Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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VI.

In den letzten Tagen des schon beinahe sommerlichen April, die Jeanne fast ausschließlich allein oder in der Gesellschaft des Königs auf den Dachgärten von Versailles zubrachte, erhielt sie zwei Briefe, die sie ebenso beglückten, als sie ihren Stolz hoben.

Der erste, den ein Bote schon in aller Morgenfrühe, kaum daß sie sich vom König getrennt hatte, brachte, kam von Onkel Tournehem. Wieder und wieder las sie die Schrift.

»Mein liebes Kind, ich freue mich, Dir meine wärmsten Glückwünsche entbieten zu können. Wie ich auf indirektem Wege vom Herzog von Luynes erfahre, steht es außer jedem Zweifel, daß der König über das Marquisat von Pompadour für Dich verhandelt und Dir der Name des Marquisats bestimmt ist. Die Besitzung soll 10 bis 12000 Livres Rente tragen. So wird denn mit diesem großmütigen Akt des Königs Dein bürgerlicher Name, der Dir zuletzt so viel Kummer bereitet hat, auf alle Zeiten getilgt sein. Im übrigen kann ich Dir mitteilen, daß es eine Partei in Paris gibt, die Deiner Abkunft und der bürgerlichen Wahl des Königs durchaus nicht gram ist. Das Urteil des berühmten, sonst so bissigen Advokaten Barbier über diesen Punkt dürfte Dir nicht uninteressant sein, meine liebe Jeanne.

Barbier sprach sich kürzlich in größerer Gesellschaft darüber aus, daß ,diese Madame d'Étioles wohlgebildet und äußerst hübsch sei, vortrefflich singe, hundert lustige Liedchen könne, wunderschön reite und alle mögliche Bildung genossen habe', ohne auf den geringsten Widerstand zu stoßen.

Du siehst also, daß Du die Dinge viel zu schwer genommen hast, und daß es Personen von Bedeutung gibt, die Deine Vorzüge auch als Madame d'Étioles zu würdigen wissen. Und nun nochmals meinen Glückwunsch, liebe Jeanne, von dessen Aufrichtigkeit Du ohne weiteres überzeugt sein wirst.«

Der zweite Brief kam von Voltaire, von dessen vorübergehender Anwesenheit in Paris Jeanne nichts gewußt hatte.

Nach dem Souper, bei dem der König keinen Anstand mehr nahm, die Geliebte seiner nächsten Umgebung vorzustellen, und an dem heute Richelieu und Ayen, die Herzöge von Boufflers und Luxembourg und die Hofdame Maria Rafaelas, Madame de Bellefonds, teilgenommen hatten, wurde Jeanne der Brief Voltaires überreicht.

Sie erbrach das Schreiben, das Verse über Cäsar und Kleopatra enthielt, erst in ihrem Schlafzimmer. Nachdem sie gelesen, lehnte sie lange am offenen Fenster. Berauscht sog sie die warme Frühlingsluft ein. Trunkenen Auges blickte sie über die dunklen Gärten von Versailles. Siegesgewiß hob und senkte sich ihre Brust. Nichts schien ihr in diesem hochgeschwellten Augenblick unerreichbar. Voltaire aber schrieb:

»Ich bin überzeugt, Madame, daß es in Cäsars Tagen keinen jansenistischen Frondeur gegeben hat, der zu tadeln gewagt hätte, was alle braven Leute entzücken muß, und daß die Geistlichen in Rom keine fanatischen Dummköpfe gewesen sind. Davon hätte ich Sie zu unterhalten gern die Ehre gehabt, ehe ich aufs Land gehe. Ich nehme an Ihrem Glück mehr Anteil, als Sie glauben, und vielleicht gibt es in Paris niemand, der herzlicheren Anteil nimmt. So spreche ich nicht etwa als alter, galanter Schmeichler der Schönen, sondern als guter Bürger; und ich bitte Sie um die Erlaubnis, Ihnen in Étioles oder Brunoi im Mai ein paar Worte sagen zu dürfen. Lassen Sie mich gütigst wissen, wann und wo. Ich bin, Madame, mit Hochachtung vor Ihren Augen, Ihrer Gestalt und Ihrem Geiste

Ihr ergebenster und gehorsamster Diener.«

Nachdem der König und die Damen sich zurückgezogen hatten, waren die Herren noch zusammengeblieben. Sie schritten in dem langen Taxusgang oberhalb der Orangerien, lebhaft disputierend, auf und ab.

Mit leichter Selbstironie meinte Ayen, daß er und Richelieu wohl oder übel zum Rückzug blasen müßten. Es scheine doch, daß die Partei der Mirepoix und La Vallière im Recht sei. Das in der Luft schwebende Marquisat und etliche andere Anzeichen deuteten darauf hin.

»Ja,« meinte Richelieu, »falls der Krieg nicht einen Strich durch die Rechnung macht.«

»Denkt der König daran, jetzt nach Flandern zu gehen?«

»Ob es ihm, wie die Dinge hier liegen, besondere Freude macht, bezweifle ich. Aber er wird nicht anders können. Er hat dem Marschall von Sachsen sein königliches Wort gegeben, sich persönlich an die Spitze der Truppen zu stellen, sobald die Situation es erfordert.«

»Wenn ich nicht irre, sollte der Laufgraben vor Tournay zuvor eröffnet sein?« fragte Bouffiers.

»Nach den neuesten Nachrichten ist es bereits der Fall.«

»Und der Dauphin wird den König begleiten, sich von seinem jungen Eheglück trennen?«

Richelieu zuckte die Achseln.

»Der König hat sein und des Dauphin Kommen zur Armee zugesagt, und er pflegt sein Wort zu halten.«

»Ihre Hoheiten die Dauphine, die Königin, die Prinzessinnen werden außer sich sein. Zweifellos wird Maria Leszinska den König mit Tränen beschwören, den Dauphin zurückzulassen, das Leben des Prinzen nicht mit dem eigenen zugleich aufs Spiel zu setzen. Frankreich nicht möglichenfalls des Herrschers und des Thronfolgers zu berauben.«

Leise und spöttisch meinte Ayen: »Wir wissen ja, was der König auf die Vorstellungen Maria Leszinskas zu geben pflegt.«

Wirklich kam es, wie Richelieu vorausgesagt. Der Bericht des Marschalls, der Anfang Mai in Versailles eintraf, war durchaus dazu angetan, den König zu sofortigem Aufbruch zu drängen.

Ein Teil der französischen Armee, unter dem persönlichen Befehl Moritz' von Sachsen, belagerte Tournay. Das Heer der verbündeten Engländer, Holländer, Hannoveraner und Österreicher rückte unter dem Kommando des Herzogs von Cumberland aus dem Lager von Brüssel zum Ersatz heran. Der Marschall wurde dazu gedrängt, mit dem größten Teil seines Heeres südöstlich von Tournay eine Stellung zu nehmen, deren rechter Flügel sich an die Schelde lehnte.

Er hielt den König dazu ausersehen, sich mit dem Dauphin zu dem Teil der Armee zu begeben, der Fontenoy, vor der Mitte der Front gelegen, stark befestigte.

Moritz von Sachsen drängte zur Eile. Das Entsatzheer schloß die Belagerer so eng ein, daß ein Angriff jeden Augenblick zu erwarten war.

Die Abreise des Königs und des Dauphins sollte in aller Frühe des 6. Mai erfolgen.

Der König wollte seinen Abschied von Jeanne am voraufgehenden späten Nachmittag nehmen. Er hatte ihr sagen lassen, ihn in ihrem Boudoir zu erwarten. Die abgelegenen Gemächer der Mailly, die sie bewohnte, gaben während der herrschenden Aufregung in Versailles die einzige Sicherheit vor Störungen.

Louis war sehr bewegt. Der Abschied von dem leidenschaftlich geliebten Weib ging ihm nahe zu Herzen.

Er hatte daran gedacht, sie mit nach Flandern zu nehmen wie die Châteauroux, die im vorigen Sommer der Armee gefolgt war. Schweren Herzens unterdrückte er diesen Wunsch. Er hätte in diesem Fall den Dauphin zurücklassen müssen.

Er war Jeanne dankbar, daß sie bisher ein Verlangen, ihn zu begleiten, nicht ausgesprochen hatte, ihn nicht in Versuchung geführt hatte.

Würde sie es heute, in der Abschiedsstunde, tun? Er wußte nicht, ob er es wünschen oder fürchten sollte. Beides würde seine schwache Natur in einen neuen Kampf stürzen.

Und doch wollte er stark bleiben, wollte Moritz von Sachsen sein königliches Wort halten, mit dem Dauphin zu rechter Stunde in Flandern einzutreffen.

Jeanne hatte den König nicht so zeitig erwartet. Sie saß an ihrem Arbeitstisch nahe dem offenen Fenster, den Stichel in der Hand, eifrig mit einer Gravüre beschäftigt, die sie Boucher nächsten Tages zur Begutachtung vorlegen wollte. Sie bemerkte des Königs Kommen nicht gleich.

Er blickte über ihre zarten Schultern fort auf die feinen, schönen Hände, die den Stichel über die Kupferplatte führten.

Mein Gott, wie sehr würde er sie entbehren, diese geliebten, kosenden Hände, das kluge Auge, das jetzt ganz hingegeben an der Arbeit hing, den schlanken, geschmeidigen Körper, der sich über den Arbeitstisch beugte.

Er griff sie bei den Schultern und zog sie zu sich hinauf.

»Jeanne, meine Jeanne,« sagte er leidenschaftlich, »ich bin gekommen, Abschied zu nehmen, für lange, vielleicht für immer!«

»Oh, Sire, wer wird so schwarz sehen!« »Der Tod lauert überall, im Kriege am nächsten und tückischsten.«

Sie legte ihre Arme liebkosend und tröstend um seinen Hals.

»Haben Sie meinen Traum vergessen, Sire?«

Er schüttelte den schönen Kopf. Seine Augen blickten sie mit zärtlicher Melancholie an.

»Wie könnte ich je etwas vergessen, meine Jeanne, was von dir kommt! Wenn nur diese entsetzliche Trennung nicht wäre!«

Er wartete, ob sie die Bitte aussprechen würde, ihn begleiten zu dürfen. In diesem Augenblick, da er sie zum Abschied im Arm hielt, hätte er den Dauphin ohne Besinnen in Versailles zurückgelassen. Mochte er die Kriegskunst bei anderer Gelegenheit erlernen!

Aber Jeanne sprach keinen Wunsch, sprach keine Bitte aus. Sie tröstete nur und sprach von Siegen, die seinen Kriegsruhm mehren würden.

In seinen Augen standen Tränen.

Warum bat sie nicht?

Wurde die Trennung ihr so leicht? Andere Frauen hatten geweint, gefleht, wenn er Abschied genommen.

Sie küßte ihm die Tropfen aus den Augen.

»Hier sollen keine Tränen fließen, Sire! Ist es nicht genug, daß die Königin Euer Majestät mit Tränen und Jammer und Klagen quält? Ich möchte Euer Majestät niemals Jammer, stets nur Zuversicht, Kraft, Mut und einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst bringen.«

Er sah sie bewundernd an. Wie stark sie war, wie in sich gefestigt bei all ihrer holden Jugend! Wie voll sprühenden Lebens!

Hätte er solch ein Weib unter seinen Nächsten gehabt! Unendlich viel mußte sie ihm ersetzen!

Er zog sie neben sich auf die kleine Ruhebank unter dem Fenster. Ihre Hände zwischen den seinen sprach er auf sie ein.

»Du wirst bei mir sein und bleiben, wenn auch nur im Geiste, Tag für Tag. Ich muß immer wissen: meine Jeanne denkt an mich, dann wird der Sieg nicht fehlen. Du wirst mir schreiben, jeden Tag. Ich werde dir Nachricht geben, sooft ich irgend kann. Und nun höre, mein Kind, ich habe alles reiflich überlegt, du wirst morgen gleich nach mir Versailles verlassen und nach Étioles fahren. Dort wird dich niemand stören, niemand dir auch nur den leisesten Kummer bereiten. Hier oder in Fontainebleau stehe ich, wenn ich fern bin, nicht dafür ein.«

»Es war auch mein Wunsch, nach Étioles zu gehen, Sire.«

Der König lächelte schwach.

»Deine Wünsche sind immer vernünftig, mein Herz, zuweilen zu vernünftig!«

Er seufzte gepreßt.

»Ich möchte nicht, daß du während meiner Abwesenheit viel Leute um dich sähst. Ich will nur erprobte Freunde um dich wissen. Dein Kind, deine Eltern, dein Bruder, Herrn von Tournehem und wer sonst, mit Ausnahme Herrn d'Étioles, zur Familie gehört. Ayen wird dann und wann nach dir sehen. Bernis mag ein paar Wochen auf deinem Landsitz zubringen. Ich habe es ihm schon angedeutet. Er ist ein honetter Mensch und ein guter Gesellschafter. Ebenso Monsieur de Gontaut. Beide mögen dich ein wenig in die Geheimnisse des Hoflebens einweihen. Wenn du mit Boucher weiterstudieren willst oder er an einem Porträt von dir malen möchte, um so besser. Auch gegen Voltaire habe ich nichts, schon darum, weil sein Besuch die Königin und den Dauphin ärgern wird. Der lange, häßliche Kerl wird meiner Jeanne nicht gefährlich werden, ebensowenig Fontenelle.

Liebenswürdige und standesgemäße Damengesellschaften magst du dir nach eigenem Belieben aussuchen. Langeweile sollst du nicht haben, nur Zeit genug, dich nach mir zu sehnen.«

»O Sire, was und wer könnte sich zwischen mich und meine Sehnsucht stellen?«

Eine Uhr schlug sieben. Der König fuhr auf. Er hatte um diese Stunde den Ministerrat befohlen.

Er riß sie an sich und küßte sie, daß der Atem ihr versagte. Zum letztenmal! Zum letztenmal!

»Meine Jeanne, mein Kind, mein süßes Weib!«

Mit weißem Gesicht und traurigen Augen stand sie vor ihm. Auch ihr wurde der Abschied schwer. So, wie sie lieben konnte, liebte sie diesen Mann, gab ihm von ihrer Seele, ihrem Herzen, was sie zu geben hatte, hing an ihm, wie sie an keinem Manne noch gehangen.

»Wie blaß du bist! Schone dich! Pflege dich! Liebe mich!«

Eine lange Umarmung. Ein langer, heißer Kuß. Dann war er gegangen.

In Étioles duftete der Flieder, blühten die Rosen, hing der Jasmin in schweren, weißen Blüten, schlugen Fink und Nachtigall.

Jeanne hatte die kleine Alexandra über die mit weißen, gelben, roten und blauen Blumen bunt durchstickten Wiesen getragen. Sie war mit dem Abbé Bernis, der gestern abend gekommen war, plaudernd zwischen den alten Kastanien hinter dem Schlößchen auf und nieder geschritten. Sie hatte dem Gärtner aufgetragen, frische Sträuße für die Zimmer zu schneiden. Sie hatte die Mutter, die mehr Unruhe ins Haus brachte, als Jeanne erwünscht war, mit Bruder Abel auf eine Spazierfahrt geschickt.

Jetzt saß sie in ihrem luftigen weißen Morgenkleid, eine zartrosa Rose im Haar, vor ihrem Schreibtisch.

Ihre schönen Hände spielten mit dem Brief des Königs, den der Kurier heute morgen aus dem Felde gebracht hatte.

Lächelnd hing ihr Auge an dem Siegel mit den galanten Emblemen und der Umschrift »Discret et fidèle«.

Ja, er war ihr treu, heute noch war er ihr treu!

Ihr Gesicht wurde ernst und nachdenklich. Würde er es bleiben? Oder würde, wie nach der Mailly die Vintimille, und nach der Vintimille die Châteauroux, auch nach ihr, der Pompadour, wie sie sich im geheimen schon nannte, eine folgen, die über des Königs Neigung zu ihr Macht gewann, sie verdrängte, ihn ihr raubte?

Jeanne war aufgesprungen. Einen Augenblick lang hatte heiße Angst sie gepackt.

Gleich darauf atmete sie wieder auf. Nein, niemals durfte das sein! Und es würde nicht sein. Sie war aus anderem Holz geschnitten als diese drei Schwestern Nesle, sie hatte andere Ambitionen, andere Waffen, ihre Position zu verteidigen, auch dann noch, wenn die Zeit der heißen Leidenschaft des Königs vorüber sein würde.

Freilich durfte ihr ganzes Dasein nur das eine Ziel haben, den König zu halten, immer größere Macht, immer gefestigtere Herrschaft über ihn zu gewinnen.

Jeanne lächelte spöttisch. Wie wenig man sie doch kannte! Wie falsch man selbst in ihrer nächsten Umgebung die Gründe beurteilte, die sie leiteten!

Im Hôtel des Chèvres, in Versailles und jetzt in Étioles rühmte man sie dafür, daß sie nicht darauf bestanden, den König ins Feld zu begleiten, daß sie den ehrgeizigen Wunsch unterdrückt habe, Louis XV. möge sich bei dieser Gelegenheit öffentlich zu ihr bekennen.

Niemand wußte, daß sie diesen Wunsch niemals gehegt, daß sie im Grunde zufrieden war, Wochen, Monate vielleicht, sich selbst und dem Ausbau ihrer Zukunft leben zu können.

Des Königs Liebe würde durch die Trennung nur wachsen. Davon überzeugte sie jeder seiner Briefe.

Sie selbst bedurfte der Ruhe nach allen geistigen und körperlichen Strapazen der ersten Liebeswochen.

Étioles sollte ihr die Frische ihrer Schönheit wiedergeben. Sie war entschieden blaß und ein wenig müde geworden.

Vor allem aber wollte sie die Zeit in Étioles nützen, die Gruppe der Philosophen, die sie nach und nach um sich zu versammeln dachte, eng an sich zu fesseln. Auf sie setzte sie die große Hoffnung zur Befestigung ihrer Macht.

Voltaires Brief, die Lobsprüche Barbiers hatten den ersten Anstoß zu dem Plan gegeben, den Jeanne zähe zu verfolgen gedachte: Sie wollte sich zur Beschützerin der Philosophen machen, ihnen die Bahn bereiten. Zum Dank dafür sollten sie ihre Macht stützen und befestigen helfen.

Jeannes Wangen brannten, ihre Augen leuchteten.

Was sollte sie im Felde ? Hier gab es lohnendere Aufgaben!

Sie strich über das heiße Gesicht und machte sich daran, des Königs Brief ein zweites Mal aufmerksam zu lesen.

Über die Hälfte der Seiten nahmen seine leidenschaftlichen Liebesbeteuerungen, seine Sorge um sie, seine brennende Sehnsucht nach ihr ein.

Dann folgte eine Schilderung des Sieges von Fontenoy.

Lebhafter, als es sonst seine Gewohnheit war, beschrieb Louis den feindlichen Artillerieangriff, seine und des Dauphins Stellung, von der aus sie der ganzen Schlacht, von feindlichen Geschossen rings bedroht, beigewohnt hatten.

Er schilderte die rasche Wendung, die die Schlacht anfangs zugunsten der Feinde nahm, die Gefahr, jeden Augenblick vom Rückzug abgeschnitten zu werden, obwohl der Marschall von Sachsen, dessen Führung das höchste Lob gebührte, alle Vorsichtsmaßregeln gegen einen vereitelten Rückzug getroffen hatte. Jeanne beantwortete die lange Epistel des Königs nur kurz mit einem warmen aufrichtigen Glückwunsch für den Sieg und das fernere Kriegsglück des Königs. Sie schloß mit den Worten:

»Ich habe keinen heißeren Wunsch, Sire, als Euer Majestät nach einem raschen und glorreichen Ausgang des Krieges wieder in meine Arme schließen zu dürfen.«

Dann ging sie aufs neue an ihr Tagewerk.

Voltaire war in Étioles ganz in seinem Element. Nichts war ihm Fremdland dort. Schon im ersten Jahr von Jeannes Ehe war er ein willkommener Gast des Schlosses gewesen.

Er machte Jeanne nach allen Regeln der Kunst den Hof und konnte sich an Schmeicheleien nicht genugtun. Seine Huldigungen galten nicht nur dem in der Luft schwebenden Marquisat, sondern einer Gunst, die er kurz zuvor von ihr erbeten, und die er hoffte sich in Étioles verwirklichen zu sehen.

Es galt die Ämter eines königlichen Kammerherrn und eines Hofhistoriographen. Beides waren gut dotierte Stellungen, die Voltaires Ehrgeiz ebenso wie seine Gewinnsucht lockten.

Gleich nach seiner Ankunft hatte Madame d'Étioles ihrem alten Freunde beglückende Hoffnungen auf Erfüllung seiner Wünsche gemacht, ja mehr als das, sie ließ durchblicken, daß ein Sitz in der Akademie, nach dem er schon lange vergebens getrachtet, ihm so gut wie sicher sei.

Was Wunder, daß der Philosoph dem Herzog und der Herzogin von La Valliere, von deren Schloß er nach Étioles gekommen war, schrieb, er würde seinen Aufenthalt in Étioles wichtiger Dinge halber auf unbestimmte Zeit ausdehnen.

Die »wichtigen Dinge« bestanden zunächst darin, die Herrin von Étioles, in deren schönen Händen er vorausblickend Frankreichs Schicksal liegen sah, vollkommen zu kaptivieren, sie von der Gesellschaft ihrer übrigen Gäste so viel als möglich abzuschneiden.

Die lebendige Beweglichkeit, die gefällige Anmut seiner geistreichen Unterhaltung machten ihm seine Aufgabe nicht schwer.

Jeanne ließ nichts davon merken, wie sehr Voltaires ausschließliche Beschäftigung mit ihrer Person ihren eigenen Plänen entgegenkam.

Sie selbst sprach bei diesen Unterhaltungen wenig, merkte aber um so aufmerksamer auf alles, was Voltaire sagte. Ihr scharfer Verstand, ihr vorzügliches Gedächtnis faßten und hielten fest, was ihr für heute und zukünftig von Wert und Wichtigkeit dünkte.

Wenn Voltaire bei den Mahlzeiten mit seinem betäubenden Wortschwall, in der bei den Jesuiten erlernten blühenden Rhetorik ihre Gäste mit den Erzählungen seiner Erfolge berauschte, wenn er Pariser Klatsch schonungslos zum besten gab, schaltete Jeanne ihre Aufmerksamkeit zuweilen gänzlich aus.

Unter vier oder sechs Augen aber – Bernis war häufig der Dritte im Bunde – verstand sie es geschickt, Voltaire von seinen Schmeichelkünsten sowohl als von seinen spielerischen Spötteleien abzulenken und ihn auf ein Gebiet zu drängen, das dem ihres ehrgeizigen Wissensdurstes näher stand, auf seine politischen und philosophischen Ansichten.


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