Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XV.

Zum viertenmal war Louis XV. von Flandern zurückgekehrt.

Mit dem Sieg bei Laufeld und der Eroberung von Berg-op-Zoom hatte Moritz von Sachsen seine letzten Kriegslorbeeren gepflückt. Dann hatte er den Marschallstab an den Grafen Lovendale abgegeben.

Während des Königs viermonatlicher Abwesenheit hatte die Marquise das Schlößchen La Celle bewohnt.

Dieser neue Ankauf hatte viel böses Blut gemacht. Man schob ihn dem König zu, der La Celle für 260000 Livres von seinem Kammerdiener Bachelier für die Marquise erstanden haben sollte.

Alte Geschichten waren bei dieser Gelegenheit neu ausgekramt worden. Mit ungeheuren Übertreibungen sprach man von kostbaren Geschenken, die der König seiner Maitresse bei der Rückkehr von Flandern gemacht haben sollte. Wieder einmal kochte und siedete es gegen die Pompadour. –

In einer engen Gasse nahe dem Place de Grève saßen an einem Sonntagnachmittag bald nach der Heimkehr des Königs einige zwanzig Personen, Männer und Frauen, in der kleinen schmutzigen Taverne Pierre Renards zusammen.

Ein paar Krüge mit billigem Landwein, Körbe mit weißem Brot standen auf der rohen Tischplatte, um die die Gesellschaft auf langen Bänken saß.

Mit erhitzten Köpfen sprach und schrie alles durcheinander, bis ein hagerer Mensch mit schwarzen struppigen Haaren und einer Trinkernase den irdenen Weinkrug ein paarmal heftig auf den Tisch stieß.

»Sacre nom de Dieu, will man mich nun hören oder nicht?« schrie er.

Ein anderer Schreier schloß sich ihm an.

»Courbillon hat das Wort. Ruhe, Herrschaften, Ruhe für Courbillon!«

Der hatte sein volles Glas in einem Zuge leergetrunken und wischte mit dem Rücken der Hand über den Mund.

»Also, nämlich es ist Tatsache, daß der König nicht nur La Celle bezahlt hat, sondern ein funkelnagelneues Schloß für die Pompadour bauen läßt!«

»Teufel noch einmal! Das halbe Land frißt sie auf! Verfluchte Blutsaugerin!« schrie es dazwischen.

»Auch ihren Hofstaat hat der König –«

»Einen Hofstaat die Poissonière?« kreischten die Weiber.

»Pferde und Karossen will er vermehren –«

»Und wir können hungern. Sie frißt uns das Brot vor der Nase weg, sie und ihre saubere Sippe.«

»Nieder mit dem Lumpenpack, den Poissons! Pfui über sie!«

Eine hagere Frau mit hektisch gefleckten, eingefallenen Wangen spuckte in weitem Bogen aus.

Ein kleiner dicker Mensch mit einer runden, kurzgeschnittenen, stark pomadisierten Perücke hatte sich erhoben und sprang mit beiden Füßen auf den Tisch.

»Sie jagt die besten Männer aus dem Staat. Maurepas! Was war das für ein Mensch! Der hatte ein Herz für die kleinen Leute. Meinem Jungen, meinem Charles hat er die schöne Stelle auf der neuen Schiffswerft in Marseille verschafft, den zweiten, den Louis, hat er nach Havre bringen wollen. Ihr wißt, ich habe Connaissancen, und der Minister wollte mir wohl. Während er die Kreaturen der Pompadour –«

Die Umstehenden lachten laut. Sie kannten die Aufschneidereien des kleinen Schusters. In der Sache aber hatte er recht.

Nieder mit der Poissonière! Sie war ein Unglück für Frankreich, und wenn es so fortging, war nicht abzusehen, was daraus werden sollte! Von einem Jahresdefizit von 25–30 Millionen ging die Rede.

»Ihr übertreibt! Die Marquise ist eine schöne und liebenswürdige Dame, und gut ist sie auch.«

Ein allgemeines höhnisches Gelächter folgte diesen Worten.

Derbe Finger wiesen auf einen kleinen geschniegelten Menschen mit leicht gepuderter, stark parfümierter Perücke.

»François muß es ja wissen!« höhnten sie.

»Kein Wunder. Er ist ja im Dienst Sieur Dagés. Sitzt hinten auf, auf der goldenen Karosse, wenn der Sieur zu Hofe fährt.«

Der Kleine wurde dunkelrot vor Wut.

»Ist es etwa eine Schande, bei Sieur Dagé angestellt zu sein? Es ist ein ebenso gutes Brot wie ein anderes.«

»Ein besseres – hol's der Teufel,« schrie Courbillon und schlug mit der Hand auf den Tisch.

Der kleine Friseurgehilfe richtete die Augen schwärmerisch gegen die verrußte Decke.

»Wenn ihr sie gesehen hättet, wie ich sie gesehen habe!«

»Du, François,« fragte ein hübsches dralles Weibchen neugierig über den Tisch, »wo hast du sie denn gesehen, die große Marquise?«

»Bei einer Audienz, bitte,« gab der Kleine stolz zurück.

»Bist du um den Adel eingekommen oder um den cordon-bleu?« schrie Courbillon. »Dann scher dich weiter! Hofpack können wir hier nicht brauchen.«

»Ruhe, Courbillon! Fahr den armen Jungen nicht so an,« herrschten die anderen. Sie erinnerten sich an manchen Krug Wein, den der kleine François ihnen von seinem guten Verdienst bei Sieur Dagé zum besten gegeben hatte.

»Ich habe dem Meister frische Brenneisen nachgetragen,« sagte der Kleine eingeschüchtert, »dabei sah ich, wie wundervoll –.« Wieder schlug er die Augen verzückt zur Zimmerdecke.

»Wie wundervoll diese Kanaille auf Kosten des Landes gekleidet war. Kennen wir. Von oben bis unten in Gold und Seide. Pfui über die Dirne!«

»Ein Kleid aus englischen Spitzen für 22500 Livres soll sie tragen! Was sagt ihr dazu?«

»Warum nicht? Wenn sie vom König haben kann, was sie will! Wißt ihr denn, ob ihr's in solchem Fall anders machtet,« rief Margot Zanelle, die kleine elegant gekleidete Modistin schnippisch über den Tisch.

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als eine Maulschelle ihr auf der runden Wange brannte.

Der alte Zanelle hatte eine rasche Hand.

»Pfui Deibel über solche Prinzipien! Impertinente Gans!«

»Im Golde wühlen tut sie!« rief der lange Flickschneider. »Ihr wißt doch, daß sie sich jede Stelle hoch bezahlen läßt.«

»Wenn sie wenigstens fromm wäre! Öfter zur Messe ginge!«

»Sie soll eine komplette Heidin sein.«

»Die Priester an den Altären sollten sie verfluchen.«

»Mit den Philosophen hält sie's!«

»Ein Freigeist ist sie!«

»Die Jesuiten will sie aus dem Lande jagen! Sie sollte man rauspeitschen aus Frankreich, nicht die frommen Patres.«

Ganz am Ende des Tisches saß eine Frau in mittleren Jahren neben einem älteren stumpfblickenden Mann.

Sie hatte bisher noch kein Wort in die erhitzte Debatte geworfen. Jetzt stand sie von der Bank auf, zog das geblümte Tuch fester um die kräftigen Schultern und stützte beide Hände gegen den Tischrand.

»Sagt einmal, was nützt es wohl, wenn ihr mit den Fäusten hinter der Pompadour herdroht, hinter ihrem Rücken empört auf den Boden spuckt, sie ›Kanaille und Blutsaugerin‹ schimpft? Schreit ihr ihre Schande ins Gesicht! Speit ihr vor die Füße! Packt sie bei der Ehre, wenn sie noch eine hat. Wäre ich ein Mann – sacre nom de dieu –, ich kröche nicht feige vor ihr ins Mauseloch. Und auch als Weib – liefe sie mir einmal in den Weg, diese Madame d'Étioles, geborene Poisson –, Honig schmierte ich ihr nicht um den Mund.«

Eine kurze Stille trat ein.

»Hm,« sagte dann Zanelle, »sie hat nicht unrecht, die brave Jeanne Fleuron, und wenn sich ihr Alter schon mit Füßen treten läßt.« »Mit Füßen treten lassen, das tu' ich nicht,« brummte Fleuron. »Ich tu' meine Pflicht, und dafür zahlt man mir pünktlich meinen Lohn in der königlichen Obergärtnerei. Leben muß der Mensch!«

»Jeanne Fleuron,« rief ein Spottvogel, »du bist ja eine Namensschwester der großen Pompadour. Du kannst ihr ja gar nicht gram sein, ihr habt ja doch denselben Namensheiligen.«

Jeannes schwarze Augen blitzten.

»Fluch, wer mir diesen Namen gab!« knirschte sie.

Der kleine Friseurgehilfe, der die groben Schimpfreden auf die Marquise nicht länger anhören mochte, hatte sich im Hintergrund des engen Zimmers an das dürftige Spinett gesetzt. Er meisterte es nicht übel und entlockte den unreinen Saiten ein neues Lied Rameaus, das gerade in der Mode war.

»Halt mal an, Jüngling,« rief Courbillon, der schon wieder über den Durst getrunken hatte. »Wenn mich mein Ohr nicht täuscht, paßt die Melodie auch auf einen anderen Text.« Und er fing mit seiner heiseren Stimme zu krächzen an:

»Jadis c'étoit Versaille
Qui fixoit le bon goût;
Au'jourdhui la canaille

da fielen die anderen ein:

Règne et tient le haut bout
Si la cour se ravale
De quoi s'étonne-t-on ?
N'est ce pas de la Halle
Que nous vient le poisson?«

»Que nous vient le poisson«, brüllte der Chor nochmals und zum drittenmal.

Nur der kleine Friseurgehilfe, Margot Zanelle und der alte Gärtner Fleuron hatten nicht eingestimmt.

Außerhalb des Hofes sickerte hier und da die Meinung durch, die Tage der Marquise seien gezählt. Wenn einer ihrer vertrauten Freunde Jeanne ein solches Gerücht zutrug, lächelte sie spöttisch und warf den schönen Kopf siegessicher in den Nacken.

Wer von ihnen sah scharf genug, um zu wissen, welche Früchte ihre Anstrengungen getragen hatten, sich dem König völlig unentbehrlich zu machen? Wer von ihnen ahnte auch nur, wie ganz sie Louis beherrschte, wie ihr Einfluß von Tag zu Tag wuchs!

Es gab kein wichtiges politisches Ereignis mehr, das der König nicht mit der Marquise besprochen hätte, bevor er mit den einschlägigen Ressorts arbeitete. Er gewährte ihr Einblick in die Vorlagen des Parlaments. Er holte ihren Rat für jede zu besetzende Stelle ein, und immer seltener kam es vor, daß ihre Kandidaten unberücksichtigt blieben.

Sie arbeitete jede Vorlage der Ministerien mit ihm aus, sie regte ihn immer neu zur Arbeit an, wenn er in Gleichgültigkeit und Zerstreutheit verfallen wollte. Sie stellte ihm stets aufs neue vor, daß er sein eigener Premierminister sei, Augen und Ohren überall haben, die Zügel fest in der Hand halten müsse, sollten seine Minister nicht nach eigener Willkür disponieren.

In Wahrheit hielt sie diese Zügel in der Hand, war sie der Premierminister, ohne daß der König sich dessen auch nur annähernd bewußt gewesen wäre.

Unter dem Anschein, sich ausschließlich für die Komödie, die Literatur und Künste zu interessieren, verbarg die Marquise geschickt ihren politischen Ehrgeiz, ihre nicht zu zähmende Herrschsucht.

Nur eine war es, deren haßerfüllter Blick die Dinge am Hofe Louis' annähernd durchschaute, die scharf und klar beobachtete, wie zielbewußt sich die Marquise der politischen Fäden bemächtigte.

Diese eine war Jeannes alte Feindin, Madame d'Estrades. Immer dringender warnte sie d'Argenson, mahnte sie zur Einschränkung seiner gehässigen Maßnahmen gegen die Pompadour.

Sie predigte keinen tauben Ohren. Der Minister wußte, er durfte der Geliebten trauen. Sie war eine zuverlässige und getreue Spionin, diese Frau, die die große Marquise ebenso glühend haßte, als sie ihm hingebend zugetan war.

Einen Teil des Frühlings verbrachte Jeanne in kleiner Gesellschaft in La Celle, das des Königs Lieblingsaufenthalt geworden war. Der intime Charakter des Schlößchens sagte ihm ganz besonders zu.

Der schmale, mit dichten Baummassen überhangene Kanal mit seinen Gondelfahrten, die rosenübersponnenen Lauben, die kleinen, rings um das Schloß verstreuten Gehölze mit ihrem weichen Moosboden, ihren Veilchen- und Maiblumenfeldern, entzückten ihn immer aufs neue.

Jeanne veranstaltete zu Ehren des Königs kleine Feste, deren Charakter mit dem Charakter des Schlosses aufs liebenswürdigste harmonierte.

Schäferspiele auf den grünen boskettumhegten Rasenflächen, improvisierte Balletts, zwischen Grotten und springenden Brunnen, die Rameau aus dem Steigreif entwarf, Musik im Schatten der Rosenlauben.

Alexandra, ein blendend hübsches kleines Geschöpf mit immer munterer Laune, trug nicht wenig dazu bei, des Königs Stimmung in La Celle zu beleben. Mancherlei Reisepläne wurden um La Celles halber aufgegeben, zu Jeannes innerer großer Befriedigung; denn ihre schwankende Gesundheit bedurfte mehr und mehr der Ruhe.

Mit peinlichster Vorsicht und Rücksichtnahme verbarg sie ihre Leiden. Weder der König noch ihre Umgebung bemerkten etwas von dem entnervenden Herzklopfen und seinen Folgeerscheinungen, die sie oft nächtelang schlaflos machten.

Sie hielt Körper und Nerven in eiserner Zucht. Nur die treue Hausset und Doktor Quesnay wußten, wie schwer die immer neuen Siege über den König von der Marquise erkauft waren.

Oft kam Louis XV., den die Staatsgeschäfte noch in Versailles festhielten, überraschend nach La Celle.

Die Freude des Wiedersehens war dann doppelt groß. Seine Zärtlichkeiten, seine heißen Liebeswünsche, seine immer neuen Ekstasen kannten keine Grenzen. Jeanne mußte oft ihre ganze Kraft, all ihre Energie zusammennehmen, um sich ihnen gewachsen zu zeigen.

Eines Tages um Anfang Mai fand der König sich wieder unangemeldet in La Celle ein. Jeanne, die trotz aller Freundschaft für Voltaire sich des armen halbvergessenen Crébillon angenommen hatte, war gerade im Begriff nach Paris zu fahren, um der ersten Aufführung seines »Catilina« in der Comédie Française beizuwohnen.

Wie Louis XIV. den alten Corneille auf dem Théatre du Palais Royal hatte auferstehen lassen, sollte Crébillon durch Louis XV. Gerechtigkeit werden.

Louis, ausnahmsweise zu liebenswürdiger Selbstlosigkeit aufgelegt, erklärte, sich ein paar Stunden mit der Gesellschaft Alexandras behelfen zu wollen, die sich übermütig des guten »Onkel König« bemächtigte und versprach, ihm alle Neuigkeiten La Celles zu zeigen.

Es wäre Jeanne schwer angekommen, auf die Aufführung zu verzichten. Sie hatte Crébillon, der ihr erster Deklamationslehrer gewesen war, aus Armut und Vergessenheit gerissen. Sie hatte ihm eine Pension aus der Privatschatulle des Königs und freie Wohnung im Louvre erwirkt, sie hatte die Aufführung Catilinas durchgesetzt. Nun wollte sie auch Zeugin des Erfolges sein und selbst die Anregung zu dem allgemeinen Beifall geben, den sie dem Sechzigjährigen von Herzen gönnte.

Während Jeanne durch die blühende Landschaft nach Paris fuhr, lächelte sie ein wenig boshaft, wenn sie an den Ärger dachte, den Voltaire über die Aufführung des »Catilina« empfinden würde, um so mehr, da der König auf ihre Bitten Crébillons Werk mit demselben Glanz an Kostümen und Dekorationen wie Voltaires »Semiramis« hatte ausstatten lassen.

Sie sah den langen, hageren, häßlichen Menschen deutlich vor sich, wie er erbost in endlosen Tiraden über den »alten Narren« Crébillon herzog und ihn in den entferntesten Winkel der Hölle wünschte.

Voltaires Eitelkeit vertrug absolut keine Konkurrenz. Er eiferte gegen jede ihrer literarischen Beziehungen und hatte ihr monatelang gegrollt, weil sie in seiner Abwesenheit Buffon, Montesquieu und Marmontel beim König eingeführt hatte.

Schnell versöhnt durch eine neue Gnade hatte er ihr dann freilich mit galanten Versen gedankt, die sie mit ihrer ans Fabelhafte grenzenden Gedächtnistreue bewahrt hatte:

»Ainsi donc vous réunissez
Tous les arts, tous les goûts, tous les talents de plaire
Pompadour, vous embellissez
La cour, le Parnasse et Cythère.
Charme de tous les coeurs, trésor d'un seul mortel,
Qu'un sort si beau soit éternel!

sprach sie mit triumphierendem Lächeln vor sich hin.

Am nächsten Mittag, nachdem der König wieder abgereist war, hing Alexandra sich in den Arm der Mutter.

»Chère maman,« bat des Kindes frisches Plaudermündchen, »laß mich dir zeigen, was ich dem lieben guten König gestern gezeigt! Er hat mich sehr belobt und mich ein kluges kleines Mädchen genannt.«

Jeanne küßte ihren Liebling auf den Blondkopf, der sich allmählich lichtbraun zu färben begann.

Die Kleine führte sie die Terrassen hinunter, hüpfte neben ihr durch die Bosketts über die Rasenflächen bis in die Blumengärten.

Plötzlich blieb das Kind betroffen vor einem Bassin, das von zwei dickköpfigen Delphinen getragen wurde, stehen.

»Was gibt's denn, Alexandra? Die Nelken um das Bassin sind sehr schön. Aber die Sonne brennt gar zu heiß, laß uns in das Wäldchen gehen.«

Die Kleine stand stocksteif, hielt den Finger nachdenklich auf die Lippen gepreßt und betrachtete den bunten Nelkenkranz, der das Bassin umrahmte.

»Du findest die Nelken schön, chère maman?« sagte Alexandra nachdenklich. »Ich auch. Aber der König mochte sie nicht leiden, er hat Rosen befohlen. Er hat dem alten Gärtner Fleuron, weißt du den, der immer so ein bißchen dumm drein schaut und einen schiefen Mund zieht, befohlen, die Arbeit gleich vorzunehmen, damit sie heute morgen fertig sein sollte.«

Jeanne runzelte die Stirn.

Gerade tauchte Fleuron hinter einem Boskett auf. Herrisch winkte Jeanne ihn zu sich.

Zornig fuhr sie ihn an.

»Weshalb haben Sie den Befehl Seiner Majestät nicht sofort ausgeführt? Glotzen Sie nicht so töricht! Reden Sie!«

Fleuron stammelte Unverständliches.

»Mir scheint, Sie können Rosen und Nelken nicht voneinander unterscheiden. Solche Gärtner kann ich nicht gebrauchen. Sie sind entlassen. Sofort!«

Der Alte bückte sich nach seinen Geräten, die ihm vor Schreck entfallen waren, und zog stumm und ergeben seinen Hut.

»Das kommt davon, wenn man sich aus Mitleid mit alten unbrauchbaren Leuten befaßt,« rief Jeanne hinter ihm her.

»Wenn du ihn fortjagst, chère maman, wird er hungern müssen, sagt Nanette, wie die vielen anderen, denen du Brot gibst und es ihnen dann plötzlich wieder fortnimmst.«

Jeanne antwortete nicht. Sie zuckte mit den Achseln und ging schnell, das Kind mit sich ziehend, ins Schloß zurück.

Auf ihrem Arbeitstisch fand sie zwischen der Menge eingelaufener Briefe nur zwei, die sie beschäftigten.

Einen Brief des Königs, den der Kurier soeben gebracht hatte. Louis wünschte ihr Kommen nach Versailles zu dem morgigen Ministerrat. d'Argenson habe Schwierigkeiten wegen der neuen Steuervorlage gemacht; es sollte nichts ohne sie entschieden werden.

Der zweite Brief war anonym. Ein Drohbrief aus Paris. Er warnte die Marquise davor, sich in der Hauptstadt sehen zu lassen, wo man beabsichtige, ihr schamloses Blutsaugersystem drastisch zu beantworten. Der Brief strotzte von unflätigen Redensarten und gemeinen Beschimpfungen.

Unterzeichnet war das Schreiben: »Von einem der vielen, die hungern, weil Sie prassen.«

Jeanne waren dergleichen Drohbriefe nichts Neues mehr. Trotzdem war es ihr nicht möglich, sie gleichgültig beiseite zu schieben. Nicht Furcht noch Mitleid weckten sie in ihr. Einzig ihr Stolz empörte sich. Sie war sich keines Unrechts bewußt. Was konnte man ihr vorwerfen? Sie hatte nur ein gutgemeintes Ziel vor Augen: dem König das Leben angenehm zu machen, seine Schwermut nicht Herr über ihn werden zu lassen, ihn zum Besten Frankreichs zu selbständiger Herrschaft tauglich zu machen, Frankreichs Kultur, seine Kunst und Industrie zu heben.

Welches Mittel, welche Wege ihr zur Erreichung dieses Zieles notwendig dünkten, wen ging es etwas an? Es war nicht ihre Aufgabe, alle Mäuler Frankreichs satt zu machen!

Schwer ermüdet von dieser neuen Erregung legte sie sich früh zu Bett.

Die Hausset mußte sich zu ihr setzen und ihre Hand halten. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Sie warf sich ruhelos hin und her, immer in der Furcht, daß Herzklopfen, Angst und Beklemmungen sich wieder einstellen könnten!

Es war in letzter Zeit viel auf sie eingestürmt, zu viel! Die wiederholten Besuche des Königs, die Fahrt nach Paris, die Aufregungen des am Ende sieggekrönten »Catilina«, eine kaum zu bezwingende Korrespondenz, die ihr fast allein oblag, da der König Collin in Versailles zurückbehalten hatte, der Ärger mit dem Gärtner, zuletzt der gemeine Drohbrief.

Sie sprach rasch und aufgeregt:

»Mein Gott, Hausset, wie soll das werden, wenn es so weitergeht? Wenn ich vor der Zeit alt und krank würde? Wenn sie mich mürbe machten! Der König liebt nicht nur mit der Seele! Sobald ich nicht alle seine Ansprüche mehr befriedigen kann, wird er sich einer anderen Frau in die Arme werfen! Was soll werden, Hausset?«

Sie weinte und schluchzte in brennender Angst. Wieder, mitten in ihren scheinbar durch nichts getrübten Erfolgen tauchte das grause Gespenst auf, das sich an ihre Fersen zu heften schien, reckte die klammernden Arme nach ihr und schrie ihr zu: »Wenn du seine Sinne nicht mehr reizest, wird eine andere kommen und dich entthronen.«

Die Kammerfrau tröstete vergebens und schickte nach Doktor Quesnay. Aber Jeanne weinte fort und wollte nichts von Trost und Rat wissen. Langsam nur beruhigte sie sich.

»Ich werde mit der Brancas sprechen, morgen in Versailles. Sie ist mir in letzter Zeit eine aufrichtige Freundin geworden. Sie ist eine kluge Frau. Sie wird Rat wissen.«

Gegen Morgen schlief sie ein.

Leidlich erfrischt wachte sie auf. Der schöne Frühlingstag, die Fahrt durch das in Grün und Blüten prangende Land regten sie wieder an.

Sie kam früher nach Versailles, als der König sie erwartet hatte.

Der Park lag still in zauberischer Blütenpracht. Der Hof war in Fontainebleau. Niemand würde sie stören, wenn sie vor dem Déjeuner mit dem König noch einen Gang durch den Garten machte. Sie wollte allein sein. Niemand sollte sie begleiten. Sie rief ihr Wachtelhündchen Mimi und stieg in den Park hinunter. Mit träumerischem Behagen schlenderte sie durch den Teil der Gärten, dem Louis XIV.Siehe »Ein Liebesidyll Ludwigs XIV.« sein besonderes Gepräge gegeben hatte. Sie blieb vor Le Hongres Statue »Die Luft« stehen, sie begeisterte sich, wie schon so oft, für die Kraft und Schönheit von Marsys Bronzegruppe der Tritonen, die Sonnenrosse tränkend.

Wohin sie blickte, spürte sie den lebhaften Geist, die schaffende, anfeuernde Phantasie Louis XIV. Die Bassins mit ihren gigantischen Ungeheuern, die ein Kind am Zügel führte, die wundervollen Arbeiten Coustons, die architektonischen Werke Louis Leveaus, die Reliefs und Grotten junger aufstrebender Talente, denen der Sonnenkönig die Bahn frei gemacht.

Wie waren sie zu beneiden alle, die sich um diesen kraftsprühenden Herrscher geschart!

Immer war er der Gebende, der Belebende gewesen! Sie aber empfing nicht von Louis XV. Sie mußte geben, aus sich herausschöpfen, immer Neues! Wie eine Flamme mußte ihr Temperament lodern, ihn wärmen, beleben, ihn aufpeitschen aus seiner lethargischen Melancholie!

Jeanne sank ermüdet auf der Marmorbank vor der Tritonengruppe nieder und ließ die Augen schweifen.

Wieviel herrliche Werke der Kultur und Schönheit waren hier geschaffen! Wieviel Herrliches lebte auch in ihr, das sie durch die Hand und den Willen des Königs Frankreich zu schenken gedachte, reich, großzügig, ohne zu kargen, wie der Sonnenkönig geschenkt!

Nur durfte man sie nicht hemmen mit Schelsucht und kleinlicher Rechnerei, sie matt und krank machen vor der Zeit!

Ein harter Schritt drang durch die Stille.

Jeanne fuhr zusammen.

Um die Tritonengruppe herum kam eine großgewachsene, starkknochige Frau, ein geblümtes Tuch um die Schultern, geradeswegs auf sie zu. Fünf Schritte vor ihr machte das Weib halt.

Schwarze Augen funkelten sie feindselig an; verächtliche Blicke flogen über sie hin.

Dann, nach einem Augenblick des Schweigens, brach es wie Blitz und Donner hervor:

»Pfui über Sie,« schrie Jeanne Fleuron und spie vor der Marquise aus, »dreimal Pfui über Sie, Metze, Dirne! Klein und niedrig wollen Sie uns machen, uns aushungern, zu Kreuze kriechen sollen wir vor Ihnen! Oho, Madame d'Étioles, darauf dürften Sie vergebens warten!« Sie machte ein Zeichen des Abmähens. »Erst kommen Sie, dann vielleicht wir an die Reihe!«

Jeanne hatte sich steil aufgerichtet. Der Atem versagte ihr, mühsam hob sie wegweisend die Hand. Mühsam stieß sie die Worte hervor:

»Was wagen Sie, Weib? Wissen Sie nicht, vor wem Sie stehen?«

Die Gereizte hörte gar nicht auf sie. Endlich mußte herunter, was ihr im Namen von Tausenden unglücklicher, hungernder Menschen auf der Seele brannte.

»Wer sind Sie denn,« schrie sie, »daß Sie sich erdreisten, den Namen des Königs zu mißbrauchen, uns zu knechten, uns das Blut auszusaugen! Wir wollen Ihre Gesetze nicht, wir wollen die Gesetze des Königs! Wir wollen Ihre Minister nicht, wir wollen die des Königs! Ein Kind des Volkes sind Sie, nichts Besseres wie wir. Durch Schmutz und Sünden haben Sie sich heraufgeschwindelt. Kein Stück Brot nähme eines von uns von so einer wie Sie! Ehrsame Frauen halten zu ihren Männern erst recht, wenn es den armen Schluckern schlecht geht. Sie sind Ihrem Mann davongelaufen, obwohl Sie nicht zu hungern brauchten, um die Ehe mit dem Ehrenamt einer Maitresse des Königs zu vertauschen! Es wird Ihnen nicht besser gehen als den anderen. Sie werden die längste Zeit Favoritin gewesen sein.«

Das empörte Weib atmete tief und befreit.

»So, nun habe ich Ihnen gesagt, Madame, was Ihnen endlich einmal gesagt werden mußte, Auge in Auge, nicht feig hinter dem Rücken. Und nun gehen Sie und zeigen Sie mich an, und schicken Sie mich in die Bastille. Und damit Sie nicht lange zu suchen brauchen: Ich bin die Jeanne Fleuron, die Frau des armen, alten Mannes, den Sie gestern aus La Celle fortgejagt, weil er das Verbrechen beging, die Nelken statt der Rosen stehen zu lassen.«

Sie lachte höhnisch auf.

»Und wenn ich Ihnen auskommen sollte, ich wohne in der kleinen Gasse am Place de Grève neben der Butike Pierre Renards.«

Jeanne Fleuron wandte sich und schritt langsam den Weg um die Tritonengruppe zurück, als wolle sie es der Marquise noch ganz besonders leicht machen, sie verhaften zu lassen.

Aber Jeanne rührte keine Hand. Sie stand noch immer weiß und steif, wie zur Statue geworden, da. Ihr Herz schien seinen Schlag auszusetzen.

Was bisher an Beschimpfungen zu ihr gedrungen, waren tote Buchstaben auf totem Papier gewesen. Heute, zum erstenmal, hatte sie die entblößte Volksseele von Angesicht gesehen, ihren lebendigen Angstschrei vernommen.

Schaudernd wandte sich die Seele der Pompadour von dem Flammenblick des empörten Weibes, von dieser von innerstem Elend aufgepeitschten Leidenschaft, mit der Jeanne Fleuron sich zum Anwalt ihrer Kaste gemacht hatte.

Langsam und schwer, den Blick am Boden haftend, die Hand auf das Herz gepreßt, das seinen regelmäßigen Schlag noch immer nicht wiedergefunden, hob sie den Fuß.

Von der Schloßuhr schlug es eins. Die Stunde des Déjeuners in den kleinen Kabinetten. Jeanne fuhr mit dem Spitzentuch über die Stirn. Ein paar schwere Atemzüge, dann bückte sie sich und nahm Mimi vom Boden, die sich ängstlich unter die Seiden- und Spitzenvolants der kostbaren Robe verkrochen hatte.

Der König erwartete die Marquise schon an der reich für zwei bestellten Tafel. Sie ließ sich wider ihre Gewohnheit das Kristallglas bis zum Rand mit schwerem Bordeaux füllen. Dann hielt sie es gegen das Glas des Königs und trank lächelnden Mundes d'Argenson ein Pereat, falls er heute im Ministerrat nicht sein Wort gab, die neuen Steuern im Parlament durchzudrücken.


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