Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

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VIII.

Mein Vater saß im Schlafrock in meinem Salon und schrieb.

Aus dem Blicke, den er mir bei meinem Eintritte zuwarf, erriet ich sogleich, daß unser Gespräch eine sehr ernste Wendung nehmen werde.

Die Leidenschaften machen stark gegen die Gefühle, und trotz der hohen Achtung, die ich vor meinem Vater habe, nahm ich mir vor, ihm meine Geliebte nicht zu opfern, wenn er, wie ich es ahnte, dieses Opfer von mir verlangen würde.

Ich redete ihn jedoch ganz unbefangen an, als ob ich in seinem Gesichte nichts erraten hätte und ich küßte ihn zärtlich, indem ich zu ihm sagte:

»Wann sind Sie angekommen, Vater?«

»Gestern Abend.«

»Sie sind wie gewöhnlich bei mir abgestiegen?«

»Ja.«

»Es tut mir sehr leid, daß ich nicht zu Hause war, um Sie zu empfangen.«

Ich erwartete auf diese Worte die Strafpredigt, die mir das ernste Gesicht meines Vaters versprach, losbrechen zu hören; aber er antwortete mir nicht, siegelte den Brief, den er geschrieben hatte und schickte denselben durch Josef auf die Post.

Als wir allein waren, stand mein Vater auf und sagte zu mir, indem er sich an den Kamin lehnte:

»Lieber Armand, wir haben von ernsten Dingen miteinander zu reden.«

»Ich höre, lieber Vater.«

»Du versprachst mir aufrichtig zu sein.«

»Das bin ich von jeher gewesen.«

»Ist es wahr, daß Du mit einer gewissen Margarete Gautier lebst?«

»Ja, das ist wahr.«

»Weißt Du, was dieses Mädchen früher war?«

»Eine femme entretenue

»Um ihretwillen hast Du vergessen, Deine Schwester und mich dieses Jahr zu besuchen?«

»Ja, ich gestehe es.«

»Du liebst dieses Mädchen also wirklich!«

»Sie sehen es, ich habe ja, um bei Margarete zu sein, eine heilige Pflicht versäumt, weshalb ich Sie heute um Verzeihung bitte.«

Mein Vater hatte gewiß keine so entschiedenen Antworten erwartet, denn er schien einen Augenblick nachzusinnen; dann sagte er:

»Du wirst doch eingesehen haben, daß Du nicht immer so leben kannst.«

»Ich habe es gefürchtet, lieber Vater, aber ich habe es nicht eingesehen.«

»Aber Du wirst doch eingesehen haben,« fuhr mein Vater in einem etwas trockenen Tone fort, »daß ich es nicht zugeben würde.«

»Ich habe gedacht, daß ich fortan würde leben können, wie jetzt, so lange ich nichts tue, was der Achtung, die ich Ihrem Namen und der bekannten Unbescholtenheit unserer Familie schuldig bin, zuwider ist; und dies hat meine Besorgnisse einigermaßen beschwichtigt.«

»Dann muß ich Dir sagen, daß Du von jetzt an ein anderes Leben führen mußt.«

»Warum das, Vater?«

»Weil Du im Begriffe bist, Handlungen zu begehen, welche die Achtung, die Du zu haben glaubst, schwer verletzen.«

»Ich verstehe Sie nicht, Vater.«

»Ich werde mich deutlicher erklären. Ich habe nichts dagegen, daß Du ein Verhältnis mit einem Mädchen angeknüpft hast und es geziemt sich für einen Ehrenmann, die Liebe einer fille entretenue anständig zu bezahlen; daß Du aber ihretwillen die ehrwürdigsten Angelegenheiten beiseite setzest, daß die Kunde von Deinem anstößigen Leben sogar bis in die entfernte Provinz dringt und auf den ehrenhaften Namen, den ich Dir gegeben, einen Makel wirft – das kann und soll nicht sein!«

»Erlauben Sie mir hierauf zu erwidern, lieber Vater, daß Sie falsch berichtet worden sind. Mademoiselle Gautier ist meine Geliebte, ich wohne mit ihr in einem Hause, das ist die einfachste Sache von der Welt. Ich gebe nicht mehr aus, als meine Mittel mir erlauben, ich mache keine Schulden, kurz, ich befinde mich keineswegs in einem Falle, der einen Vater berechtigen könnte, seinem Sohne zu sagen, was Sie mir gesagt haben.«

»Ein Vater ist immer berechtigt, seinen Sohn von einem Abwege, den er ihn betreten sieht, auf den rechten Weg zurückzuführen. Du hast noch nichts Böses getan, aber Du wirst es tun.«

»Vater!«

»Ich kenne das Leben besser als Du. Nur keusche Frauen können reine Gefühle haben. Nicht jede ist eine Manon, und überdies haben sich die Zeit und die Sitten geändert. Es wäre unnütz, wenn die Welt älter würde, wenn sie nicht auch besser würde ... Du wirst Deine Geliebte verlassen.«

»Es tut mir leid, Ihnen ungehorsam sein zu müssen, Vater, aber das ist unmöglich.«

»Ich werde Dich dazu zwingen.«

»Unglücklicherweise, Vater, gibt es keine Inseln Saint Marguerite mehr, wohin man die Buhlerinnen schickt, und gäbe es deren noch, so würde ich Mademoiselle Gautier dahin folgen, wenn Sie es erwirkten, daß sie dorthin geschickt würde. Ich habe vielleicht unrecht, aber ich kann nur als Margaretens Geliebter glücklich sein.«

»Höre die Stimme der Vernunft, Armand. Öffne die Augen und erkenne Deinen Vater, der Dir stets von Herzen gut war und nur Dein Glück will. Ist es ehrenvoll für Dich, eine Geliebte zu haben, bei welcher einst jeder reiche Mann Zutritt hatte?«

»Was liegt daran,« entgegnete ich, »wenn künftig niemand mehr Zutritt bei ihr hat? Was liegt daran, wenn sie mich liebt, wenn sie durch ihre und meine Liebe ein ganz anderes Wesen geworden ist? Kurz, was liegt daran, wenn sie wirklich bekehrt ist?«

»Glaubst Du denn,« erwiderte mein Vater, »es sei die Aufgabe eines Ehrenmannes, sich die Bekehrung der Buhlerinnen angelegen sein zu lassen? Glaubst Du denn, Gott habe dem Leben diesen grotesken Zweck gegeben und das Herz dürfe für keine andere Sache begeistert sein? Was wird die Folge dieser wunderbaren Bekehrung sein und was wirst Du von Deinem jetzigen Worte denken, wenn Du vierzig Jahre alt bist? Du wirst über Deine Liebe lachen, wenn es Dir noch vergönnt ist, darüber zu lachen, wenn sie nicht zu tiefe Spuren in Deiner Vergangenheit zurückgelassen hat. Was würdest Du zu dieser Stunde sein, wenn Dein Vater so gedacht hätte, wie Du jetzt denkst, wenn er sich von jedem Liebeshauch hätte hin und her treiben lassen, statt die Ehre und Biederkeit zur Richtschnur seines Lebens zu wählen? Bedenke das, Armand, und verschone mich mit solch einfältigem Geschwätz. Du wirst von dem Mädchen lassen, Dein Vater bittet Dich inständig darum.«

Ich antwortete nichts.

»Armand,« fuhr mein Vater fort, »im Namen Deiner ehrwürdigen Mutter verzichte auf dieses Leben, das Du schneller vergessen wirst als Du glaubst und an das Dich eine unselige Verblendung fesselt. Du bist vierundzwanzig Jahre alt, denke an die Zukunft. Du kannst dieses Mädchen nicht immer lieben und könntest Du es, so würde Deine Liebe nicht immer erwidert werden. Ihr beide macht Euch einen zu hohen Begriff von Eurer Liebe, Ihr bringt Euch um Eure ganze Zukunft. Noch einen Schritt weiter und Du kannst den betretenen Weg nicht mehr verlassen und Du wirst Dein Leben lang nur mit Reue an Deine Jugend zurückdenken. Reise mit mir ab, bleibe ein paar Monate bei Deiner Schwester. In unserem stillen, traulichen Familienkreise wirst Du von Deinem Fieber bald genesen. Unterdessen wird sich Deine Geliebte trösten, sie wird einen anderen Geliebten annehmen, und wenn Du einst siehst, um wessen willen Du Dir die Zuneigung Deines Vaters beinahe verscherzt hättest, so wirst Du gestehen, daß ich wohl getan habe, Dich abzuholen und Du wirst mir dafür danken. Nicht wahr, Armand, Du gehst mit mir?«

Ich sah ein, daß die Worte meines Vaters auf das ganze weibliche Geschlecht paßten, aber ich war überzeugt, daß er in bezug auf Margarete unrecht hatte. Aber er sprach die letzten Worte in einem so sanften bittenden Tone, daß ich keine Antwort wagte.

»Nun? ...« fragte er mit bewegter Stimme.

»Ich kann Ihnen nichts versprechen, Vater,« antwortete ich endlich; »was Sie von mir verlangen, übersteigt meine Kräfte. Glauben Sie mir,« fuhr ich fort, als ich seine Ungeduld bemerkte, »Sie sehen die Folgen dieses Verhältnisses in einem zu trüben Lichte. Margarete entspricht keineswegs dem Begriffe, den Sie sich von ihr machen. Diese Liebe, weit entfernt, mich auf Abwege zu führen, ist im Gegenteile fähig, die edelsten Gefühle in mir zu wecken. Die Liebe hat immer einen veredelnden Einfluß, von welchem Weibe sie auch eingeflößt werden möge. Wenn Ihnen Margarete persönlich bekannt wäre, so würden Sie einsehen, daß mein Verhältnis zu ihr nicht die mindeste Gefahr bietet. Sie steht den edelsten Frauen an Edelmut nicht nach; sie ist so uneigennützig, wie andere habsüchtig sind.«

»Trägt aber kein Bedenken, Dein ganzes Vermögen anzunehmen, denn Du mußt nicht vergessen, daß die von Deiner Mutter herkommenden sechzigtausend Franks, die Du ihr abtreten willst, Dein ganzes Vermögen ausmachen.«

Diese Schlußrede und die damit verbundene Drohung hatte mein Vater wahrscheinlich aufgespart, um mir noch einen empfindlichen Streich zu versetzen.

Vor seinen Drohungen hielt ich tapferer stand, als vor seinen Bitten.

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich ihr diese Summe abtreten will?« fragte ich.

»Mein Notar. Glaubst Du denn, ein ehrlicher Mann würde die Urkunde, die Du von ihm verlangst, ausgefertigt haben, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen? Du sollst Dich zugunsten eines Mädchen nicht ruinieren, und um Dich daran zu verhindern, bin ich nach Paris gekommen. Deine Mutter hat Dir diese Rente vermacht, um die beruhigende Überzeugung mit ins Grab zu nehmen, daß Du anständig leben könnest und nicht, um Dich in den Stand zu setzen, gegen Deine Maitressen freigebig zu sein.«

»Ich schwöre Ihnen, Vater, daß Margarete von dieser Schenkung nichts weiß.«

»Warum machtest Du denn die Schenkung?«

»Weil Margarete, die von Ihnen geschmäht wird und die ich verlassen soll, mir ihre ganze Habe opfert, um bei mir zu leben.«

»Und Du nimmst dieses Opfer an? Du gibst zu, daß eine feile Dirne Dir etwas opfert? ... Doch genug hiervon. Du wirst von dem Mädchen lassen. Soeben habe ich Dich darum gebeten, jetzt befehle ich es Dir; ich will meine Familie nicht auf solche Art besudeln lassen. Packe Deine Sachen ein und rüste Dich zur Abreise.«

»Verzeihen Sie mir, Vater,« erwiderte ich, »aber ich werde nicht abreisen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich schon das Alter erreicht habe, in welchem man jedem Befehle nicht mehr gehorcht.«

Mein Vater erblaßte bei dieser Antwort.

»Es ist gut, Armand,« erwiderte er; »ich weiß, was ich zu tun habe.«

Er zog die Glocke. Josef erschien.

»Mein Gepäck zum Hotel de Paris!« rief er meinem Diener zu.

Dann ging er in sein Zimmer, wo er sich vollends ankleidete.

Als er wieder eintrat, ging ich auf ihn zu.

»Versprechen Sie mir, Vater,« sagte ich zu ihm, »nichts zu tun, was Margarete weh tun könnte.«

Mein Vater blieb stehen, sah mich achselzuckend an und antwortete trocken:

»Du bist von Sinnen.«

Dann verließ er das Zimmer und schlug die Tür heftig hinter sich zu.

Ich ging ebenfalls fort, nahm ein Kabriolett und reiste sogleich nach Bougival ab.

Margarete erwartete mich am Fenster.


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