Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

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VII.

In den ersten drei Briefen gab mein Vater seine Besorgnis über mein Stillschweigen zu erkennen und fragte mich um die Ursache; in dem letzten gab er zu erkennen, daß er um meine veränderte Lebensweise wisse und meldete mir seine nahe bevorstehende Ankunft in Paris.

Ich habe meinen Vater immer sehr verehrt und aufrichtig geliebt. Ich antwortete ihm daher, die Ursache meines Stillschweigens sei eine kleine Reise, die ich gemacht und bat ihn, mich von dem Tage seiner Ankunft vorher in Kenntnis zu setzen, damit ich ihm entgegengehen könne.

Ich gab meinem Diener meine Adresse auf dem Lande mit dem Auftrage, mir den ersten, mit dem Poststempel C*** versehenen Brief zu bringen; dann reiste ich sogleich wieder nach Bougival ab.

Margarete erwartete mich an der Gartentür. Ihr Blick drückte einige Unruhe und Besorgnis aus; sie wünschte offenbar zu wissen, wo ich gewesen war. Sie fiel mir um den Hals und ihre erste Frage war:

»Hast du Prudence nicht gesehen?«

»Nein.«

»Du bist sehr lange ausgeblieben!«

»Ich habe Briefe von meinem Vater gefunden und ich mußte sie beantworten.«

Wir waren in ein Zimmer des Erdgeschosses getreten und Margarete, die mich von Zeit zu Zeit forschend ansah, schien von der Wahrheit meiner Aussage nicht sehr überzeugt zu sein.

Einige Augenblicke nachher trat Nanine ganz erhitzt ein. Margarete stand auf und sprach leise mit ihr.

Als Nanine sich entfernt hatte, sagte Margarete zu mir, indem sie sich wieder zu mir setzte und meine Hand faßte:

»Warum hast Du mich getäuscht? Du bist bei Prudence gewesen.«

»Woher weißt Du das?«

»Nanine hat mir's soeben gesagt.«

»Und woher weiß sie es?«

»Sie ist Dir gefolgt.«

»Auf Deinen Befehl?«

»Ja. Ich dachte wohl, daß Deine Reise nach Paris eine wichtige Ursache haben müsse, denn Du hast mich ja seit vier Monaten nicht verlassen. Ich fürchtete, es sei Dir ein Unglück begegnet und Du liebtest mich nicht mehr und ...«

»Du närrisches Kind!«

»Jetzt bin ich beruhigt, ich weiß, wo Du gewesen bist, aber ich weiß noch nicht, was man zu Dir gesagt hat.«

Ich zeigte Margarete die Briefe meines Vaters.

»Deine Korrespondenz will ich nicht sehen,« sagte sie, die Briefe zurückweisend; »ich wünschte nur zu wissen, warum Du zu Prudence gegangen bist.«

»Um sie zu besuchen.«

»Du lügst, lieber Armand.«

»Nun, ich bin zu ihr gegangen, um mich nach dem Befinden des Pferdes zu erkundigen und um sie zu fragen, ob sie Deinen Kaschmirschal nicht mehr braucht.«

Margarete wurde rot, aber sie antwortete nicht.

»Ich habe über alles genügende Auskunft erhalten,« fuhr ich fort; »ich habe erfahren, welchen Gebrauch Du von den Pferden, den Schals und den Diamanten gemacht hast.«

»Und Du zürnst mir?«

»Ich zürne Dir, daß Du mir nicht gesagt hast, was Du brauchtest.«

»In einem Verhältnisse wie das unsrige, lieber Armand, muß das Weib, wenn es noch einige Würde besitzt, lieber alle möglichen Opfer bringen, als den geliebten Mann um Geld ansprechen und den Schein des Eigennutzes auf sich laden. Du liebst mich, das weiß ich, aber Du weißt nicht, wie dünn der Faden ist, der die Liebe zu einem Mädchen, wie ich bin, oder vielmehr wie ich war, in dem Herzen zurückhält. Wer weiß? Vielleicht würdest Du an einem Tage der Verlegenheit oder des Überdrusses in meiner Liebe nur eine schlaue Berechnung erblicken und diesem Gedanken solltest Du nicht Raum geben, Prudence ist eine Schwätzerin. Wozu brauchte ich die Pferde? Durch den Verkauf derselben habe ich ein Ersparnis gemacht; ich brauche sie nicht mehr und gebe nichts mehr für sie aus. Mein einziger Wunsch ist Deine Liebe und Du wirst mich auch ohne Pferde und Wagen, ohne Kaschmirschals und Diamanten ebenso zärtlich lieben.«

Dies alles sagte sie in einem so natürlichen Tone, daß mir die Tränen in die Augen traten, als ich sie anhörte.

»Aber, teuerste Margarete,« antwortete ich, indem ich ihr zärtlich die Hände drückte, »Du wußtest wohl, daß ich dieses Opfer früher oder später erfahren und nicht zugeben würde.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht will, daß Dich Deine Liebe zu mir auch nur Eines Juwels beraube. Auch ich will nicht, daß Du in einem Augenblicke der Verlegenheit oder des Überdrusses dem Gedanken Raum gebest, daß Du in einem anderen Verhältnisse glücklicher wärest und daß Du auch nur eine Minute Deine Liebe zu mir bereuest. In einigen Tagen wirst Du Deine Pferde, Deine Diamanten und Kaschmirschals zurückerhalten. Sie sind Dir so unentbehrlich, wie die Lebensluft. Es ist vielleicht lächerlich, aber ich liebe Dich mehr, wenn Du von Luxus umgeben, als wenn Du in einfachen Verhältnissen lebst.«

»Du liebst mich also nicht mehr?«

»Närrin.«

»Wenn Du mich liebtest, so würdest Du mir erlauben, Dich nach meiner Weise zu lieben; aber Du willst in mir immer nur noch eine fille entretenue sehen, für die solcher Aufwand ein Bedürfnis geworden ist und deren Liebkosungen Du noch immer bezahlen zu müssen glaubst. Du schämst Dich, Beweise meiner Liebe anzunehmen. Du gibst Dich unwillkürlich dem Gedanken hin, daß Du mich einst verlassen werdest und Du willst Dein Zartgefühl vor jedem Argwohn sichern. Du hast recht, lieber Armand, aber ich hatte es nicht erwartet.«

Margarete wollte aufstehen; ich hielt sie zurück und sagte zu ihr:

»Ich will Dich glücklich sehen und Du sollst mir nichts vorzuwerfen haben.«

»Wie leicht vergißt man doch die Vergangenheit, wenn man seine Hoffnung auf die Zukunft setzt,« erwiderte Margarete. »Ich hatte mich der Hoffnung hingegeben, Du werdest in mir kein gewöhnliches Mädchen erblicken, so wie ich in Dir keinen den anderen ähnlichen Verehrer zu erkennen glaubte. Ich sage zu mir selbst: »Er wird sich überzeugen, daß ich ihn liebe, wie ein braves Mädchen ihn lieben würde und er wird gegen mich keine abgeschmackte Eigenliebe an den Tag legen. Ich habe nicht lange zu leben und werde ihm das Glück meiner letzten Lebensjahre verdanken.« In Dir fand ich die Sühne meiner Vergangenheit, die Ruhe nach meinen früheren Lebensstürmen und heute bemerke ich, daß sich meine schönen Träume nie verwirklichen werden.«

»Warum nicht, Margarete? Wer kann uns trennen?« rief ich.

»Du selbst, denn Du willst mir nicht erlauben, Deine Stellung zu begreifen und besitzest die Eitelkeit, mir meine Stellung sichern zu wollen. Du selbst, denn Du willst mit dem Luxus, der mich früher umgeben, zugleich die zwischen uns liegende moralische Entfernung beibehalten. Du selbst, denn Du hältst meine Zuneigung nicht für uneigennützig genug, um mit mir das Vermögen, das Du besitzest, zu teilen. Mit diesem Vermögen könnten wir glücklich leben, aber Du willst Dich lieber zum Bettler machen, um einem lächerlichen Vorurteil zu huldigen. Glaubst Du denn, daß ich Equipage und Juwelen mit Deiner Liebe vergleiche? Glaubst Du, das Glück bestehe für mich in dem eitlen Prunk, mit welchem man sich begnügt, wenn man nichts liebt, der aber sehr unbedeutend wird, wenn man liebt? Du wirst meine Schulden bezahlen, Dein Vermögen diskontieren und für meine Bedürfnisse sorgen! Wie lange wird das alles dauern? Zwei bis drei Monate, und dann wird es zu spät sein, um das Leben, das ich Dir vorschlage, zu beginnen; Du würdest dann um meinetwillen jede Bedingung eingehen und das kann ein Mann von Ehre nicht tun. Jetzt hingegen hast Du acht- bis zehntausend Franks Renten, mit denen wir ruhig und glücklich leben können. Ich werde das Überflüssige von meiner Habe verkaufen und mit dem Erlös kann ich mir eine jährliche Rente von zweitausend Franks gründen. Wir mieten dann eine gemeinschaftliche kleine Wohnung. Den Sommer bringen wir auf dem Lande zu, aber nicht in einem Hause wie dieses, sondern in einem Häuschen, das für zwei Personen hinlänglichen Raum bietet. Du bist unabhängig, ich bin frei, wir beide sind jung: um des Himmels willen, Armand, wirf mich nicht wieder in das Leben zurück, das ich vormals zu führen gezwungen war!«

Ich konnte nichts antworten, Tränen des Dankes und der Liebe füllten meine Augen und ich sank in Margaretens Arme.

»Ich wollte das alles in Ordnung bringen, ohne Dir etwas davon zu sagen,« fuhr sie fort; »ich wollte alle meine Schulden bezahlen und meine neue Wohnung herrichten lassen. Im Oktober würden wir wieder in Paris gewesen sein und alles wäre abgetan gewesen; aber da Du von Prudence die Sache erfahren hast, so mußt Du im voraus Deine Zustimmung geben, statt nachher einzuwilligen. Ist Deine Liebe groß genug, um Dich zu dieser Einwilligung zu bewegen?«

Es war unmöglich, dieser edelmütigen Hingebung zu widerstehen. Ich küßte Margarete zärtlich die Hände und sagte zu ihr:

»Ich werde tun, was Du willst.«

Margaretens Plan sollte also in Ausführung kommen. Sie wurde nun ausgelassen lustig; sie tanzte, sang und freute sich wie ein Kind auf die Einfachheit ihrer neuen Wohnung, auf die Stille und Einsamkeit des Stadtteiles, den sie wählte, und auf die Einrichtung des neuen Hauswesens, worüber sie ganz ernsthaft mit mir zu Rate ging.

Sie war überglücklich in der Beratung dieses Planes, der uns miteinander auf immer zu vereinigen schien. Das arme Mädchen! Sie können nicht denken, wie viel Gefühlsinnigkeit und Edelmut sie bei dieser Gelegenheit zeigte. Ich wollte ihr nicht nachstehen. Mein Lebensplan war in einem Augenblick gemacht: ich trat an Margarete die von meiner Mutter herkommende Rente ab, die mir zur Vergeltung des mir gebrachten Opfers vollkommen genügend schien. Es blieben mir noch die fünftausend Franks, die ich jährlich von meinem Vater bezog, und dieses Einkommen allein war im Notfalle hinreichend, meine Lebensbedürfnisse zu decken.

Diesen Entschluß hielt ich sorgfältig geheim, denn ich wußte im voraus, daß Margarete diese Schenkung ablehnen würde.

Diese Rente kam von einem Kapital, welches pfandrechtlich auf ein Haus, das ich noch gar nicht gesehen hatte, intabuliert war. Ich wußte weiter nichts, als daß mir der Notar meines Vaters, ein alter Freund unserer Familie, vierteljährig siebenhundertfünfzig Franks gegen Quittung übergab.

An dem Tage, wo ich mich mit Margarete nach Paris begab, um eine Wohnung zu suchen, ging ich zu diesem Notar und fragte ihn, wie ich es anzufangen hätte, um diese Rente auf eine andere Person zu übertragen.

Der brave Mann hielt mich für ruiniert und befragte mich über die Ursache dieses Entschlusses. Da ich ihm jedenfalls früher oder später sagen mußte, zu wessen Gunsten ich diese Schenkung machte, so wollte ich ihm die Wahrheit lieber sogleich erzählen.

Er machte mir keine jener Einwürfe, zu denen ihn seine Stellung als Notar und Freund berechtigte und er versprach mir die Angelegenheit bestens zu ordnen.

Ich empfahl ihm natürlich die größte Verschwiegenheit gegen meinen Vater und begab mich wieder zu Margarete, die mich bei Julie Duprat erwartete, bei der sie abgestiegen war, um nicht in die Notwendigkeit zu kommen, Prudences Moral anzuhören.

Wir fingen nun an Wohnungen zu suchen, alle jene, die wir sahen, fand Margarete zu teuer und ich fand sie zu einfach. Endlich kamen wir jedoch überein und mieteten in einem der ruhigsten Stadtteile von Paris einen von dem Hauptgebäude abgesonderten kleinen Pavillon.

Hinter diesem kleinen Pavillon war ein schöner Garten. Die Mauern, die den letzteren umgaben, waren hoch genug, um uns von unseren Nachbarn zu trennen und niedrig genug, um die Aussicht nicht zu beschränken. Dies war besser, als wir gehofft hatten.

Während ich mich nach Hause begab, um meine Wohnung aufzukündigen, ging Margarete zu einem Geschäftsmann, der ihrer Versicherung zufolge bereits für eine ihrer Freundinnen getan hatte, was er für sie tun sollte.

Margarete holte mich in meiner Wohnung ab. Sie war sehr erfreut; der Geschäftsmann hatte ihr versprochen, gegen Übernahme aller ihrer Möbel ihre sämtlichen Schulden zu bezahlen, ihr die Quittungen darüber einzuhändigen und ihr noch zehntausend Franks auszuzahlen.

Aus dem Ertrage der öffentlichen Versteigerung haben Sie ersehen, daß der Ehrenmann mehr als dreißigtausend Franks bei dem Geschäfte gewonnen haben würde.

Wir kehrten in der freudigsten Stimmung nach Bougival zurück und teilten einander unsere Pläne für die Zukunft mit, die wir bei unserer Jugend, bei unserer Sorglosigkeit und hauptsächlich bei unserer Liebe in den reizendsten Farben erblickten.

Acht Tage nachher saßen wir beim Frühstück, als Nanine mir meldete, daß mein Diener mich zu sprechen wünsche.

Ich ließ ihn hereinkommen.

»Ihr Vater ist in Paris angekommen,« sagte er zu mir, »und ersucht Sie, sich sogleich in Ihre Wohnung zu begeben, wo er sie erwartet.«

Diese Nachricht war die einfachste Sache von der Welt und dennoch war ich ganz betroffen. Ich sah Margarete an, sie war ganz blaß vor Schrecken. Wir beide ahnten ein Unglück in diesem Zwischenfalle.

Ohne daß sie mir dieses peinliche Gefühl, dessen auch ich mich nicht erwehren konnte, mitgeteilt hatte, antwortete ich darauf, indem ich ihre Hand faßte, mit den Worten:

»Fürchte nichts.«

»Komm sobald als möglich zurück,« flüsterte mir Margarete zu, indem sie mich küßte – »ich werde Dich am Fenster erwarten.«

Ich ließ meinem Vater durch Josef sagen, daß ich mich sogleich auf den Weg machen werde.

Zwei Stunden nachher war ich auch wirklich in der Rue de Provence.


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