Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XXIV.

Der Ankauf des Hôtels d'Évreux, rue du faubourg Saint-Honoré, hatte einen neuen Sturm gegen die Pompadour heraufbeschworen.

Man wußte, daß sie tief in Schulden steckte, daß die Jahresrente, die ihr der König ausgesetzt hatte, seine reichen Geldgeschenke längst nicht ausreichten, ihren Luxus zu bestreiten. Man wußte auch, daß der Ankauf dieses neuen Hauses, welches der Pompadour immerhin nur ein Pariser Absteigequartier bedeutete, 73 000 Livres gekostet, daß sie es überdies vom Keller bis zum Dachgeschoß hatte neu und überaus kostbar einrichten lassen. Fiel dem König, und was dasselbe bedeutete, dem Staat auch diese neue Last wieder zu?

In immer neuen Schmähschriften warf man der Marquise die Verhöhnung der allgemeinen Not vor. Man beschimpfte sie, wo immer man ihrer habhaft werden konnte. Nach der ersten Nacht, die sie im Hôtel d'Évreux zugebracht, fand sie an der Ostwand ihres neuen Hauses einen Zettel mit der obszönen Inschrift:

»AEdes reginae meretricum

Das war zuviel! Wahrlich zuviel!

Was nützte es ihr, daß sie nicht mehr des Königs Geliebte war, daß ihre Beziehungen zu der Königin, den Prinzessinnen, der Dauphine die besten waren, daß sie die Töchter dem Herzen des Vaters wieder nähergebracht, seit sie das Liebesnest unter dem Dache von Versailles verlassen hatte, wenn der allgemeinen Hetze gegen sie nicht Einhalt getan werden konnte? Wußte sie, ob nicht am Ende weniger das Volk als die Kirche hinter diesen neuerlichen Schmähungen steckte? Sollte sie darauf warten, daß die Geistlichkeit sich aufs neue öffentlich gegen sie erhob, ein zweites Mal dem König von ihr loszureißen trachtete?

Nein, sie wollte der Kirche keine Zeit zu einem zweiten Angriff lassen.

Unvergessen waren die schwarzen Schrecken jener Tage, da sie den König schon verloren zu haben glaubte.

Einen einzigen Weg gab es, der ihr Sicherheit bot, ein einziges Ziel, das ihr Ruhe verhieß: Der Weg hieß Versöhnung mit der Kirche, das Ziel eine Stellung am Hof der Königin.

Als Palastdame Maria Leszinskas würde der feindliche Ansturm gegen sie schweigen. –

Die Komödie, sich der Königin als reuige Sünderin zu nahen, hätte sie sich gern geschenkt, aber sie wußte, nur die Priester konnten ihr die Bahn zu einer Vertrauensstellung bei der Königin freimachen.

Mit eiserner Konsequenz, mit unbeugsamer Willenskraft machte Jeanne sich an ihre neue Aufgabe.

Jeanne hatte Père de Sacy, einen leicht zugänglichen Jesuitenpriester von milder Denkart, für ihre »Bekehrung« ausersehen.

Sie zweifelte nicht, daß dieser Mann, bekannt für seine Nachsicht mit den Sünden und Schwächen der Zeit, ihr ohne Schwierigkeit die Absolution erteilen würde.

Der gute Pater enttäuschte Jeanne.

Zwar erfüllte er in bezug auf eine milde, nachsichtige Beurteilung, auf eine große Geschicklichkeit, die Dinge dieser Welt mit den Anforderungen des Himmels unter einen Hut zu bringen, all ihre Erwartungen. Dafür aber war seine Methode umständlich und langweilig.

Jeanne wurde ungeduldig. Sie erklärte ihrem Beichtiger kurz und bündig, daß sie den Segen der Kirche brauche, um ein ihr und dem König erwünschtes Amt bei der Königin zu erlangen.

Père de Sacy wurde verlegen. Sehr allmählich erst kam er zu einem peinlichen Punkt, der ihm offenbar schon lange auf der Seele gelegen hatte: er eröffnete seinem zornigen Beichtkind, daß an eine Absolution nicht zu denken sei, ehe die Marquise sich nicht mit ihrem Gatten ausgesöhnt, nicht reuig zu ihm zurückgekehrt sei, und zwar müsse sie selbst die Verzeihung Herrn d'Étioles erbitten.

Jeanne stutzte. An diese Bedingung hatte sie allerdings nicht gedacht. Was dann, wenn Charles sie noch immer liebte, ihre Annäherung nicht für eine leere Form, sondern für eine Sache des Herzens hielt?

Père de Sacy erbot sich, der Marquise den schwierigen Brief aufzusetzen.

»Meinetwegen!« gab sie kurz zurück und eilte davon.

Während der schwerfällige Priester sich mit der Abfassung des ehelichen Reuebriefes abmühte, war Jeanne längst ein erlösender Gedanke gekommen. Noch ehe Père de Sacy mit seiner Aufgabe zu Ende war, stand der Prinz von Soubise, einer der ergebensten Freunde der Marquise, bereits vor Charles Guillaume d'Étioles und teilte ihm mit, daß er nächsten Tages einen Brief der Madame Pompadour erhalten werde, in dem sie seine Verzeihung erbitten und den Wunsch, zu ihm zurückkehren, äußern würde.

Mit väterlicher Geste legte der Prinz dem verdutzten Ehemann die Hand auf die Schulter.

»Mein lieber Herr d'Étioles,« in der Stimme des Prinzen lag eine ziemlich deutliche Warnung, »ich möchte Ihren Entschlüssen keineswegs vorgreifen, noch Ihren Willen beschränken, aber ich möchte Ihnen in aller Freundschaft den guten Rat geben, das Anerbieten der Frau Marquise zurückzuweisen. Sie dürften im gegenteiligen Fall den König schwer erzürnen.«

Gleichzeitig überreichte der Prinz einen Brief Machaults ähnlichen Inhalts, den die Marquise ihm aus Vorsicht mitgegeben hatte.

D'Etioles, der seit der Begegnung mit Jeanne am Totenbette Alexandras der einst so heiß geliebten, lange zurückersehnten Frau nur noch mit bitterer Verachtung gedachte, hätte auch ohne die Vorsichtsmaßregeln seiner Gattin einen Annäherungsversuch abschlägig beschieden.

Er hatte sich in sein Schicksal gefunden und trug es mit einer Art stumpfer Gleichgültigkeit, aus der nichts und niemand ihn mehr herausreißen konnte.

Die offiziöse Mitteilung des Prinzen verursachte ihm nicht den geringsten Seelenkampf. Gleich nach Eingang des angekündigten Briefes beeilte er sich, »Madame de Pompadour« in den respektvollsten Ausdrücken mitzuteilen, daß er ihr von ganzem Herzen verzeihe, aber nicht daran denken könne, sie wieder bei sich aufzunehmen.

Mit der Waffe dieser heißersehnten Antwort in der Hand machte Jeanne sich daran, ihren letzten und größten Trumpf auszuspielen.

Die Jesuiten, die ohne eine Wiedervereinigung mit d'Etioles ihr niemals Absolution erteilen würden, konnten ihr, wie die Dinge lagen, nichts mehr nützen. Was hinderte sie, endlich einen Racheplan auszuführen, den sie seit lange gehegt?

Die Stunde war gekommen, das Schreiben an den heiligen Vater aufzusetzen, das sie seit Jahren in ihren Gedanken bewegte. Ein Schreiben, in welchem sie die Jesuiten für die Ausschweifungen des Königs verantwortlich machte und sich selbst von allen Sünden rein wusch. Jeanne machte sich ohne Besinnen ans Werk.

Sie schrieb:

»Anfang 1752 wurde ich durch Gründe, über die es unnütz wäre, Rechenschaft zu geben, bestimmt, dem König nur noch Gefühle der Dankbarkeit und der reinsten Zuneigung zu widmen, und ich erklärte dies Seiner Majestät. Zugleich bat ich Seine Majestät, die Gelehrten der Sorbonne zu befragen und seinem Beichtiger zu schreiben, daß dieser noch andere befragen möchte, damit ein Mittel gefunden werde, mich, weil er das wünschte, in der Nähe seiner Person zu belassen, ohne daß ich dem Verdacht einer Schwäche, die ich nicht mehr hatte, ausgesetzt wäre. Der König, in Kenntnis meines Charakters, wußte, daß er von meiner Seite nie wieder etwas zu hoffen hatte, und willigte in meine Wünsche ein. Er ließ die Gelehrten befragen und schrieb an Pater Perussau, der ihm eine vollständige Trennung befahl. Der König antwortete ihm, er sei durchaus nicht in der Lage, darauf einzugehen; nicht um seinetwillen wünsche er ein Arrangement, das dem Publikum keinen Verdacht mehr lasse, sondern zu meiner eigenen Genugtuung; ich sei ihm zum Glücke seines Lebens und zum Gedeihen seiner Angelegenheiten nötig; ich sei die einzige, die es wage, ihm die den Königen so nützliche Wahrheit zu sagen usw. Der gute Pater hoffte, jetzt könne er sich zum Herrn über den Geist des Königs machen, und wiederholte täglich dasselbe. Die Gelehrten schickten Antworten, nach denen ein Arrangement möglich gewesen wäre, wenn die Jesuiten zugestimmt hätten. – – –«

Im Verlauf des weiteren Schreibens teilte die Marquise Seiner Heiligkeit dem Papst Benedikt XIV. mit, daß die Dinge durch einige Jahre so ihren Lauf genommen hätten, daß sie sich selbst vor wenigen Monaten im Gefühl aufrichtiger Reue und Sehnsucht nach Bekehrung an den Père de Sacy gewandt habe, daß sie seinem ausdrücklichen Wunsch, eine Versöhnung mit ihrem Gatten anzubahnen, gefolgt sei, dieser Versuch aber von Herrn d'Étioles abschlägig beschieden worden sei. Sie schilderte in beredten Worten ihre und des Königs vergebliche Bemühungen, an die Herzen der Jesuiten zu klopfen, und wie man sie überall abschlägig beschieden habe. Der König, der keinen lebhafteren Wunsch hatte, als seine christlichen Pflichten zu erfüllen, wurde jeder Möglichkeit dazu beraubt und fiel nach und nach in dieselben Irrtümer zurück, aus denen es ein leichtes gewesen wäre, ihn zu befreien. –

Die Marquise wartete ungeduldig auf eine Antwort aus Rom, die niemals kam. Sie tröstete sich schließlich mit der Genugtuung, daß der Papst wenigstens durch sie erfahren habe, wie es in Frankreich um den unheilvollen Einfluß der Jesuiten bestellt war.

Von ihrem ehrgeizigen Plan, in die unmittelbare Nähe der Königin zu gelangen – die Prinzessin Conti hatte ihr versprochen, die Königin vorzubereiten – gab Jeanne kein Jota auf.

Es galt jetzt auf eigene Hand, ohne die Unterstützung der Kirche, zu handeln.

Sie besprach mit dem König jeden einzelnen Schachzug ihres beabsichtigten Spieles.

»Versuche Maria Leszinskas Herz zu rühren,« riet der König mit leichtem Spott, »du kommst jedenfalls weiter damit, als wenn du an ihren Verstand appellierst.«

»Wird Ihre Majestät über ihre religiösen Skrupel fortkommen?«

Louis zuckte die Achseln.

»Das wird auf die Geschicklichkeit ankommen, mit der du deine Sache führst; am Ende bin ich auch noch da.«

Jeanne war nicht ganz so siegesgewiß wie bei früheren Operationen. Sie kämpfte leichter und lieber mit den bewährten Waffen ihres klugen Kopfes als mit den problematischen ihres Herzens. Immerhin machte sie sich kampfbereit.

Mit dem Brief ihres Gatten in der Hand eilte sie nach Fontainebleau.

Unter Tränen versicherte sie die Königin ihrer tiefsten Reue.

»Ich habe gesündigt, Euer Majestät, niemand weiß es besser als ich. Aber ich war zu jeder Buße bereit. Ist es meine Schuld, daß mein Gatte taub für meine Tränen, meine Bitten blieb? Daß er seine Tür vor mir verschloß! Ist es meine Schuld, daß die Kirche sich meiner nicht erbarmen will? Sich das Ohr verstopft vor dem Schrei meiner Buße!«

Sie hatte sich der Königin zu Füßen geworfen und küßte den Saum ihres Kleides.

»Nur ein Wort, Majestät, daß Sie an meine Reue glauben!«

Der gutmütigen Königin standen die Tränen in den Augen. War es nicht eines der vornehmsten Gebote der christlichen Religion, dem reuigen Sünder zu vergeben?

»Stehen Sie auf, Marquise, ich bitte Sie darum – ich – ich glaube an Ihre Reue!« Jeanne war lebhaft emporgeschnellt.

»Und Euer Majestät erfüllen meinen heißen Wunsch, den die Prinzessin Conti Euer Majestät schon angedeutet haben?«

Maria Leszinska hatte sich abgewandt. Verlegen nestelte sie an den Spitzen ihres dunklen schleppenden Kleides. Ihre Haltung war zurückhaltend; ihre Stimme kalt geworden, als sie nach einer langen drückenden Pause sagte:

»Das, Frau Marquise, will überlegt sein.«

Jeanne begriff, daß sie für den Augenblick nicht eben gnädig entlassen sei. Aber sie gab das Spiel nicht auf. Noch hatte der König nicht gesprochen.

Am späten Nachmittag, zu einer Stunde, da Louis der Königin seit Jahren nicht mehr die Freude seines Besuches gemacht hatte, trat er in die Gemächer Maria Leszinskas. Sie schrak erfreut zusammen und schickte Moncrif, der ihr Corneille vorgelesen, aus dem Zimmer.

Louis küßte ihr artig die Hand und sprach ein paar nichtssagende Worte. Dann kam er auf die Angelegenheit der Pompadour.

Maria Leszinska erschrak. Wollte er wirklich auch diese Sache der Marquise führen?

Gegen jede Gewohnheit ereiferte sie sich heftig.

»Das nicht, nur das nicht! Euer Majestät können befehlen – es ist meine Pflicht zu gehorchen. Aber im Interesse der gesamten königlichen Familie beschwöre ich Euer Majestät, davon abzusehen, einer Exkommunizierten, einer geschiedenen Frau den Platz an meiner Seite geben zu wollen!«

Louis seufzte. Würde er denn niemals zur Ruhe kommen? Am liebsten hätte er der aufgeregten Königin den Rücken gewandt und wäre seines Weges gegangen.

Diesmal aber wollte er standhalten. Er war es sich selbst und der Marquise schuldig. Wie stets, war ihre Auffassung der Lage die richtige: Als Palastdame der Königin würde man ihm und ihr mehr Duldsamkeit entgegenbringen. Ein Teil der Hasser und Schmäher wenigstens würde verstummen.

Louis sprach auf die Königin ein. Er stellte ihr vor, wie schwer die Marquise gerungen, auf wie harten, ungerechten Widerstand sie von allen Seiten gestoßen sei. Er brachte Maria Leszinska wirklich zu dem ehrlichen Vorsatz, den guten Willen in die Tat umzusetzen.

Drei Tage später hatte Jeanne ihre Ernennung zur Palastdame der Königin in der Hand.

Maria Leszinska aber sprach zu ihren Getreuen mit Tränen in den Augen und in der gebrochenen Stimme:

»Meine Lieben, ich habe einen König im Himmel, der mir die Kraft gibt, Unrecht zu leiden, und einen König auf Erden, dem ich stets gehorsam sein werde.« – – –

Wenige Tage nach diesem unvergleichlichen Triumph wurde die frohe Stimmung der Marquise aufs neue herabgedämpft. Pâris-Duverney und Bruder Abel teilten ihr mit, daß der weit vorgeschrittene Bau der »École militaire« mangelnder Mittel halber unterbrochen, möglichenfalls ganz eingestellt werden müsse.

Jeanne wäre nicht die Marquise von Pompadour gewesen, wenn sie sich bei einer Hiobspost beruhigt hätte, die eines ihrer Lieblingsprojekte bis in den Lebensnerv traf. Ohne den König zu fragen, schrieb sie, nachdem sie Gabriel in gleichem Sinn verständigt, im ersten warmen Impuls einen Brief an ihren alten Freund Duverney, dessen Inhalt der »École militaire« frischen Atem einblies.

»Unter keiner Bedingung, mein lieber Nigaud,Ein Kosename – wörtlich Schafskopf – mit dem die Pompadour Pâris-Duverney mit Vorliebe anzureden pflegte. werde ich kurz vor dem Hafen ein Etablissement scheitern lassen, das den König unsterblich machen, seinen edlen Sinn beglücken und der Nachwelt meine Anhänglichkeit für den Staat und die Person Seiner Majestät bezeugen soll. Ich habe Gabriel verständigt, daß er die notwendigen Arbeiter nach Grenelle schicken soll, um die Arbeiten zu Ende zu führen. Meine diesjährigen Revenuen sind mir noch nicht zugegangen, ich werde sie in ganzer Höhe dafür anwenden, die vierzehntägige Dienstzeit der Handwerker zu bezahlen; ich weiß nicht, ob ich eine Deckung für diese meine Zahlung bekommen werde, aber ich weiß sehr wohl, daß ich mit großer Befriedigung auch hunderttausend Livres für das Glück dieser armen Kinder riskierte. Gute Nacht, cher nigaud, wenn Sie am Dienstag nach Paris kommen können, werde ich mich sehr freuen; wenn nicht, schicken Sie mir Ihren Neffen gegen sechs Uhr.«

Wenige Monate später geleitete d'Argenson in vierzig Fiakern, von der Scharwache mit klingendem Spiel eskortiert, die ersten jungen Pensionäre des Königs zu der neuerrichteten »École militaire«.

Choiseul kam in geheimer Sendung des österreichischen Kabinetts nach Fontainebleau. Er hatte den Kopf mit einer Mission voll, die um das Wohl und Wehe Europas ging.

Den österreichischen Gesandten Starhemberg traf er in bester Laune an.

»Es geht vorwärts, Exzellenz. Ich hoffe mit Bestimmtheit, daß der Vertrag binnen Wochenfrist zustande kommt.«

»Zweifellos nach dem, was ich Ihnen bringe.«

Choiseul zog einen offenen Brief Kaunitz' an Starhemberg aus der Tasche, der klipp und klar bekannt gab, daß man im Kabinett der Kaiserin Maria Theresia aller Zweifel ledig sei und die Marquise von Pompadour dem Prinzen Conti und der Coislin vorziehe.

»Ich bin mit den weitgehendsten Vollmachten an die Marquise ausgerüstet. Es handelt sich jetzt in erster Stelle darum, den König durch die Pompadour zu einer bindenden Erklärung zu bewegen.«

Starhemberg seufzte. »Das dürfte der schwerste Teil unserer Aufgabe sein.«

Choiseul schüttelte lachend den Kopf.

»Es gibt nichts, lieber Graf, was die Pompadour nicht über den König vermöchte! Neben der katholisch-protestantischen Frage spricht in unserer Sache ein starkes persönliches Moment mit, das wir nicht unterschätzen dürfen, ja, das uns vielleicht die größten Garantien bietet: die Eitelkeit der geborenen Poisson, sich eine Kaiserin zu verpflichten. So liegen die Dinge ja doch, wenn wir ehrlich sein wollen.«

Louis XV. war in einer jener Stimmungen, die es ihm nicht leicht machten, Herr seiner hin und her flatternden Gedanken zu werden. Ungeduldig und ein wenig gereizt, unterbrach der König ihre glühende Beredsamkeit.

»Wenn ich nur wüßte, Marquise, aus welchen Gründen Sie sich so leidenschaftlich für diesen Vertrag einsetzen? Nur aus Haß gegen den König von Preußen? Dieser ›Einsiedler von Sanssouci‹, wie er sich zu nennen beliebt, mit seinem Streifchen Land und seiner Handvoll Soldaten gibt doch wahrhaftig wenig Grund, sich zu echauffieren!«

»Sie vergessen, Sire, daß Maria Theresia im Vertrag von Aix-la-Chapelle gezwungen worden ist, Schlesien an Preußen abzutreten.«

Louis schwieg, wie er immer schwieg, sobald ihm eine erwartete Antwort unbequem wurde.

»Sie wissen, Sire, daß Maria Theresia nicht die Frau ist, an ihren Taten und Aussprüchen deuteln zu lassen. Graf Choiseul hat Ihnen das Wort Ihrer Majestät der Kaiserin wiederholt: ›Wenn jemals ein Krieg zwischen mir und dem König von Preußen ausbrechen sollte, werde ich in alle meine Rechte wieder eintreten oder ich werde mit dem Letzten meines Hauses zugrunde gehen‹.«

Louis rückte unruhig und unbehaglich auf seinem Stuhle hin und her.

»Es ist gegen jede Tradition, daß wir Österreich zu Hilfe kommen. Bedenken Sie das, meine Liebe! Zweihundert Jahre lang haben Frankreich und Österreich in gegenseitigem Haß gelebt. Stets ist es Frankreichs angestrengtes Bemühen gewesen, die anwachsende Kraft Habsburg-Lothringens zu unterdrücken, und jetzt, gerade in diesem Augenblick, wo wir den Kopf mit England voll genug haben –«

Die Marquise war lebhaft aufgesprungen. »Gerade jetzt, Sire! Gerade jetzt, da England und Hannover samt Hessen-Cassel und Hessen-Darmstadt mit Preußen im Bunde sind, gerade jetzt, da die protestantischen Länder sich zu einer Allianz zusammenschließen, durch die der katholischen Kirche eine nicht abzusehende Gefahr droht, sollten Euer Majestät keinen Augenblick zögern, in eine Allianz mit Österreich zu willigen, die zugleich der Schutz der katholischen Kirche ist. Ich beschwöre Sie, bieten Sie dem Vertrag von Westminster, in dem England und Preußen sich zusammenschlössen, ein Paroli! Hinter einem Bunde Frankreichs mit Österreich stehen Rußland, Sachsen und Polen. Zögern Sie nicht, Sire!«

Der König antwortete noch immer nicht. Auch er war aufgestanden und gegen das Fenster getreten. Draußen im Park von Versailles begann der Frühling zu blühen. Louis' düsterblickendes Auge gewahrte nichts von seiner schwellenden Pracht.

Ein einziges peinigendes Gefühl beherrschte sein ganzes Wesen. Ob er wollte oder nicht, er mußte sich's einmal wieder klarmachen, wie sehr diese Frau mit ihrem weitsehenden Blick, ihrem raschen Verstand, ihrem energischen Zugreifen ihm überlegen war.

Jeanne sprach fort.

»Es ist nicht das erste Mal, Sire, daß wir über diesen Punkt sprechen. Verzeihen Majestät, wenn ich daran rühre; die Zeiten sind andere geworden, seit Frau von Châteauroux die Allianz mit Preußen befürwortete. Ihre Majestät die Kaiserin Maria Theresia hat Ihnen durch Kaunitz, Choiseul, Starhemberg oft genug zu bedenken gegeben, daß, wie die Dinge heute liegen, ein Zusammengehen Österreichs und Frankreichs ein Gewinn nicht nur für die Macht der katholischen Kirche, nein, auch für den Frieden Europas bedeute.«

Der König hatte sich umgewendet. Er hatte ihr entgegenhalten wollen, wie gänzlich abweichender Meinung ihr alter Freund Bernis sei; er hatte ihr zum so und so vielten Male den traditionellen Antagonismus der Dynastien Bourbon und Habsburg-Lothringen vor Augen führen wollen, der Anblick des strahlend sieghaften, beredten Weibes entwaffnete ihn. Einer jener seltenen Augenblicke war gekommen, da Louis sich mit Bewußtsein klein vor ihr machte.

Er reichte ihr die Hand und behielt die ihre fest in der seinen.

»Ich bitte die beiden Herren Gesandten und den Minister des Auswärtigen Abbé Bernis um neun Uhr abends zur Audienz.«

Vierzehn Tage später, am 2. Mai 1756, unterschrieben Bernis und Starhemberg den ersten Vertrag von Versailles.

Da Richelieu das Kommando der Expedition gegen Minorka führte, hatte Maria Theresia den Wunsch ausgesprochen, den Prinzen Conti an der Spitze der französischen Hilfsarmee gesetzt zu sehen. Unversöhnlich hatte die Marquise diese Absicht Louis' durchkreuzt.

Sie konnte Conti den Versuch nicht vergessen, die Coislin an ihre Stelle zu rücken.

Statt seiner übernahm der Marschall von d'Estrées das Oberkommando. Dem Prinzen von Soubise, einem der treuesten Anhänger der Pompadour, wurde eine Division unter dem Oberbefehl des Marschalls zuerteilt.

Paris und Versailles nahmen nach dem Abmarsch der Truppen wenig Anteil mehr an dem Franco-Österreichischen Bündnis.

Noch waren keine Schlachten geschlagen, keinerlei aufregende Nachrichten über die Grenzen gekommen. Unbekümmert, zum mindesten sorglos in bezug auf alles, was sich da draußen zwischen Österreich und Preußen begab, gleichgültig gegen die Dinge, die sich auf dem Mittelmeer im Kampfe gegen England abspielten, ging der Pariser seinen gewohnten Beschäftigungen und Vergnügungen nach.

Viel mehr Staub als zukünftige Siege oder Niederlagen wirbelten die inneren Unruhen und Gebresten des Staates auf, die andauernden Kämpfe zwischen Jansenisten und Jesuiten, die stets sich neu wiederholenden Streitigkeiten und Reibereien zwischen König und Parlament.

Schwerere Sorgen als der Krieg bereiteten dem Volke von Frankreich die stetig zunehmende Teuerung, die immer drückendere Last der Steuern.

Der Hunger entfachte immer neue Drohungen gegen den König, der längst nicht mehr der »Vielgeliebte« hieß, und seine »blutsaugerische Maitresse«


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