Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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VIII.

Auf dem großen Wege zur Auffahrt von Versailles drängten sich die Menschen. Jeder wollte die neugebackene Marquise sehen, die berühmte Madame d'Étioles, die so rasch die Schlangenhaut ihrer bürgerlichen Existenz abgestreift und in wenig Stunden zu den Großen des Hofes zählen sollte.

Jeder wußte etwas anderes von ihr zu erzählen, etwas anderes über sie zu erfragen.

Eine dicke Bürgerin, die in der Nähe des Hôtel des Chèvres einen Spezereiladen hielt, behauptete, Herr d'Étioles habe seine Frau halb tot geschlagen, was ihm im übrigen nicht zu verdenken sei; aber es habe ihm nichts geholfen, er habe den Prozeß gegen sie doch verloren. Was Wunder, wenn ein König dahinter steckt!

»Sie soll geldgierig und geizig sein,« schrie es in einer erregten Gruppe.

»Man soll den Gatten aufgehetzt haben, sich eine große Summe vom König für sie zahlen zu lassen.«

Eine Faust hob sich drohend. »Sie soll sich hüten, den König und das Land auszusaugen. Sie soll uns kennen lernen.«

»Wahnsinnig soll der König sie lieben, ganz beherrschen soll sie ihn, furchtbar interessant soll es sein,« flüsterte die kokette, kleine Grisette dem jungen Studenten zu, an dessen Arm sie hing. »Wenn sie's, wie man sagt, mit den Philosophen hält, wäre es das schlechteste nicht. Superklug soll sie ja sein, die geborene Poisson.«

»Sie soll die Jesuiten hassen, von Kindheit an.« –

Die Umstehenden lachten und sangen im Rhythmus eines bekannten Gassenhauers: »Poissonnière, Poissonnière, Pois–«

»Pst, pst, wenn euch jemand hörte,« rief warnend ein alter Unterbeamter, dem die Loyalität von Amtswegen im Blute lag.

Die übermütige Bande zog weiter.

Eine Gruppe von Arbeitern murrte.

»Riesensummen und Diamanten für Millionen soll der König ihr und ihrer sauberen Sippe aus Flandern mitgebracht haben.«

»Und wir müssen uns schinden ums trockene Brot. Hol' der Teufel die Weiberwirtschaft! Hat er an der einen nicht genug, die ihm zehn eheliche Kinder geboren?«

»Ta, ta, Pierre, ist das ein Grund? Ich kenne Leute, die nicht der König sind und eine weit weniger häßliche Frau haben als diese Maria Leszinska.«

Herr Pierre wandte sich getroffen ab.

»Vielleicht ist sie gut, diese Pompadour, und hilft den Armen,« beschwichtigte eine sanfte, schmalwangige, hohläugige Frau.

»Die Advokaten rühmen sie«, hieß es in einer anderen Gruppe, »sie soll einen freien, feinen Geist haben.«

Ein junger Mensch, hektisch und verkommen, zuckte die spitzen Schultern.

»Die Leute, die in Gunst sind, haben immer Geist. Eine alte Geschichte.«

Mit einem neuen Reim fiel ein Witzbold ein: »›Étioles, Bestioles!‹ Wie gefällt euch das?«

Man lachte und applaudierte dem plumpen Wortspiel. –

Ebenso wie auf der breiten Zufahrtstraße drängte man sich in den Sälen, Kabinetten, im Oeil de Bœuf und in den Galerien von Versailles.

Jeder wollte Augenzeuge der aufregenden Aktion sein.

Die Medisance schwieg in den Prunkgemächern von Versailles ebensowenig wie auf der Straße.

»Begierig bin ich, wie sie sich verneigt, diese bürgerliche Madame.«

»Zum Lachen wird es sein!«

»Wie die arme Königin sie wohl empfangen wird? Was kann sie ihr nur sagen? Höchstens ein gleichgültiges Wort über ihre Toilette, auf die sie sich versteht. Das muß der Neid ihr lassen.«

»Und der König, was wird er für eine Rolle spielen?«

Im Paradezimmer erzählte man sich, die Rohan solle schäumen.

»Ayen hat sein Spiel gewonnen.«

»Ob der Dauphin sich beherrschen wird? Er soll sie geradezu hassen.«

»Dafür wird der Bischof schon gesorgt haben.«

»Die alte Conti soll nicht eben beglückt sein, daß gerade ihr die Aufgabe zugefallen ist, die d'Étioles einzuführen. Die Prinzessin soll sich in den Tuilerien zur Königin sehr erregt darüber ausgesprochen haben.«

»Ein Gerücht, das wohl mit Vorsicht zu genießen ist, meine liebe Gräfin. Die Prinzessin Conti hat dem König schon betreffs der Mailly manchen Liebesdienst geleistet. Sie weiß auch recht gut, warum. Die königliche Schatulle wird nicht verfehlen, auch diesmal die Contischen Schulden großmütig zu begleichen.«

»Sie sind boshaft, meine Liebe.«

»Aber aufrichtig, chère comtesse.«

»Und die Herzogin von Luynes, diese strenge Sittenrichterin?«

»Sie soll ihre Abreise nach Dampierre verschoben haben.«

»Aus Neugierde, oder aus Mitleid für Ihre Majestät die Königin?«

»Da fragen Sie mich zu viel, meine Beste.«

Plötzlich entstand eine große Stille.

Die kleine Komtesse legte den Zeigefinger auf die geschminkten Lippen. »Pst, ich glaube, sie kommt.«

In das Paradezimmer trat die alte Prinzessin Conti und wandte sich gegen das Kabinett des Königs.

Mit ihr drei Damen. In der Mitte die neue Marquise, ihr zu Seiten die Gräfin la Chau-Montaubon und Frau von d'Estrades, die der König ihr zur Begleitung bestimmt hatte.

»Alle Wetter, schön ist sie, das muß man sagen!«

Die umstehenden Kavaliere waren enthusiasmiert. Sacre! Wuchs und Haltung des jungen Weibes konnten beinahe königlich genannt werden!

»Und wie sie den wundervollen Kopf trägt! Zum Entzücken!«

»Sapristi, das nenn' ich Diamanten!«

»Und die Robe! Drap d'Argent, Gold und Chantillyspitzen! Gut, daß ich sie nicht zu zahlen brauche.«

Nach kurzer Zeit kehrten die vier Damen aus dem Kabinett des Königs zurück. Die erste Sensation war vorüber. Bei der Königin wartete mit der dicht zusammengedrängten Hofgesellschaft der Dauphin und seine junge Gemahlin.

Als die Marquise eintrat, herrschte tiefes, beinahe unheimliches Schweigen. Jeanne klopfte das Herz, aber weder in ihren Zügen noch in ihrer Haltung vermochte man die geringste Erregung wahrzunehmen.

Sie verneigte sich nach dem Zeremoniell und dabei mit vollendeter Grazie vor der Königin.

Alles blickte gespannt, verhielt den Atem, um die Ansprache der Königin nicht zu versäumen.

Man hatte Maria Leszinska in Paris so ungefähr in den Mund gelegt, was sie in ihrer heikeln Lage der Marquise sagen werde, ja müsse: ein paar kalte, konventionelle Worte über die Toilette der Pompadour, die noch exquisiter ausgefallen war, als man es vermutet hatte.

Der Königin mochte zugetragen worden sein, daß man im voraus über ihre Ansprache verfügt hatte. Sie war nicht gewillt, das Echo ihrer Höflinge zu sein. Sie erinnerte sich, daß sie eine liebenswürdige Dame kannte, mit der die Marquise diesen Sommer öfter zusammengekommen sein sollte, und so fragte sie freundlich:

»Wie geht es Frau von Saissac? Ich habe mich sehr gefreut, ihr öfter in Paris zu begegnen. Haben Sie Nachrichten von ihr?«

Zum erstenmal in ihrem Leben geriet Jeanne in Verwirrung, so vollkommen überraschte sie die unerwartete Freundlichkeit Maria Leszinskas. Sie wußte nichts anderes zu erwidern, als die hervorgestammelten Worte:

»Ich habe nur einen Wunsch, Euer Majestät zu gefallen.«

Dann riß sie erregt den Handschuh ab, um den Saum des königlichen Kleides zu küssen. Ihr Armband, das letzte Geschenk ihres Gatten, zerbrach bei der ungestümen Bewegung und rollte auf den Teppich.

Man murmelte ringsum über die seltsame Freundlichkeit der Königin und das noch seltsamere Omen des zerbrochenen Schmuckes.

Der Dauphin dagegen verstieg sich, wie er es sich vorgesetzt, nur zu ein paar eiskalten Worten über die Toilette der Marquise.

Erregt über die ganze Aktion, gereizt durch die unbegreifliche Freundlichkeit seiner Mutter, auf die er nicht gefaßt gewesen war, machte er eine drastisch verächtliche Gebärde mit der Zunge hinter der Marquise her.

Der größte Teil der Hofgesellschaft hatte die Gebärde des Dauphins bemerkt. Aber die wenigsten zollten ihr Beifall. Die Marquise stand nun einmal in allerhöchster Gunst, sie war selbst von der Königin freundlich empfangen worden, damit mußte man rechnen.

In dem üppigen, im Stile Louis XIV. eingerichteten Boudoir, das noch vor kaum einem Jahr von der Châteauroux bewohnt gewesen, ruhte Jeanne von den Aufregungen des Empfanges aus.

Auf einem der blauen, goldfüßigen Engelbetten, dessen Seide im Lauf der Jahrzehnte blaß geworden, lag sie hingestreckt, die Füßchen in den rosa Atlasschuhen gekreuzt, die Hände unter dem lichtbraunen, aufgelösten Haar verschränkt. Glück und Ruhe lagen auf ihrem Gesicht. Sie durfte zufrieden sein mit sich, mit dem, was sie in wenig mehr als einem halben Jahr, seit dem ersten Kuß des Königs erreicht hatte.

Sie ließ die Augen über das Diamantkollier und die blitzenden Ringe, über die Perlenschnüre gleiten, die auf dem kleinen Tisch neben dem Engelbett lagen. Madame du Hausset, die Kammerfrau, die seit gestern den persönlichen Dienst bei ihr versah, hatte den kostbaren Schmuck sorgfältig auf Samt und Seide zurückgebettet. Zwischen den Juwelen hatte die köstliche Rosenfülle Platz gefunden, die der König ihr vor dem Empfang geschickt hatte.

Die Lippen der jungen Marquise lächelten. Wahrhaftig, Louis XV., dem man im allgemeinen nicht nachsagen konnte, daß er seine Maitressen übermäßig mit Geschenken verwöhnt habe, hatte ihr gegenüber nicht gekargt.

Jeanne öffnete das lang herabfallende, weiße Hauskleid aus feinster Lyoner Seide über der Brust, unter dem blaßblauen Schleifengürtel.

Auf der schneeigen Haut ihres schönen Körpers lag eine blonde Locke mit rosa Seidenfäden umwunden. Sie ergriff das seidenweiche Haar und preßte es an die Lippen. Mit sanfter Liebkosung fuhr ihre Hand darüber hin.

So ganz versunken war sie in diese zärtliche Tändelei, daß sie nichts davon bemerkt hatte, wie die Tür zum Boudoir sich leise öffnete. Schreckhaft fuhr sie zusammen, als eine Hand über die ihre griff und ihr die Locke zu entwinden suchte. Sie wollte aufspringen. Der König hielt sie zurück. »Bleib!« sagte er herrisch. »Wessen Haar liebkosest du da so zärtlich? Sprich, aber ich rate dir, lüge nicht!«

Die Eifersucht lohte aus ihm.

Jeanne war zurückgesunken und sah dem König lächelnd ins Gesicht.

»Eine Locke meines Kindes, meiner kleinen Alexandra, Sire. Ich habe sie heute in der feierlichen Stunde auf der Brust getragen, damit sie mir Glück bringen sollte.«

Der König war sofort entwaffnet. Er sank neben ihrem Lager in die Knie und küßte sie auf die Stelle, auf der die Locke des Kindes geruht hatte.

»Glückliche Locke,« flüsterte er, »könnte ich an deiner Stelle sein!«

Jeanne erhob sich und zog den König neben sich. Sie schloß lächelnd das Kleid über der blaßblauen Gürtelschleife und befestigte eine von des Königs Rosen zwischen der schimmernden Seide.

»So, Sire, nun bin ich wieder einigermaßen hoffähig, meinen Herrn und Gebieter zu empfangen.«

Er hatte eine Strähne ihres aufgelösten, seidenfeinen Haares um seine Hand gewickelt. Er zog das schöne Weib ganz dicht zu sich heran und flüsterte ihm einen frivolen Scherz ins Ohr.

»Aber im Ernst, Jeanne, du warst heute in bewundernswertestem Maße hoffähig. Waren Bernis und Gontaut so treffliche Lehrmeister, oder hat die kleine Madame d'Étioles soviel Grazie und Vornehmheit schon mit auf die Welt gebracht?«

»Das zu entscheiden überlasse ich Euer Majestät.« Ihre Nixenaugen lachten kokett in die seinen.

»Warte, du Hexe du!« Er küßte sie heiß. Dann dehnte und reckte er sich. »Ach wie gut das tut, das langweilige Zeremoniell los zu sein! Übrigens hast du, wie ich höre, sogar vor Maria Leszinska in Gnaden bestanden.«

»Ihre Majestät waren sehr gütig gegen mich.«

»Die Königin ist im Grunde eine gutmütige Person. Sie tut wenigstens alles, um mir zu gefallen, immer noch. Wenn sie nur nicht so tödlich langweilig wäre! Und ihre religiösen Gefühle. Brr! Wer daran rührt, hat verspielt.«

Jeanne dachte bei sich, daß sie nicht die Frau sei, eine solche Torheit zu begehen.

Des Königs Stirn hatte sich umwölkt.

»Desto unflätiger soll sich der Dauphin gegen dich betragen haben. Es hat dem Herzog von Luynes nichts genützt, das Benehmen meines Sohnes bei mir beschönigen zu wollen. Er hat zu viele Zeugen für seine Unanständigkeit gehabt. Ich werde dem Dauphin eine exemplarische Strafe diktieren.«

»Nicht doch, Sire, wollen Sie die Königin aufs neue betrüben?«

Louis war aufgesprungen und hörte nicht auf sie. Erregt und zornig lief er hin und her.

»Das fehlte! Eine Frau, die ich liebe, ungestraft beleidigen dürfen. Er soll sich's merken, gleich das erstemal, daß ich unbedingte Achtung für jede Person, die es mir beliebt bei Hofe einzuführen, von ihm fordere. Unbedingte Achtung! Er wird auf einige Zeit Paris und Versailles zu meiden haben. Ich werde ihn nach Meudon schicken!«

»Oh, Sire, und die kleine Dauphine, die ihren Mann so abgöttisch liebt!«

»Eine kurze Trennung wird ihrer Liebe keinen Abbruch tun. Haben wir uns nicht viel länger trennen müssen, meine Jeanne? Wenn du wüßtest, wie ich mich nach dir gesehnt! Wie brennend ich dich vermißt habe!«

»Und die Kriegslorbeeren, Sire?«

»Hätte ich sie nicht mit Rosen durchflechten können? Hättest du mir die Nächte nach den harten Tagen nicht süß machen können?«

Er sah sie mit trunkenen Augen an. Wie verführerisch schön sie war mit dem gelösten Haar, dem weißen, weichen Gewand, unter dem jede Form des zarten, weißen Körpers ihm entgegenblühte.

»Jeanne, Jeanne!« und er erstickte sie mit seinen Küssen.


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