

»Und wenn es anders gekommen wäre, wenn der Stahl des Mörders mich tödlich getroffen hätte, wie dann, Jeanne ? Hättest du dich des Versprechens erinnert, mich den dunklen Weg nicht allein gehen zu lassen, mit mir zu sterben?«

Jeanne drückte die Hand, die in der ihren lag.

»Es hätte keines besonderen Entschlusses bedurft, Sire. Ich wäre schon aus Gram gestorben. Ich war schon jetzt nicht weit davon.«

Louis zog galant die schöne Hand an seine Lippen.

»Ich weiß, wenn auf irgend jemand in der Welt, kann ich mich auf Sie vorlassen, Jeanne.« »Und Machault?«

Der König runzelte die Stirn.

»Er ist seit gestern entlassen.«

Die Augen der Marquise leuchteten auf.

»Und d'Argenson?«

Der König schwieg. – – –

Wenige Wochen später war auch der siegesgewisse d'Argenson seinem Geschick verfallen, er, der gewähnt hatte, nach dem Sturz Machaults dem König unentbehrlich zu sein.

Ein letzter erbitterter Streit zwischen dem Kriegsminister und der Marquise hatte den Ausschlag gegeben.

Eine Woche nach dem Attentat hatte Jeanne den Polizeiminister zu sich gebeten und ihn ersucht, in den Papieren, die er dem König vorlegen werde, das Attentat selbst so wenig als irgend möglich zu erwähnen, da dem König jede Erinnerung daran die peinlichsten Aufregungen bereite. Der Polizeiminister hatte das Versprechen gegeben, sich nach den Wünschen der Frau Marquise zu richten.

d'Argenson schäumte vor Wut über diese neue Einmischung der Pompadour. Er war kühn genug, ihr dieselbe einfach zu untersagen.

Jeanne, diesmal ihrer Sache gewiß, warf ihm ohne weiteres den Fehdehandschuh hin.

Sie schrieb ihm:

»Seit lange kenne ich Ihre feindlichen Dispositionen gegen mich, ich sehe wohl, daß nichts imstande ist, sie zu ändern.

– – – Wie alles das werden wird, weiß ich nicht, aber gewiß ist, daß Sie oder ich vom Schauplatz verschwinden müssen.«

Zwei Tage später erhielt der Minister, der das Leben der Marquise durch so viele Jahre mit seinen unausgesetzten Intrigen beschwert hatte, seine Entlassung mit dem strikten Befehl des Monarchen, sich auf seine Güter in Ormes zurückzuziehen.

Jeanne atmete auf. D'Argensons Abschied, dem die Verbannung der d'Estrades auf dem Fuß folgte, befreite sie von ihren erbittertsten Gegnern.

Vom Kriegsschauplatz waren endlich bedeutsame Nachrichten gekommen. Für Jeannes Ungeduld hatte der Marschall d'Estrées bisher viel zu langsam und vorsichtig operiert. Erst im Hochsommer kehrte er als Sieger von Hastenbeck nach Paris zurück.

D'Estrées, der wie die meisten Einsichtigen keinen Segen in dieser Hilfsbereitschaft für Österreich sah, sträubte sich keinen Augenblick, das Oberkommando auf Betreiben der Pompadour an Richelieu abzugeben, der siegreich aus dem Mittelmeer zurückgekommen, nachdem er den Engländern Minorka genommen hatte.

Die Marquise, die im Grunde ihres Herzens Richelieu längst nicht mehr zu ihren Freunden zählte, hätte Soubise weit lieber an der Spitze des Heeres gesehen. Aber da der Prinz erst Generalleutnant war, fürchtete sie die Unzufriedenheit der rangälteren Offiziere zu erregen, wenn sie Soubise zum Marschall machte.

In Frankreich war man mit der Wahl Richelieus keineswegs einverstanden. Man murrte sehr laut und öffentlich über die Entsetzung des siegreichen d'Estrées, die man der Pompadour in die Schuhe schob. Auch gegen Soubise, den man als Günstling der Pompadour genügsam kannte, und das Kommando, das die Marquise ihm zuerteilte, nahm man energisch Stellung.

Wenige Monate später schon sollte die allgemeine Unzufriedenheit mit der Wahl der Oberkommandierenden ihre traurige Bestätigung finden.

Am 7. November traf bei der Marquise ein verzweifelter Brief des Prinzen von Soubise ein, in dem er ihr die verlorene Schlacht von Roßbach meldete.

Jeanne war empört über den Sieg Preußens, untröstlich über das Unglück Frankreichs, in Tränen aufgelöst über das Schicksal des Prinzen, das sie um so tiefer beklagte, als Soubise nicht den geringsten Versuch machte, die Schuld für diesen schweren Verlust Frankreichs von sich abzuwälzen. Was nun?

Hatte Bernis recht, wenn er behauptete, daß die Fortsetzung des Krieges sich um nichts glücklicher gestalten würde, daß weder Frankreich noch Maria Theresia über Heerführer verfügten, die es mit dem König von Preußen und dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig aufnehmen konnten? Hatte Choiseul recht, wenn er dazu drängte, den Krieg fortzusetzen? Kaunitz, wenn er um eine Erneuerung der Allianz bat?

Ganz Frankreich plädierte für den Frieden. Genug der Schmach an diesem Roßbach! Genug verschleuderter Summen, genug an diesen zehntausend Toten, die allein das Feld von Roßbach deckten. In Versailles und Paris höhnte man Soubise in allen Tonarten.

Auf allen Gassen konnte man die Spottverse hören.

»Soubise dit, la lanterne à la main:
J'ai beau chercher, où diable est mon armée?
Elle étoit la pourtant hier matin.
Me l'a-t-on prise; ou l'aurois-je égarée?
Ah! je perds tout, je suis un étourdi;
Mais attendons au grand jour, à midi.
Que vois-je? ô ciel! que mon âme est ravie!
Prodige heureux, la violà, la violà! ...
Ah, ventrebleu! qu'est-ce donc que cela?
Je me trompois, c'est l'armée ennemie!

Frédéric combattant et d'estoc et de tailie,
Quelqu'un au fort de la bataille
Vint lui dire: Nous avons pris ...
Qui donc? – Le général Soubise
Ah, morbleu! dit le roi, tant pis,
Qu'on le relâche Sans rémise.« – –

Aber trotz aller Drohungen und Schmähschriften; die auch ihr wiederum auf den Arbeitstisch flogen, wollte die Marquise nichts von Frieden hören. Frieden bedeutete ihr das Aufgeben ihres heißesten Ehrgeizes, ihres höchsten Triumphes: des Sieges über den Preußenkönig.

Weshalb sollte sie den unglücklichen Chancen des Augenblickes weichen, ihnen die Hoffnung auf die Zukunft opfern? Weshalb Frankreich um ein Glück bringen, auf das es alle Anwartschaft hatte, das es in so viel anderen Kriegen bewiesen hatte?

Wies die Geschichte nicht Tausende und aber Tausende von Beispielen siegreicher Schlachten auf, die mit einem Schlage alles vorhergegangene Unglück wettmachten?

War nicht der verhaßte Sieger des Tages, Friedrich II., selbst ein lebendiges Beispiel dafür, was Hartnäckigkeit und Ausdauer zu erreichen vermochten? Ohne sich erst mit dem König zu beraten, ohne Wissen Bernis', bei dem sie nur auf Widerstand gestoßen wäre, schrieb die Marquise an Kaunitz:

– – – »Ich hasse den Sieger, mehr denn je. – – – Treffen wir gute Maßnahmen, vernichten wir den Attila des Nordens, und Sie werden mich ebenso zufrieden sehen, wie ich jetzt schlecht gestimmt bin.– – –«

Vergebens bäumte sich der Dauphin gegen die Fortsetzung des Krieges auf. Er verabscheute die Politik Choiseuls, den er als treuesten Verbündeten der Pompadour, als erbittertsten Gegner der Jesuiten kennen gelernt hatte.

Maria Josepha, die der Fürsprache der Marquise ihre Ehe mit dem Dauphin dankte, die bei ihrem Einzug in Frankreich der mächtigen Geliebten des Königs so liebenswürdig gehuldigt hatte, erzürnte sich am lautesten gegen die Kriegsmanie der Pompadour und ihre unglückliche Hand bei der Wahl der Heerführer.

»Mag die Marquise Generalpächter ernennen,« rief die Dauphine in leidenschaftlicher Erregung, »aber sie soll die Hände davonlassen, wenn es Generale für die Armee zu ernennen gilt.«

Der König war tief bedrückt. Bleich, finster, wortkarg schritt er einher.

Jeanne hatte am meisten unter seiner Stimmung zu leiden. Er stand nicht gegen sie, aber er zitterte vor der Verantwortung, die zu schwer für seine schwachen Schultern war. Stundenlang konnte er bei ihr sitzen, ohne ein Wort zu sprechen. Düster starrte er vor sich hin, in wirrem Chaos trübe Gedanken wälzend.

Selten nur sprach er sich aus. Eines Tages erschien er scheinbar angeregter als während der letzten Wochen.

Jeanne benutzte die Gelegenheit, ihm Mut einzusprechen.

Vom Kriegsschauplatz waren bessere, wenn auch unkontrollierbare Nachrichten eingegangen.

Louis schüttelte den Kopf.

»Ich glaube nicht mehr daran. Nachdem wir mit allen historischen Traditionen gebrochen, flieht uns das Glück. Die Toten rächen sich dafür, daß wir nicht in ihren Fußtapfen gingen. Unser Landheer wird aufgezehrt, unsere Flotten von den Engländern aufgerieben.«

»Und Minorka?«

»Sie werden es zurückerobern, diese Engländer. Unsere Kolonien werden verloren gehen. Die Arbeit von Jahrzehnten wird vernichtet sein. Die Demoralisation frißt uns auf. Was dann? Was dann?«

Der König legte die Hand über die Augen und seufzte schwer.

Jeanne hatte sich kerzengerade aufgerichtet und einen Blick des Mitleids halb, halb der Verachtung auf den König geworfen.

Des Jammerns müde sagte sie hart:

»Nach uns die Sintflut.«


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