Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVI.

Am nächsten Morgen fuhr der König in aller Morgenfrühe nach Fontainebleau. Seine Stirn war umwölkt, seine Augen blickten düster.

Der Herzog von Ayen, der ihn begleitete, wußte nicht, was er aus diesem plötzlichen Wandel in der Stimmung des Königs, nicht, was er aus der plötzlich angesagten Fahrt nach Fontainebleau, die keineswegs beabsichtigt gewesen, machen sollte.

Der König hatte gestern abend in den Gemächern der Pompadour allein mit ihr soupiert. Für heute morgen war eine Jagd angesagt gewesen, die der König eigens zu Ehren der Marquise geplant hatte. Nach dem Jagddiner eine abendliche Gondelfahrt mit Musik auf den erleuchteten Teichen.

Da der König nicht sprach, sondern verdrossen in der Ecke lehnte, konnte der Herzog ihn nicht fragen.

Irgend etwas mußte zwischen dem König und der Pompadour vorgefallen sein. Aber was?

d'Argenson hatte den Ministerrat verbissen verlassen. Der König und die Marquise aber hatten sich niemals heiterer zu einer Wagenfahrt gerüstet und, wie Lebel dem Herzog berichtet, sich ebenso heiter zum Souper gesetzt. Nur sei der König nachts merkwürdig früh aus den Gemächern der Marquise zurückgekommen und habe keinen Schlaf finden können.

Also allem Anschein nach ein Schlafzimmergeheimnis, das Louis XV. nicht gewillt war preiszugeben! –

Nach einer schlaflosen Nacht saß Jeanne über den Büchern Madeleine Poissons, die man einst so streng vor ihr versteckt gehalten hatte.

Die alten, abgegriffenen Bände waren aus dem Hôtel des Chèvres in einen Geheimschrank der Marquise nach Versailles gewandert.

Lange blätterte sie in den vergilbten Schriften, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.

Sie kopierte ein Rezept und ließ durch ihren Kammerdiener den kleinen Apothekergehilfen Quesnays rufen. Sie überreichte ihm das Papier und schärfte ihm ein, das Medikament in einer halben Stunde herzustellen.

Dann sank sie auf das verblaßte Engelbett zurück, auf dem sie den größten Teil dieser entsetzlichen Nacht verbracht hatte. Grübelnd lag sie, bis der Kopf sie bis zur Unerträglichkeit schmerzte.

Ihre spitzfindigsten Gedanken konnten kein Titelchen der erbarmungslosen Wahrheit fortdeuteln.

Der König war bei ihr gewesen. Seine Küsse und Umarmungen, seine heischenden Liebkosungen hatten sie nicht zu erwärmen vermocht. Kalt, steif wie ein Stock hatte sie in seinen Armen gelegen, bis der König selbst erkaltet sie im Zorn verlassen hatte.

Das Furchtbare, Gefürchtete war eher gekommen, als sie es hätte ahnen können! Ihre Versuche, den Speisen starke Gewürze beizufügen, Trüffel und Sellerie in Mengen zu vertilgen, hatte ihrem kalten Temperament, ihrer geschwächten Gesundheit nicht aufgeholfen. Sie mußte zu stärkeren Mitteln greifen, sollten sie auch noch so nachteilige Folgen haben. Den König ganz besitzen, war Leben, ihn verlieren war der Tod! – –

Der kleine Apothekergehilfe brachte das Elixier. Sie sprang auf, riß den Pfropfen von der Flasche und goß ein paar Schluck der braunen Mischung hinunter. Widerlich, ekelerregend war der Geschmack. Bald aber trat eine wohltätige Erhitzung des ganzen Körpers ein.

»Gott sei Dank! Gott sei Dank! Endlich werde ich das Richtige gefunden haben!«

Und sie segnete das Andenken ihrer Mutter im Grabe.

Als die Herzogin von Brancas gemeldet wurde, stellte Jeanne das Elixier, das sie bisher lange und zärtlich in der Hand gehalten, zu einer Reihe anderer Flakons auf ihren Toilettentisch.

Die Herzogin war im Vorzimmer von Madame du Hausset aufgehalten worden. Die treue Seele hatte sie unter Tränen beschworen, die Marquise um Schonung ihrer Gesundheit anzuflehen.

»Madame Pompadour verfolgt eine Diät, die für ihren zarten Körper untauglich sein muß! Sie greift hinter dem Rücken Doktor Quesnays zu Medikamenten, die ihr unmöglich zuträglich sein können! Gerade eben hat sie ein Elixier brauen lassen, das schwerlich Gutes bedeutet.«

Die Herzogin versprach, ihr Möglichstes zu tun.

Als sie bei Jeanne eintrat, schalt sie sogleich gutmütig auf sie ein.

»Sie fiebern ja, meine Liebe, Sie sind krank, Sie müssen sich schonen. Einfachere Diät halten, ruhiger leben.«

Die Marquise schüttelte ernst und mit großer Energie den schönen Kopf.

»Ich bin krank, ja, aber anders als Sie glauben, liebe Freundin. Und gesund kann ich nur werden, wenn ich den Weg verfolge, den ich endlich gefunden habe.« Jeanne warf einen verstohlenen Blick auf das Elixier.

»Sie sind meine Freundin, ich darf mich Ihnen anvertrauen. Hören Sie denn!« Jeanne griff klammernd nach den Händen der Herzogin. Sinnlos vor Furcht flüsterte sie: »Ich sterbe vor Angst, den König zu verlieren.«

»Wie kommen Sie darauf, Liebe?« Die Herzogin fragte es bestürzt.

Jeanne versuchte es, ihre Ruhe zurückzugewinnen.

»Sie wissen, Herzogin, Sie sind eine erfahrene Frau, die Männer legen großen Wert auf gewisse Dinge. Ich habe das Unglück, von Natur kühlen Temperaments zu sein. Zudem, meine Gesundheit ist nicht die beste. Die aufrichtige Zärtlichkeit, die ich für den König empfinde, hat mir oft über diesen Mangel fortgeholfen. Letzte Nacht ist meine Kälte mir zum Verhängnis geworden. Der König hat mich im Zorn verlassen.«

Die Marquise weinte bitterlich.

Die Brancas, die ihr wirklich von Herzen zugetan war, tröstete. Jeanne beruhigte sich langsam wieder.

»Endlich habe ich ein Elixier gefunden, das nach allem, was ich davon lese, Besserung verspricht.«

Sie zeigte auf das Fläschchen mit der braunen Flüssigkeit.

Die Herzogin sprang auf und zog den Korken aus der Flasche.

»Fi donc, Marquise, wie kann man solch widerliches Zeug über die Lippen bringen. Es riecht, als habe die VoisinSiehe »Ein Liebesidyll Ludwigs XIV.« es in ihrer Hexenküche gebraut; sicherlich ist es Gift, jedenfalls Gift für Sie.«

Und ohne weitere Umstände warf die Herzogin das Fläschchen in den Kamin.

Jeanne empörte sich. Sie wollte nicht wie ein Kind behandelt werden, das man unter Vormundschaft stellt.

»Ich werde das Medikament neu herstellen lassen, ich werde das Elixier gebrauchen, ich werde den König wieder ganz besitzen, verlassen Sie sich darauf.«

Die Brancas nahm beide Hände der Erzürnten zwischen die ihren.

»Das werden Sie nicht, meine liebe Marquise, dazu sind Sie eine viel zu kluge Frau. Sie werden endlich diese verrückte, aufregende Diät fallen lassen. Solche Parforcekuren sind nichts für Sie. Der künstlich aufgepeitschte Körper fällt, wenn die Reizmittel in ihrer Wirkung nachlassen, um so sicherer zusammen. Fragen Sie Quesnay, ziehen Sie ihn ins Vertrauen. Ich glaube Ihnen heute schon sagen zu können, daß er Ihnen weniger Arbeit, weniger Aufregungen, eine einfachere Kost und viel Bewegung in frischer Luft verordnen wird.«

Jeanne blickte niedergeschlagen vor sich hin. Was die Herzogin sprach, war nicht unrichtig; dennoch, sie hatte in ihrer Not so große Hoffnungen auf das Elixier gesetzt!

»Und der König?«

»Ihre Gesellschaft ist Seiner Majestät viel zu kostbar, viel zu wichtig und notwendig, um sie einer vorübergehenden Enttäuschung halber aufs Spiel zu setzen. Und dann, meine Liebe, glauben Sie meinen Erfahrungen, an die Sie vorhin appellierten, die Gewohnheit ist eine starke Kette, die so leicht nicht reißen wird. Ihre Liebenswürdigkeit, ihr überlegner Verstand, Ihre Munterkeit werden den König beim ersten Wiedersehen aufs neue gefangennehmen.«

Die Herzogin küßte die Freundin und versprach, sie bald in La Celle zu besuchen. –

Jeanne blieb in tiefem Nachdenken zurück. Die Vergangenheit zog an ihr vorüber. Ihr rascher, glänzender Aufstieg, die Macht, die der König ihr uneingeschränkt zugestand, die Freunde, die sie sich erworben und zu Dank verpflichtet hatte, und die wie ein fester Schutzwall gegen alle von außen auf sie eindrängenden Gefahren standen. Nein, die Herzogin hatte recht, die Enttäuschungen einer einzigen Nacht vermochten diesen stolzen Bau nicht einzureißen.

Und Jeanne Fleuron? Und die Schreiber der Drohbriefe und Pamphlete?

Was wußten sie davon, mit wieviel Schmerzen und Qualen ihr Glanz erkauft war?

Niemand wußte es außer ihr selbst!

Jeanne war nach La Celle zurückgefahren. Drei, vier Tage vergingen, der König ließ nichts von sich hören.

Den langen, künstlich erhitzten Brief, den sie ihm geschrieben, ließ er unbeantwortet.

Was war geschehen?

Sie fuhr nach Versailles. Der König war in Fontainebleau bei der Königin gewesen. Wo er sich im Augenblick befand, wußte niemand oder wollte niemand ihr sagen.

Jeanne bewahrte nur sehr mühsam ihre Fassung. Sie ließ sich ihre Zimmer aufschließen. Unsicheren Schrittes wankte sie hinein. Sobald sie allein war, brach sie zusammen.

Was war geschehen, um Gottes willen, was war geschehen?

Seit der ersten Stunde ihrer Liebe hatte der König keinen Schritt getan, um den sie nicht gewußt hätte. Niemals, unter den schwierigsten Verhältnissen nicht, hatte er sie ohne Nachricht gelassen. Zürnte er nur oder hatte er sie verlassen? Hatte ihr körperliches Unvermögen ihn in die Arme einer anderen getrieben? Hatte die Brancas unrecht gehabt? War ihre eigene Angst eine sicherere Prophetin gewesen ?

Unaufhaltsam durchstürmten diese Gedanken ihr Hirn, bis eine dunkle, schwere Wolke, in die sie willenlos versank, sich um ihr Denken legte. Den Kopf in den Händen vergraben, reglos fast, saß sie da, lange, lange.

Sie überhörte das leise Klopfen an der Tür. Erst als es stark und stärker wurde, schreckte sie auf.

Mühsam erhob sie sich, strich das wirre Haar aus der Stirn, fuhr mit dem Taschentuch über die heißen, trockenen Augen und entriegelte die Tür.

Es war das Kammermädchen, das sie in Versailles zurückzulassen pflegte; Lisette hielt einen Brief in der Hand.

Einen Augenblick durchfuhr es sie wie neues Leben.

Ein Brief vom König! Enttäuscht ließ sie die Hand wieder sinken. Kein königliches Wappen, nicht Louis' Schriftzüge!

Sie nahm das Schreiben und winkte dem Mädchen, zu gehen. Sprechen konnte sie nicht.

Lange betrachtete Jeanne die ihr fremde Handschrift, ehe sie sich entschloß, den Brief zu öffnen. Eine Ahnung sagte ihr, daß er nichts Gutes bedeute. Endlich erbrach sie das Schreiben. Aber kaum daß sie die ersten Zeilen überflogen, fiel sie, bleich bis in die Lippen, in den Sessel zurück, an dem sie vorhin gelehnt.

Ihre Zähne schlugen hörbar zusammen. Mehr und mehr verfärbte sie sich. Wer sie sah, mußte sie für eine Tote halten.

Eine lange Weile lag sie wie in einer Leichenstarre. Langsam nur kam ihr das Bewußtsein zurück.

»Der König allein mit einer Frau, deren Namen man ihr nicht nannte, auf einem seiner Jagdschlösser, tage- nächtelang!«

Der Streich war gefallen. Sie war entthront. Aus, vorüber, zu den Toten geworfen, um einer einzigen Nacht, in der sie ihm nicht zu Willen gewesen!

Fortgeblasen wie ein Staubkorn die lange Liebe, die treue Freundschaft!

Jeanne sprang auf. Die Farbe kam in ihr Gesicht zurück. Ihre elastische Gestalt streckte und straffte sich. Ihre Augen glühten leidenschaftlich auf.

Nein, zehntausendmal nein! So leichten Spieles gab sie ihres Lebens Zweck und Ziel nicht dahin.

Sie war keine Nesle, die man ohne weiteres aufgab um eines anderen Weibes willen, das einem im Vorübergehen gefiel. Der König sollte es merken, daß sie ihn an festeren Fäden hielt, als die Frauen vor ihr es vermocht hatten.

Kaum daß sie ihre Haltung wiedergewonnen, ihren Stolz und ihre Eitelkeit zu Hilfe gerufen, war ihr kluger Kopf schon fertig mit ihrem Plan: Nicht der König war durch die verfehlte Liebesnacht beleidigt worden, sie war die Beleidigte durch seine Flucht, seine Untreue! War das Spiel überhaupt noch zu gewinnen, dies war der einzig sichere Weg. Und sie wollte, mußte es gewinnen!

Im Vorzimmer wurde es laut.

Jeanne warf den Kopf in den Nacken. Mochte kommen, was wollte, sie war gerüstet.

Sie unterschied Lebels Stimme. Sie frohlockte. Wo Lebel war, war der König nicht weit.

»Vor zwei Stunden aus La Celle gekommen,« hörte sie das Kammermädchen sagen.

»Das trifft sich prächtig. Seine Majestät werden entzückt sein.«

Jeanne schürzte ironisch die Lippen.

»Das wird sich finden,« dachte sie.

Die Stimmen draußen waren verstummt.

Nach einer Weile ließ Lebel sich melden. Jeanne empfing ihn mit hochmütigem Kopfnicken.

»Seine Majestät sind soeben von der Jagd zurückgekommen. Seine Majestät sind entzückt, die Frau Marquise in Versailles zu finden, und werden sich die Ehre geben, die Frau Marquise in einer halben Stunde aufzusuchen.«

Wieder zuckte es ironisch um Jeannes schönen blassen Mund.

»Wollen Sie Seiner Majestät ausrichten, daß ich lebhaft bedaure, Seine Majestät in einer halben Stunde nicht empfangen zu können, da ich um ein Uhr zu einer wichtigen Besprechung in La Celle erwartet werde. Wenn seine Majestät mir die Ehre geben will, mich daselbst aufzusuchen.«

Lebel stand mit offenem Mund.

Sapristi, das war ihm in den langen Jahren intimen Dienstes bei Seiner Majestät noch nicht vorgekommen. Entschieden hatte die Pompadour Wind bekommen von dem, was sich während der Jagdtage begeben, und statt zu weinen und zu betteln, wie die andern es getan, setzte sie dem König einfach den Stuhl vor die Tür. Mut hatte sie, diese geborene Bourgeoise, das mußte man ihr lassen. Einen Mut allerdings, der ihr am Ende schlecht bekommen dürfte, wenn die Jagdaventüren des Königs mehr als eine vorübergehende Passion gewesen. Und beinahe hatte das dreitägige Zusammensein mit der schönen Gräfin Peronne danach ausgesehen! Lebel verneigte sich stumm, völlig auf den Mund geschlagen. Dann zuckte er, wie es seine Gewohnheit, die Achseln und sagte mit scheinheiliger Unterwürfigkeit:

»Ich werde es Seiner Majestät ausrichten, Frau Marquise.«

Kaum daß Lebel gegangen, klingelte Jeanne ihrem Kammermädchen.

»Schnell Lisette, meinen Wagen!«

Ehe Lebel den König noch erreicht hatte, schlugen die Hufe ihrer raschen Pferde das Pflaster des Schloßhofes von Versailles.

Der König war nicht minder betroffen, als Lebel es gewesen. Er runzelte die Stirn und sprach kein Wort. Er vergrub sich in seine Arbeit und dachte nicht daran, nach La Celle zu fahren.

Jeanne hätte sich die stundenlange Ausfahrt mit Alexandra, die sie unternommen, um dem König zu entfliehen, füglich sparen können. Auch am zweiten Tage kam er nicht.

Jeanne fing an unruhig zu werden. Sollte sie einen zu hohen Einsatz gewagt, das Spiel verloren haben?

Der König war unberechenbar. Niemand wußte das besser wie sie. Dennoch, sie kannte seinen Eigensinn jeglichem versagten Wunsch gegenüber. Die Rechnung mußte stimmen, wenn nicht – –?!

Das Herz drohte ihr stille zu stehen. Nein, das war ja unmöglich, daß er sich in so kurzer Zeit ganz an eine andere verloren haben sollte.

Sie stand am Fenster und sah in den Garten hinab. Draußen strömte der Regen seit vielen Stunden aus einem grauen Himmel, der sich nicht wieder erhellen zu wollen schien. Sollte es ein schlimmes Omen bedeuten? Alles Grün schien grau und verwaschen, alle blühenden Farben ausgelöscht.

Durch das einförmige Plätschern hindurch hörte sie plötzlich Räderknirschen. Besuch? Sie wollte niemand sehen, niemand hören. Sie wollte allein bleiben mit ihren wägenden Gedanken. Niemand sollte an den Fäden reißen, die sie spann.

Die Tür wurde aufgeklinkt, ohne daß jemand gemeldet worden wäre.

Die kleine Alexandra hüpfte herein.

»Chère maman, der gute Onkel König.« Jeanne fühlte, wie alles Blut ihr zum Herzen drang, wie ihre Knie bebten, ihre Pulse flogen. Ruhe, nur Ruhe um jeden Preis. Das halbe Spiel war gewonnen, da er kam.

Alexandra war wieder hinausgelaufen. Die Bedienten rissen die Türen weit auf.

»Seine Majestät der König.«

Louis kam blaß, in steifer Haltung.

Jeanne sah auf den ersten Blick, er spielte nicht nur den Gekränkten, er war es in der Tat. Er hatte gelitten unter der Trennung von ihr, mehr als er es jedenfalls wahr haben würde.

Sie hatte Mühe, ihren Triumph hinter einem kühlen Wesen zu verbergen. Sie bat den König Platz zu nehmen und dankte ihm in artigen gesetzten Worten für seinen Besuch.

Louis sprach eine Weile kein Wort und blickte unsicher zu ihr hinüber. Er wußte ganz und gar nicht, was er aus ihrer Haltung machen sollte. Hatte die Kälte jener Nacht ein Erlöschen ihrer Neigung bedeutet? Hatte sie von seiner Untreue erfahren und zahlte ihm dieselbe mit gleicher Münze heim? War sie aus Versailles nur vor ihm geflohen, weil sie in La Celle von anderen Armen erwartet wurde?

Die Eifersucht, die immer wache, brannte lichterloh in ihm.

Er sprang auf und packte Jeanne bei den Händen.

»Was heißt das, Jeanne? Was soll das alles bedeuten? Weshalb warst du so kalt? Weshalb fuhrst du fort von Versailles in dem Augenblick, als ich gekommen war?«

Sie ließ den Sturm seiner eifersüchtigen Leidenschaft ruhig über sich ergehen.

»Euer Majestät mögen mir gestatten. Was blieb mir anders zu tun, nachdem Euer Majestät meinen Brief nicht beantwortet, nachdem Euer Majestät mich tagelang in Unkenntnis über Euer Majestät Aufenthalt ließen?«

Er sah sie prüfend an. Sprach sie die Wahrheit? Er hatte sie stets zu stolz zur Lüge befunden. Wenn er von jener traurigen Nacht absah, hatte sie nicht recht und war er nicht im Unrecht?

Konnte ein Weib, das auf sich hielt, anders handeln selbst dann, wenn es nicht wußte, daß sich hinter der Vernachlässigung wirklich ein Akt der Untreue barg?

Jetzt, da er ihr gegenüberstand, da er sie wiedersah in all ihrer königlichen Schönheit, begriff er sich selbst nicht mehr, wie er Tage und Nächte mit einer unbedeutenden, landläufig hübschen Frau hatte vertändeln können, nur weil die Geliebte sich seinen begehrlichen Sinnen einmal versagt hatte.

Louis empfand tiefe aufrichtige Reue.

Er beugte sich auf Jeannes Hand und küßte sie heiß und demütig zugleich.

»Verzeih,« bat er, »so wie du bist, konntest du nicht anders handeln.«

Sie war zu klug, ihm einen Vorwurf zu machen. Sie hatte gesiegt, das war ihr genug. Aber sie wußte auch: viel hatte dieser Sieg sie gekostet, und in ihrem innersten Herzen hegte sie den heißen Wunsch, daß solche Kämpfe sich nicht allzuoft wiederholen möchten.


 << zurück weiter >>