Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Regentschaft

Der König war schon ungeduldig geworden. Er hatte gerade Nancey in sein Zimmer rufen lassen, hatte ihm den Auftrag gegeben, Heinrich zu holen, als dieser eintrat.

Als er seinen Schwager auf der Türschwelle sah, stieß Karl einen Freudenschrei aus, Heinrich hingegen blieb erschrocken stehen und glaubte eine Leiche vor sich zu sehen.

Die zwei Ärzte, die beim Bette weilten, entfernten sich. Auch der Priester, der den unglücklichen Prinzen an ein christliches Ende mahnen wollte, zog sich zurück.

Karl der Neunte war nicht beliebt, und trotzdem weinte man viel in den Vorzimmern. Wenn Könige sterben, wer sie auch immer sein mögen, finden sich stets Leute, die irgend etwas verlieren und die befürchten, dieses »irgendetwas« unter dem Nachfolger nicht wiederzufinden.

Diese Trauer, das Schluchzen, die Worte Katharinas, die düsteren und erhabenen letzten Augenblicke des Königs und endlich der Anblick des Königs selbst, der von einer Krankheit befallen war, die sich seither ja schon wiederholt hat, damals aber in der Wissenschaft ohne Beispiel dastand, machten auf den jungen und daher noch sehr aufnahmefähigen Geist Heinrichs einen furchtbaren Eindruck. Trotz seines Entschlusses, Karl wegen seines Zustandes nicht zu beunruhigen, konnte er, wie schon erwähnt, das Gefühl des Schreckens nicht verheimlichen; es malte sich deutlich auf seinem Gesicht ab, als er diesen blutüberströmten Sterbenden vor sich sah.

Der König lächelte traurig. Einem Sterbenden entgeht kein Eindruck, den sein Zustand auf seine Umgebung bewirkt.

«Kommen Sie, Henriot!« sagte er mit einem so zärtlichen Ton in der Stimme, wie Heinrich ihn bisher noch nie bemerkt hatte, und streckte ihm die Hand entgegen. »Kommen Sie, denn ich leide an Ihrer Abwesenheit. Ich habe Sie in meinem Leben genügend belästigt, mein armer Freund, und manchmal mache ich mir jetzt bittere Vorwürfe, glauben Sie es mir! Manchmal habe ich auch meine Hände denen geliehen, die Sie verfolgten, aber ein König ist der Ereignisse nicht Herr, und abgesehen von meiner Mutter Katharina, abgesehen von meinem Bruder Anjou, abgesehen von meinem Bruder Alençon, schwebte während meines ganzen Lebens etwas Hinderliches über meinem Haupte, und seine Wirkung hört erst jetzt vor dem nahenden Tode auf . . . das war: das Staatswohl!«

»Sire,« stammelte Heinrich, »ich erinnere mich an nichts als an die Liebe, die ich für meinen Bruder stets gehegt, an nichts, als an die Ehrfurcht, die ich meinem König stets erwiesen habe.«

»Ja, ja, du hast recht,« sagte Karl, »und ich danke dir, daß du so gesprochen hast, Henriot. In Wahrheit hast du ja unter meiner Herrschaft viel erdulden müssen, ohne in Rechnung zu ziehen, daß auch unter meiner Regierung deine arme Mutter sterben mußte. Doch du mußtest wohl bemerken, daß man oft in mich drängte. Manchmal habe ich Widerstand geleistet, manchmal aber habe ich vor Müdigkeit nachgegeben. Du hast es gesagt: reden wir nicht mehr über die Vergangenheit, jetzt drängt mich die Gegenwart und die Zukunft ist es, die mich erschreckt!«

Während er diese Worte sprach, barg der arme König sein fahles Antlitz in seine abgemagerten Hände.

Nach kurzem Stillschweigen schüttelte er den Kopf, als wolle er die bösen Gedanken verscheuchen, und dabei netzte er die umgebenden Kissen mit Blut.

»Es gilt den Staat zu retten,« sagte er leise und neigte sich zu Heinrich, »es muß verhindert werden, daß alles in die Hände von Glaubenseiferern oder von Frauen fällt!«

Wie erwähnt, sprach Karl diese Worte leise zu Heinrich und dieser glaubte hinter den Vorhängen des Bettes einen zornigen unterdrückten Ausruf zu vernehmen. Vielleicht gestattete irgendeine Vorrichtung in der Mauer, ohne daß Karl es ahnte, der Königin-Mutter, diese letzte Unterredung mitanzuhören.

»Von Frauen?« wiederholte der König von Navarra, um eine nähere Erklärung zu veranlassen.

»Ja, Heinrich,« sagte Karl. »Meine Mutter will bis zur Ankunft meines Bruders aus Polen die Regentschaft führen. Aber höre auf das, was ich dir sage: er wird nicht wiederkommen!«

»Wie, er wird nicht wiederkommen?« rief Heinrich aus, dessen Herz vor Freude fast vernehmlich zu klopfen begann.

»Nein, er wird nicht wiederkommen,« erklärte Karl, »seine Untertanen werden ihn nicht fortlassen!«

»Glauben Sie nicht, mein Bruder, daß ihn die Königin-Mutter schon vorher verständigen wird?«

»Sehr richtig, aber Nancey hat den Eilboten in Chateau-Thierry aufgehalten und hat mir den Brief überbracht. In dem Brief schreibt sie, daß ich im Begriffe bin, zu sterben. Aber auch ich habe nach Warschau geschrieben und ich bin überzeugt davon, daß mein Brief ankommen wird. Mein Bruder wird überwacht werden. Demnach wird aller Wahrscheinlichkeit nach der Thron leer bleiben, Heinrich.«

Ein zweites Geräusch, noch deutlicher als das erste, wurde hinter den Bettvorhängen hörbar.

»Unbestreitbar ist sie da,« sagte sich Heinrich, »sie horcht und wartet.«

Karl vernahm nichts.

»Also sterbe ich ohne männlichen Leibeserben!« fügte der König hinzu.

Einen Augenblick lang hielt er inne. Ein süßer Gedanke erhellte sein Antlitz, und er legte die Hand auf die Schulter des Königs von Navarra.

»Henriot, erinnerst du dich,« so flüsterte er, »erinnerst du dich des armen kleinen Kindes, das ich dir eines Abends zeigte, das in einer mit Seide überzogenen Wiege schlief und von einem Schutzengel bewacht wurde? Ach, leider, Heinrich, sie werden es mir töten!«

»O Sire,« rief Heinrich aus, dessen Augen voll Tränen standen, »ich schwöre es Ihnen vor Gott, daß ich meine Tage und Nächte der Bewachung dieses Kindes widmen werde! Befehlen Sie, mein König!«

»Dank, Henriot, Dank!« sagte der König mit einer Herzlichkeit, die sonst nicht seinem Wesen entsprach, die aber durch den augenblicklichen Gesprächsstoff bedingt war. »Ich nehme dein Anerbieten an. Mach keinen König aus ihm . . . er ist ja glücklicherweise für keinen Thron geboren . . . aber einen glücklichen Menschen mach aus ihm! Ich hinterlasse ihm ein unabhängiges Vermögen. Er soll den Adel seiner Mutter erben, den Adel ihres Herzens. Vielleicht wäre es gar besser für ihn, wenn man ihn für die Kirche bestimmte, man würde ihn so weniger zu fürchten haben. Oh, ich glaube, ich würde wenn nicht glücklicher, so doch ruhiger sterben, wenn ich mich jetzt hier mit den Liebkosungen des Kindes und mit dem süßen Antlitz der Mutter trösten könnte!«

»Sire, könnten Sie sie nicht kommen lassen?«

»Eh, Unglücklicher! Sie würden nicht mehr von hier fortkommen! Darin besteht eine Bedingung des Königsdaseins! Die Könige können nicht leben und nicht einmal sterben, wie sie wollen, Henriot! . . . Doch seit deinem Versprechen bin ich viel ruhiger.«

Heinrich überlegte.

»Ja, zweifellos habe ich es versprochen, mein König, werde ich aber mein Versprechen auch halten können?«

»Was willst du sagen?«

»Werde ich selbst nicht geächtet sein, verfolgt sein, wie er, ja viel mehr noch als er! Denn ich bin ein Mann, er ist aber noch ein Kind.«

»Du irrst dich,« antwortete Karl, »wenn ich einmal tot bin, wirst du stark und mächtig sein und hier hast du das, was dich stark und mächtig machen wird!«

Nach diesen Worten zog der Sterbende eine Urkunde unter seinem Kopfkissen hervor.

»Hier!« sagte er.

Heinrich überflog das Schriftstück, das mit dem königlichen Siegel versehen war.

»Die Regentschaft mir, Sire?« rief er vor Freude erbleichend.

»Ja, die Regentschaft dir, Henriot, in der Zwischenzeit, solange der Herzog von Anjou nicht zurückgekehrt ist! Da aber allen Anzeichen nach der Herzog von Anjou nicht zurückkommen wird, so schenkt dir dieses Schriftstück nicht nur die Regentschaft, sondern auch den Thron!«

»Mir den Thron?« murmelte Heinrich.

»Ja dir!« erwiderte Karl. »Dir, dem einzigen, der würdig ist, König zu sein, und der vor allem andern auch fähig ist, diese artigen Wüstlinge und die verkommenen Mädchen zu regieren, die nur von Blut und Tränen leben. Mein Bruder Alençon ist ein Verräter, seine verräterischen Absichten werden vor niemandem haltmachen. Laß ihn in seiner Festung, in die ich ihn jetzt gesteckt habe. Meine Mutter wird dich töten wollen, verbanne sie! Mein Bruder Anjou wird vielleicht in drei Monaten, in vier Monaten, vielleicht erst in einem Jahre zurückkehren, wird aus Warschau kommen, um dir deine Macht streitig zu machen. Antworte ihm mit einem päpstlichen Breve. Ich lasse durch meinen Gesandten, den Herzog von Nevers, in dieser Angelegenheit mit dem Papst verhandeln, und du wirst das Breve unverzüglich erhalten.«

»O mein König!«

»Hüte dich nur vor einem, Henriot, vor einem Bürgerkrieg! Doch als Bekehrter wirst du ihn leicht vermeiden. Die Hugenottenpartei hätte nur unter der einen Bedingung festen Boden unter den Füßen, als du dich an ihre Spitze stelltest; im anderen Falle wird aber Herr von Condé nicht die Kraft haben, gegen dich einen Kampf zu führen. Frankreich ist ein großes Flachland, Heinrich, und ein katholisches Land. Der König von Frankreich muß der König der Katholiken und darf nicht der König der Hugenotten sein, denn der König von Frankreich muß auch der König der Mehrheiten sein. Man sagt, daß mich Gewissensbisse bedrücken, weil ich die Bartholomäusnacht heraufbeschworen habe. Bedenken hatte ich, Gewissensbisse niemals! Man sagt, daß mir das vergossene Blut der Hugenotten strafweise jetzt aus allen Adern tritt. Ich weiß, was mir aus den Poren dringt: Arsenik und kein Blut!«

»Oh, Sire, was sagen Sie?«

»Nichts! Wenn mein Tod gerächt werden soll, Henriot, dann muß Gott allein die Rache überlassen bleiben. Sprechen wir nicht mehr davon und beschäftigen wir uns nur mit den kommenden Ereignissen. Ich hinterlasse dir ein gutes Parlament, eine erprobte Armee. Suche in diesem Parlament und in der Armee eine Stütze, um deinen einzigen Feinden Widerstand leisten zu können: meiner Mutter und dem Herzog von Alençon.«

In dem Augenblick hörte man in den Vorräumen einen dumpfen Waffenlärm und militärische Kommandostimmen.

»Ich bin verloren,« murmelte Heinrich vor sich hin.

»Du hast Befürchtungen, du zögerst?« fragte Karl unruhig.

»Ich, Sire,« rief Heinrich, »nein, ich befürchte nichts, ich zögere nicht, ich nehme alles an!«

Karl drückte ihm die Hand. Weil sich gerade seine Amme dem Bette näherte und einen Trank brachte, den sie, nicht ahnend, daß sich das Schicksal Frankreichs wenige Schritte von ihr entschieden, im Nebenzimmer vorbereitet hatte, sagte ihr der König: »Rufe meine Mutter, liebe Amme, und sage auch, daß man Herrn von Alençon kommen läßt.«

 


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