Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Es würde schwer sein, Ihnen unser neues Leben ausführlich zu schildern. Es bestand aus einer Reihe von Tändeleien, die unser höchstes Glück ausmachten, aber für andere kein Interesse haben können. Sie wissen, was es heißt, ein weibliches Wesen zu lieben. Sie wissen, wie schnell die Tage vergehen, und mit welcher liebedurchglühten Lässigkeit man dem anderen Tage entgegenlebt. Sie kennen jene Vergessenheit der Außenwelt, die aus einer innigen, vertrauten, ungeteilten Liebe entsteht.

Jedes Wesen, außer dem geliebten Gegenstande, scheint in der Schöpfung überflüssig zu sein. Man bereut, seine Zuneigung schon anderen gewidmet zu haben und man begreift gar nicht die Möglichkeit, jemals eine andere Hand zu drücken, als jene, die man gefaßt hat.

Man ist weder einer Geistestätigkeit, noch einer Erinnerung, noch sonst einer Zerstreuung fähig. Mit jedem Tage entdeckt man an der Geliebten einen neuen Reiz, einen bisher ungekannten Zauber. Das Dasein ist nur noch die beständig wiederholte Ausführung eines einzigen Wunsches, die Seele nur die Vestalin, der die Erhaltung des heiligen Liebesfeuers obliegt.

Oft setzten wir uns bei Sonnenuntergang in das am Abhange des Hügels hinter dem Hause befindliche Wäldchen und lauschten den freudigen Harmonien des Abends. Oder wir saßen am Fenster und überblickten die im Halbdunkel des scheidenden Tages schwimmende, weite Landschaft.

Gleichwohl überraschte ich Margarete zuweilen in trüber Stimmung und zuweilen sogar in Tränen. Eines Tages fragte ich sie, woher dieser plötzliche Kummer komme und sie antwortete mir:

»Meine Liebe ist keine gewöhnliche Liebe, teuerster Armand; Du liebst mich, als ob ich bis zu Dir keusch und fleckenlos gewesen wäre und ich fürchte, Du werdest später Deine Liebe bereuen und mir meine Vergangenheit vorwerfen. Wie schrecklich, wenn Du mich zwingen würdest, zu dem früheren Leben, in welchem Du mich gefunden, zurückzukehren! Jetzt, nachdem ich die Seligkeit des neuen Lebens, das Du mir bereitet, gekostet habe, würde ein Rückfall mein Tod sein. Gib mir also die Versicherung, daß Du mich nie verlassen wirst.«

»Ich schwöre es Dir!«

Bei diesen Worten sah sie mich an, als ob sie in meinen Augen hätte lesen wollen, ob mein Schwur aufrichtig sei; dann sank sie in meine Arme und sagte, ihr Gesicht an meiner Brust verbergend:

»O, Du weißt nicht, wie ich Dich liebe!«

Eines Abends standen wir am Fenster, betrachteten den Mond, der mühsam aus seinem Wolkenbett hervorzukommen schien und hörten dem Winde zu, der in den Ästen der Bäume tobte. Wir hielten uns an der Hand und blieben wohl eine Viertelstunde stumm, als Margarete zu mir sagte:

»Da kommt der Winter; willst Du, daß wir abreisen?«

»Wohin?«

»Nach Italien.«

»Du langweilst Dich hier?«

»Ich fürchte den Winter, und noch mehr unsere Rückkehr nach Paris.«

»Warum.«

»Aus vielen Gründen.«

Und sie fuhr plötzlich abbrechend fort, ohne mir die Ursache ihrer Besorgnis zu nennen.

»Willst Du abreisen? Ich werde meine ganze Habe verkaufen und wir gehen in ein fernes Land; es bleibt dann nichts übrig von dem, was ich war. Niemand wird dort wissen, wer ich bin. Willst Du?«

»Ja, wir wollen fort von hier, Margarete, wenn es Dein Wunsch ist, wir wollen eine Reise machen,« sagte ich zu ihr; »aber warum wolltest Du Sachen verkaufen, die Du bei Deiner Rückkehr mit Freuden wiederfinden wirst? Mein Vermögen ist nicht so groß, daß ich ein solches Opfer von Dir annehmen könnte, aber ich besitze genug, um mit Dir eine angenehme Reise von fünf bis sechs Monaten zu machen, wenn es Dir ein Vergnügen macht.«

»Doch nein,« fuhr sie fort, indem sie das Fenster verließ und sich auf das Sofa in den dunklen Hintergrund des Zimmers setzte, »wozu im fremden Lande so viel Geld ausgeben? Du bringst mir hier schon genug Opfer.«

»Du wirfst es mir vor, Margarete; daß ich nicht großmütig ...«

»Verzeihe mir, lieber Armand,« antwortete sie, mir die Hand reichend. »Dieses stürmische Wetter greift meine Nerven schrecklich an, und ich weiß nicht recht, was ich sage.«

Sie küßte mich und versank dann in ein tiefes Nachdenken.

Solche Auftritte erneuerten sich zu wiederholten Malen. Die Veranlassung zu denselben blieb mir unbekannt, aber ich nahm doch bei Margarete ein Gefühl der Unruhe für die Zukunft wahr. An meiner Liebe konnte sie nicht zweifeln, denn meine Zärtlichkeit mehrte sich mit jedem Tage und trotzdem sah ich sie oft traurig, ohne daß sie für die Ursache ihrer Verstimmung einen anderen Grund als ein körperliches Unwohlsein angegeben hätte.

Da ich fürchtete, das allzu einförmige Leben werde sie langweilen, schlug ich ihr die Rückkehr nach Paris vor; aber sie wies diesen Vorschlag stets mit Beharrlichkeit zurück und gab mir die Versicherung, daß sie nirgends so glücklich sein könne als auf dem Lande.

Prudence kam nur noch selten, dafür aber schrieb sie Briefe, die ich nie zu sehen verlangte, die aber auf Margaretens Stimmung jedesmal einen sehr niederschlagenden Eindruck machten.

Ich wußte nicht, was ich denken sollte.

Eines Tages schrieb Margarete, die allein in ihrem Zimmer geblieben war, einen langen Brief. In dem Augenblicke, als sie den Brief siegelte, trat ich ein.

»An wen schreibst Du?« fragte ich.

»An Prudence,« antwortete sie; »soll ich Dir vorlesen, was ich ihr geschrieben habe?«

Jeder Anschein eines Argwohns war mir ein Greuel, ich antwortete daher, daß ich um Margaretens Briefwechsel gar nicht zu wissen verlange. Und dennoch war ich überzeugt, daß ich aus diesem Briefe die wahre Ursache ihrer Betrübnis erfahren würde.

Am folgenden Tage war das Wetter herrlich. Margarete schlug mir eine Spazierfahrt auf dem Wasser und einen Besuch der ihr noch unbekannten Insel Croissy vor.

Wir frühstückten bei einem Fischer. Margarete schien sehr heiter, und es war fünf Uhr, als wir wieder zu Hause ankamen.

»Madame Duvernoy ist gekommen,« sagte Nanine, als sie uns eintreten sah.

»Ist sie wieder fort?« fragte Margarete.

»Ja, sie hat anspannen lassen und ist in der Kutsche nach Paris zurückgekehrt; sie sagte, es sei so verabredet worden.«

»Gut, gut,« sagte Margarete hastig; – »laß jetzt den Tisch besorgen.«

Den ganzen Abend war Margarete beinahe ausgelassen lustig.

Zwei Tage nachher kam ein Brief von Prudence, und vierzehn Tage lang schien Margarete ihre rätselhafte Schwermut vergessen zu haben und sie hörte nicht auf, mich wegen ihrer trüben Stimmung um Verzeihung zu bitten.

Der Wagen kam unterdessen nicht zurück.

»Wie kommt es, daß Dir Prudence Dein Coupé nicht zurückschickt?« fragte ich Margarete.

»Sie hat mir geschrieben, eines der beiden Pferde sei krank und der auf dem Lande sehr abgenützte Wagen bedürfe einer Ausbesserung. Es ist besser, daß dies alles gemacht werde, so lange wir noch hier sind, wo wir keinen Wagen brauchen, als daß wir bis zu unserer Rückkehr nach Paris damit warten.«

Ich sah Margarete forschend an, denn sie gab mir diese Erklärung in einem etwas verlegenen Tone; da sie im Grunde aber ziemlich wahrscheinlich war, so begnügte ich mich damit.

Prudence, die uns einige Tage darauf besuchte, bestätigte mir Margaretens Aussage.

Beide gingen einige Augenblicke im Garten auf und ab und als ich zu ihnen trat, entging es mir nicht, daß sie das Gespräch plötzlich abbrachen.

Als Prudence abends Abschied nahm, bat sie Margarete um einen Kaschmirschal, um sich gegen die Abendkühle zu schützen. Margarete war sogleich dazu bereit.

So verging ein Monat, während dessen Margarete heiterer und zärtlicher war als je zuvor.

Indessen machte mir der Wagen, der nicht zurück kam, und der Kaschmirschal, den Margarete ebenso wenig wieder erhielt, allerlei Bedenken; und da ich wußte, in welchem Schubfach Margarete die Briefe Prudences aufbewahrte, so benützte ich einen Augenblick, wo sie im Garten war und versuchte das Schubfach zu öffnen; aber meine Bemühungen waren fruchtlos, es war sorgfältig verschlossen.

Dann suchte ich in den übrigen Schubfächern, in denen sie ihre Schmucksachen und Brillanten aufzubewahren pflegte. Diese Fächer waren nicht verschlossen, aber die Schmuckkästchen waren verschwunden, bis auf wenige, welche Gegenstände von geringerem Werte enthielten.

Eine peinliche Angst schnürte mir das Herz zusammen. Ich ging zu Margarete, die ohne Zweifel in meinem Gesichte las, wie sehr ich aufgeregt war und vielleicht auch, was mich so aufgeregt hatte, denn sie erblaßte, als sie mich erblickte.

Ich war schon im Begriff, sie über den Gegenstand meines Argwohns zu befragen, aber ich wußte im voraus, daß sie mir die Wahrheit nicht gestehen würde und sagte zu ihr:

»Liebe Margarete, erlaube mir nach Paris zu gehen, in meiner Wohnung weiß man nicht, wo ich bin und es müssen Briefe von meinem Vater da sein; er wird gewiß sehr besorgt um mich sein und ich muß ihm antworten.«

»Geh, lieber Armand,« erwiderte sie, »aber laß nicht zu lange auf Dich warten.«

Ich reiste ab. Gleich nach meiner Ankunft begab ich mich zu Prudence.

»Antworten Sie ganz offen,« sagte ich ohne Vorrede zu ihr. »Wo sind Margaretens Pferde?«

»Verkauft.«

»Der Kaschmirschal?«

»Verkauft.«

»Die Brillanten?«

»Versetzt.«

»Wer hat alle diese Sachen verkauft und versetzt?« rief ich.

»Ich habe es getan.«

»Warum haben Sie mir nichts davon gesagt.«

»Weil Margarete mir's verboten hatte.«

»Warum haben Sie mich nicht um Geld angesprochen?«

»Weil sie es nicht wollte.«

»Wozu ist das Geld verwendet worden?«

»Zur Bezahlung einiger Schulden.«

»Margarete ist also noch viel schuldig?«

»Noch etwa dreißigtausend Franks ... Ach, lieber Armand, ich hatte es Ihnen wohl gesagt, aber Sie wollten mir nicht glauben, jetzt müssen Sie sich doch überzeugt haben. Dem Tapezierer, bei welchem sich der Herzog für Margarete verbürgt hatte, ist von der Dienerschaft des Herzogs die Tür gewiesen worden und der letztere hat ihm den Tag darauf geschrieben, daß er nichts für Mademoiselle Gautier tun werde. Der Tapezierer hat sein Geld verlangt, man hat ihm Abschlagszahlungen gegeben und dies ist das Geld, um welches ich Sie ansprach. Dann hat er von liebreichen Seelen erfahren, seine von dem alten Herzog verlassene Schuldnerin sei die Geliebte eines jungen Mannes ohne Vermögen; die übrigen Gläubiger sind auf gleiche Weise gewarnt worden, sie haben Geld verlangt und die Pfändung vorgenommen. Margarete wollte alles verkaufen, aber es war nicht mehr Zeit und überdies würde ich es nicht zugegeben haben. Es mußte gezahlt werden, und um Ihnen kein Geld abzufordern, hat sie ihre Pferde und Schals verkauft und ihre Juwelen versetzt. Wollen Sie die Quittungen der Käufer und die Leihhausscheine?«

Prudence öffnete ein Schubfach und zeigte mir die Papiere.

»Sie glauben,« fuhr Prudence frohlockend fort, »Sie glauben, es sei genug, sich zu lieben und auf dem Lande ein idyllisches Leben zu führen? Sie irren sehr, lieber Freund. Neben dem idealen Leben ist das materielle Leben und die hochfliegenden Entschlüsse werden durch selten geachtete, aber schwer zu zerreißende starke Fäden auf der Erde zurückgehalten. Margarete hat Sie nicht hintergangen, weil sie eine seltene Ausnahme ist. An gutem Rate habe ich es nicht fehlen lassen, denn es war mir peinlich zu sehen, wie das arme Mädchen nach und nach alles hingeben mußte, um nur die Gläubiger zu beschwichtigen. Sie wollte mir nicht folgen; sie antwortete mir immer, sie könne sich um keinen Preis entschließen, Sie zu täuschen. Das ist alles sehr schön und poetisch, aber die Gläubiger kann man damit nicht befriedigen. Jetzt schuldet sie noch dreißigtausend Franks, wie Sie wissen ...... ohne diese Summe kann sie sich nicht aus dieser Verlegenheit ziehen.«

»Es ist gut,« erwiderte ich, »diese Summe sollen Sie haben.«

»Sie wollen diese Summe auftreiben?«

»Mein Gott, ja.«

»Das wäre eine große Unbesonnenheit,« entgegnete Prudence; »Sie würden sich mit Ihrem Vater überwerfen und sich Ihre Hilfsquellen verstopfen ... Überdies ist es auch nicht gar so leicht, dreißigtausend Franks zu finden. Glauben Sie mir, lieber Armand, ich kenne die Frauen besser als Sie: begehen Sie diese Torheit nicht, Sie würden es einst bitter bereuen. Seien Sie vernünftig. Ich will nicht sagen, daß Sie Margarete verlassen sollen, aber leben Sie mit ihr, wie Sie im Frühjahre mit ihr lebten. Entziehen Sie ihr nicht die Mittel, sich dieser Verlegenheit zu entreißen. Der Herzog wird sich ihr allmählich wieder nähern. Der Graf von N*** sagte mir noch gestern, er wolle alle ihre Schulden bezahlen und ihr vier- bis fünftausend Franks monatlich geben. Er hat zweihunderttausend Franks Renten. Sie hingegen müssen Margarete früher oder spater verlassen; warten Sie nicht, bis Sie völlig ruiniert sind, um so mehr, da Graf von N*** ein Gimpel ist, der Sie nicht hindern wird, Margaretens Geliebter zu sein. Anfangs wird sie wohl ein wenig weinen, aber endlich wird sie sich daran gewöhnen und Ihnen einst sehr dankbar sein. Denken Sie sich nur, Margarete sei verheiratet und Sie täuschen den Mann. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt; damals war es nur ein guter Rat, heute dagegen ist es beinahe eine Notwendigkeit.«

Prudence hatte leider recht.

»Das ganze Geheimnis,« fuhr sie fort, indem sie die Papiere wieder verschloß, »liegt in folgendem: die femmes entretenues sehen voraus, daß sie Liebe einflößen werden, aber sie sehen nie voraus, daß sie selbst jemals lieben werden, denn sonst würden sie Geld zurücklegen, und mit dreißig Jahren könnten sie sich einen Geliebten nach ihrem Gefallen wählen. Wenn ich gewußt hätte, was ich jetzt weiß! Kurz, sagen Sie nichts zu Margarete, führen Sie sie nach Paris zurück, Sie haben vier bis fünf Monate allein mit ihr gelebt, das ist recht hübsch; drücken Sie die Augen zu, das ist alles, was man von Ihnen verlangt. Nach vierzehn Tagen wird sie den Grafen von N*** erhören, sie wird im Winter etwas ersparen und im Sommer fangen Sie Ihr idyllisches Leben wieder an.«

Prudence schien entzückt über ihren Rat, den ich mit Entrüstung zurückwies. Meine Liebe und mein Selbstgefühl sträubten sich gegen diese Handlungsweise und ich war auch überzeugt, daß Margarete lieber gestorben wäre, ehe sie sich zu dieser Berechnung entschlossen hätte.

»Genug des Scherzes,« sagte ich zu Prudence. »Wie viel braucht Margarete?«

»Ich habe es Ihnen schon gesagt, dreißigtausend Franks.«

»Und wann muß die Summe bezahlt werden?«

»Binnen zwei Monaten.«

»Sie soll das Geld haben.«

Prudence zuckte die Achseln.

»Ich will es Ihnen übergeben,« fuhr ich fort; »aber Sie werden mir feierlich versprechen, daß Sie Margarete nicht sagen wollen, daß ich es Ihnen übergeben.«

»Seien Sie unbesorgt.«

»Und wenn sie Ihnen andere Sachen zu verkaufen oder zu versetzen schickt, so setzen Sie mich davon in Kenntnis.«

»In diese Verlegenheit werden wir nicht mehr kommen,« erwiderte Prudence; »sie hat nichts mehr.«

Diese Worte zerrissen mir das Herz. Ich sann sogleich auf Mittel, Margaretens Gläubiger zu befriedigen und ich begab mich zuerst in meine Wohnung, um zu sehen, ob Briefe von meinem Vater da wären.

Es waren vier Briefe da.


 << zurück weiter >>