Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

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VIII.

»Gleichwohl,« fuhr Armand nach einer Pause fort, »fühlte ich mich stärker als vormals, trotz der Wahrnehmung, daß meine Leidenschaft noch nicht erloschen war, und mit dem Wunsche, mich ihr wieder zu nähern, verband sich auch der feste Wille, ihr meine Überlegenheit zu zeigen. Ich nahm mir vor, die erlittenen Spöttereien mit gleicher Münze zu bezahlen, wenn mich der Zufall wieder mit Margarete zusammenführte; und dennoch erkannte ich an den plötzlichen Aufwallungen meines Gefühls die Gewalt, welche sie noch immer über mich hatte.

Es war mir in der Tat unmöglich, lange in dem Korridor zu bleiben, und ich nahm meinen Sperrsitz im Parterre wieder ein, um zu sehen, in welcher Loge sie war.

Sie saß in einer Parterreloge, ganz nahe an der Bühne und war allein. Sie war, wie gesagt, sehr verändert; ihr Gesicht war ernster als früher und schien die Spuren einer moralischen Veränderung an sich zu tragen. Auf ihrem Munde fand ich nicht mehr das frühere gleichgiltige Lächeln und der Gedanke, daß sie sehr leidend gewesen und vielleicht noch sei, war mir sehr peinlich.

Dazu kam, daß sie, wie im Winter, noch ganz in Samt gekleidet war, obgleich es schon im April war.

Ich betrachtete sie so lange und aufmerksam, daß mein Blick den ihrigen an sich zog. Sie sah mich einige Augenblicke an, nahm ihre Lorgnette, um mich deutlicher zu sehen und glaubte mich ohne Zweifel zu erkennen, ohne bestimmt sagen zu können, wer ich sei; denn als sie ihre Lorgnette niederlegte, schwebte ein zauberisches Lächeln, womit die Frauen so unwiderstehlich zu grüßen wissen, auf ihren Lippen, als hätte sie den Gruß, den sie von mir erwartete, im voraus beantworten wollen.

Es schien mir, als ob ich anfinge zu triumphieren, wenn ich sie als eine Unbekannte behandelte, ich wendete mich also ab, ohne ihr das mindeste Zeichen des Wiedererkennens zu geben.

Der Vorhang ging auf. Ich habe Margarete oft im Theater gesehen und nie habe ich bemerkt, daß sie dem Stücke die mindeste Aufmerksamkeit widmete. Für mich hatte das Stück auch sehr wenig Anziehendes und ich war nur mit ihr beschäftigt, ohne dies jedoch allzu deutlich erkennen zu geben.

Sie wechselte fast unablässig Blicke mit einem Frauenzimmer, welches ihr gegenüber in einer Loge saß. Ich wendete meine Blicke auf die Loge und sah dort eine Frau, die ich ziemlich genau gekannt hatte. Es war eine vormalige femme entretenue, deren Bemühungen, ein Engagement bei einem Theater zu erhalten, ohne Erfolg geblieben waren, und die sodann, auf ihre Verbindungen mit der eleganten Welt zählend, ein Modemagazin errichtet hatte.

Ich sah in ihr ein Mittel, mich Margarete zu nähern, und ich benützte einen Augenblick, wo sie zu mir herüberschaute, um ihr einen Gruß zuzunicken.

Was ich vorausgesehen hatte, geschah: sie winkte. Ich eilte in ihre Loge. Sie hatte ihre etwa zwölfjährige Tochter bei sich.

Prudence Duvernoy, dies war der Name der Modistin, war eine jener Frauen, bei denen es keiner großen diplomatischen Gewandtheit bedarf, um ihnen zu entlocken, was man wissen will, zumal, wenn es sich um eine so einfache Frage handelt, wie ich an sie zu richten hatte.

Ich benützte einen Augenblick, wo sie mit Margarete wieder Blicke wechselte, um sie zu fragen:

»Wen sehen Sie an?«

»Margarete Gautier.«

»Sie kennen sie?«

»Ja; ich bin ihre Modistin und sie ist meine Nachbarin.«

»Sie wohnen also in der Rue d'Antin?«

»Nr. 7. Das Fenster ihres Toilettezimmers ist so nahe an dem Fenster des meinigen, daß wir uns fast die Hand reichen können.«

»Sie soll sehr schön und liebenswürdig sein.«

»Sie kennen sie nicht?«

»Nein, aber ich möchte sie kennen lernen.«

»Soll ich sie zu mir herüberwinken?«

»O nein, es wäre mir lieber, wenn Sie mich ihr vorstellten.«

»Das wird schwerlich angehen.«

»Warum?«

»Weil sie von einem alten, sehr eifersüchtigen Kavalier protegiert wird.«

»Protegiert ist ein sehr glücklich gewählter Ausdruck.«

»Ja wohl, protegiert,« erwiderte Prudence, »denn sie war nie seine Maitresse und wird es auch nie werden.«

Prudence erzählte mir sodann, auf welche Art Margarete zu Bagnères die Bekanntschaft des Herzogs gemacht hatte.

»Und deshalb,« fuhr ich fort, »ist sie allein hier?«

»Ja, das ist der Grund.«

»Aber wer wird sie denn nach Hause begleiten?«

»Der Herzog.«

»Er wird sie also abholen?«

»Er wird sogleich erscheinen.«

»Und wer begleitet Sie nach Hause?«

»Niemand.«

»So biete ich mich an.«

»Ich glaube, Sie haben einen Freund bei sich.«

»Nun, wir Beide bieten uns an; mein Freund ist ein sehr geistreicher, liebenswürdiger junger Mann, der sich freuen wird, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Nun gut, wir gehen also zusammen nach diesem Stücke fort, denn ich kenne das letzte.«

»Sehr gern, ich will es meinem Freunde sagen.«

»Gehen Sie ... Ah!« sagte Prudence in dem Augenblicke, als ich fortgehen wollte, – »da tritt der Herzog in Margaretens Loge.«

Ich schaute hinüber. Ein siebzigjähriger Greis setzte sich in der Tat hinter die junge Schöne und reichte ihr einen Papiersack mit Zuckerwerk, von welchem sie sogleich kostete. Dann warf sie Prudence einen Blick zu, der zu sagen schien: »Ist Ihnen etwas von meinen Bonbons gefällig?«

»Nein,« war Prudences telegraphische Antwort.

Margarete wendete sich nun zu dem alten Kavalier und fing an zu plaudern.

Ich ging wieder in das Parterre hinunter und benachrichtigte Eugen von der für ihn und für mich getroffenen Verabredung.

Er nahm den Vorschlag an und wir begaben uns in die Loge der Madame Duvernoy.

Kaum hatten wir die in den Korridor führende Tür geöffnet, so mußten wir stehen bleiben, um Margarete und den Herzog, die das Theater schon verließen, vorübergehen zu lassen. Ich hätte zehn Jahre von meinem Leben gegeben, um an der Stelle des alten Kavaliers zu sein.

Vor dem Theater stieg er mit ihr in einen Phaëton, den er selbst führte, und in einigen Augenblicken waren sie unseren Blicken entschwunden.

Wir traten in Prudences Loge.

Als das Stück zu Ende war, nahmen wir einen Fiaker, der uns in die Rue d'Antin führte. Prudence lud uns ein, ihr Magazin, auf welches sie sehr stolz zu sein schien, in Augenschein zu nehmen. Sie können leicht denken, wie gern ich die Einladung annahm.

Es schien, als ob ich mich Margarete allmählich näherte. Ich nahm die erste Gelegenheit wahr, das Gespräch auf sie zurückzulenken.

»Ist der alte Herzog bei Ihrer Nachbarin?« fragte ich Prudence.

»O nein, sie muß allein sein.«

»Aber sie muß sich schrecklich langweilen,« sagte Eugen.

»Ich bin fast jeden Abend bei ihr; wenn sie nach Hause kommt, ruft sie mich. Sie begibt sich nie vor zwei Uhr zur Ruhe, sie kann früher nicht schlafen.«

»Warum nicht?«

»Weil sie brustkrank ist und fast immer Fieber hat.«

»Und sie hat keinen Geliebten?« fragte ich.

»Ich sehe nie jemanden bei ihr, wenn ich fortgehe. Abends ist oft ein gewisser Graf von N*** da, der ihr so viel Geschmeide schickt, als sie nur wünscht, aber bis jetzt vergebens nach ihrer Gunst gestrebt hat. Sie hat unrecht, denn er ist sehr reich. Ich suche ihr zwar von Zeit zu Zeit begreiflich zu machen, daß sich kein Mann besser für sie eignen würde; aber sie will nichts von ihm wissen, sie antwortet, er sei zu einfältig. Ich gebe es zu, aber er könnte sie versorgen; der alte Herzog hingegen kann jeden Tag sterben. Alte Leute sind selbstsüchtig; seine Verwandten machen ihm unaufhörlich seine Zuneigung für Margarete zum Vorwurf, und er wird ihr nichts hinterlassen. Dies alles habe ich ihr zu bedenken gegeben; sie antwortete, es sei noch immer Zeit genug, den Grafen zu nehmen, wenn der Herzog tot sei.«

Diese Erzählung tat mir unendlich wohl.

»Das Leben, welches sie führt,« setzte Prudence hinzu, »ist oft sehr langweilig. Mir würde es unerträglich sein und ich würde dem alten Herzog bald den Laufpaß geben. Der Alte ist gar zu abgeschmackt; er nennt sie seine Tochter, hätschelt sie wie ein Kind und geht ihr beständig nach. In diesem Augenblicke treibt sich gewiß einer seiner Diener auf der Straße umher, um zu sehen, wer aus und ein geht.«

»Ach, die arme Margarete!« sagte Eugen, indem er sich an das Piano setzte und einen Walzer spielte. »Das habe ich nicht gewußt. Ich habe sie jedoch seit einiger Zeit nicht so heiter gefunden als früher.«

»Still!« sagte Prudence horchend.

Eugen hielt inne.

»Ich glaube, sie ruft.«

Wir lauschten. Prudence wurde wirklich gerufen.

»Jetzt müssen Sie gehen, meine Herren,« sagte Madame Duvernoy.

»So achten Sie also die Gastfreundschaft?« sagte Eugen lachend. »Wir werden gehen, wann es uns gefällt.«

»Eugen hat recht,« sagte ich.

»Warum sollen wir denn gehen?«

»Ich gehe zu Margarete hinüber.«

»Wir wollen hier warten,«

»Das geht nicht an.«

»Dann gehen wir mit Ihnen.«

»Das geht noch weniger an.«

»Ich kenne Margarete,« sagte Eugen, »und kann ihr wohl einen Besuch machen.«

»Armand kennt sie nicht.«

»Ich werde ihn vorstellen.«

»O nicht doch.«

Wir hörten von neuem Margaretens Stimme, die immerfort Prudence rief. Diese eilte in ihr Toilettezimmer, Eugen und ich ihr nach.

Sie öffnete das Fenster, und wir stellten uns so, daß wir nicht von außen gesehen werden konnten.

»Ich rufe Sie schon seit zehn Minuten,« rief Margarete in beinahe gebieterischem Tone herüber.

»Was wollen Sie von mir?«

»Sie müssen auf der Stelle kommen.«

»Warum?«

»Weil der Graf von N*** noch hier ist und mich zu Tode langweilt.«

»Jetzt kann ich nicht kommen.«

»Warum nicht?«

»Es sind zwei junge Leute hier, die nicht fortgehen wollen.«

»So lassen Sie sie da, sie werden dann schon fortgehen.«

»Nachdem sie mir alles durcheinandergeworfen haben.«

»Aber was wollen die beiden Unholde denn?«

»Sie wollen mich zu Ihnen begleiten.«

»Wie heißen sie?«

»Den Einen kennen Sie: Eugen von***.«

»Ja richtig, ich kenne ihn, und der andere?«

»Armand Duval; den kennen Sie nicht.«

»Nein, aber bringen Sie die beiden nur mit; mir ist jedermann lieber als der Graf. Ich erwarte Sie. Kommen Sie geschwind.«

Margarete schloß das Fenster, Prudence das ihre.

Margarete erinnerte sich nicht, daß ich ihr vorgestellt worden war. Eine Erinnerung zu meinem Nachteil wäre mir lieber gewesen, als diese Vergessenheit.

»Ich wußte wohl,« sagte Eugen, »daß sie uns mit Vergnügen sehen würde.«

»Mit Vergnügen wohl nicht,« antwortete Prudence, indem sie Schal und Hut nahm, »sie gestattet Ihnen nur den Zutritt, um den Grafen fortzuschaffen. Suchen Sie sich nur angenehmer zu machen als er oder Margarete wird mir zürnen.«

Wir begaben uns mit Prudence hinüber. Ich zitterte; es schien mir, als ob dieser Besuch einen großen Einfluß auf mein Leben haben müsse. Ich war noch tiefer ergriffen als an jenem Abende, wo ich in der Theaterloge vorgestellt wurde. Ich konnte kaum einen Gedanken fassen, als ich an die Tür der Ihnen bekannten Wohnung kam.

Einige Pianoklänge drangen bis zu uns.

Prudence zog die Glocke. Das Piano schwieg. Die Tür wurde von einem Frauenzimmer geöffnet, das mehr das Aussehen eines Gesellschaftsfräuleins als einer Zofe hatte.

»Ah! Sie sind's!« sagte sie zu Prudence. »Sie sind schon mit Sehnsucht erwartet worden.«

Wir gingen in den Salon und dann in das Boudoir, das damals so war, wie Sie es nachher gesehen haben.

Ein junger Mann stand am Kamin. Margarete saß vor dem Piano und fing Stücke an, ohne sie zu beendigen.

Diese ganze Szene trug das Gepräge der Langweile, die bei dem Besucher aus der Verlegenheit, bei Margarete aus der Anwesenheit des unwillkommenen Gastes entstand.

Margarete stand auf, ging auf uns zu, begrüßte Madame Duvernoy mit einigen traulichen Worten und sagte zu uns:

»Treten Sie herein, meine Herren, und seien Sie willkommen.«


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