Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XXI

So ziemlich zum erstenmal in seinem Leben wußte der superkluge Monsieur Lebel nicht, was er zu tun, was zu lassen hatte.

An jenem ersten Abend in Bellevue war er fest entschlossen gewesen, ein Amt wieder aufzunehmen, das ihm vor des Königs unbegreiflich dauerhafter Liebe zu Madame Pompadour obgelegen hatte, ein Amt, dem er mehrmals im Jahr, zuweilen auch mehrmals in einem Monat, ja mehrmals in einer Woche mit besonderem Vergnügen nachgegangen war.

Die plötzlich wiedergekehrte gute Laune des Königs, der Umstand, daß er öfters zu Haus gelassen als nach Bellevue mitgenommen wurde, das wieder frische, glückliche Aussehen der Marquise hatten ihn stutzig gemacht.

Vergebens hatte er sich an Madame du Hausset und Doktor Quesnay gewandt. Beide waren und blieben von einer geradezu unausstehlichen Diskretion.

Monsieur Binet, sonst ein gefälliger Kollege, hatte mit beiden Händen abgewehrt. Unvergeßlich war ihm der Sermon des Bischofs, die monatelang andauernde Verstimmung Seiner Hoheit des Dauphins geblieben.

Im Grunde seiner Seele war Binet stolz auf sein Werk. Er sonnte sich, wenn auch in gebührender Entfernung, im Glanze der Pompadour, deren erste Schritte vom Hôtel des Chèvres nach Versailles er so geschickt gelenkt, aber er hütete sich ein für allemal, an irgendwelchen Intrigen teilzunehmen. Er machte es wie der König, der vor allem seine Ruhe haben wollte.

Lebel hatte daran gedacht, die d'Estrades auszuforschen. Alsbald hatte er den Gedanken wieder aufgegeben. Von Grund ihrer Seele falsch und verlogen, würde diese Frau nur das sagen, was in ihr eigenes Spiel und das des Ministers paßte.

Er aber wollte nicht irregeleitet werden, das Vertrauen seines Königs nicht in Frage stellen.

Eifrig studierte er die Mienen seines Herrn. Wenn sie mürrisch und verdrossen waren, mußte das nicht unbedingt an einer Erkaltung zwischen ihm und der Marquise liegen.

Es gab auch sonst genug Ursachen zum Stirnerunzeln.

In Paris und auf dem flachen Lande grollte und murrte man. Bellevue und Sèvres hatten neue Ursachen gegeben.

Die Pamphlete und Karikaturen häuften sich.

Das Parlament wälzte dem König immer neue Schwierigkeiten entgegen.

Die Minister waren nicht unter einen Hut zu bringen. Die Jesuiten hetzten und schürten nicht nur die Flammen religiösen Hasses, sie machten sich auch in handelspolitischer Beziehung immer unangenehmer bemerkbar. Merkwürdige Dinge kursierten von ihrem Handelshaus in Martinique, das sie unter dem Vorwande von Missionszwecken gegründet hatten, und das den Betrieb der Erzeugnisse der benachbarten westindischen Inseln immer mehr an sich zog.

Recht hatte die Pompadour, daß sie ihnen an die Gurgel wollte. Um Bellevue hatte sie einen eisernen Ring gezogen, da durfte ihr keiner von den Schwarzen hinein.

Herr Lebel rieb den Nasenrücken in dem aalglatten Gesicht. Dies Bellevue war ein unbequemer Faktor, der ihm die Rechnung erschwerte. Bei einem ständigen Aufenthalt in Versailles oder auf Reisen, bei denen er den König stets begleitete, wären ihm Beobachtung und Entschluß leichter gewesen.

Mehrere Tage schon war der König gleich nach dem Diner von Bellevue nach Versailles zurückgekommen, verschlossener noch denn sonst.

Lebel schien er wieder ganz der schweigsame, gelangweilte Schüler Fleurys zu sein, als den er Louis XV. kennen gelernt hatte. Es war absolut nicht mit ihm zu paktieren. Nachts wälzte er sich unruhig im Bett, sprach und seufzte vor sich hin, klingelte wiederholt, verlangte nach Leckereien, Biskuits und süßer Limonade. Vielleicht daß Lebels Zeit gekommen war!

Der Kammerdiener saß im Vorzimmer und ließ seine Gedanken wandern.

Da war die kleine rotblonde Modistin, eine Enkelin Dagés. Ein pikantes Dingelchen mit einem reizenden Figürchen und den niedlichsten kleinen Füßchen, aber dem Hof durch Sieur Dagé zu nahe gerückt. Es würde Klatschereien ohne Ende geben, und die Pompadour sah durch Bretter und Mauern.

Lise Breton, die Tochter seiner Waschfrau?

Nicht doch! Sie war plump und hatte schlechte Manieren.

Die kleine Babette? Die wieder war zu mager; dünn wie ein Nädelchen! Geradeswegs zum Zerbrechen!

Es blieb nichts übrig, er mußte nach Paris, Umschau zu halten! Wahrhaftig, man war durch die lange Pause ganz aus der Übung gekommen.

Gerade als Lebel sein Schlafzimmer neben dem des Königs aufsuchen wollte, kam ihm ein Gedanke.

Er erinnerte sich, in der Nähe des Schlosses öfters einem schönen Kinde, einer Klosterschülerin aus St. Cyre, begegnet zu sein. Sie war ganz das Genre, das der König bevorzugte. Die Kleine ging stets allein, in Träumereien versunken. Es würde keine allzu großen Schwierigkeiten haben, sie ins Schloß zu locken!

Am nächsten Morgen, sobald der König aufgestanden sein würde, wollte der schlaue Lebel sein Heil versuchen.

Wirklich, er hatte Glück. Wie von ungefähr traf er die reizende Kleine auf dem Waldweg, auf dem er ihr öfters begegnet war.

Er sprach sie artig an und stellte sich ihr vor.

Als das junge Ding hörte, daß Herr Lebel in der nächsten Umgebung des Königs lebe, riß sie die schönen sanften Augen weit auf. Tausend Fragen kamen von den frischen Lippen und der heiße Wunsch, den schönen König, Louis den Vielgeliebten nur ein einziges Mal von Angesicht zu sehen.

Lebel schmunzelte und meinte gnädig, daß dieser Wunsch vielleicht nicht unerfüllbar sei.

»O mein Herr, wie wäre das wohl möglich? Ein dummes unscheinbares Ding wie ich und den König sehen!«

Lebel betrachtete sie wohlgefällig. Zum Küssen hübsch war das Kind und unschuldig wie ein Lamm. Er würde zweifellos Effekt machen.

Ohne sich lange zu besinnen, bestellte er die Kleine für einen der nächsten Nachmittage ins Schloß. Sie sträubte sich ängstlich, bis dem schlauen Fuchs der gute Gedanke kam, sie möge sich an den Almosenier Seiner Majestät wenden und ihn um einen Beitrag für den im Bau begriffenen neuen Altar von St. Cyre bitten. Alles übrige solle sie getrost ihm überlassen. Er würde schon sorgen, daß sie bei dieser Gelegenheit den König zu Gesicht bekäme.

Die Kleine sagte errötend zu. Dankbar küßte sie dem Herrn die Hand, der ihr den höchsten Wunsch ihres Lebens zu erfüllen versprach.

Am Nachmittag des übernächsten Tages betrat die Klosterschülerin Jvonne Fouquet klopfenden Herzens den Schloßhof von Versailles. Im Kloster hatte man sie mit tausend heißen Segenswünschen für ihre fromme Mission entlassen.

Unangefochten ging sie an den Wachen vorüber, die ihr lachend nachsahen. Ein Page wies ihr den Weg zu den ihr von dem freundlichen Herrn im Walde bezeichneten Zimmern. Ein Schloßbeamter in großer Uniform, der sie häßlich grinsend ansah und mit einem vorübergehenden Offizier eigentümlich lächelnde Blicke tauschte, öffnete ihr eine Tür, die in einen engen, spärlich beleuchteten Gang führte. In diesem Gang traf sie den freundlichen Herrn aus dem Walde endlich wieder.

Hatte Jvonne bis zu diesem Augenblick vor Angst und Verlegenheit gezittert, so legte sie jetzt ihre Hand voll Vertrauen in die ihres Führers.

»Kommen wir hier zu dem Almosenier Seiner Majestät?«

Lebel lächelte faunisch.

»Ich geleite Sie zu einem Akt des Wohltuns. Verlassen Sie sich darauf! Folgen Sie mir nur, Fräulein Fouquet, und tun Sie alles, was ich Ihnen sagen werde.«

Jvonne nickte stumm. Würde man ihr das Geld für den Altar spenden, würde sie den König wirklich sehen?

Der Gang schien kein Ende nehmen zu wollen. Schließlich führte er zu ein paar Stufen, oberhalb derer ihr Führer eine Tür öffnete.

Ein sanftes dämmriges Licht flutete ihr entgegen.

Mit großen Augen sah sich Jvonne um. Sie befand sich in einem viereckigen, in dunkeln Holzfarben gehaltenen Raum. Über Fenster und Türen fielen grünseidene Vorhänge. Von der Decke hing an goldenen Ketten ein vielarmiger Lüster herab, an dem nur wenige Kerzen brannten.

Der freundliche Herr nötigte Jvonne auf einen mit schimmerndem Brokatstoff überzogenen Ruhesitz und ersuchte sie, ein paar Augenblicke auf ihn zu warten. Er werde gleich wieder hier sein und den Almosenier mitbringen.

Angst und Unruhe überfielen die Kleine aufs neue, sobald sie sich allein in dem fremden Raum sah.

Ein Druck wie von etwas Schrecklichem, Unbekanntem lastete auf ihr.

Sie faltete die Hände und betete zu Gott und der heiligen Jungfrau, daß sie ihr frommes Werk gelingen lassen möchten. Dabei konnte sie es nicht hindern, daß ihre Augen während des Gebetes unruhig im Zimmer auf und ab wanderten.

In einem Alkoven entdeckte sie ein Bett, über den sich ein kostbarer, goldener Thronhimmel spannte. Seine grünsamtnen Vorhänge waren von goldenen Löwenklauen gehalten. Auf dem Kaminsims schlug eine Uhr, aus feinen Porzellanblumen gebildet, sieben helle Schläge.

Jvonne erschrak. Um acht Uhr hatte sie spätestens wieder im Kloster sein sollen. Was würde Schwester Beatrice sagen, die in dieser Woche die Aufsicht hatte?

Da, plötzlich ein Geräusch! Eine der Türen hinter den grünen Seidenvorhängen öffnete sich.

Eine große, majestätische Gestalt in dunklem Samtanzuge trat ein. Im Kerzenglanz des Lüsters leuchteten ein paar blaue Augen, von denen Jvonne schon als Kind geträumt. Von heiligen Schauern erfüllt, sank sie vor ihrem König in die Knie.

Louis warf einen heißen, begehrlichen Blick auf die junge, blühende Gestalt, auf das reizende, in Scham und Entzücken glühende Gesichtchen.

Wahrhaftig, Lebel hatte nicht zuviel versprochen!

Er hob die Kleine auf, preßte sie einen Augenblick inbrünstig an sich und trug sie auf das Bett unter dem goldenen Thronhimmel.

In fiebernder Erwartung riß er die Schnüre aus den goldenen Löwenklauen und ließ die schweren samtnen Stoffe niedersinken. Seine durstigen Küsse erstickten den entsetzten Schrei des armen Kindes. Das Schicksal der kleinen Klosterschülerin hatte sich erfüllt.


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