Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Die hitzigen Fieber haben das Angenehme, daß sie entweder sehr schnell töten oder in kurzer Zeit geheilt werden.

Vierzehn Tage nach den eben erzählten Ereignissen war Armand schon auf dem Wege der Genesung und wir waren die vertrautesten Freunde geworden. Ich hatte während der ganzen Zeit seiner Krankheit nur sehr selten sein Zimmer verlassen.

Der Frühling brachte seine Blumenfülle, seine Blätter, seine Vögel, seine Lieder, und das Fenster meines Freundes bot die heitere Aussicht in einen Garten, dessen frische, belebende Düfte bis zu ihm heraufstiegen.

Der Arzt hatte ihm erlaubt aufzustehen und wir saßen oft in der wärmsten Tageszeit am offenen Fenster und plauderten.

Ich hütete mich wohl, von Margarete mit ihm zu sprechen, denn ich fürchtete immer, dieser Name werde eine unter der scheinbaren Heiterkeit des Kranken schlummernde trübe Erinnerung wecken; aber Armand schien gern von ihr zu sprechen, und zwar nicht mehr wie früher mit Tränen in den Augen, sondern mit sanftem Lächeln, und dies beruhigte mich über seinen Gemütszustand.

Ich hatte bemerkt, daß seit seinem letzten Besuche auf dem Friedhofe, seit dem Anblick, der diese heftige Krisis hervorgerufen hatte, das Maß des Seelenschmerzes durch die Krankheit gefüllt zu sein schien und daß ihm Margaretens Tod nicht mehr in dem Lichte der Vergangenheit erschien. Aus der entsetzlichen Gewißheit, die ihm geworden, hatte er eine Art Trost geschöpft, und um das letzte Bild, das ihm noch oft vor die Seele trat, zu verscheuchen, überließ er sich der Erinnerung an sein früheres Liebesglück und schien nur diese Erinnerungen zulassen zu wollen.

Der Körper war durch den Fieberanfall und selbst durch die Genesung zu sehr erschöpft, um dem Geiste eine heftige Aufregung zu gestatten, und die allgemeine Frühlingsfreude, von der Armand umgeben war, führte seine Gedanken unwillkürlich auf die heiteren Bilder zurück.

Er hatte sich immer hartnäckig geweigert, seine Verwandten von der Gefahr, in welcher er schwebte, in Kenntnis setzen zu lassen, und als er gerettet war, schrieb er seinem Vater nicht einmal, daß er krank gewesen war.

Eines Tages waren wir länger als gewöhnlich am Fenster geblieben, das Wetter war herrlich gewesen und der Tag verschwand in einer golddurchdufteten Dämmerung. Obgleich wir in Paris waren, schienen wir doch durch das uns umgebende Grün von der Welt abgeschieden zu sein und kaum wurde unser Gespräch von Zeit zu Zeit durch das Rasseln eines vorüberfahrenden Wagens gestört.

»Es war ungefähr in dieser Jahreszeit und an einem Abende wie dieser, als ich Margarete kennen lernte,« sagte Armand, der mehr seinen eigenen Gedanken, als meinen Worten zu lauschen schien.

Ich gab keine Antwort, ich meinte, es sei nur eine leicht hingeworfene Bemerkung.

Dann wendete er sich zu mir und sagte:

»Ich muß Ihnen doch diese Geschichte erzählen; Sie werden ein Buch darüber schreiben, an das niemand glauben wird, das aber vielleicht interessant zu schreiben sein dürfte.«

»Erzählen Sie mir das später, lieber Freund,« erwiderte ich; »Sie sind noch nicht genug wiederhergestellt.«

»Der Abend ist warm, ich habe mein halbes Huhn mit Appetit verzehrt,« sagte er lächelnd, »ich habe kein Fieber und wir haben nichts zu tun; ich will Ihnen also die ganze Geschichte erzählen.«

»Wenn Sie es durchaus wollen, so bin ich bereit, Ihnen zuzuhören.«

»Es ist eine ganz einfache Geschichte,« setzte er hinzu, »und ich werde sie Ihnen nach der Reihenfolge der Ereignisse erzählen; es steht Ihnen frei, sie anders mitzuteilen.«

Er begann nun die folgende rührende Geschichte, an welcher ich kaum einige Worte geändert habe.

»Ja,« fuhr Armand fort, indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte – »ja, es war an einem Abende wie dieser! Ich hatte den Tag mit einem Freunde auf dem Lande zugebracht und nach unserer Rückkehr in die Stadt gingen wir in das Théâtre des Varietés.

In einem Zwischenakte gingen wir hinaus und im Korridor sahen wir eine Dame vorübergehen, die mein Freund grüßte.

»Wen grüßen Sie da?« fragte ich ihn.

»Margarete Gautier.«

»Sie scheint sehr verändert zu sein, denn ich habe sie nicht erkannt,« sagte ich mit einer Bewegung, welche Sie sogleich begreifen werden.

»Sie ist krank gewesen,« erwiderte Eugen; »das arme Mädchen wird wohl nicht lange mehr leben.«

Diese Worte sind mir so lebhaft im Gedächtnis, als ob ich sie gestern gehört hätte.

Sie müssen wissen, lieber Freund, daß der Anblick dieses Mädchens damals – es sind nun länger als zwei Jahre – jedesmal einen eigentümlichen Eindruck auf mich machte.

Ohne daß ich mir die Ursache zu erklären wußte, erblaßte ich und mein Herz schlug heftig. Ich halte es für eine Vorherbestimmung, für einen Wink des Schicksals, das mich zu Margaretens Geliebten erkor, für eine Ahnung, daß sie in meinem Leben eine Rolle spielen sollte, so wie ich in ihrem Leben eine Rolle spielen sollte.

Der tiefe Eindruck, den sie auf mich machte, war keineswegs eine Täuschung; mehrere meiner Bekannten waren Zeugen davon und sie lachten mich aus, als sie sich überzeugten, wer diesen eigentümlichen Eindruck auf mich machte.

Zum ersten Male hatte ich sie auf dem Börsenplatz vor Susses berühmten Modewarenlager gesehen. Eine offene Kalesche hielt vor der Tür und eine weißgekleidete Dame stieg aus. Ihr Eintritt in das Gewölbe war ein wahrer Triumph, alle Anwesenden gaben ihre Bewunderung durch ein Gemurmel zu erkennen. Ich stand wie festgewurzelt, bis sie wieder aus dem Magazin kam. Ich sah durch das Fenster, wie sie unter den vorgelegten Waren wählte. Ich hätte hineingehen können, aber ich wagte es nicht. Ich wußte nicht, wer sie war, und fürchtete, sie werde die Ursache meines Eintrittes erraten und sich dadurch beleidigt fühlen. Ich konnte gleichwohl nicht hoffen, daß ich sie wiedersehen würde.

Sie war elegant gekleidet; sie trug ein Musselinkleid mit Volants, ein Flortuch, einen feinen Strohhut ohne Blumen und ein Bracelet mit Diamanten.

Wenn ich mich entsinne, wie sie damals war und wie ich sie mit Ihnen wiedergesehen habe, so werde ich von einem Schauer befallen.

Sie stieg wieder in den Wagen und fuhr davon. Einer der Ladendiener blieb in der Türe stehen und schaute der eleganten Käuferin nach. Ich trat auf ihn zu und ersuchte ihn, mir den Namen der schönen Unbekannten zu sagen.

»Es ist Mademoiselle Margarete Gautier,« antwortete er.

Ich getraute mich nicht, ihn um die Adresse zu fragen und entfernte mich.

Die Rückerinnerung an diese Erscheinung – denn eine solche war es wirklich – kam mir nicht aus dem Sinn, wie manche andere derartige Erscheinungen, und ich suchte überall die wunderherrliche weiße Dame.

Einige Tage darauf fand in der Komischen Oper eine große Vorstellung statt. Die erste Person, die ich in einer Parterreloge bemerkte, war Margarete Gautier.

Mein Begleiter kannte sie auch, denn er sagte zu mir, auf sie deutend:

»Sehen Sie das schöne Mädchen dort in der Parterreloge?«

In diesem Augenblicke bemerkte ihn Margarete, die ihre Lorgnette nach unserer Seite gerichtet hatte; sie lächelte ihm zu und gab ihm einen kaum bemerkbaren Wink, zu ihr zu kommen.

»Ich will ihr guten Abend sagen,« sagte er zu mir, »ich komme sogleich wieder.«

Ich konnte mich nicht enthalten, zu ihm zu sagen:

»Wie glücklich sind Sie!«

»Warum?«

»Daß Sie dieses schöne Mädchen besuchen können.«

»Sind Sie etwa verliebt?«

»Nein,« sagte ich errötend, denn ich wußte in der Tat nicht, woran ich war; »aber ich möchte sie gern kennen lernen.«

»So kommen Sie mit mir, ich will Sie vorstellen.«

»Fragen Sie erst um Erlaubnis.«

»Ah! parbleu, man hat nicht nötig, so viele Komplimente bei ihr zu machen. Kommen Sie nur.«

Diese Worte machten einen peinlichen Eindruck auf mich. Es war mir unendlich bange, die Gewißheit zu erhalten, daß Margarete nicht verdiene, was ich für sie fühlte.

In einem Buche von Alphons Karr, betitelt: »Beim Rauchen,« kommt eine Stelle vor, die mir in diesem Augenblick einfiel. Ein Mann begegnet abends einem schönen, sehr eleganten Frauenzimmer. Die reizende Unbekannte macht einen solchen Eindruck auf ihn, daß er umkehrt und sie verfolgt. Um ihr die Hand küssen zu dürfen, würde er die Kraft alles zu unternehmen, den Willen alles zu erringen, den Mut alles durchzusetzen gehabt haben. Kaum wagt er einen indiskreten Blick zu werfen auf den zierlichen Fuß, den sie sehen läßt, um ihr Kleid nicht durch die Berührung mit dem Boden zu beschmutzen. Während er die abenteuerlichsten Pläne ersinnt, um sich der schönen Unbekannten zu nähern, bleibt sie an einer Straßenecke stehen und redet ihn an. Er kann für zehn Franks ihre nähere Bekanntschaft machen.

Er wendet sich mit Widerwillen ab und begibt sich traurig nach Hause.

Dieser Auftritt kam mir nun ins Gedächtnis und ich fürchtete, dieses reizende Wesen werde meine Wünsche zu schnell erhören und mir zu bereitwillig eine Liebe schenken, die ich durch langes Warten oder durch ein großes Opfer hätte erkaufen mögen. Wir Männer sind einmal so; es ist noch ein Glück, daß die Phantasie den Sinnen diese Poesie läßt und daß die Begierden des Körpers den Träumen der Seele dieses Zugeständnis machen.

Kurz, wenn man zu mir gesagt hätte: »Diesen Abend soll sie Dein sein und morgen mußt Du sterben,« so würde ich eingewilligt haben. Wenn man zu mir gesagt hätte: »Zahle zehn Louisdor und Du sollst ihr Geliebter sein,« so würde ich es zurückgewiesen und geweint haben wie ein Kind, das beim Erwachen seinen schönen Traum zerrinnen sieht.

Indessen, ich wollte sie kennen lernen; dies war das einzige Mittel, zu erfahren, was ich von ihr zu halten hätte.

Ich erwiderte daher meinem Begleiter, daß ich zuerst zu wissen wünsche, ob sie mit meinem Besuch in der Loge zufrieden sei, ging dann im Korridor auf und ab und stellte mir schon die Verlegenheit vor, mit der ich vor sie hintreten würde. Ich suchte sogar schon die Worte zusammenzustellen, die ich zu ihr sagen wollte. Welche großartige Kinderei ist doch die Liebe!

Einen Augenblick nachher kam mein Freund zurück.

»Sie erwartet uns,« sagte er zu mir.

»Ist sie allein?« fragte ich.

»Es ist ein anderes Frauenzimmer bei ihr.«

»Und keine Männer?«

»Nein.«

»So kommen Sie.«

Mein Begleiter ging auf die Tür des Theaters zu.

»Ich will Zuckerwerk kaufen; sie hat mich darum ersucht.«

Wir gingen zu einem Zuckerbäcker im Passage de l'Opéra.

Ich hätte den ganzen Laden zusammenkaufen mögen und wählte im stillen verschiedene Leckerbissen, als mein Begleiter ein Pfund überzuckerte Rosinen verlangte.

»Wissen Sie auch, daß sie sie gerne ißt?« fragte ich.

»Sie ißt nie anderes Zuckerwerk ... Aber wissen Sie denn wohl,« fuhr er fort, als wir den Laden verlassen hatten, »wissen Sie, wem ich Sie vorstelle? Sie müssen nicht glauben, sie sei eine Herzogin, sie ist nichts als eine femme entretenue – tout ce qu'il y a de plus entretenue. Genieren Sie sich also nicht und sagen Sie nur alles, was Ihnen einfällt.«

»Gut, gut,« stammelte ich.

Ich folgte ihm und dachte, daß ich von meiner Leidenschaft gewiß geheilt werden würde.

Margarete lachte laut, als wir in die Loge traten. Ich hätte lieber gesehen, sie wäre traurig gewesen.

Mein Freund stellte mich vor. Margarete gab nur durch ein leichtes Kopfnicken zu erkennen, daß sie von mir Notiz nahm und verlangte ihr Zuckerwerk.

Als sie den gefüllten Papiersack nahm, sah sie mich an. Ich schlug die Augen nieder und errötete.

Sie neigte sich zu ihrer Nachbarin, flüsterte ihr einige Worte ins Ohr und beide lachten laut.

Ich erriet, daß ich die Ursache dieser Heiterkeit war; meine Verlegenheit wurde dadurch noch größer. Ich hatte damals eine hübsche sentimentale Bürgerstochter zur Geliebten, deren schwärmerische Briefe oft von mir bespöttelt worden waren. Ich sah nun ein, wie weh ich dem armen Mädchen getan hatte.

Margarete aß unterdessen ihre Rosinen, ohne sich weiter um mich zu bekümmern.

Mein Begleiter wollte mich in dieser lächerlichen Situation nicht lassen.

»Margarete,« sagte er, »Sie dürfen sich nicht wundern, daß Herr Duval nichts spricht, Sie machen ihn so verwirrt, daß er keine Worte findet.«

»Ich glaube vielmehr,« sagte Margarete, »daß Monsieur Sie hierher begleitet hat, weil es Ihnen langweilig war, allein hierher zu kommen.«

»Wenn das wahr wäre,« entgegnete ich, »so würde ich Ernest nicht ersucht haben, Sie um Erlaubnis zu bitten, mich vorstellen zu dürfen.«

»Es war vielleicht nur ein Mittel, den unangenehmen Augenblick zu verschieben.«

»Frauenzimmer von Margaretens Schlage,« fuhr Armand fort, »finden immer ein besonderes Vergnügen, pikant und witzig zu sein und Leute, die sie zum ersten Male sehen, zu necken. Dies ist ohne Zweifel eine Wiedervergeltung der Demütigungen, die sie oft von denen, die sie täglich sehen, ertragen müssen.

Um ihnen zu antworten, muß man sich in solchen Kreisen schon bewegt haben, und mir waren diese noch fremd. Überdies machte mich der Begriff, den ich mir von Margarete gemacht hatte, geneigt, den Scherz höher aufzunehmen, als er es verdiente. Von ihr war mir nichts gleichgültig. Ich stand auf und sagte zu ihr mit einer Aufregung, die ich nicht ganz zu verbergen vermochte:

»Wenn Sie das von mir denken, so habe ich Sie nur wegen meiner Zudringlichkeit um Verzeihung zu bitten und mich Ihnen mit der Versicherung zu empfehlen, daß ich Sie fortan nicht wieder belästigen werde.«

Ich verneigte mich und verließ die Loge. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, so hörte ich einen dritten Ausbruch des Gelächters. Ich war in einer unbeschreiblichen Stimmung: ich hätte mich gerne mit jemand auf Leben und Tod geschlagen, wenn ich nur einen Vorwand hätte finden können! ...

Ich kehrte zu meinem Sperrsitz zurück. Das Publikum verlangte ungeduldig das Aufziehen des Vorhanges. Mein Freund folgte mir bald nach.

»Was ist Ihnen denn eingefallen!« sagte er, indem er sich setzte, »man hält Sie für wahnwitzig.«

»Was hat Margarete gesagt, als ich fort war?«

»Sie hat gelacht und mir beteuert, sie habe nie einen so drolligen Menschen gesehen wie Sie. Aber Sie müssen sich nicht für überwunden halten, nur erweisen Sie diesen Mädchen nicht die Ehre, etwas von ihnen übel zu nehmen. Von Eleganz und seinem Weltton haben sie keinen Begriff; sie machen es wie die Hunde, denen man Parfüms vorwirft: sie finden den Wohlgeruch abscheulich und springen ins Wasser, um sich desselben zu erwehren.«

»Im Grunde, was liegt daran,« sagte ich, einen sorglosen Ton annehmend; »ich werde sie nicht wiedersehen, und wenn sie mir gefiel, ehe ich sie kannte, so hat sie nun einen ganz anderen Eindruck auf mich gemacht.«

»Bah!« erwiderte Ernest, »ich gebe noch nicht alle Hoffnung auf, Sie einst im Hintergrunde ihrer Loge zu sehen und von Ihnen zu hören, daß Sie sich ihretwegen in Schulden stürzen. Im ganzen muß ich Ihnen recht geben, sie hat eine schlechte Erziehung erhalten, aber reizend und liebenswürdig ist sie.«

Glücklicherweise ging der Vorhang auf und mein Begleiter schwieg. Es wäre mir unmöglich, Ihnen zu sagen, was gespielt wurde; ich erinnere mich nur, daß ich von Zeit zu Zeit einen Blick in die Loge hinauf warf, die ich plötzlich verlassen hatte, und daß die Gesichter neuer Besucher sehr schnell aufeinanderfolgten.

Ich war indessen weit entfernt, nicht mehr an Margarete zu denken. Ein anderes Gefühl bemächtigte sich meiner. Es schien mir, als ob ich ihren Hohn und meine Lächerlichkeit vergessen machen müsse, und ich faßte den Entschluß, dieses Mädchen zu besitzen und wenn ich mein ganzes Vermögen darüber einbüßen sollte; ich nahm mir vor, den von mir so schnell geräumten Platz mit vollem Recht einzunehmen und ihn standhaft zu behaupten gegen Personen, die mir höchst zuwider waren, weil ich sie mit Margarete lachen sah, und weil ich mich für die Zielscheibe ihres Spottes hielt.

Ich hatte große Lust, einen derselben zu ohrfeigen und ihn am folgenden Tage totzuschießen oder mich von ihm totschießen zu lassen; kurz, ich kann Ihnen nicht sagen, welche wunderliche Gedanken mir in den Kopf kamen.

Margarete und ihre Freundin verließen die Loge noch vor Beendigung des Schauspiels.

Ich verließ unwillkürlich meinen Sperrsitz.

»Sie wollen gehen?« fragte Ernest.

»Ja.«

»Warum?«

In diesem Augenblick bemerkte er, daß die Loge leer war.

»Ah! ich sehe es schon,« setzte er hinzu. »Gehen Sie nur, ich wünsche Ihnen viel Glück.«

Ich ging hinaus. Ich hörte im Seitengang das Rauschen seidener Kleider und weibliche Stimmen. Ich trat auf die Seite und sah, ohne selbst bemerkt zu werden, die beiden Mädchen in Begleitung von zwei jungen Männern vorübergehen.

In der Vorhalle des Theaters trat ein kleiner Bedienter auf sie zu.

»Sage dem Kutscher, daß er vor dem Café Anglais warte,« sagte Margarete, »bis dahin gehen wir zu Fuß.«

Einige Minuten nachher sah ich, auf dem Boulevard hin und her gehend, Margarete am Fenster eines der elegantesten Speisezimmer stehen und tändelnd eine Kamelie ihres Straußes entblättern.

Einer der beiden Männer stand neben ihr und sprach mit ihr.

Ich installierte mich in der Maison d'Or, in einem Salon des ersten Stockes, und ließ das Fenster, wo sich Margarete befand, nicht aus den Augen.

Um ein Uhr nach Mitternacht stieg sie mit ihren drei Begleitern in ihren Wagen.

Ich nahm ein Kabriolett und folgte ihr. Der Wagen hielt an der Rue d'Antin vor dem Hause Nr. 9 an. Margarete stieg aus und ging allein in das Haus.

Es mochte wohl ein Zufall sein, aber dieser Zufall machte mich sehr glücklich.

Von jenem Tage an sah ich Margarete oft im Theater oder in den Champs Elysées; ihr Laune war immer gleich heiter, meine Stimmung immer gleich aufgeregt.

Vierzehn Tage verflossen jedoch, ohne daß ich sie irgendwo sah. Bei meinem nächsten Zusammentreffen mit Ernest erkundigte ich mich nach ihr.

»Das arme Mädchen ist sehr krank,« antwortete er.

»Was fehlt ihr denn?«

»Sie leidet an einer Brustkrankheit, und da ihre Lebensweise keineswegs geeignet ist, sie zu heilen, so muß sie das Bett hüten und schwebt sogar in Lebensgefahr.«

Das menschliche Herz ist doch ein sonderbares Ding. Ich war beinahe erfreut über diese Krankheit. Ich erkundigte mich täglich nach dem Befinden der Kranken, ohne mich jedoch einzuschreiben und ohne meine Karte zurückzulassen. Auf diese Weise erfuhr ich ihre Besserung und ihre Abreise nach Bagnères.

Dann verstrich eine lange Zeit, in welcher der erste Eindruck und vielleicht auch die Erinnerung allmählich in meiner Seele erlöschen sollte. Ich ging auf Reisen; der Gedanke, der einst ausschließlich meinen Geist beschäftigt hatte, wich den mannigfaltig wechselnden Eindrücken und der Macht der Gewohnheit; ernste Arbeiten, zu denen mich die Vorbereitung auf meinen künftigen Beruf nötigte, nahmen den meisten Teil meiner geistigen Tätigkeit in Anspruch, und wenn ich an dieses erste Abenteuer dachte, so erblickte ich darin nur eine jener Leidenschaften, von denen kein junger Mann verschont bleibt und über die man bald nachher lacht.

Es würde übrigens kein Verdienst gewesen sein, diese Erinnerung zu verbannen, denn ich hatte Margarete seit ihrer Abreise aus den Augen verloren, und ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich sie nicht erkannte, als sie im Korridor des Varietés-Theater an mir vorüberging.

Sie war freilich verschleiert, aber zwei Jahre früher würde ich sie trotz der dichtesten Verschleierung erkannt haben.

Mein Herz schlug demnach heftig, als ich erfuhr, wer sie war; die beiden Jahre, die ich verlebt hatte, ohne sie zu sehen, und die Ereignisse, welche die Trennung dem Anscheine nach herbeigeführt hatten, verschwanden in nichts bei der bloßen Berührung ihres Gewandes.


 << zurück weiter >>