Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XX.

Charles Guillaume d'Étioles war eine seltene Ausnahme seiner leichtlebigen, frivolen Zeit. Er war ein Mann, der nicht vergessen konnte. Seit Jeanne ihn verlassen hatte, war und blieb sein Leben im innersten Kern zerstört.

Vergebens kämpfte er gegen die Gefühle für diese Frau, die ihn um Ruhm und Glanz und maßlosen Ehrgeiz verlassen hatte. Vergebens rief er seinen Stolz zu Hilfe. Jeannes Bild war zu berückend schön, als daß er es hätte aus seinem Herzen reißen können.

D'Étioles' Leben war sehr einsam geworden. Er mied die wenigen Freunde, die ihn bedauerten, ebenso hartnäckig wie den großen Kreis derer, die ihn einen Narren schalten, weil er über den Verlust einer Pompadour weder fortkam, noch die ihm gebührenden Vorteile daraus zog, daß seine Frau die Maitresse des Königs geworden war.

Seit dem Abend, da er auf Bussys weinumrankter Terrasse gesessen, da Jourdain und Grévin samt den anderen adligen Kavalieren auf ihn eingeredet, hatte er sich in diesem Kreis nie wieder sehen lassen. Noch heute stieg ihm das Schamgefühl in die Wangen, wenn er daran dachte, was man ihm zugemutet hatte.

Sollte er Schacher treiben mit seinem Unglück? Mit dem Verlust der angebeteten Frau? Pfui über die, die ihm so Schmähliches zutrauten!

Nun war auch die Kleine ihm entfremdet, seit sie in Assomption war. Soviel Alexandra vordem bei der Mutter gewesen, es hatte doch Zeiten gegeben, zu denen das Kind bei ihm und dem Großvater im Hôtel des Chevres gelebt.

Wie an ein verlorenes Paradies dachte Charles an diese Zeit zurück, da er nach der Arbeit Alexandra auf den Knien gehalten und sich oft genug dabei ertappt hatte, in ihrem reizenden Gesichtchen nach den Zügen der verlorenen Frau zu forschen. Da er sie abends in die Gärten des Palais Royal geführt, mit ihr in der großen Allee unter den alten, Kastanien gesessen hatte und ihr die vornehmen Damen gezeigt, die sich vor der Oper in dem herrlichen Park ergingen.

An schönen Sonntagen war er mit ihr im Bois spazierengegangen oder nach Fontainebleau in den Wald gefahren, um große, süß duftende Büschel wilder Blumen mit ihr zu pflücken. Auch Alexandra liebte ja die Blumen, wie ihre Mutter sie liebte!

Wie ausgestoßen von der Welt kam d'Etioles sich vor, als er an einem kaltnebligen Novembermittag vom Stadthaus kommend, wo er wegen der Generalpacht Geschäfte gehabt, durch die Straßen von Paris schritt. Einen Augenblick dachte er daran, in eines der vielen neuentstandenen Cafés zu gehen. Vielleicht traf er jemanden an, mit dem er eine Partie Domino oder Schach spielen konnte. Aber sogleich verwarf er den Gedanken wieder. Nichts freute ihn mehr, nichts regte ihn an. Er seufzte schwer. Alle Versuche, sich herauszureißen, waren vergebens.

Was war ihm die kleine Modistin mit den zierlichen, reizend chaussierten Füßchen gewesen, die er sich ein paar Monate lang gehalten hatte? Eine vorübergehende Laune, ein Mittel, die langsam schleichende Zeit zu töten. War sie ein Nichts, so war die schwarze Hexe, die Morselle aus dem Chor der Großen Oper ein Ärgernis gewesen.

Vermessen genug hatte sie sich unterfangen, über Kunst mit ihm reden zu wollen. Dieses kleine Chormädchen über Kunst, nachdem er eine so vollendete Künstlerin wie Jeanne zur Frau gehabt! Eine förmliche Wut hatte ihn gepackt, sobald sie nur davon angefangen hatte. Er, der sanfte, ruhige Mensch war drauf und dran gewesen, die schwarze Hexe zu schlagen!

Straße auf, Straße ab war er so in grübelnden Gedanken gegangen, ab und zu jäh aufgeschreckt durch den Lärm des Glockengeläutes aus den Kirchen und Klöstern oder den schrillen Ausrufen der Straßenverkäufer, die Brot, Wasser, Besen und allerhand bunten Tand zum Verkauf anboten.

Als Étioles sich umblickte, bemerkte er, daß er in die Nähe des Palais Royal, nach Saint-Honoré, gekommen war, wo das elegante Paris sich um die neuentstandenen Luxusbutiken mit ihren glänzenden Auslagen an Schmuck und Juwelen, den neuesten Modeartikeln, dem Pelzwerk aus Frankfurt a. M. und den Leipziger Messen, dem modernen Schuhwerk und allerhand reizendem Wohnungszierat drängte. Plötzlich entstand eine rasche Bewegung, lebhaftes Schwatzen in der Menge.

Auf dem nassen kotigen Fahrdamm näherten sich in schlankem Trabe zwei Rappen, die eine goldstrotzende Karosse mit großen geschliffenen Glasfenstern führten. Kutscher wie Lakaien trugen die blausilberne Livree der Pompadour.

Das Herz schien Charles Guillaume stillstehen zu wollen. Da er weder vor- noch rückwärts vom Platz konnte, schob er sich in raschem Instinkt hinter eine Gruppe, gerade in dem Augenblick, als der Wagen, aufgehalten durch ein ihm entgegenkommendes Gefährt, hart an der Straße hielt.

Zwischen den Köpfen der vor ihm Stehenden sah Charles unter einem Seidenhut mit wehenden Federn das bleiche, schöne Gesicht seines Weibes, sah einen Strauß kostbarer Blumen in ihrem Schoß, sah auf dem seidenen Polstersitz ihr gegenüber geöffnete Kartons mit seidenen Kleidchen, Spitzen und Spielwaren, Pakete, die Süßigkeiten und Näschereien enthalten mochten.

Kein Zweifel, Jeanne fuhr zu Alexandra nach l'Assomption!

Sie brachte ihr seltene Blumen aus den Treibhäusern von Versailles, kostbare Geschenke aus den teuren Butiken von Paris, ihr Kinderherz zu erfreuen, es nur fester an sich zu ketten.

Und er? Er stand mit leeren Händen daneben, ein Fremder, ein Überflüssiger auch hier.

Seine Einkünfte als Generalpächter reichten, seit Jeannes Mitgift ihm verloren war, gerade für sein Leben aus. Für Luxusausgaben, sein Kind zu beglücken, blieb ihm kein Sous.

Heiß schwoll es in ihm auf.

Hatten sie am Ende doch recht gehabt, die Bussy und Jourdain?

Wäre er ihrem Rat gefolgt, wäre er Besitzer eines großen Vermögens, Herr seiner selbst, hätte er fern von diesem ihm verhaßt gewordenen Paris sich in der Provinz ein trauliches Schlößchen bauen können, die liebe Kleine bei sich haben dürfen, sie verwöhnen dürfen mit allen Schätzen der Welt!

Ebenso rasch, wie ihm dieser Gedanke gekommen war, verbannte er ihn wieder. Müßig daran weiterzuspinnen! Wäre er kalt und klug genug gewesen, einen solchen Schritt zu tun, wäre er auch der Mann gewesen, Jeanne zu halten! So wie er war, blieb er der gutmütige dumme Tölpel, der nicht in seine Zeit paßte, an dem das Glück in jeder Gestalt hohnlachend vorüberging.

Mit bitterem Lächeln trat er zur Seite, gerade als die Kutsche mit den Blaulivrierten sich wieder in Bewegung setzte und die rasch ausholenden Hufe der Rappen ihm den Kot der Straße vor die Füße spritzten.

Jeanne hatte ihrem Kinde nicht nur kostbare Geschenke nach l'Assomption gebracht. Sie hatte die Kleine auch für die künftige Woche von der Oberin freigebeten.

Der große Tag stand vor der Tür, da Jeanne ihren Einzug in das Feenschloß Bellevue halten sollte. Da durfte Alexandra nicht fehlen, die mit glänzenden Augen »Schön-Mütterchens« Einladung in Empfang genommen hatte.

Die Geschichte der Entstehung Bellevues lag schon eine Weile zurück. Bei einem Spazierritt mit dem König hatte die Marquise auf dem Abhang von Meudon nach Sèvres einen wundervollen Punkt entdeckt, der für die Lage eines Schlößchens, wie es ihre künstlerische Phantasie ihr schon seit Jahren ausgemalt, wie geschaffen erschien.

Von dem hügligen Land sah man auf die Seine, die seinen Fuß umspielte, und weit hinaus auf die Ebenen von Paris.

Der Baugrund gehörte dem König; den Bau des Schlößchens hatte Jeanne ursprünglich aus eigenen Mitteln bestreiten wollen, doch waren die Kosten unter ihren immer Neues, Schöneres schaffenden Händen zu ungeheuerer Höhe angeschwollen.

Sie mußte es sich gefallen lassen, daß ihre Feinde von gut sieben Millionen Livres sprachen.

Über die mählich ansteigenden Terrassen führte der Weg zum Schlößchen, das die Architekten l'Assurance und l'Isle unter der Mitarbeit der Marquise in dem leichten koketten Stil der Zeit erbaut hatten. Umgeben von den wundervollsten, mit der höchsten Kunst angelegten Gärten machte Bellevue in der Tat den Eindruck eines Feenschlosses.

Wohin man blickte, fand man eine erlesene, mit Glück und Geschmack angewandte Kunst, wie sie nur unter den Inspirationen einer Frau von höchster künstlerischer Empfindung und Intelligenz entstehen konnte.

Jeder Riegel, jeder Schlüssel, jedes Schloß, jeder Türknopf war ein kleines Meisterwerk.

Nirgend verriet sich eine Spur von Fabrikarbeit. Überall waltete ein individueller künstlerischer Geschmack.

Gobelins und Vorhänge waren nach Jeannes Angaben eigens gezeichnet und gestickt worden.

Verbreck und Rousseau, die berühmten Dekorateure Versailles', hatten die Anordnung der kostbaren Stoffe überwacht.

Überall in den Paneelen, dem schmückenden Holzwerk waren in plastischer Ausführung ländliche Szenen, Symbole der Musik, der Malerei, der Liebe angebracht.

Das Treppenhaus, das zu dem großen Stolz des Schlößchens, der von Jeanne entworfenen Galerie führte, malte Brunetti mit mythologischen Szenen aus. Die Galerie selbst zeigte, von leichten, zartfarbigen Blumenfestons umrahmt, eine Reihe entzückender Gemälde Bouchers.

Die Ausführung der Supraporten des Speisesaales, des Musiksaales, des Salons waren Oudry, Pierre und Karl Vanloo übertragen worden, dessen Erfolge ans Phantastische grenzten.

Adam und Falconet hatten die Vorzimmer mit Statuen geschmückt. In den Gärten waren Meisterwerke Pigalles aufgestellt worden, von denen eines den König, ein zweites das Doppelbild »Freundschaft und Liebe«, die Genien des Schlosses, darstellte.

Mit leidenschaftlichem Eifer hatte sich Jeanne der Bestellung der Möbel und Gerätschaften und ihrer sinnvollen Aufstellung im Schloß hingegeben.

Sie wünschte dabei nicht nur ihren persönlichen Geschmack zur Geltung zu bringen, sie wollte auch das Wohlgefallen des Königs erregen und verwandte ganz besondere Sorgfalt auf die ihm bestimmten Gemächer, die von den ihren durch ein vergoldetes Zimmer in persischem Geschmack getrennt lagen.

Da waren Öfen aus vergoldeter und ziselierter Bronze mit mythologischen Gruppen, sechsarmige Girandolen mit doppelten und dreifachen Blumengewinden, die ersten Produkte der Fabrik von Vincennes, Uhren in Marmor und Bronze, in Form von Tempeln, Säulenhallen und Altären. Da waren zahlreiche Gebrauchsmöbel aus Eichenholz, mit Palisander fourniert, mit Beschlägen, Füßen, Knöpfen und Schlüssellochzierat aus vergoldetem Kupfer. Da waren Konsolen in den verschiedensten Goldarten ausgelegt. Da waren ein paar besondere Prachtstücke: eine große Lackkommode in chinesischem Stil, aus dem köstlichen Material gefertigt, das Martin erfunden hatte, mit Beschlägen aus vergoldeter Bronze, Goldschaummalereien und Schubläden mit goldgestickten Seidenauslagen. Da war ein Schreibtisch aus Rosenholz mit reichen Goldornamenten, ein Nachttisch aus Zedernholz mit köstlichen bunten Blumenzieraten.

Jeanne verteilte alles mit gleichem Eifer, mit gleichem Schönheitssinn.

Die kostbarsten Stücke hatte Jeanne in der rue Saint-Honoré bei dem berühmten Lazare Duvaux bestellt. Er war ein raffinierter Kenner, den der König mit seinem ganz besonderen Vertrauen beehrte. Duvaux fabrizierte weniger, als daß er überall die feinsten und originellsten Stücke aufzuspüren verstand, wobei ihm das sachkundige Urteil und der erlesene Geschmack der Marquise von höchstem Wert waren. Überdies war er Juwelier und Goldschmied in einer Person. Aber auch Duvaux' Kollegen und Nachbarn Hébert, Bazin, Lebrun, Dulac hatten lohnende Aufträge für Bellevue bekommen.

Zwei Tage vor dem Fest kam Alexandra, das kleine Herz von Erwartungen geschwellt.

Großvater Poisson empfing das Kind wie eine Prinzessin an den breiten Marmorstufen zum großen Eingangstor, das von Schweizer Grenadieren, gleich dem Eingang zum Palais Royal bewacht war.

Die Kleine, obwohl an Pracht und Luxus gewöhnt, staunte das Zauberschlößchen mit großen Augen wie ein Weltwunder an. Sie schlug in die Hände und hüpfte vor Entzücken auf ihren zierlichen Beinchen.

»Das alles gehört Schön-Mütterchen?« rief Alexandra ein über das andere Mal, »das alles hat Schön-Mütterchen gemacht?«

Und sie lief wie eine kleine Wilde aufgeregt durch die Zimmer, flog über die Marmorfußböden und das Parkett aus Amaranth- und Zedernholz, daß ihre geblümten Seidenröckchen flogen und das Mieder sich straffte, staunte die samtnen Purpuruniformen mit den breiten Goldstickereien – die Uniform für Bellevue – an, die ein paar junge Offiziere zur Probe angelegt hatten.

Ungeduldig drängte das verwöhnte Kind, gleich auch die Gärten zu sehen, obwohl es November und unfreundlich kalt draußen war.

Großvater Poisson fing den reizenden Schmetterling in seinen Armen auf.

»Hübsch ruhig, mein Herzblatt! Ehe wir die Gärten besuchen, mußt du Schön-Mütterchen Guten Tag sagen und Herrn von Tournehem und Onkel Abel begrüßen.«

»Ist Onkel Abel noch so dick?« lachte die Kleine.

»Gottlob nein, er ist in den zwei Jahren Italien magerer geworden.«

»Auch fleißiger?« fragte der kleine Naseweiß.

»Viel! Er hat tüchtig gearbeitet. Der Maler Cochin, der Architekt Soufflet, der Abbé Le Blanc, die Mütterchen ihm mitgegeben, haben ihn gründlich in die Schule genommen. Die Mutter und Herr von Tournehem sind augenscheinlich zufrieden mit ihm. Wenn du's wissen willst, kleine Neugierige, sogar ich habe mich vollständig mit Onkel Abel ausgesöhnt.«

Das lebhafte Kind klatschte Beifall.

»Das muß ich Mademoiselle Épinal in L'Assomption erzählen. Sie ist unsere strengste Lehrerin und kann keine faulen Leute und unartigen Söhne leiden.«

»Und die unnützen Töchter?«

»Töchter sind nie unnütz!« rief Alexandra mit liebenswürdigem Übermut.

François Poisson streichelte zärtlich das braungoldene Haar seiner Enkelin, das schon beinahe die Farbe von Jeannes köstlicher Haarfülle hatte.

»Da hast du recht, mein Herz.« –

Großvater und Enkelin fanden die ganze Familie in den Gemächern des Königs beisammen.

Schön-Mütterchen war gerade damit beschäftigt, im Schlafzimmer einen vorteilhaften Platz für die beiden Girandolen aus Vincennes zu suchen.

Alexandra stürzte ihr um den Hals und erstickte sie fast mit ihren Küssen. Auch Herr von Tournehem und Onkel Abel, den das Kind mit kritischen Blicken bezüglich seines Leibesumfanges musterte, erhielten ihren Anteil an zärtlichen Liebkosungen.

Jeanne schickte das Kind mit dem Großvater, den sie mit seinem schwer zu hemmenden Redefluß am wenigsten bei der eiligen Arbeit brauchen konnte, bald wieder aus dem Zimmer.

Alexandra warf, nachdem sie gegangen, noch einen sehnsüchtigen Blick zurück.

»Wie schön Mama ist,« sagte sie, vor Bewunderung leise aufseufzend. »Und wie gut! Wie vielen Menschen sie mit dem schönen Schloß und dem schönen Fest wieder eine Freude macht. Wie kommt es, Großväterchen, daß es Menschen gibt, die häßlich von Schön-Mütterchen reden?«

François Poisson sah mit peinlichem Staunen auf seine Enkelin.

»Wie kommst du auf so etwas?« polterte er.

»Meine Freundin hat mir's erzählt.«

»Die Prinzessin von Soubise?« Der Alte fragte es atemlos vor Entsetzen.

»Nein, die nicht, ich habe noch eine andere Freundin in L'Assomption, Enole Parcival. Sie besucht öfter ihren Vater, der Advokat in Paris ist. Der hat ihr erzählt, daß die Menschen in Paris häßlich von Schön-Mütterchen reden. Daß sie ihr böse Worte nachrufen, und schelten, daß sie zuviel Geld verbraucht und es armen Leuten fortnimmt.«

Poisson war ausnahmsweise auf den Mund geschlagen. Noch ehe er eine Antwort finden konnte, fuhr die Kleine fort:

»Auch ein Minister und Mamas Cousine, hat Herr Parcival gesagt, sollen ihr Böses zufügen. Ich habe Enole aufgetragen, sie solle ihrem Vater sagen, Schön-Mütterchen sei keine schlechte Frau. Sie will mit allem bloß unserem lieben König eine Freude machen, das hat Mama mir selbst erzählt.«

Poisson hatte endlich wieder Worte gefunden.

»Recht so, mein Kind. Im übrigen mach' dir den Kopf nicht dick mit dergleichen. Dazu bist du noch viel zu klein.«

Alexandra reckte sich in den zierlichen Hüften und nahm ganz die stolze Haltung ihrer Mutter an.

»Ich bin mehr als zehn Jahre, Großpapa. In fünf Jahren kann ich heiraten, sagt Schön-Mütterchen. Und wenn ich erst den Prinzen oder Herzog zum Mann habe, den Mama mir versprochen hat, soll er jeden totschlagen, der Böses von Schön-Mütterchen spricht, auch den Minister und die Cousine.«

François Poisson sah bewundernd auf seine Enkelin. Es war ihm vordem nie aufgefallen, wie ganz sie der Mutter glich.

Er küßte die kleine, schöne, energische Hand des Kindes und zog sie unter seinen Arm.

So gingen sie zwischen den herrlichen Anlagen der Gärten von Bellevue spazieren.

Am 25. November nahm das auf zwei Tage berechnete Einweihungsfest seinen Anfang.

Jeanne hatte zuerst den Einfall gehabt, das Schloß mit den Gärten illuminieren zu lassen, damit seine Herrlichkeiten weit ins Land hinausstrahlten.

Berryer, der getreu über der Marquise wachte, hatte ihr den Rat gegeben, den Gedanken an eine Illumination fallen zu lassen. Zu viele Zuschauer dürften sich in der Ebene von Grenelle ansammeln. Wieder würde es Sticheleien und Schlimmeres geben.

So begnügte sich Jeanne damit, den Schloßeingang mit flammenden Fackeln und Tausenden von Lichtern zu erleuchten.

Zwanzig Lakaien in den neuesten Pompadour-Livreen waren auf beiden Seiten der Marmortreppe aufgestellt, die trotz der kalten Jahreszeit mit den herrlichsten Blumen aus den Treibhäusern von Versailles geschmückt war.

Die Marquise empfing ihre Gäste in dem großen Bankettsaal. Wie eine Königin stand sie inmitten der von ihr selbst geschaffenen Pracht. In wundervollen Linien floß das weiße Brokatkleid mit den köstlichen Silberstickereien an ihrer schlanken, elastischen Gestalt nieder. In dem gewellten, leicht gepuderten Haar trug sie eine Brillantspange, die der König ihr eigens für dies erste Fest in Bellevue zum Geschenk gemacht hatte.

Strahlenden Auges, mit immer neuem liebenswürdigen Lächeln und anmutigen Worten nahm sie die Huldigungen entgegen, die ihr von allen Seiten dargebracht wurden.

An ihrer Seite stand das reizende Kind, zum erstenmal wie eine kleine Dame gekleidet, stolz auf die schöne, gefeierte Mutter.

Eine Trompetenfanfare verkündete die Ankunft des Königs.

Jeanne stieg, von den Herren und Damen ihrer nächsten Umgebung begleitet, die Marmorstufen hinunter, ihren hohen Gast am Eingangstor zu empfangen.

Louis, der Bellevue zum erstenmal betrat, war geblendet von dem Glanz und der Schönheit, die ihm vom Treppenhaus, aus den geöffneten Gemächern, von den blumengeschmückten Emporen, auf denen vier Musikkapellen konzertierten, entgegenstrahlte.

Er überließ den Lakaien seinen Mantel und gab der Marquise den Arm.

»Zauberin, einzig schöne, süße Zauberin,« flüsterte er, während sie zwischen den blaugoldnen Lakaien mit ihren Wachslichtern die Treppe hinaufstiegen.

d'Argenson, in seiner Nähe die d'Estrades, verzogen hämisch die Gesichter, als das schöne, stolze Paar glückstrahlend an ihnen vorüberging.

Mit wieviel heißem, unermüdlichem Eifer hatten sie die Saat gesät. Wollte die Ernte denn niemals reifen?

»Geduld, meine Liebe,« flüsterte der Minister der Freundin im Vorübergehen zu, »auch unsere Zeit wird kommen.«

»Meine Geduld ist zu Ende,« knirschte die d'Estrades.

In dem von Oudry ausgemalten Speisesaal war die Königstafel gedeckt. Zwischen schwerem Silber, funkelnden Kristallen leuchteten Blumendekorationen in zauberischer Pracht. Der ganze Saal war von Veilchen-, Jasmin- und Rosendüften erfüllt.

Jeanne saß an der Seite des Königs, an seiner anderen die Prinzessin von Conti.

Trotz ihrer Jahre hatte die Prinzessin sich's nicht nehmen lassen wollen, der Einladung der Marquise zu folgen.

Die Contischen Finanzen waren dermaßen derangiert, daß es höchste Zeit war, sich dem König und der Marquise wieder einmal liebenswürdig zu erweisen.

Das Gespräch an der Königstafel ging sehr lebhaft. Die Champagnerkelche klangen zusammen, das Plätschern der künstlichen Springbrunnen, die zwischen blühenden Pflanzen zum Plafond aufstiegen, mischte sich mit den Harfen-, Celli-, Geigen- und Flötentönen der Kapellen.

Abwechselnd erklangen Lullys, Rameaus, Lalandes berückende Melodien.

Öfter wandte sich der König an das »Brüderlein«.

Er hatte Abel seit seiner Rückkehr aus Italien noch nicht gesehen. Er fand ihn vollkommen umgewandelt. Die Lehren seiner Schwester, die Kosten, die der König auf diese Studienreise verwendet, waren nicht umsonst gewesen.

Klug und mit feinem Anstand erzählte er von seinen Beziehungen zu hervorragenden und gelehrten Männern, von den Kunstschätzen, die er studiert hatte, von dem, was er für die Entwicklung der französischen Kunst für nötig und wichtig erachtete.

Der König nickte zufrieden. Es war ihm lieb, den jungen Menschen so reif und zum Vorteil entwickelt wiederzusehen. War er doch dazu ausersehen, den letzthin oft kränkelnden Tournehem zu ersetzen.

Zwei Menschen waren es, die Jeanne bei ihrem Fest vermißte: Voltaire, der trotz all ihrer Abmahnungen im Begriff stand, nach Preußen zu gehen, und Bernis, der als Gesandter nach Venedig entsendet worden war, um einen Zwist zwischen dem Papst und der venezianischen Regierung beizulegen, dessen friedlicher Ausgang für Benedikt XIV. und Louis XV. gleich erwünscht war.

Gerade heute hatte die Marquise einen ausführlichen Brief von Bernis erhalten, der gute Aussicht auf eine glückliche Lösung gab.

Sie berichtete Louis bei der Tafel darüber. Von dem sehnsüchtigen Unterton, der durch den Brief geklungen, von den huldigenden Versen, die ihm beilagen, sagte Jeanne dem König nichts. Auch nichts davon, daß sie große Dinge mit Bernis vorhabe.

Der König hob die Tafel auf. In zwanglosen Gruppen verteilte sich die Gesellschaft. Gefrornes und Champagner wurde in kristallnen Kelchen auf goldenen Tellern gereicht.

Auf den seidenen Ottomanen, auf den goldenen, mit schwerem Brokat überzogenen Sesseln nahmen die Gäste, heiter plaudernd, Platz.

In dem blanken Parkett, auf den Marmorböden spiegelten sich die goldgestickten Atlasschuhe der Damen, die mit Juwelen besetzten, rothackigen Schuhe der Höflinge wieder, in den großen, geschliffenen Spiegeln die kostbaren Uniformen Bellevues aus Purpursamt und Gold, die seidenen, in Juwelenpracht schimmernden Roben der schönen Frauen, ihre gepuderten Köpfchen, ihre leuchtenden Augen und rosigen Wangen.

Boucher, der einen großen Erfolg mit seinen Gemälden an der Galerie erzielt hatte, war es endlich gelungen, sich der von allen Seiten umdrängten Marquise zu nähern.

Mit bewundernden Blicken überflog er Gestalt und Antlitz des herrlichen Weibes.

»So muß ich Sie malen, Marquise!« flüsterte er begeistert.

Jeanne lachte.

»Wieder einmal, Meister? Wir sind ja mit den begonnenen Porträts noch nicht mal zu Ende.«

»Tut nichts. Die Pompadour und Boucher, das ist ein Doppelklang, den die Nachwelt nicht oft genug hören kann.«

Sie reichte ihm die Hand zum Kuß und wandte sich zu den anderen Künstlern, die ihrer Einladung gefolgt waren.

Da waren die Maler Vanloo, Oudry und Pierre, mit ihnen Greuze und Joseph Vernet, der auf kurze Zeit von Rom nach Paris gekommen war, um einen Teil des königlichen Auftrages, sämtliche Häfen seines Reiches zu malen, entgegenzunehmen.

Da war Jean Baptiste Lemoyne, der gerade das Kolossalreiterstandbild Louis XV. für Bordeaux vollendet hatte, sein Lieblingsschüler Falconet und Pigalle, da war Gabriel, der Architekt, da waren die Musiker Rameau, Jeannes alter Lehrer Jélyotte, der Bassist Lagarde, der so reizende Arien und Duos schrieb, da waren die Dichter und Schriftsteller des Tages.

Vor Abschluß des Festes lud Jeanne ihre Gäste in den Musiksaal und führte dem König eine neue, kostbare Orgel von wundervollem Klange vor. Sie war ausnahmsweise nicht in Deutschland oder den Niederlanden, sondern in d'Anvers gebaut worden.

Während der König den Erfinder des neuen Orgelsystems ins Gespräch zog, bemerkte La Vallière zur Marquise, daß man sich einen herrlicheren Theatersaal kaum denken könne.

»Wie wäre es, wenn wir unser Theater nach Bellevue verlegten?«

Jeanne sann einen Augenblick.

Sichtlich stachen ihr die Vorteile dieses Vorschlages in die Augen. Die Kosten würden weniger auffallen als in Versailles, die bösen Nachreden, über diesen Punkt wenigstens, verstummen.

Nicht zuletzt würde man in Bellevue das Theater wirklich wohlfeiler führen können.

»Es wäre zu überlegen, Herzog. Wir sprechen nächste Woche darüber. Fragen Sie Gabriel um Rat. Arbeiten Sie mir die Idee möglichst ausführlich aus! Bellevue steht Ihnen selbstverständlich jederzeit offen.«

Sie grüßte leicht und trat zu dem König zurück.

Louis war offensichtlich müde und abgespannt und verstand es nicht so gut wie die Marquise, seine Erschlaffung zu beherrschen. Außerdem fror ihn. Er fand, daß die neuen Kamine ungenügend heizten.

Jeanne versprach, für Abhilfe zu sorgen, die in der Tat dringend not tat. Sie hatte selbst in der Zeit, in der sie draußen an der Einrichtung gearbeitet, fröstelndes Unbehagen empfunden. Ihr leicht angegriffener Hals war durch das häufige Rauchen der Kamine empfindlich geworden.

»Ich möchte mich zurückziehen, Jeanne. Du wirst mir morgen alles übrige zeigen. Sieh, daß du deine Gäste morgen zeitiger los wirst.«

In seine müden Augen sprang ein flackerndes Licht.

»Du bist schön, Jeanne, ich möchte morgen mit dir allein sein.«

Jeanne nickte kurz und bezeichnete ihm eine Tür, durch die er ungesehen in seine Gemächer gelangen konnte. La Vallière begleitete den König.

Lebel erwartete den Monarchen schon im Vorzimmer.

Unterwürfig, mit seinem ewig glatten Lächeln, fragte der Kammerdiener nach Seiner Majestät Befehlen.

Lebel nahm an, daß er für eine Stunde entlassen sei, daß die Frau Marquise den König noch besuchen werde.

Da der König nicht antwortete und ohne weiteres in sein Schlafzimmer ging, wußte Lebel genug.

Man würde doch endlich für etwas Abwechslung sorgen müssen!

Gleich nach dem Diner verließen die Gäste nächsten Tages Bellevue.

Nur Jeannes Familie und der Herzog von Ayen waren mit dem König zurückgeblieben.

Louis sprach den Wunsch aus, von der Marquise durch das ganze Schloß geführt zu werden.

Jeanne hatte längst ungeduldig auf diesen Moment gewartet. Sie brannte darauf, dem König noch eine besondere Überraschung zu zeigen, die sie bisher vor allen übrigen geheimgehalten hatte.

Neben dem Bankettsaal befand sich ein kleines, ovales Gemach.

Als die Marquise die Tür öffnete, strömte dem König süßer, schwerer Rosenduft entgegen.

Louis stand sprachlos. Das ganze kleine Gemach war in eine einzige Rosenlaube umgewandelt.

Tausende von Rosen in allen Schattierungen, vom tiefsten Rot bis zum zartesten Rosa, dem blassen Gelb, dem unschuldigen Weiß, bedeckten die Wände; ein wahrhaft zauberhafter Anblick!

»Die Rosengärten von Schiras, Jeanne! Wie hast du sie mitten im Winter hierher gezaubert?«

Jeanne lächelte geheimnisvoll.

»Der Weg, den die Rosen zu machen hatten, war nicht ganz so weit, als Sie glauben, Sire. Darf ich bitten, diese blutroten hier zu berühren?«

»Ich möchte deinen Wundergarten nicht verderben, Jeanne.«

»Im Gegenteil, Sire, Ihre Berührung wird meine Rosen unsterblich machen.«

Er fuhr leicht mit dem Finger über die Rosen, die Jeanne ihm bezeichnet hatte.

Erstaunt, beinahe erschreckt trat er zurück.

Jeanne jubelte.

»Unser Werk, Sire! Diese Rosen, in Vincennes entstanden, sind unverwelklich, unsterblich!«

Der König betrachtete das Kunstwerk, das aus seiner Fabrik in Vincennes hervorgegangen war, mit bewundernden Blicken.

Er streichelte ihre Hand.

»Dein Einfall ist entzückend.«

»Was nützte der Einfall, wenn er nicht durchzuführen gewesen wäre! Ich bitte Sie, Sire, unbesorgt die Feinheit der Rosenblätter zu prüfen.«

Er tat, wie sie geheißen. Er fühlte ein Blatt, kaum stärker als das der natürlichen Rose.

»Das ist das Geheimnis, ein wenig sogar meines. Ich habe Fulvy ein paarmal im Laboratorium besucht und ihn auf die Idee dieser besonders feinen Erdmischung gebracht.«

Stolz zog der König sie an seine Brust.

»Götterweib!« rief er mit einem Aufschwung seltenen Enthusiasmus. »Was du anfaßt mit deinen schönen, feinen Händen, gelingt.«

»Darf das Götterweib auch auf den natürlichen Rosenduft aufmerksam machen, Sire?« fragte sie neckend. »Sieur Dagé ist sein Erfinder.«

»Er soll morgen in Versailles sein Kompliment haben.«

»Darf das Götterweib auch eine Bitte wagen?«

»Soviel sie will!«

»Ich habe große Freude an dieser Mitarbeiterschaft in Vincennes gefunden, Sire. Aber Vincennes ist von Bellevue und Versailles unbequem zu erreichen. Ich kann nicht so oft hinausfahren, als ich es möchte, um Ideen in Taten umzusetzen. Wie wäre es, Sire, wenn Sie das alte Schloß in Sèvres zur Fabrik umbauen ließen? Die Lage ist günstig, die weiten Räume für die Ateliers und den Betrieb wie geschaffen.«

»Ein vortrefflicher Gedanke, Princesse Porcelaine.«

Sie lachten beide.

»Im übrigen, Sire,« – Jeanne zog ein drollig beleidigtes Gesicht – »habe ich allen Grund, gekränkt zu sein.«

»Oho, Madame!«

»Haben Euer Majestät gestern beim Schlafengehen die Girandolen auf dem Kamin nicht bemerkt? Sie sind gleichfalls Vincenner Arbeit, gleichfalls mit spinnwebfeinen Blütenkränzen geschmückt.«

Er zog sie in seine Arme und küßte sie heiß und begehrlich auf den blassen Mund.

»Ich habe nur gemerkt, daß du nicht bei mir warst, Jeanne. Heute nacht darfst du mir die Girandolen zeigen.«

Er rang ihr ein Versprechen ab, das sie schweren Herzens, voll schlimmer Zweifel gab.

Der König, der Bellevue zuerst frostig und kalt gescholten, fand am Ende sein Behagen, die Krönung all seiner Wünsche in dem reizenden Schlößchen.

Er erklärte auch die Idee, das Theater von Versailles nach Bellevue zu verlegen, für einen vortrefflichen Gedanken.

Er dachte wie Jeanne, daß es sehr angenehm sei, sich nicht von aller Welt in die Summe der Unkosten sehen zu lassen.

Zudem wollte er auch Mesdames, die meist von der d'Estrades als »dame d'atour« begleitet waren, nicht fortwährend bei den Veranstaltungen anwesend wissen.

Sie mochten sich an den offiziellen Festen und ihrem eigenen Haushalt und seinen kostspieligen Vergnügungen genug sein lassen. Madame Henriette hatte sich letzthin ohnedies mehr, als ihm lieb sein konnte, auf die Seite des Dauphins geschlagen. La Vallière und Bruder Abel, der den kränkelnden Tournehem vertrat, waren zu dem Entschluß gekommen, statt des Musiksaales den chinesischen Saal zu wählen, der sich bei näherer Überlegung noch besser zum Theatersaal eignete.

Die Bühne wurde so eingerichtet, daß sie auch für die Oper, ihre Verwandlungen und Apotheosen ausreichte.

Als eine der ersten Vorstellungen war ein großes Ballett studiert worden, das mit seiner szenischen Aufmachung alle guten Vorsätze, in Bellevue sparsam zu wirtschaften, über den Haufen warf.

Das Ballett »Die Liebe als Baumeisterin« war eine Huldigung für Bellevue und bedurfte komplizierter Maschinerieeffekte, die den König stets ganz besonders fesselten und beschäftigten.

In einer sichtbaren Verwandlung wurde gezeigt, wie ein Berg sich mit Donnergepolter teilt, um das neue Schloß mit all seinem Schönheitszauber entstehen zu lassen. Weite Gärten taten sich auf, in denen Gärtner und Gärtnerinnen graziöse Tänze aufführten.

Auch außer den Theatervorstellungen arrangierte Jeanne in Bellevue reizende Feste mit Musikaufführungen, Gartenbeleuchtungen, Feuerwerken und jene mit ausgesuchtem Raffinement zusammengestellten kurzen Diners, wie sie der König ganz besonders liebte, Diners, zu denen allmählich der ganze Hof einschließlich des Dauphins, der sich der allgemeinen Strömung nicht mehr entziehen konnte, mit besonderem Vergnügen pilgerte.

Mitten in den Trubel dieser Feste hinein traf Jeanne, mit ihr alle Poissons und d'Étioles, ein schwerer Verlust: Herr von Tournehem starb, nachdem er in letzter Zeit häufig gekränkelt hatte.

Jeanne beweinte diesen treuen Freund, den Beschützer und Wohltäter ihrer Kindheit und Jugend, mit ebenso heißen aufrichtigen Tränen, wie sie einst ihre Mutter beweint hatte.

Für den Augenblick war es ihr nur ein schwacher Trost, daß der König Bruder Abel sofort in alle Rechte Tournehems einsetzte.

Nicht Jeanne allein trauerte.

Tournehem war ein Mann gewesen, der die Kunst ehrlich geliebt, der das gesamte Kunstleben Frankreichs von manchen Mißbräuchen befreit hatte.

Er hatte nützliche und anregende Einrichtungen getroffen, die weit über seinen Tod hinaus zu wirken versprachen. Seine Ideen waren die öffentlichen Wettbewerbe und Preisverteilungen gewesen, seine Idee die Jahresausstellung im Salon du Louvre mit einer Jury von Künstlern.

Angeregt durch die Marquise hatte er mit dem Institut der »Elèves protégés«, eine Vorbildungsschule für jene begabten Zöglinge gegründet, die der König dazu ausersehen hatte, auf der französischen Akademie in Rom zu Künstlern ausgebildet zu werden.

Noch kurz vor seinem Tode hatte Tournehem den Auftrag zur Anfertigung eines Kataloges aller Kunstschätze in den Königlichen Schlössern gegeben und, einer Idee Jeannes folgend, die öffentliche unentgeltliche Ausstellung der bedeutendsten Kunstschätze aus königlichem Besitz im Luxembourg angeordnet.

Abel, der junge Direktor und Generalintendant der königlichen Bauten, würde seine ganze Persönlichkeit daransetzen müssen, Tournehems Spuren folgen zu können.

Längst hatte der König, um der Stellung Abels als einem seiner höchsten Beamten Rechnung zu tragen, die Marquise und Machault damit betraut, François Poissons Finanzen zu regeln und sich nach einem Landsitz für ihn umzusehen. Die Wahl der beiden war auf ein Lehen des Herzogs von Gesvres, das Gut Marigny in der Landschaft Brie, gefallen.

Nachdem alle Formalitäten geordnet waren, zog Vater Poisson als Feudalherr und Großgrundbesitzer stolz auf Marigny ein, von seinen Bauern, für die er großtuerisch die Steuern bezahlt hatte, dem Pfarrer und der Gemeinde feierlich begrüßt und zu seinem Schloß geleitet.

François Poisson strahlte. Seine dankbare Zärtlichkeit, sein Stolz auf die schöne Tochter, in deren Händen er heute schon die uneingeschränkte Herrschaft über Thron und Land sah, kannte keine Grenzen. Er nahm mit immer offenen Händen, was sie ihm gab.

Nur eine Gabe verschmähte er: das Marquisat von Marigny. Er lehnte ab in dem Gefühl, daß ihm für einen Marquis denn doch die Qualitäten fehlten. Was fragte der vergnügte alte Herr auch nach hohen Würden? Ein fideles Landjunkerleben mit ergiebiger Jagd, guten Weinen und lustigen Kameraden wollte er führen, nicht Rang noch Zwang sollten ihn zu höfischen Sitten und Manieren verpflichten.

Er erbat das Marquisat für seinen Sohn, mit dem ihn, seit Abel aus Italien zurück war, die innigste Freundschaft verband. Nachdem er die Zusage erhalten, schrieb er ihm:

» Monsieur de Gesvres will, daß Du den Namen eines Marquis von Marigny annimmst. Ich für mein Teil nenne mich François Poisson.

Deine teure Schwester ist himmlisch. Sie weiß nur immer zu schenken und sich alle Welt zu verpflichten, man muß nur ihrem Herzen freien Lauf lassen. – – –«


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