Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Erkenntlichkeit König Karls des Neunten

Maurevel hatte einen Teil des Tages im Waffensaal des Königs zugebracht, doch als Katharina die Zeit für die Rückkehr von der Jagd als gekommen erachtet hatte, hatte sie ihn samt seinen Spießgesellen in ihr Betzimmer führen lassen.

Karl der Neunte, der von seiner Amme benachrichtigt worden war, daß ein Mann den größten Teil des Tages in seiner Wohnung verbracht hatte, wurde anfänglich sehr zornig darüber, daß man sich erlaubt hatte, einen Fremden in seine Gemächer einzuführen. Doch als er sich ihn beschreiben ließ, und als ihm die Amme berichtete, daß es derselbe Mensch gewesen war, den sie schon einmal auf Geheiß hatte herbeiholen müssen, erkannte Karl Maurevel in dem Fremden. Und gleichzeitig erinnerte er sich an den Befehl, den ihm seine Mutter am Morgen abgerungen hatte und verstand darauf alles.

»Oho,« murmelte er, »noch an demselben Tag, an dem er mir das Leben gerettet! Der Augenblick ist wahrlich schlecht gewählt.«

Und in diesem Gedanken machte er einige Schritte nach vorwärts, um sich zu seiner Mutter zu begeben, doch eine Erwägung hemmte plötzlich seinen Schritt.

»Verdammt,« sagte er sich, »wenn ich ihr damit komme, wird eine endlose und nutzlose Unterredung daraus entstehen! Es wird besser sein, wenn jeder für sich handelt.«

»Amme!« rief er. »Verschließe alle Türen und lasse der Königin ElisabethKarl der Neunte war mit Elisabeth von Österreich, der Tochter Maximilians, verehelicht. sagen, daß ich wegen meines Unwohlseins heute nacht allein schlafen werde.«

Die Amme folgte, und da die Stunde zur Ausführung seines Planes noch nicht gekommen war, begann der König einige Verse zu schmieden.

Das war die Beschäftigung, bei der ihm die Zeit am schnellsten verging, und als es neun Uhr schlug, glaubte er, daß es kaum noch sieben Uhr wäre. Er zählte die Schläge, beim letzten erhob er sich.

»In des Teufels Namen,« rief er, »das ist gerade die richtige Zeit.«

Er nahm Hut und Mantel und verschwand durch eine geheime Tür, die er in der Holztäfelung hatte anbringen lassen und von deren Vorhandensein selbst Katharina nichts ahnte. Karl ging geradeswegs in die Wohnung Heinrichs. Heinrich von Navarra war aber nur nach Hause gekommen, um sich rasch umziehen und gleich wieder fortzugehen.

»Er wird zu Margot zum Abendessen gegangen sein,« sagte sich der König. »Wie mir wenigstens schien, stand er heute mit ihr im besten Einvernehmen.«

Er machte sich sofort auf den Weg zur Wohnung Margaretes. Margarete hatte die Herzogin von Nevers, Coconas und La Mole zu sich eingeladen und setzte ihnen einen Imbiß von eingemachten Früchten und Bäckereien vor.

Karl klopfte an die Eingangstür und Gillonne öffnete. Der Anblick des Königs erschreckte sie derart, daß sie alle Kraft zusammennehmen mußte, um ihre Verbeugung zu machen, und anstatt vorzulaufen, um ihrer Herrin die Ankunft des hohen Besuches zu melden, ließ sie den König an sich vorüberschreiten und hatte nicht mehr getan, als einen Ruf des Erstaunens auszustoßen.

Der König ging durch das Vorzimmer und, angelockt von einem lauten Gelächter, begab er sich sofort in das Speisezimmer seiner Schwester.

»Armer Henriot!« sagte er sich. »Er ist lustig und denkt an keine Gefahr.«

»Ich bin es!« rief er, hob den Vorhang in die Höhe und zeigte sein lachendes Gesicht.

Margarete stieß einen Ruf des Entsetzens aus. Trotz seines Lachens hatte das erscheinende Gesicht den Eindruck eines auftauchenden Medusenhauptes auf sie gemacht. Da sie der Tür gegenüber saß, erkannte sie dann doch ihren Bruder Karl. Die zwei anwesenden Männer kehrten dem König den Rücken.

»Majestät!« rief sie erschreckt.

Sie erhob sich.

Während seine drei Tischgenossen den Kopf vollständig verloren, war Coconas der einzige, der kaltblütig blieb. Auch er erhob sich, doch mit einer so geschickten Ungeschicklichkeit, daß der Tisch umflog und mit ihm die Gläser, das Tischgeschirr und die Kerzen.

Augenblicklich trat Finsternis und Totenstille ein.

»Mach dich auf die Beine,« raunte Coconas La Mole zu, »nur Mut, vorwärts!«

Das ließ sich La Mole nicht zweimal sagen. Er floh an die Wand, tastete dort mit den Händen nach der Eingangstür zum Schlafzimmer herum, um sich in jenem Nebengemach zu verbergen, das er so gut kannte.

Wie er aber seinen Fuß über die Schwelle des Schlafzimmers setzte, stieß er gegen einen Mann, der gerade aus dem geheimen Gang gekommen war.

»Was soll denn das alles bedeuten?« fragte Karl in der Finsternis mit einer Stimme, die schon furchtbare Ungeduld verriet. »Bin ich denn ein Störenfried, daß bei meinem Erscheinen eine derartige Wirtschaft entsteht? Nun also, Henriot, Henriot! Wo bist du denn? Antworte doch!«

»Wir sind gerettet!« flüsterte Margarete und drückte eine Hand, die sie für die La Moles hielt, »der König glaubt, daß sich mein Gatte unter den Gästen befindet.«

»Und ich werde ihn bei dieser Meinung lassen, Madame, seien Sie nur ganz beruhigt!« erwiderte Heinrich ebenso leise, wie die Königin zu ihm gesprochen hatte.

»Großer Gott!« rief Margarete und ließ die Hand fahren, die keine andere, als die des Königs von Navarra war.

»Ruhe!« mahnte Heinrich.

»Tausend Teufel! Was gibt es hier zu tuscheln?« rief Karl. »Heinrich, antworten Sie mir, wo stecken Sie denn?«

»Hier stehe ich,« antwortete die Stimme des Königs von Navarra.

»Teufel!« brummte Coconas, der die Herzogin von Nevers in einer Zimmerecke versteckt hielt. »Die Sache wird immer verwickelter!«

»Wir sind also zweimal verloren,« hauchte die Herzogin.

Mutig bis zur Unüberlegtheit, fand Coconas es angezeigt, die Kerzen schließlich doch wieder anzuzünden. Und in der Erwägung, daß rasches Handeln das vernünftigste wäre, ließ er die Hand der Herzogin los, griff aus dem Durcheinander einen Kerzenleuchter heraus, näherte sich einem Kohlenbecken, blies hinein und entzündete an der aufflackernden Glut den Docht der Kerze.

Das Zimmer war erleuchtet.

Karl der Neunte warf einen forschenden Blick um sich her. Heinrich stand neben seiner Gemahlin, die Herzogin von Nevers befand sich allein in einer Ecke und Coconas beleuchtete aus der Mitte des Zimmers mit der Kerze die ganze Umgebung.

»Entschuldigen Sie uns, mein lieber Bruder,« sagte Margarete, »wir erwarteten Sie nicht.«

»Eure Majestät haben uns, wie ersichtlich, heftigen Schrecken eingejagt,« sagte die Herzogin von Nevers.

»Was mich betrifft,« meinte Heinrich, der alles erraten hatte, »so muß ich gestehen, daß dieser Schrecken so nachdrücklich war, daß ich sogar den Tisch umgeworfen habe.«

Coconas warf einen Blick auf den König von Navarra, der folgendes besagen sollte: »Vortrefflich, das ist einmal ein Gatte, der sich auf alles einen Vers machen kann!«

»Was für eine schreckliche Wirtschaft!« wiederholte Karl der Neunte. »Jetzt liegt dein Nachtmahl auf der Erde, Henriot! Komm mit mir, du wirst es anderswo nachholen, ich will dich für heute abend der Gesellschaft abspenstig machen.«

»Wie, Sire?« sagte Heinrich, »Eure Majestät würden mir die Ehre antun?«

»Ja, Meine Majestät wird dir die Ehre antun, dich aus dem Louvre hinauszuführen. Leih mir ihn ein wenig, Margot, ich bringe dir ihn morgen früh wieder zurück!«

»Ach, mein Bruder,« erwiderte Margarete, »Sie haben doch meine Erlaubnis nicht nötig, Sie sind ja der Gebieter!«

»Sire,« bat Heinrich, »ich werde mir nur einen anderen Mantel holen und komme sofort wieder zurück.«

»Du brauchst keinen, der deinige genügt ja vollkommen.«

»Aber, Sire . . .,« versuchte der Bearner zu widersprechen.

»Ich sage dir, daß du nicht in deine Wohnung zurückzukehren hast, tausend Teufel, noch einmal! Hörst du es nicht? Vorwärts, so komm doch!«

»Ja, ja, gehen Sie!« sagte auf einmal Margarete und preßte den Arm ihres Gatten, denn ein sonderbarer Blick Karls verriet ihr, daß sich etwas Besonderes ereignen sollte.

»Ich bin bereit, Sire!« erklärte Heinrich.

Karl warf seinen Blick auf Coconas, der seinen Dienst als Kerzenanzünder weiter besorgte.

»Wer ist dieser Edelmann?« fragte er Heinrich, indem er den Piemontesen von oben bis unten betrachtete. »Sollte das zufällig der Herr von La Mole sein?«

»Nein, Sire, Herr von La Mole ist nicht anwesend und ich bedauere, ihn nicht Eurer Majestät gleichzeitig mit Herrn von Coconas, seinem Freunde, vorstellen zu können. Die zwei sind unzertrennlich und gehören dem Hofstaat des Herzogs von Alençon an.«

»Ah, ah, unserem treffsicheren Schützen!« sagte Karl. »Gut!«

Dann zog er die Brauen zusammen: »Ist dieser Herr von La Mole nicht Hugenotte?«

»Ein Bekehrter, Sire, und ich bürge für ihn, wie für mich!«

»Wenn Sie für einen Mann einstehen, Henriot, dann habe ich nach Ihrer heutigen Tat an ihm nicht zu zweifeln. Doch immerhin! Ich hätte diesen Herrn von La Mole gerne gesehen . . . doch bleibt mir das für später aufgehoben.«

Indem er mit seinen großen Augen noch einmal das Zimmer durchforschte, umarmte Karl Margarete. Dann zog er den König von Navarra mit sich und faßte ihn unter einem Arm.

Beim Tor des Louvre wollte Heinrich stehen bleiben, um jemand anzureden.

»Vorwärts, vorwärts, mach schnell weiter, Henriot!« sagte Karl. »Wenn ich dir schon sagte, daß die Luft heute im Louvre für dich schlecht ist, so, Teufel, glaube mir doch!«

»Himmel und Hölle!« brummte Heinrich. »Was wird aus Mouy werden, der sich ganz allein in meinem Zimmer befindet? Warum soll diese Luft, die schon für mich nicht gut ist, für ihn nicht noch viel schlechter werden?«

»Ah,« meinte der König, als sie über die Louvrebrücke gingen, »es paßt dir also, Henriot, daß die Leute vom Herzog von Alençon deiner Frau den Hof machen?«

»Wieso, Sire?«

»Nun ja, macht dieser Herr von Coconas Margarete nicht sehr freundliche Augen?«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Teufel!« erwiderte der König, »man hat mir es gesagt.«

»Ein dummer Spaß, Sire, Coconas macht allerdings jemand freundliche Augen, doch dieser jemand ist Madame von Nevers.«

»Ah bah!«

»Ich kann für das, was ich Eurer Majestät sage, einstehen.«

Karl brach in ein Gelächter aus.

»Nun gut,« sagte er, »da soll mir jetzt der Herzog von Guise noch einmal mit seinem Geschwätz kommen, ich werde ihm auf äußerst angenehme Art den Schnurrbart verlängern, indem ich ihm von den Heldentaten seiner Schwägerin erzählen werde. Doch auf diese Erklärung hin,« meinte der König sich besinnend, ». . . ich weiß mich nicht mehr zu erinnern, ob man mir den Herrn von Coconas oder den Herrn von La Mole genannt hat?«

»Nicht mehr den einen als den anderen, Sire,« sagte Heinrich, »und ich bürge für die Gefühle meiner Frau.«

»Gut, Henriot, gut! Mir ist es lieber dich so zu sehen, als vielleicht anderswie. Bei meiner Ehre, du bist ein prächtiger Mensch, und ich werde es schließlich ohne dich nicht mehr aushalten können.«

Während er so sprach, begann der König auch schon eine merkwürdige Weise dazwischen zu pfeifen, und vier Edelleute, die am Ende der Straße von Beauvais gewartet hatten, kamen schleunigst zu ihm. Darauf begaben sich alle in das Innere der Stadt. –

Es schlug zehn Uhr.

»Also,« fragte Margarete, als der König und Heinrich gegangen waren, »setzen wir uns wieder zu Tisch?«

»Nein, meiner Treu!« meinte die Herzogin. »Die Angst liegt mir noch in den Gliedern, es lebe unser kleines Haus in der Straße Cloche-Percée! Das muß man förmlich belagern, wenn man eintreten will, und unsere braven Verteidiger haben sogar das Recht, von der Waffe Gebrauch zu machen. Aber, Herr von Coconas, was suchen Sie denn da unter den Stühlen und in den Kästen?«

»Ich suche meinen Freund La Mole!« erwiderte der Piemontese.

»Suchen Sie in meinem Zimmer nach, mein Herr,« sagte Margarete, »dort befindet sich ein Nebengemach in der Nähe . . .«

»Schon recht,« sagte Coconas, »ich gehe schon . . .«

Er trat in das Zimmer ein.

»Nun, wie weit sind wir?« ließ sich da eine Stimme aus der Finsternis vernehmen.

»Verdammt, wir sind gerade beim Nachtisch.«

»Und der König von Navarra?«

»Hat nichts gesehen, das ist ein vollendeter Ehemann, und ich wünsche meiner Frau einen gleichen! Doch fürchte ich sehr, daß sie ihn bei ihrer zweiten Hochzeit bekommen wird.«

»Und der König Karl?«

»Ah, der König, das ist was anderes, der hat den Gatten entführt!«

»Wirklich?«

»Wie ich es dir sage! Dann hat er mir auch die Ehre angetan, mich von der Seite zu betrachten, als er hörte, daß ich zum Herzog von Alençon gehöre, und vollends ganz schief anzuschauen, als er vernahm, daß ich dein Freund bin.«

»Du glaubst also, daß man ihm von mir etwas erzählt hat?«

»Ich befürchte im Gegenteil, daß man ihm von dir mehr, als gut war, erzählt hat. Aber das ist nicht das, worum es sich handelt! Ich glaube, die Damen haben eine Wallfahrt in die Straße Roi-de-Sicile vor und wir werden die Pilgerinnen führen und geleiten müssen.«

»Das ist doch unmöglich . . . du weißt doch . . .«

»Warum unmöglich?«

»Wir stehen doch im Dienst Seiner Königlichen Hoheit!«

»Verdammt, das ist richtig! Ich vergesse immer, daß wir ja ein Amt bekleiden und daß wir die Ehre gehabt haben, aus Edelleuten Diener zu werden.«

Hierauf setzten die zwei Freunde der Königin und der Herzogin auseinander, daß sie notwendigerweise wenigstens bei den Nachtvorbereitungen des Herrn Herzogs zugegen sein müßten.

»Gut,« meinte die Herzogin, »wir gehen jedenfalls!«

»Und darf man erfahren, wohin Sie gehen?« fragte Coconas.

»Oh! Sie sind zu neugierig,« erwiderte die Herzogin, »quaere et invenies!«

Die zwei jungen Leute grüßten und stiegen eilig zum Herzog von Alençon hinauf.

Der Herzog schien auf sie in seinem Zimmer gewartet zu haben.

»Ah, ah, etwas spät, meine Herren!« sagte er.

»Es ist kaum zehn Uhr, gnädigster Herr!« sagte Coconas.

Der Herzog zog seine Uhr.

»Es ist wahr und trotzdem ist schon alles im Louvre schlafen gegangen.«

»Jawohl, gnädigster Herr, und nun stehen wir Ihnen zu Diensten. Sollen wir die Edelleute für die kleine Abendaudienz in das Schlafzimmer führen?«

»Im Gegenteil, begeben Sie sich in den kleinen Saal und verabschieden Sie dort alle Leute.«

Die jungen Leute gehorchten, vollzogen den gegebenen Befehl, über den sich niemand wunderte, weil alle das unberechenbare Wesen des Herzogs genügend kannten. Dann kamen die zwei Edelleute wieder zum Herzog zurück.

»Gnädigster Herr,« fragte Coconas, »Eure Hoheit werden sich sicherlich niederlegen oder arbeiten wollen?«

»Nein, meine Herren, Sie haben bis morgen früh frei!«

»Gehen wir, gehen wir!« tuschelte Coconas La Mole ins Ohr. »Der Hof ist scheinbar heute über Nacht nicht zu Hause, diese Nacht wird verteufelt kurzweilig werden, nehmen wir uns unseren Teil davon!«

Die zwei Freunde stiegen die Treppe hinauf, nahmen gleich vier Stufen auf einmal, holten sich ihre Mäntel und Degen und eilten zum Louvre hinaus, um noch die zwei Damen einzuholen. Sie erreichten sie noch bei der Ecke der Straße Coq-Saint-Honoré.

Während dieser Zeit wartete der Herzog von Alençon, bei verschlossenen Türen, mit offenen Augen und gespanntem Ohr auf die Ereignisse, die man ihm vorangezeigt hatte.

 


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