Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XXII

Draußen lachte der Mai.

Am Fenster ihres Arbeitszimmers, das auf die Gärten hinausging, saß Jeanne und gravierte an einem Wappen für Bruder Abel, den künftigen Marquis von Marigny. Dann öffnete sie das Fenster und sah in den Park hinab, aus dem frische Kinderstimmen zu ihr heraufklangen.

Jeanne sah den beiden schönen, jungen Kindern ein Weilchen lächelnd zu. Wieder stieg der sehnsüchtige Wunsch in ihr auf, aus diesen beiden ein Paar zu machen. Ein Sohn des Königs und ihre Tochter!

»Meine Enkel sollen sich in die Ähnlichkeit zwischen mir und dem König teilen; diese Vereinigung, die ich eines Tages erleben werde, wird das Glück meiner Tage sein.« So hatte sie öfters gesprochen. Augenblicklich aber war sie nicht ganz bei diesem ihrem Wunsch.

Immer wieder wandte sie den Kopf lauschend nach den inneren Gemächern zurück, ob der König sich noch nicht blicken lassen wollte.

Er war heute morgen ermüdet und verdrossen von Versailles gekommen und hatte sich nach einem kurzen Spaziergang durch die Gärten schlafen gelegt. Sie aber wollte ihn bei guter Stimmung haben, denn außer dem Heiratsprojekt brannte ihr eine Sache auf der Seele, die sich in der Stille von Bellevue besser erledigen lassen würde als in Versailles.

Jeanne blickte nachdenklich vor sich hin. Die zusammengezogenen Brauen, die Falte über der Nasenwurzel, der Ernst des Ausdrucks ließen sie älter erscheinen, als sie war. Die angestrengte Arbeit der letzten Jahre, die schwere Aufgabe, den fortwährend wechselnden Stimmungen des Königs Rechnung zu tragen, der unausgesetzte stumme Kampf gegen ihre Widersacher hatten ihre Spuren hinterlassen.

Unruhig sprang sie auf und lief im Zimmer hin und her.

Eine neue Idee, die sie seit Monaten beschäftigte und für die sie heute endlich das Ohr des Königs gewinnen wollte, versetzte sie in fiebernde Erregung.

Es galt, das edle Werk fortzusetzen, das Louis XIV. unter dem Einfluß der Maintenon in Saint-Cyre begründet, eine Ergänzung der »Invalides« zu schaffen.

Jeanne hatte den Plan zu einer Militärschule für die Söhne der im Kriege gefallenen oder im Dienst untauglich gewordenen Offiziere schon fast fertig im Kopfe. Sie hatte mit ihren alten Freunden, den Brüdern Pâris, bereits ausführlich über das Projekt konferiert, das ihr mehr als vieles andere ihr Aufgelastete am Herzen lag.

Sie hatte Pâris-Duverney nach Saint-Cyre geschickt, um die Organisation der »Invalides« zu studieren, sie hatte ihn gedrängt, mit ihrem Bruder ein geeignetes Terrain zu suchen; sie hatte mit Gabriel, dem sie schon um der Verdienste seines Großvaters und Vaters willen unbedingt vertraute, eingehende Rücksprache über die Baupläne genommen. Was aber nützte das alles, wenn sie nicht dazu kam, die Zustimmung des Königs für das Projekt einzuholen?

Unten lachten die Kinder. Jeanne trat wieder ans Fenster und beugte sich tief zu ihnen hinab. Arm in Arm gingen sie. Ein reizendes Paar. Der schöne Knabe, seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Der König war gekommen.

Er sah ausgeschlafen, heiter und zufrieden aus. Sie wollte ihn bitten, sogleich mit ihr an die Arbeit zu gehen. Aber er schnitt ihre Rede kurz ab und äußerte den Wunsch, sich draußen in den Gärten zu ergehen.

»Eh bien,« dachte Jeanne, »also zuerst das Glück meiner Tochter und zum zweiten das der ›École Militaire‹. Auf die Reihenfolge kommt es am Ende nicht an.«

Sie führte ihn in den Feigengarten und machte ihn auf die Kinder aufmerksam, die eng beisammen auf einer Bank saßen, sich unter Kichern und Necken gegenseitig die frischen Früchte in den Mund schoben und von dem Weißbrot und den Biskuits dazu aßen, die der Schweizer ihnen heruntergebracht hatte.

»Das gäbe ein schönes Paar, Sire. Sind Sie nicht auch der Ansicht?«

Der König näherte sich der kleinen Gruppe, aber er antwortete nicht. Er fing an, mit Alexandra zu scherzen.

Für seinen Sohn hatte er keinen Blick. Er zog das reizende Kind an seinen lichtbraunen Locken, nahm ihm die Feigen fort und steckte sie selbst in den Mund.

Jeanne versuchte es noch einmal, des Königs Aufmerksamkeit auf den kleinen Herzog zu lenken, dessen ganzes Gebaren, ebenso wie Gesicht und Wuchs, dem König zum Verwechseln glich.

»Ah, Sire, sehen Sie nur, man glaubt seinen Vater zu sehen! Sie sollten ihn umarmen, Sire. Er ist gar so hübsch.«

Louis lächelte ironisch.

»Ich wußte gar nicht, daß Sie den Grafen von Luc so genau kennen! Aber wenn ich schon umarmen soll, will ich wenigstens mit Demoiselle anfangen.«

Alexandra flog dem guten Onkel König um den Hals; der kleine Herzog mußte sich an einer kühlen Umarmung genügen lassen.

Die Tränen traten Jeanne in die Augen. Sie wußte, wenn sie auch die Gründe weder kannte noch erraten konnte, daß, wenn der König sich von der kühlen, ironischen Seite zeigte, nicht gegen seinen Eigenwillen aufzukommen war.

Sie gab das Heiratsprojekt auf, aber sie hatte auch nicht das Herz, heute von der »École militaire« zu beginnen.

Sie ließ dem König ein exquisites Diner servieren, bei dem die »truite du lac de Genèves« und die »Omelette royal« die Hauptrolle spielten, und versuchte nicht, ihn zu halten, als er, kaum daß er die Tafel aufgehoben, den Wagen befahl, ja, sie atmete erleichtert auf, als sie die Räder davonrollen hörte.

Ärgerlich über sich selbst warf sich Louis in den Polstern hin und her. Er konnte sich keine Rechenschaft über seine Verstimmung geben.

Den Sohn der Vintimille und die Tochter Jeannes, das freilich wollte er nicht. Alexandra, die er aufrichtig lieb hatte, sollte ihn nicht lebenslang an Dinge und Personen mahnen, die besser vergessen waren. Aber es wäre nicht nötig gewesen, die Marquise mit seiner kühlen Ironie zu kränken. Er hatte sich auf Bellevue gefreut! Nun sollte er zurück, ohne eine gute Stunde gehabt zu haben!

In Versailles erwartete ihn im besten Falle die grausamste Langeweile. Von Jvonne war längst keine Rede mehr. Sie war ein Vergnügen von wenigen Tagen gewesen. Im Grunde überhaupt kein Vergnügen, denn die Tränen und die Verzweiflung der kleinen Klosterschülerin über ihren Fall hatten die kurzen Minuten des Genusses mehr als aufgewogen!

Lebel hatte sie nach Verlauf einer Woche in die Provinz zu einem seiner Verwandten gebracht, der an dergleichen diskrete Aufträge schon gewöhnt war.

Plötzlich riß der König seinen unerquicklichen Gedankengang selbst mitten durch.

»Zurück,« rief er dem Kutscher zu, »laß die Pferde laufen, was sie können!«

Jeanne glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als der König nach einer kurzen halben Stunde wieder in Bellevue eintraf.

Sie lächelte ihm zu, obwohl die Tränen ihr näher als das Lachen waren.

»Welch eine frohe Überraschung, Sire!«

Er zog sie rasch hinein und küßte sie.

Von den Kindern sprach er nicht. Aber er setzte sich an ihren Arbeitstisch und sagte liebenswürdig:

»Du wolltest mit mir arbeiten; ich bin bereit.«

Da kehrte auch ihr die gute Laune wieder.

Mit raschen klaren Worten entwickelte sie ihm in ihrer lebhaften präzisen Art das Projekt der »École militaire«.

In dem Gefühl, ihr für den gescheiterten Heiratsplan Ersatz zu bieten, brachte Louis mehr Wärme und Interesse, eine raschere Entschlußfähigkeit als üblich für die geplante Gründung auf.

Er ließ sich die Baupläne Gabriels mit der wundervollen majestätischen Fassade vorlegen, las die Berichte und Kostenanschläge Pâris-Duvernys und versprach, in den nächsten Tagen das ins Auge gefaßte Bauland mit den Brüdern Pâris und Bruder Abel zu besuchen.

Noch in der Nacht schrieb die Marquise an Pâris-Duverney und teilte ihm mit, daß sie den König für das große Projekt gewonnen habe.

Was die Verheiratung Alexandras betraf, befreundete sie sich bald mit einem anderen, wenn auch nicht ganz so glänzenden Plan.

Der Herzog von Chaulnes, einer ihrer getreuesten Anhänger, versprach ihr seinen Sohn, den Herzog von Pecquigny, sobald Alexandra vierzehn Jahre alt sein würde. Nach vollzogenem Heiratskontrakt sollte die Kleine, adligem Brauch gemäß, nach l'Assomption zurückkehren, bis sie das zur realen Vollziehung der Ehe notwendige Alter erreicht hatte.

Inzwischen würde der Herzog seinen jungen Sohn mit einem der vorteilhaften Ämter versorgen, auf die der Abkömmling einer der vornehmsten Familien Frankreichs mit Bestimmtheit rechnen durfte.

Alexandra eine Herzogin! Das war der Gipfel ihrer ehrgeizigen Wünsche!


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