Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XIII.

In dem großen Vorzimmer zu den Gemächern der Marquise mit seinen Seidenmöbeln, seinen Konsoltischen, auf denen zierliche, mit frischen Blumen gefüllte Körbchen standen, mit seinen Girandolen aus Amarant- und Zedernholz und dem großen Spiegel Louis XIV., drängten die Menschen zur Audienz, während Jeanne ihrem Sekretär einen letzten Brief diktierte.

»So mein lieber Collin, genug für heute. Und nun lassen Sie die Bittsteller hübsch der Reihe nach antreten wie die artigen Kinder und Monsieur Machault soll mir zu Hilfe kommen. Vor allem aber schicken Sie mir Sieur Dagé. Er soll mich während der Audienzen frisieren.« Sie löste ihr wundervolles lichtbraunes Haar, daß es ihr bis über den Gürtel des hellseidenen Morgenkleides fiel. »Um ein Uhr erwarte ich den König.«

Die Petenten kamen und gingen. Offiziere, die um Beförderung baten. Väter und Mütter, die die Freilassung ihrer Söhne aus der Bastille erflehten. Eine junge hübsche Bürgerin, die durch ein Dekret der mächtigen Pompadour ihren treulosen Gatten zurückhaben wollte. Der letzte verarmte Sproß einer alten Grafenfamilie, der um Erlassung der Pacht bat.

Durch die Menschen im Vorzimmer stürzte ein kleines geschniegeltes, parfümiertes, mit Juwelen bedecktes Männchen, Sieur Dagé, der Haarkünstler Seiner Majestät.

Während die Marquise einen vornehmen Jesuiten abfertigte, der in fingierter Unkenntnis der Gesinnungen der Pompadour in der vagen Hoffnung gekommen war, die Marquise würde sich erweichen lassen, ein gutes Wort für den hartbedrängten Orden beim König einzulegen, bearbeitete Sieur Dagé mit seinen heißen Zangen und seinen kleinen geschickten Händen das Haar der Marquise. Er steckte Puffen, er brannte Locken, er befestigte die prachtvolle Haarfülle mit perlengefaßten Kämmen.

Die Marquise bezähmte ihre Lebhaftigkeit und saß in steifer Haltung da. Ab und zu mußte Dagé sich unterbrechen, wenn es Jeanne plötzlich einfiel, eines der Schönheitspflästerchen aus schwarzem gummiertem Taft auf der Wange, der Schläfe oder im linken Mundwinkel zu befestigen.

Nach dem Jesuiten, der seine blühende Rhetorik noch immer umsonst verschwendete, sah sie sich nicht einmal um. Endlich unterbrach sie ihn ungeduldig.

»Sie strengen sich vergebens an, Monsieur. Es zeugt von geringer Kenntnis, daß Sie nicht wissen, wie ich über Ihren Orden denke. Vielleicht auch stellen Sie sich nur unwissend! Heuchelei ist Ihnen allen ja eine treffsichere Waffe. Fragen Sie Monsieur Machault! Er wird Ihnen bestätigen, daß ich eine überzeugte Jansenistin bin.«

Sie wollte noch mehr sagen, aber Machault, der den Übereifer der Marquise fürchtete, wenn es den ihr verhaßten Jesuiten galt, fiel ihr rasch ins Wort.

»Ich kann nur bestätigen, was die Frau Marquise sagt. Ich glaube Monsieur –«

Der Jesuit hatte verstanden.

Mit einem süßlichen Lächeln, das seinen Ingrimm schlecht verbarg, verneigte er sich und verließ das Boudoir der Pompadour.

Jeanne sprang auf, ohne der Weherufe Dagés zu achten, der mit dem heißen Eisen hilflos in der Luft herumfuchtelte.

»Diese Jesuiten, diese Bande! Wenn es in meiner Macht läge, ich fegte sie aus Frankreich heraus wie alten Plunder.«

Machault sah sich ängstlich um. Gott sei Dank, es war niemand im Boudoir als er und der königliche Haarkünstler.

Die Marquise lachte über die Furcht des Großsiegelbewahrers, dem das Herz unter dem Cordonbleu ängstlich klopfte.

Dann setzte sie sich wieder in Positur an den Toilettentisch und meinte übermütig:

»Ich hoffe, Sie sind kein Jesuit, Dagé?«

»Ich habe es nicht nötig, Madame,« gab der kleine Mann schlagfertig zurück, »ich verdiene genug in meinem eigenen Beruf.«

Machault und die Marquise lachten, aber der Kleine jammerte, daß ihm um eines einzigen elendiglichen Jesuiten willen die Eisen kalt geworden seien.

Rasch wurde die große Anzahl der übrigen Petenten abgefertigt.

Einer der letzten war Boucher.

Jeanne streckte ihm die schönen, kostbar beringten Hände entgegen.

»Mein lieber Meister, ich weiß, weshalb Sie kommen! Sie zürnen mir, weil ich Sie mit den Porträtsitzungen schmählich im Stich gelassen habe!«

Mit jugendlicher Lebhaftigkeit zog der Maler die schönen Hände an seine Lippen.

»Ich zürne Ihnen, Marquise, ja, – soweit man imstande ist, einem so wundervollen Weibe zu zürnen. Indes, wenn Sie Besserung geloben –«

»Ich gelobe sie feierlich, lieber Meister. Sobald wir auf dem Lande sind, sobald ich wieder aufatmen kann, bitte ich Sie zu mir.«

»Und unser Unterricht?«

»Den nehmen wir dann gleichzeitig wieder auf. Ich zeige Ihnen meine letzten Gravüren, lasse mich ganz artig von Ihnen dafür ausschelten.«

»Dazu wird es schwerlich kommen bei Ihrer Begabung, Marquise.«

»Doch, lieber Freund. Ich habe noch viel von Ihnen zu lernen.«

Boucher verneigte sich galant.

»Und nun seien Sie mir nicht böse, wenn ich Sie verabschiede. Die Zeit drängt. Ich muß meine Toilette beenden. Der König ist pünktlich auf die Sekunde.«

»Auf Wiedersehn denn.«

Er verbeugte sich mit jugendlicher Elastizität.

Lächelnd blickte die Marquise ihm nach. Sie freute sich auf die Zeit, da sie wieder mit Boucher studieren würde.

Zerfahren, mit seinen Gedanken augenscheinlich ganz wo anders, gereizt und schwermütig zugleich war Louis XV. gekommen und gegangen. Die neuen Lieder Rameaus, die Jeanne ihm zum Klavier gesungen, hatten ihn nicht abgelenkt, so munter sie auch waren. Die Kunstblätter aus Florenz und Madrid, die sie für den König hatte kommen lassen, um ihm neue Anregungen für die von ihr geplante Kunstsammlung zu geben, hatte er gleichgültig mit ein paar nichtssagenden Worten beiseite geschoben.

Ihre Frage nach der Dauphine, die sich zur Freude des ganzen Hofes in gesegneten Umständen befand, hatte er unbeantwortet gelassen.

Bei ihrem drolligen Bericht über das Anliegen des Jesuitenpaters war er ungeduldig geworden.

»Sie hätten ihn zu meinem Sohn schicken sollen,« meinte er gereizt. »Da hätte er ein willigeres Ohr gefunden.«

Lange vor der gewohnten Zeit hatte der König sie mit einem flüchtigen Kuß verlassen.

Jeanne saß und grübelte. Sollte ihn der Abschied Maurepas' nachträglich gereuen? Sollte er ihr heimlich dafür grollen?

Nein, das konnte es nicht sein. Erst gestern hatte er sie beauftragt, der Königin bei dem regelmäßigen täglichen Besuch, den sie Maria Leszinska auf Wunsch des Königs machte, mitzuteilen, daß der entlassene Minister Seiner Majestät große Ärgernisse bereitet habe und er nicht wünsche, daß des weiteren von ihm die Rede sei.

Plötzlich stockte ihr rasches Denken. Ein würgendes Gefühl schnürte ihr die Kehle, als sie sich erinnerte, daß sie gestern nacht fast reglos in den Armen des Königs gelegen hatte, während er von einer Ekstase in die andere gefallen war!

Gott im Himmel, was sollte werden, wenn sich diese Zustände öfters wiederholten! Wenn ihr zarter Körper sich seinen immer noch gesteigerten Liebeswünschen nicht gewachsen zeigte!

Eine eisige Angst kroch ihr zum Herzen. Sie kannte den König besser als irgend jemand. Wenn es ihr öfter geschah, daß sie kalt blieb in seinen Armen – furchtbar konnten die Folgen sein.

Mit klammernden Fingern griff die Eifersucht an ihr Herz.

Sie liebte ihn auf ihre Art, diesen schönen melancholischen Mann, der sie in seine Leidenschaft hüllte wie in einen purpurnen Mantel. Der niemals schweigende Wunsch, ihn zu beherrschen, schloß ihre aufrichtige Neigung zu ihm nicht aus.

Sie liebte ihn schon aus dem Grunde, weil sie ihm unentbehrlich war. Würde sie es bleiben, wenn der Rausch der Leidenschaft einmal verflogen war? War das geistige und herzliche Band schon so fest zwischen ihnen, daß es der Sinnesglut entbehren könnte? Oder würde es kommen, wie es gekommen war, bevor sie des Königs Herz besessen? Würde er sich einer anderen Frau zuwenden? Würde sie gleich den anderen vor ihr zu der elenden Rolle der verlassenen Geliebten verurteilt sein?

So schwer es sie ankam, so ungeheuere, von niemand gekannte geistige und körperliche Anstrengungen es sie kostete, des Königs wandelbares Wesen, das heute voll Leben und Heiterkeit, morgen von Todessehnsucht erfüllt war, immer neu zu fesseln, sie durfte nicht rasten noch ruhen. Sie mußte trachten, ihn fester, unlöslicher noch an sich zu binden; sie mußte mit ihrer niemals müden Phantasie ihn jede Stunde sich neu zu gewinnen suchen.

Sie mußte ihren Körper stärken, kräftigen, widerstandsfähiger machen.

Sie mußte den König so ganz beherrschen, daß jede Möglichkeit eines Verlustes ausgeschlossen war.

Einen Augenblick dachte Jeanne daran, Quesnay zu befragen. Dann verwarf sie den Gedanken sofort.

Quesnay würde mit der Hausset sprechen, die Hausset würde sich mit ihrem Rat, schlimmer noch mit gutgemeintem Mitleid einmischen.

Sie würden ihr Schonung anraten, und das gerade war das letzte, was sie brauchen konnte.

Wenn ihre Mutter noch gelebt hätte, Madeleine Poisson hätte Rat gewußt! Vor ihr hätte sie sich ihrer Schwäche nicht zu schämen brauchen.

Und plötzlich erinnerte sich Jeanne, wie sie die Mutter, wenn sie zu den Ferien aus dem Kloster nach Haus gekommen, öfter über alten Schriften gefunden, die sie eingeschlossen und versteckt hatte, sobald Jeanne das Zimmer betrat.

Einmal aber hatte sie einen der alten vergilbten Bände vergessen auf dem Tisch gefunden.

Neugierig hatte sie hineingesehen und war nicht wieder davon losgekommen.

Mit heißen Wangen hatte sie gelesen. Was es doch für seltsame Dinge auf der Welt gab! Liebestränke und Reizungen, die erschlafften Sinne neu zu beleben! Ratschläge, bei denen es einen kalt und heiß zugleich überlief! Wo diese alten Bände wohl hingeraten waren? Ob sie noch im Hôtel des Chèvres wohlverwahrt im Sterbezimmer der Mutter lagen, das all ihre Eigentümer barg ?

Langsam, schwer löste sich Jeanne von den Gedanken an die vergilbten Bände. Mit ihrer starken Willenskraft jagte sie sie davon wie Nachtgespenster. Noch wollte sie auf ihre Jugend und den Frühling vertrauen, noch auf den ihr vom König versprochenen stillen Landaufenthalt.

Wirklich scheuchte er alle Sorgen aus ihrem Herzen. Er kam in Gestalt eines wahrhaft königlichen Geschenkes, des Schlosses und Landgutes Crécy bei Dreux unweit Versailles, mit dem Louis die Geliebte vor seiner Abreise nach Flandern überraschte.

Jeanne war überglücklich im Besitz eines eigenen Heims von hohem Wert und außerordentlicher architektonischer und landschaftlicher Schönheit.

Sie nahm den zärtlichsten Abschied vom König, als er sich Anfang Mai, diesmal ohne den Dauphin, zur Armee begab. Sie versprach ihm, sich zu schonen, sich gesund und kräftig für ihn zu machen.

In blühenden Farben malte sie ihm das Wiedersehen auf ihrem Schlosse aus. – – –

Während der Abwesenheit des Königs im Felde hatte die Marquise nur Sinn für den noch nicht ganz vollendeten Ausbau, für die Verschönerung von Crécy, für die Organisierung eines vollständigen Hofstaates, den sie aus 57 Personen zusammensetzte. Allein für die Gehälter hatte der König ihr die Jahressumme von 42492 Livres bewilligt.

Sie hielt lange Konferenzen mit Monsieur d'Isle, dem die Vollendung des Baues übergeben war.

Sie zog Onkel Tournehem als oberste Instanz hinzu und hatte immer neue Wünsche, immer neue phantastische Einfälle, die den Baumeister mehr beglückten als Herrn Le Normant, der für die Kosten verantwortlich war.

Desgot war die Renovierung des Schloßparkes übergeben worden. Jeanne betrachtete und kritisierte täglich seine Anordnungen, die zumeist in der Bemerkung gipfelten: »Le Nôtre würde das anders gemacht haben!« Wo war die Kultur Louis XIV., dessen künstlerische Schöpfungen, dessen großzügige industrielle und Wohlfahrtseinrichtungen ihr Ideal und Maßstab zugleich waren! Sie wartete nur auf eine gute Stunde, um dem König eine Reihe von Vorschlägen zu machen, mit denen er dem Beispiel des Sonnenkönigs nahekommen könnte. Die Geschichte sollte dereinst Kulturtaten von Wert und Dauer neben den Kriegsruhm Louis' des Vielgeliebten setzen, und ihr Name sollte dabei unvergessen sein.

Bereits im Juli kehrte der König aus Flandern nach Versailles zurück.

Die Entbindung der Dauphine Maria Rafaela stand nahe bevor.

Das Ereignis, auf das der Hof und die Nation so große freudige Hoffnungen gesetzt hatten, brachte tiefe Trauer.

Am 19. Juli wurde statt des erhofften Prinzen eine Prinzessin geboren. Drei Tage später schloß die zarte, scheue Infantin für immer die liebevollen blauen Augen.

Der Dauphin war untröstlich. Kein Zuspruch wollte verfangen. Selbst die angebetete Mutter wollte er nicht sehen. Er dachte nur an Tod und Sterben. Zwei Tage, nachdem die geliebte Gattin dahingegangen, bestimmte er testamentarisch, daß sein Herz in Saint-Denis neben dem Sarge seiner Maria Rafaela beigesetzt werden solle.

So konnte der König Crécy erst nach den Leichenfeierlichkeiten und einigen ebenso traurigen als langweiligen Tagen, in Choisy im Schoße der Familie verbracht, besuchen.

Wie erleichtert atmete er auf, als er das reizende, von der Blaise durchflossene Tal, die sanften sonnengoldenen Hügel von weitem erblickte, zwischen denen Schloß Crécy eingebettet lag.

Die Marquise empfing ihn, umgeben von der Prinzessin von Conti, Mesdames d'Estrades und du Roure.

Louis war entzückt von den neuen Arrangements. Seine und der Geliebten Gemächer in ihrer kostbaren koketten Ausstattung, der große 49 Fuß lange Eßsaal, die Ausblicke von den hohen Fenstern in den Park mit seinen neugeschaffenen Anlagen – Crécy dünkte ihm so schön wie nie, am schönsten aber die neuerblühten Reize Jeannes.

Ihre strahlenden Augen, das sanfte Rot ihrer Wangen, die Weichheit ihres zartgerundeten Kinns, die etwas voller gewordene, ebenmäßige Gestalt ließen seine Pulse heiß und begehrlich schlagen. Er konnte die Stunde nicht erwarten, wo sie ganz sein würde, ganz sein nach so langer schmerzlicher Entbehrung, ganz sein nach allen Enttäuschungen, die ihn in Versailles erwartet hatten.

In ihrem üppig ausgestatteten Schlafgemach in Crécy durfte Jeanne alle Skrupel, alle bitteren Ängste hinter sich werfen.

Keine geheimnisvollen Bücher Madeleine Poissons, keine Ärzte waren vonnöten, Louis dem Vielgeliebten das heiß ersehnte Liebesglück zu schenken.

Bei einem seiner kurzen Besuche in Versailles hatte Jeanne die persönliche Bekanntschaft Moritz' von Sachsen gemacht. Selbst dieser alte Haudegen war ihren Reizen gegenüber nicht kalt geblieben.

Jetzt, während ihres und des Königs Aufenthaltes in Crécy war der Augenblick gekommen, sich diese persönliche Annäherung nutzbar zu machen. Es lag der Marquise alles daran, Louis von der Rückkehr nach Flandern abzuhalten. Tausend Gründe sprachen dafür.

Sie wollte nicht, daß er sich aufs neue den Gefahren des Feldlagers aussetzte, in dem die Blattern entsetzlich hausten; sie fürchtete, daß eine Umgebung, aus der nur wenige und schwache Fäden zu ihr hinüberliefen, ihn ihr entfremden könnte.

Sie brauchte ihn in Crécy, um der Verwirklichung von Plänen nahezukommen, die sie aufs eindringlichste beschäftigten.

Sie wollte Voltaire nach Crécy kommen lassen, sie wollte Diderot und d'Alembert heranziehen, sie hätte viel darum gegeben, Rousseau einladen zu können, wenn er nicht noch immer als Flüchtling in Genf geweilt hätte.

In täglicher Umgebung mit diesen Männern, den Führern der philosophischen Schule, in denen Jeanne die Zukunft Frankreichs sah, wollte sie des Königs Denkweise erweitert und befestigt sehen.

Sie sollten ihm die Augen für die realen Wissenschaften öffnen. Sie sollten ihn lehren, die Religion, die Ethik, die Staatswissenschaften von einem freieren Standpunkt zu betrachten.

Sie sollten sich wie eine undurchdringliche Mauer zwischen Louis und die Jesuiten aufrichten, sie sollten einen Schutzwall für ihre Person bilden, an dem alle feindlichen Geschosse wirkungslos abprallten.

Da der König sich nicht so ohne weiteres davon überzeugen lassen wollte, daß seine Rückkehr nach Flandern nicht unbedingt notwendig sei, verhandelte Jeanne hinter seinem Rücken mit Moritz von Sachsen.

Sie bat den Marschall in den herzlichsten Worten, dem König die Beruhigung zu geben, daß der Feldzug keineswegs mit einer großen Aktion beschlossen werden sollte, daß Seine Majestät getrost die Segnungen eines friedlichen Aufenthaltes genießen möge.

Der Feldmarschall willfahrte der schönen Frau um so lieber, als ihm wenig oder gar nichts an der Anwesenheit des Königs im Felde lag.

Der alte Soldat fühlte sich nach den Erfahrungen dieses Frühjahrs und Sommers durch die Gegenwart des Königs im Lager weit mehr geniert als erfreut.

So erfüllte er galant und liebenswürdig die Bitte der Marquise in einem für sie schmeichelhaften Schreiben.

Jeanne war überglücklich.

»Wie undankbar, teurer Marschall,« schrieb sie zurück, »wären Sie, wenn Sie mich nicht liebten; denn Sie wissen, wie sehr ich Sie liebe! Was Sie mir sagen, daran glaube ich wie an das Evangelium, und in diesem Glauben hoffe ich, daß es zu keiner Schlacht mehr kommen wird, und daß also unser angebeteter Herrscher keine Gelegenheit versäumen wird, seinen Ruhm zu mehren. Es scheint mir, er tut so ziemlich, was Sie wollen. – –

Ich setze all mein Vertrauen auf Sie, teurer Marschall; wie Sie den Krieg führen, mache ich mir Hoffnung auf einen guten und dauerhaften Frieden.«

Daß Moritz von Sachsen trotz seiner treuherzigen Versicherung, es sei keinerlei große Aktion mehr zu erwarten, wenige Wochen später die Österreicher bei Rocoux allein, ohne Hilfe Louis' schlug, brachte ihn nicht um die Freundschaft des Königs, am wenigstens um die der Pompadour.

Während Louis abwechselnd bei ihr in Crécy und bei der Königin in Fontainebleau weilte, während sich ein Teil ihrer Pläne in Crécy verwirklichten, spann sich die Korrespondenz Jeannes mit dem Feldmarschall fort. Moritz von Sachsen wußte, daß er auf die Dankbarkeit der Pompadour zu rechnen hatte. So weihte er sie in einen Plan ein, der ihm sehr am Herzen lag, und bat um ihre diskrete Hilfe.

Es galt eine neue Heirat des Dauphins mit einer Nichte des Marschalls, Maria Josefa, der Tochter König Augusts von Sachsen. –

Trotzdem die Totenmessen für die arme Dauphine noch nicht beendet waren, unterhielten sich nicht nur diese beiden Verbündeten über eine Wiedervermählung des Thronfolgers.

Die verschiedenartigsten Projekte waren aufgetaucht. Der König selbst, dem weniger an der Rücksicht auf die Trauer seines Sohnes als an der Erbfolge auf dem Thron gelegen war, hatte mit der Marquise wiederholt über eine neue Ehe des Dauphins gesprochen.

Er hatte an die Schwester Maria Rafaelas gedacht, die, wie man sich erzählte, schon zur Abreise von Madrid nach Versailles gerüstet war. Auch von einer Tochter des Königs von Sizilien war die Rede gewesen.

Vorsichtig deutete die Marquise, ohne des Feldmarschalls zu erwähnen, dessen Vorschläge und Wünsche an.

Der König horchte auf.

Die kleine Josepha von Sachsen, der man eine robuste Gesundheit und ein frisches Wesen nachsagte, weshalb nicht? Auch politisch lag nichts gegen dieses Projekt vor.

Jeanne zögerte nicht, dem Feldmarschall diese Ansicht des Königs nach Flandern zu übermitteln.

Unverzüglich setzte Moritz seinen friedlichen Feldzugsplan fort und schrieb an seinen Bruder König August.

Er legte diesem Schreiben eines der vielen liebenswürdigen Briefchen der Pompadour auf satiniertem Papier mit türkischblauem Rande bei:

» – – – Ich bin wohl imstande,« schrieb der Marschall, »das Wesentliche vom französischen Hofe zu erfahren, und unterhalte dort mit Absicht einige Verbindungen. – – –

Der König neigt für die Prinzessin Josepha aus besonderen Gründen; Gesundheit und Fruchtbarkeit scheinen ihm aus politischen Gründen den Ausschlag geben zu müssen. Der König von Preußen wird wohl alles tun, was er kann, um die Sache zu hintertreiben, aber man traut ihm hier nicht, und er hat wenig Einfluß auf die inneren Angelegenheiten des Hofes. Ich nehme mir die Freiheit, einen Brief zu übersenden, den mir letzter Tage Madame de Pompadour geschrieben hat, und der Eurer Majestät zeigen wird, daß ich in den kleinen Kabinetten nicht übel angeschrieben bin.« – – –

So bereitwillig sich der sächsische Hof und Louis XV. diesem Heiratsprojekte zeigten, in Versailles, wohin man der kühlen Herbsttage halber von Crécy und Fontainebleau übergesiedelt war, gab es nicht geringe Schwierigkeiten zu überwinden.

Der Dauphin zeigte sich jeder Verständigung gegenüber taub und störrisch. Er beweinte seine heißgeliebte Gattin und wollte von keiner neuen Ehe etwas wissen.

Auch die Königin zeigte eine bekümmerte Miene; der Gedanke schien ihr unüberwindlich, daß August von Sachsen, der ihren Vater vom Thron gestoßen, der Schwiegervater des Dauphins werden sollte.

Der König wurde ungeduldig. Er hatte sich auf die hübsche, frische Schwiegertochter gefreut, von der er sich in jeder Beziehung mehr Vergnügen versprach, als die zarte, scheue Maria Rafaela ihm je zu bereiten vermocht hatte.

Das Zweifeln und Klagen in den Gemächern der Königin, die grämlichen Gesichter des Dauphins und Maria Leszinskas wurden ihm zuwider.

Jeanne, glücklich über jede Gelegenheit, sich dem König unentbehrlich zu machen, tröstete und versprach, die Mienen aufzuhellen, jeden Widerstand zu besiegen.

Sie ging zur Königin und redete ihr gutmütiger und geduldiger zu, als der leicht irritierte König es vermocht hatte.

Sie packte Maria Leszinska bei ihren religiösen Gefühlen, sie stellte ihr vor, daß es des Höchsten Wille sei, dem Thron Frankreichs eine gesunde Nachkommenschaft zu sichern.

Sie schilderte Maria Josepha im rosigsten Licht. Sie erzählte der Königin von dem Glück, das eine junge, gesunde, heitere Prinzessin dem Dauphin geben würde, und daß gerade eine solche Frau ihm die Falten von der jungen Stirn streichen würde.

Wirklich gab die Königin Jeanne das Versprechen, Maria Josepha willkommen zu heißen, all ihre Liebe aufzubieten, um ihren geliebten Sohn umzustimmen.

Die Stimmung des Königs hob sich sichtlich, nachdem die Schwierigkeiten und Bedenken seiner Familie überwunden waren. Er überhäufte Jeanne mit Lobsprüchen, Zärtlichkeiten und Geschenken.

Er wurde nicht müde, die Einzelheiten der Hochzeitsfeierlichkeiten mit der Marquise zu besprechen, bei denen sie, ohne daß Louis es fühlte, die führende Hand hatte. Sie konferierte – gemeinsam mit dem König – mit den Ministern, ohne sich im übrigen um die Entscheidungen der Staatsmänner zu kümmern, wenn sie ihr nicht gefielen. Nur auf die Wünsche »ihres Marschalls« ging sie bedingungslos ein.

Ihre Munterkeit, ihre Heiterkeit, ihre natürliche Anmut bezauberten jeden, der in diesen Wochen mit ihr an dem Programm der Vergnügungen und Etiketten arbeitete.

Sie prüfte die Entwürfe zu den Prachtwagen und dem Triumphzug, die geplanten symbolischen Darstellungen von Göttern und Göttinnen und dem Schiff der Lätitia.

Sie bestimmte die Kostüme, die Farben, die Embleme und holte sich Rat dazu aus den herrlichen Sammlungen Onkel Tournehems, aus denen sie rasch und klug das Richtige herausfand.

Sie half auf Wunsch des Königs dem ersten Kammerherrn die Listen für die Einladungskarten zum Bal paré aufsetzen. Mit unbeirrbarem Takt entledigte sich Jeanne all dieser vielseitigen Geschäfte.

Am Ende schien es jedermann natürlich zu finden, daß die schönen Hände der einstigen Madame d'Étioles das Gewirr all dieser unzählbaren, unsichtbaren Fäden spannen, und nicht nur »ihr Marschall« hatte dem Dresdner Hof viel Schönes und Artiges von der mächtigen Pompadour zu erzählen.

Als Graf Loos, der sächsische Gesandte in Paris, die künftige Dauphine von Straßburg nach Choisy geleitete, hielt er der jungen, kaum fünfzehnjährigen Prinzessin einen so eingehenden Vortrag über den Einfluß der Pompadour am Hofe ihres zukünftigen Schwiegervaters, daß die kleine Maria Josepha schon bei der Defilierkur der stolzen, schönen, juwelenbedeckten Marquise einen besonders freundlichen Blick schenkte.

Alles lächelte, alles schien glücklich auf der Höhe der Wünsche angelangt.

Nur der Dauphin ging bleich, mit zerrissenem Herzen umher.

Die glänzende Feier in der Kapelle von Versailles, die Bälle, die Festlichkeiten und Empfänge, alles spielte sich, mit geringen Abweichungen, wie an jenem Tage ab, als Maria Rafaela, das Weib seiner Liebe, neben ihm schritt.

Nun schlief sie in der kalten, steinernen Gruft von Saint-Denis, und er mußte aufs neue Hochzeit feiern! –

Nach dem Bettgang, bei dem der Sitte gemäß der ganze Hof zugegen gewesen, kam der König zur Marquise.

Sie hatte ihn erwartet mit heißerer Ungeduld als gewöhnlich. Ihre immer wache Eifersucht hatte an den Gefahren, die die Bälle, vornehmlich der Maskenball mit seinen vielen schönen, verführerischen Frauen, für den leicht Entzündlichen bargen, nicht gleichgültig vorübergesehen. Sie wußte, nicht nur die Prinzessin von Rohan hatte das Spiel noch nicht aufgegeben, auch die reizende Madame Forcalquier, die schöne Péngord brannten darauf, sie von ihrem Platz zu verdrängen. Jeanne seufzte beklommen. Hatte sie nicht selbst bei einer gleichen Gelegenheit das Herz und die Sinne des Königs bestrickt und erobert?

Er kam mit einer nicht eben fröhlichen Miene. Ihre Angst wuchs, es könne die Anknüpfung eines neuen Bundes ihrer Wachsamkeit entgangen sein.

Er küßte sie nachlässig und zerstreut. Jeanne verbarg ihr Erschrecken und fragte mit freundschaftlicher Besorgnis:

»Sind nicht alle Wünsche Euer Majestät erfüllt?«

»Doch, doch, aber immerhin, es hat mich angegriffen. Man ist am Ende nicht nur König, man ist auch Mensch. Und der Dauphin – ich liebe ihn nicht eben zärtlich – aber er hat mir leid getan.«

Er stockte einen Augenblick. Warme Teilnahme, wie man sie selten in seinen Zügen sah, lief über sein schönes Gesicht.

»Du weißt, Jeanne,« fuhr er fort, »nach französischem Hausgesetz bleiben die Vorhänge des Ehebettes, sobald die Geistlichkeit es eingesegnet hat, ein paar Minuten offen, den Blicken des gesamten Hofes preisgegeben.«

Jeanne entsetzte sich.

»Welche Indiskretion,« rief sie und erschrak zugleich über ihre Unvorsichtigkeit.

»Es mag nicht sehr diskret sein, aber es ist unumstößliches Gesetz. Ich hatte deinen Freund Moritz von Sachsen beauftragt, seiner kleinen Nichte die Schwierigkeit der Situation nach Möglichkeit zu erleichtern, und ihn zu ihr in den Alkoven geschickt. Die Kleine nahm die Dinge, Gott sei Dank, naiv und natürlich. Der Dauphin aber zog das Bettuch über das Gesicht, um sein lautes Weinen zu ersticken. Er kann Maria Rafaela nicht vergessen. Ich fürchte, die Kleine wird zunächst keinen leichten Stand bei ihrem Gatten haben. Wir werden uns ihrer annehmen müssen, Jeanne.«

Beglückt, daß des Königs Verstimmung keinen anderen Grund gehabt, versprach Jeanne alles, was der König wünschte. Er war sofort beruhigt und sah wieder heiter in die Zukunft.

Zärtlich küßte er sie, indem er die zartblauen Seidenspangen von ihren weißen Schultern löste.

»Dieu merci, wir beide haben keine Indiskretionen zu befürchten,« flüsterte er verliebt.


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