Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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X.

Maurepas war soeben von Marseille zurückgekommen. Er hatte den Hafen inspiziert und mit den Behörden bezüglich der neuen Seeschule konferiert.

Von den Mathematikern, die in Paris für den praktischen Dienst ausgebildet worden waren, hatten ihn zwei tüchtige junge Menschen begleitet, auf die der Minister große Hoffnungen setzte.

Für den Nachmittag war er von dem König zur Audienz befohlen. Die Zeit reichte gerade noch aus, die Korrespondenzen durchzusehen und die Leute zu empfangen, die sich bei ihm angesagt.

Der Minister hatte einige gleichgültige Schriftstücke beiseite gelegt. Jetzt griff er zu einem, dessen krause Handschrift ihm bekannt vorkam, wenn er sich auch nicht sogleich auf den Schreiber des nicht unterzeichneten Briefes besinnen konnte.

Nachdem Maurepas das Blatt ein paarmal hin und her gewendet, fiel ihm ein, es zeige die etwas verstellte Handschrift eines gewissen Jean Bernard, eines geschickten Geheimagenten, dessen er sich zuweilen bediente, wenn es um Informationen von besonderer Tragweite ging. Maurepas las den Brief ein-, zweimal. Dann warf er ihn auf den Arbeitstisch.

»Sacre nom de Dieu, das ist stark, zu stark.«

Er las das Schreiben ein drittes Mal mit gerunzelter Stirn.

»Verdammtes Frauenzimmer, diese ›Poissonnière‹. Sie soll die längste Zeit in Versailles gewirtschaftet haben.«

Der Sekretär meldete den Herzog von Richelieu.

»Der Herr Herzog wird in zwei Minuten vorgelassen.«

Richelieu kam dem Minister gerade recht.

Er war auch einer von denen, die an dem Triumphwagen der d'Étioles zogen. Lächerlich, sich für eine vorübergehende Liebschaft des Königs so weit zu engagieren!

Nie und nimmermehr glaubte Maurepas an eine Dauer dieses Verhältnisses. Er war vielmehr davon überzeugt, der König würde das Marquisat, das er dieser bürgerlichen Person in seiner ersten Verliebtheit zum Geschenk gemacht, bereuen, sobald der Rausch verflogen war. Daß dies bald der Fall sein würde, dafür wollte er schon Sorge tragen. Maurepas wußte sehr gut, daß er nicht nur bei der Königin und dem Dauphin – was ihm in diesem Fall gar nichts genutzt haben würde –, sondern auch beim König fest im Sattel saß, wie wenig hohe Beamte.

Er verstand es, ihm die Arbeit amüsant und angenehm zu machen, und das wollte bei der Trägheit der königlichen Gedanken viel sagen.

Er durfte schon etwas riskieren.

Der Herzog trat ein. Es war Richelieu lieb, den Minister so schnell nach seiner Rückkehr zu sprechen. Er brachte sicherlich Neues von Marseille. Richelieu liebte das Herumspionieren bei Personen von Bedeutung, wenn auch nur, um eine Unterhaltung für den König zu haben. Er hatte keine Lust, sich von der Marquise gänzlich den Rang ablaufen zu lassen, nachdem sie sich durchaus nicht als williges Werkzeug in seiner Hand erwies.

Maurepas ließ ihm nicht viel Zeit zum Fragen. Er reichte ihm kurzerhand einen Brief vom Schreibtisch.

»Lesen Sie, Herzog!«

Richelieu entfaltete das Blatt. »Anonym?«

»Jean Bernard ist der Schreiber.«

Maurepas verfolgte mit Spannung den Ausdruck in Richelieus Zügen.

Nachdem der Herzog gelesen, warf er den Brief mit ungefähr demselben Kraftausdruck, wie Maurepas es zuvor getan, auf den Arbeitstisch zurück.

Der Minister sah den Herzog mit leis spöttelnder Verwunderung an.

»Was denn, Sie empören sich, Herzog? Ich hielt Sie bisher für den enragiertesten Schleppenträger der Dame Pompadour.«

Der Herzog protestierte. »Es hatte vielleicht, ich gebe es zu, kurze Zeit diesen Anschein.«

Maurepas lächelte schlau. Er kannte die empfindliche, ebenso leicht aber wieder beschwichtigte Eitelkeit des Herzogs.

»Hat die ›bürgerliche Frau Base‹ des Königs Sie gekränkt?«

»Das will ich keineswegs behaupten. Nur – ich muß sagen, ich habe die Marquise meinen wohlgemeinten Anordnungen und Ratschlägen gegenüber weniger gelehrig gefunden, als ich anfangs anzunehmen Grund hatte.«

»Ah, so! Hm, und was sagen Sie zu dem da?«

Maurepas wies auf den Brief.

Seit fünfzehn Jahren ist Orry im Amt. Nicht nur, daß man ihm die Generaldirektion der königlichen Bauten nimmt und sie einem Verwandten der Pompadour – es heißt übrigens, Tournehem sei ihr Vater – übergibt, jetzt soll Orry auch seines Amtes als Generalkontrolleur der Finanzen entsetzt werden!«

Maurepas schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Eine heillose Wirtschaft, bei der nicht nur die Poisonnière, sondern allem Anschein nach auch der alte Schwadroneur, der offizielle Vater Poisson, seine Hand im Spiel hat. Orry wird den Brüdern Pâris unbequem geworden sein. Voilà.«

Maurepas nahm den Brief wieder auf und las laut:

»Die Pâris wissen, daß sie unentbehrlich sind. Darauf fußend haben sie die Pompadour veranlaßt, dafür Sorge zu tragen, daß ihre Geschäfte von der lästigen Kontrolle Orrys befreit werden. Sie haben kurzer Hand erklärt, kein Geschäft mehr übernehmen zu wollen, solange der Generalkontrolleur im Amt ist.«

»Unerhörte Zustände!« rief Richelieu – der dem Minister im Grunde nicht grün war, weil der König Maurepas gelegentlich gegen ihn ausspielte – mit einem Unterton von Sarkasmus. »Man fühlt sich ja in seiner eigenen Haut nicht mehr sicher.«

»Es kommt auf die Haut an, Herzog.« Ernster fuhr Maurepas fort: »Es gilt an erster Stelle, jedem Kandidaten der Pompadour von vornherein den Weg abzuschneiden. Ich werde mit Fleury sprechen. Er soll dem König d'Arnonville empfehlen.«

Es kitzelte den Herzog, Maurepas noch weiter zu reizen. Ihm konnte es nur gelegen sein, wenn der Minister sich so weit in seinen Zorn verstrickte, daß er sich eine Schlinge für den eigenen Kopf aus seinem Haß gegen die Pompadour drehte.

»Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, Maurepas« – der Minister nickte – »so möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte aus Versailles erzählen, die weniger ernst, aber dafür um so pikanter ist.«

»Eh bien, ich höre!«

Der Herzog sprach im Ton eines amüsanten Plauderers. Mit keiner Miene verriet er seine eigentliche Absicht, den Minister immer heftiger gegen die Pompadour aufzuhetzen.

»Es wird Ihnen bekannt sein, daß seit den Tagen von Choisy und Fontainebleau der König und die Marquise unzertrennlich sind.«

»Ob es mir bekannt ist!« rief der Minister heftig. »Hätte sie sonst diesen fatalen Einfluß auf ihn?«

Richelieu ließ sich nicht stören.

»Sobald der König aufgestanden, sucht er die Marquise in ihren Gemächern auf. Sie frühstücken, sie plaudern zusammen. Sie singt und spielt ihm vor, bis er zur Messe geht. Nach der Messe kommt er zurück, nimmt einen Teller Suppe und ein Kotelett bei ihr – der Wahrheit die Ehre zu geben, die Pompadour hat einen famosen Koch.«

»Für das Geld des Königs, während die armen Burschen da unten in den Hafenplätzen hungern,« rief der Minister wütend.

»Dann amüsiert er sich bis fünf oder sechs mit ihr, je nachdem die Ministerempfänge stattfinden.«

»Und die angekündigte Pikanterie, Herzog?« rief Maurepas gereizt und ungeduldig.

Der Herzog lachte. »Qui vivra, verra! Vorgestern nacht erkrankt der König im Bett der Pompadour an heftigen Leib- und Magenbeschwerden. Er windet sich vor Schmerzen. In ihrer Verzweiflung ruft die Pompadour nach Madame du Hausset, die im Nebenzimmer schläft – oder nicht schläft. Was tun? Man kann den König nicht hilflos seinen Qualen überlassen. Man muß einen Arzt rufen, Medikamente herbeischaffen! Aber wie, ohne sich unheilbar zu kompromittieren? Vergebens fleht die Marquise den König an, ihr Bett zu verlassen, sich in seine Gemächer zu begeben. Er liegt wie ein Klotz, ist für alle ihre Bitten taub.«

»Sehr pikant, in der Tat! Hätte nur noch gefehlt, daß die Königin ihrerseits erkrankt wäre und nach dem König geschickt hätte!«

»Gönnen Sie der Königin doch auch was Gutes! Zumindest den ruhigen Schlaf eines frommen Gewissens unter dem neuen feuerfarbenen Baldachin.«

Der Minister zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen.

»Den sie der Poissonnière zu danken haben soll. Was machte man also mit dem König?«

»Da die Hausset auf die Freundschaft und Diskretion Doktor Quesnays besondere Ansprüche zu haben scheint, weckte sie den ›Freund‹ aus dem Schlafe. Auf Zehen, um niemand aus der Umgebung oder von der Dienerschaft zu wecken, schlich man sich zu dem blaßblauen Seidenlager der Marquise zurück. Sie hielt des Königs Hand und beruhigte den Stöhnenden erfolglos. Heiße Umschläge, heißer Tee waren vonnöten. Den drei ratlosen Krankenwärtern blieb nichts anderes übrig, als eine vierte Person zu wecken, die Garderobiere Her Pompadour. Nach einer Stunde intensivster Pflege brachte Quesnay den König in seine Gemächer zurück, wo er bald den Schlaf des Gerechten schlief.«

»Und woher haben Sie das pikante Histörchen, Herzog?«

Richelieu zuckte die Achseln.

»Die Wände, die man so dicht geglaubt, müssen doch Ohren gehabt haben.«

Schmunzelnd und händereibend verließ der Herzog das Ministerhotel. –


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