Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

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V.

Am folgenden Tage entließ mich Margarete vor der Stunde, zu welcher der Herzog zu kommen pflegte, und versprach mir das gewohnte abendliche Stelldichein in einem Billett festzusetzen.

Um Mittag erhielt ich wirklich von ihr folgende eilends geschriebene Worte:

»Ich fahre mit dem Herzog nach Bougival; erwarte mich diesen Abend um acht Uhr bei Prudence.«

Zur bestimmten Stunde war Margarete zurückgekehrt und suchte mich bei Madame Duvernoy auf.

»Es ist alles in der Ordnung,« sagte sie eintretend.

»Ist das Haus gemietet?« fragte Prudence.

»Ja. Er hat sogleich eingewilligt.«

Ich kannte den Herzog nicht, aber ich schämte mich, ihn so zu betrügen.

»Aber das ist noch nicht alles,« fuhr Margarete fort.

»Was denn noch?«

»Ich bin auch auf Armands Wohnung bedacht gewesen.«

»In demselben Hause?« fragte Prudence lachend.

»Nein,« erwiderte Margarete, »beim ›Point du Jour‹, wo ich heute mit dem Herzog gefrühstückt habe. Während er sich an der Aussicht weidete, fragte ich Madame Arnould – so heißt sie doch, nicht wahr? – ob sie eine hübsche Wohnung habe. Sie hat gerade einen Salon mit Vorzimmer und Schlafgemach. Mich dünkt, das sei genug. Sechzig Franks monatlich. Das Ganze so möbliert, daß ein Milzsüchtiger erheitert werden könnte. Ich habe die Wohnung gemietet. Habe ich recht getan?«

Ich fiel Margarete um den Hals.

»Das wird prächtig sein,« fuhr sie fort, »Du bekommst den Schlüssel zu der kleinen Tür, und ich habe dem Herzog einen Schlüssel zu dem Gittertor versprochen; er wird ihn natürlich nicht nehmen, denn er wird gewiß nie anders als am Tage kommen. Er scheint von dieser Grille entzückt zu sein, weil ich einige Zeit von Paris entfernt sein werde und dadurch seinen Verwandten die Gelegenheit benehme, sich mißbilligend über sein Verhältnis zu mir zu äußern. Gleichwohl schien es ihn zu befremden, daß ich, die Vollblut-Pariserin, mich entschließen konnte, in dieser Einsamkeit zu leben. Ich antwortete ihm, daß ich der Ruhe und der stärkenden Landluft zur Wiederherstellung meiner Gesundheit bedürfe. Er schien mir nicht recht zu glauben. Der arme Alte glaubt überall Verrat zu wittern. Wir müssen also sehr vorsichtig sein, lieber Armand, denn er wird mich drüben überwachen lassen, und es ist noch nicht genug, daß er mir ein Landhaus mietet, er muß auch meine Schulden bezahlen und ich habe leider solche. Ist Dir das alles recht?«

»Ja,« antwortete ich, indem ich die Bedenklichkeit, welche diese Lebensweise von Zeit zu Zeit in mir erregte, zu beschwichtigen suchte.

»Wir haben das Haus genau in Augenschein genommen,« fuhr Margarete fort, »wir werden dort wie im Paradiese sein. Der Herzog dachte an alles ... Du kannst Dich in der Tat nicht beklagen,« setzte sie halb trunken vor Freude hinzu. »Dir wird von einem Millionär das Bett gemacht.«

»Und wann werden Sie einziehen?« fragte Prudence.

»Sobald als möglich.«

»Nehmen Sie Wagen und Pferde mit.«

»Ich nehme mein ganzes Hauswesen mit; Sie sollen während meiner Abwesenheit die Aufsicht über meine Wohnung führen.«

Acht Tage nachher hatte Margarete von dem Landhause Besitz genommen und ich hatte meine Wohnung zu Bougival bezogen.

Es begann nun ein Leben, das sich schwer würde beschreiben lassen.

Im Anfange ihres Aufenthaltes auf dem Lande konnte Margarete ihre frühere Gewohnheit nicht völlig aufgeben und da sie noch immer ein großes Haus machte, so erhielt sie häufige Besuche aus Paris; in dem ersten Monate verging kein Tag, an welchem nicht acht bis zehn Personen bei ihr zu Tische gewesen wären.

Prudence brachte ihrerseits alle ihre Bekannten mit und sie machte dann die Honneurs des Hauses, als ob es ihr gehört hätte.

All dieser Aufwand wurde natürlich von dem Gelde des Herzogs bestritten und dennoch ließ mich Margarete von Zeit zu Zeit durch Prudence um eine Banknote von tausend Franks bitten. Sie wissen, daß ich im Spiel etwas gewonnen hatte, ich beeilte mich daher, Margarete das Gewünschte zu senden, und da ich fürchtete, sie werde mehr bedürfen als ich hatte, so nahm ich zu Paris eine gleiche Summe auf, wie die früher geborgte, die ich sehr pünktlich zurückgezahlt hatte.

Ich befand mich daher wieder im Besitze von zehntausend Franks, ohne meinen jährlichen Zuschuß zu rechnen.

Das Vergnügen, welches Margarete an der Bewirtung ihrer Freundinnen fand, verschwand jedoch vor den Ausgaben, welches dieses Vergnügen verursachte und besonders vor der Notwendigkeit, mich zuweilen um Geld anzusprechen oder vielmehr ansprechen zu lassen. Der Herzog, der dieses Haus gemietet hatte, um Margarete Ruhe und Erholung zu verschaffen, erschien nicht mehr, er fürchtete immer, eine zahlreiche lustige Gesellschaft, von der er nicht gesehen werden wollte, anzutreffen.

Die Ursache dieser Zurückhaltung war folgende. Er war eines Tages gekommen, um mit Margareten allein zu speisen und zu der Stunde, wo er sich zum Diner zu setzen gedachte, hatte er fünfzehn Personen beim Frühstück gefunden, das schon fünf Stunden gedauert hatte und noch nicht beendet war. Als er, ohne etwas zu ahnen, die Tür des Speisesaales geöffnet hatte, war er durch ein allgemeines Gelächter empfangen worden, und er hatte vor der unziemlichen Lustigkeit der Gäste schnell die Tür wieder geschlossen.

Margarete war vom Tische aufgestanden; sie hatte den Herzog in dem Nebenzimmer eingeholt und sich alle Mühe gegeben, den alten Kavalier zu beschwichtigen; dieser aber, in seiner Eigenliebe verletzt, hatte dem armen Mädchen mit einiger Härte vorgeworfen, daß sie ihm nicht einmal in ihrer Wohnung Achtung verschaffen könne, und hatte ihr geradezu erklärt, daß er es müde sei, ihre Torheiten zu bezahlen. Darauf hatte er sich sehr zornig entfernt.

Seit jenem Tage hatte man nichts mehr von ihm gehört. Margarete mochte immerhin ihren bisherigen Gästen die Tür verschließen und ihre Lebensweise ändern, der Herzog schien keine neue Annäherung zu beabsichtigen. Ich hatte dabei den Vorteil, daß mir meine Geliebte nun ganz angehörte und daß mein Traum sich endlich verwirklichte. Margarete konnte nicht mehr ohne mich leben. Ohne sich um die Folgen zu kümmern, sprach sie ganz frei und offen von unserem Verhältnis und wir waren einander so unentbehrlich geworden, daß ich ihr Haus nicht mehr verließ. Die Diener nannten mich »Monsieur« und betrachteten mich als ihren Herrn.

Prudence hatte Margarete allerdings Vorstellungen gemacht; aber diese hatte ihrer Ratgeberin geantwortet, sie liebe mich, es sei ihr unmöglich, sich von mir zu trennen und sie werde unter keiner Bedingung auf das Glück verzichten, beständig bei mir zu sein. Sie hatte mit einer sehr merklichen Beziehung hinzugesetzt, wer dies nicht billige, möge immerhin seine Besuche einstellen.

Dies hatte ich eines Tages gehört, als Prudence mit der Nachricht gekommen war, daß sie Margareten etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hätte, und als ich an der Tür des Zimmers, in welchem sich beide befanden, gehorcht hatte.

Einige Zeit nachher kam Prudence wieder. Ich war im Garten, als sie ankam und sie sah mich nicht. Aus der Befangenheit, mit welcher Margarete sie empfing, schloß ich, daß wieder eine ähnliche Unterredung, wie die von mir behorchte stattfinden werde und der Wunsch, alles zu wissen, was meine Geliebte anging, trieb mich zu dem Entschlusse, das Gespräch wieder zu belauschen.

Die beiden Freundinnen begaben sich in ein Boudoir an dessen Tür ich mich auf die Lauer stellte.

»Nun, wie ist's?« fragte Margarete.

»Ich habe den Herzog gesehen.«

»Was hat er gesagt?«

»Die erste Szene,« sagte er, »wolle er Ihnen gern verzeihen, aber er habe erfahren, daß Sie ganz frei und offen mit einem jungen Manne, namens Armand Duval, lebten, und das könne er Ihnen nicht verzeihen. Margarete möge sich von ihm lossagen, setzte er hinzu, und wie früher werde ich ihr alles geben, was sie verlangt; wenn nicht, so hat sie durchaus nichts mehr von mir zu erwarten.«

»Was haben Sie darauf geantwortet?«

»Daß ich Ihnen seine Antwort mitteilen würde, und ich habe ihm versprochen, Ihnen vernünftige Vorstellungen zu machen. Bedenken Sie wohl die Stellung, die Sie verlieren und die Ihnen Armand nie wiedergeben kann. Er liebt Sie so innig, wie nur ein Mann lieben kann, aber er hat nicht Vermögen genug, um alle Ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Früher oder später müssen Sie ihn verlassen, wenn es zu spät ist und der Herzog nichts mehr für Sie tun will. Soll ich mit Armand über das alles reden?«

Margarete schien nachzusinnen, denn sie antwortete nicht. Das Herz schlug mir fast hörbar, während ich ihre Antwort erwartete.

»Nein,« erwiderte Margarete nach dieser langen Pause, »ich werde Armand nicht verlassen und ich werde mich nicht verstecken, um mit ihm zu leben. Es ist vielleicht eine Torheit, aber ich kann nicht anders, denn ich liebe ihn. Und überdies, da er gewohnt daran ist, mich ohne Hindernis zu lieben, würde es ihm zu weh tun, wenn er gezwungen würde, mich zu verlassen, und wäre es auch nur eine Stunde täglich. Was mich selbst betrifft, so habe ich nicht so lange zu leben, um mich unglücklich zu machen und nach dem Willen eines Greises zu handeln, dessen bloßer Anblick mich alt macht. Er mag sein Geld nur behalten, ich werde auch ohne seine Hilfe leben können.«

»Aber wie werden Sie das anfangen?«

»Ich weiß es nicht, aber was liegt mir daran?« Prudence war ohne Zweifel im Begriffe, etwas zu antworten, aber ich trat unerwartet ein, fiel Margarete zu Füßen und benetzte ihre Hände mit Freudentränen.

»Mein Leben ist Dir gewidmet, Margarete; Du bedarfst der Hilfe des Herzogs nicht, denn ich bin ja da. Kannst Du denken, daß ich Dich je verlassen würde, und werde ich jemals imstande sein, Dir das Glück zu vergelten, das Du mir gewährst und das Du durch das Geständnis dieser ungeteilten Liebe, nach welcher ich schon so lange strebe, noch verdoppelst? Keinen Zwang mehr, meine Margarete, wir lieben uns, was kümmert uns das übrige!«

»Sie sehen!« sagte Margarete zu Prudence, indem sie mir zulächelte und mich mit dankbaren, liebevollen Blicken ansah. »Ja, ich liebe Dich, mein Armand,« lispelte sie, indem sie beide Arme um meinen Nacken schlang, »ich liebe Dich mit einer Innigkeit, deren ich mich nie fähig geglaubt hätte. Wir werden glücklich sein, wir werden in ungestörter Ruhe leben und ich werde jenem Leben, das mir zur Last ist und dessen ich mich jetzt schäme, auf immer Lebewohl sagen. Du wirst mir die Vergangenheit nie vorwerfen, nicht wahr?«

Die Tränen erstickten meine Stimme. Ich konnte nur antworten, indem ich Margarete an mein Herz drückte.

»Erzählen Sie das dem Herzog,« sagte sie mit tiefbewegter Stimme, indem sie sich zu Prudence wandte, »und fügen Sie hinzu, daß wir seiner nicht bedürfen.«

Seit jenem Tage war von dem Herzog gar nicht mehr die Rede. Margarete war nicht mehr das Mädchen, das ich früher gekannt hatte. Es war eine gänzliche Umwandlung in ihr vorgegangen. Sie vermied alles, was mich an ihr früheres Leben, in welchem ich sie kennen gelernt, hätte erinnern können. Keine Frau, keine Schwester konnte ihren Gatten oder Bruder zärtlicher und inniger lieben, als sie mich liebte. Diese krankhaft reizbare Natur war für alle Eindrücke empfänglich, allen Gefühlen zugänglich. Sie hatte mit ihren Freundinnen wie mit ihren Gewohnheiten, mit ihrer früheren Ausdrucksweise, wie mit ihrem Aufwande gebrochen. Wer uns gesehen hätte, wenn wir aus dem Hause gingen, um in einem von mir angekauften hübschen Kahn eine Spazierfahrt auf der Seine zu machen, würde nie geglaubt haben, daß das schlanke Mädchen im einfachen weißen Kleide, mit dem großen Strohhut auf dem Kopf und mit der über den Arm geworfenen seidenen Mantille, welche sie gegen die Kühle des Wassers schützen sollte, dieselbe Margarete Gautier sei, die vier Monate vorher durch ihren Luxus und ihre Modetorheiten so großes Aufsehen gemacht hatte.

Ach! Wir beeilten uns, das uns gebotene Glück mit vollen Zügen zu genießen, als ob wir geahnt hätten, daß dieses Glück nicht von langer Dauer sein werde.

Seit zwei Monaten waren wir nicht einmal nach Paris gegangen. Niemand hatte uns besucht, ausgenommen Prudence und jene Julie Duprat, von der ich bei unserer ersten Unterredung sprach und der Margarete später die rührende Erzählung einhändigte, die ich hier habe.

Ich saß ganze Tage zu den Füßen meiner Geliebten. Wir pflegten die Fenster zu öffnen, welche die Aussicht in den Garten boten und lauschten dem geheimnisvollen Flüstern der Natur, oder wir saßen im Schatten der dichtbelaubten Bäume und atmeten das Leben ein, das weder Margarete noch ich bisher verstanden hatten.

Sie betrachtete oft die geringsten Dinge mit kindischem Erstaunen. Manchmal lief sie, wie ein zehnjähriges Mädchen, einem Schmetterling oder einer Wasserjungfer nach. Die vormalige Buhlerin, die auf Blumen mehr Geld ausgegeben hatte, als eine ganze Familie zum anständigen Lebensunterhalte braucht, saß zuweilen eine ganze Stunde auf dem Rasen und betrachtete die Blumen, deren Namen sie führteMarguerite, Tausendschön, Gänseblümchen..

Inzwischen las sie auch oft in »Manon Lescaut.« Ich überraschte sie zuweilen, während sie Bemerkungen in das Buch schrieb, und sie sagte mir immer, wer wahrhaft liebe, könne es nicht machen wie Manon.

Zwei- oder dreimal schrieb der Herzog an sie. Sie erkannte die Handschrift und gab mir die Briefe, ohne sie zu lesen.

Der Greis erregte mein innigstes Mitleid und seine Briefe rührten mich bis zu Tränen. Können Sie sich wohl in die Lage des alten Mannes versetzen, dessen Geisteskräfte durch die Jahre und bangen Kummer schon sehr geschwächt waren? Fühlen Sie wohl, was er leiden mußte, wenn er, durch die äußere Ähnlichkeit Margaretens mit seiner Tochter unwiderstehlich angezogen, die Ähnlichkeit weiter ausdehnen wollte: und wenn Margarete, durch Leidenschaft oder Gewohnheit fortgerissen, ihm entschlüpfte oder in ihm nur ein Mittel, sich ihrer Geldverlegenheit zu entreißen, erblickte?

Er hatte geglaubt, sie zu sich zurückzuführen, indem er ihr seine Börse verschloß; als er aber Margaretes fortdauerndes Stillschweigen sah, war er seiner Gefühle nicht mehr mächtig; er schrieb an sie und bat sie, wie früher, um die Erlaubnis, sie wieder zu besuchen, welche Bedingungen sie auch an diese Bewilligung knüpfen wolle.

Ich las also die wiederholten dringenden Briefe des Herzogs und zerriß sie, ohne Margarete den Inhalt derselben mitzuteilen und ohne ihr zu raten, den alten Kavalier wiederzusehen, obgleich ein Gefühl des Mitleides mich dazu geneigt machte; aber ich fürchtete, Margarete werde in diesem Rate den Wunsch erblicken, daß der Herzog mich der Kosten des Hauswesens überhebe und fürchtete vor allem die Voraussetzung, daß ich in allen pekuniären Folgen, welche ihre Liebe zu mir haben konnte, die Verantwortlichkeit zurückzuweisen suche.

Die Folge davon war, daß der Herzog, der keine Antwort erhielt, zu schreiben aufhörte, und daß weder Margarete noch ich an die Zukunft dachten.


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