Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Der Prangerturm

Die Nacht sank auf die Stadt herab, in der das Entsetzen nach dieser aufsehenerregenden Hinrichtung nachzitterte. Ihre Einzelheiten gingen von Mund zu Mund und verdüsterten fast in jedem Hause die sonst so heitere Stunde des gemeinsamen Nachtmahles.

Ganz im Gegensatz zur stillen und gedrückten Stimmung in der Stadt, erstrahlte der Louvre im Festglanz und war von Freude und Lärm erfüllt. Im Palast fand eine große Festlichkeit statt. Ein Fest, das Karl der Neunte angeordnet hatte und das nach seinem Wunsche am Abend abzuhalten war. Er hatte gleichzeitig die Hinrichtung für den Morgen und die Feierlichkeit für den Abend bestimmt.

Die Königin von Navarra hatte am Abend vorher die Aufforderung erhalten, sich bei dem Fest einzufinden und in der Erwartung, daß La Mole und Coconas in der Nacht gerettet werden würden, in der Überzeugung, daß alle Maßnahmen für ihre Errettung richtig getroffen worden wären, hatte sie ihrem Bruder Karl antworten lassen, daß sie seinem Wunsche nachkommen würde.

Aber seither, seit dem Auftritt in der Kapelle, hatte sie alle Hoffnung verloren. Und seit sie in einer letzten Regung von Mitleid für diese Liebe, der größten und tiefst empfundenen ihres ganzen Lebens, der Hinrichtung beigewohnt hatte, hatte sie sich gelobt, daß keine Bitten und keine Drohungen sie bewegen könnten, einem lustigen Fest im Louvre anzuwohnen und das noch an demselben Tage, an dem sie das so schauerliche Fest auf dem Platz Saint-Jean-en-Grève gesehen hatte.

König Karl der Neunte hatte an diesem Tage eine neue Probe seiner besonderen Willenskraft gegeben, über die vielleicht niemand anderes in gleichem Maße verfügte. Seit fünfzehn Tagen bettlägerig, gebrechlich wie ein Sterbender und fahl wie ein Toter, stand er gegen fünf Uhr nachmittags aus seinem Bett auf und ließ sich die schönsten Kleider anziehen. Tatsächlich war er während des Anziehens dreimal in Ohnmacht gefallen.

Vor acht Uhr abends erkundigte er sich nach seiner Schwester, fragte, ob man sie gesehen hätte und ob man wüßte, was sie treibe. Niemand gab eine Antwort, denn die Königin war gegen elf Uhr vormittags nach Hause gekommen, hatte sich in ihre Zimmer eingesperrt und hatte jedermann den Eintritt verboten.

Für Karl gab es aber keine geschlossenen Türen. Gestützt auf den Arm des Herrn von Nancey, machte er sich auf den Weg zur Wohnung der Königin von Navarra und trat ganz plötzlich durch die Tür des verborgenen Ganges bei ihr ein.

Obwohl er sich auf einen traurigen Anblick gefaßt gemacht und obwohl er seine Stimmung dementsprechend vorbereitet hatte, so war das, was er hier sah, noch viel trostloser, als er es sich vorgestellt.

Margarete lag halbtot auf einem Liegestuhl, hatte den Kopf in die Kissen vergraben, sie weinte nicht und jammerte nicht, aber seit ihrer Rückkehr röchelte sie wie eine, die mit dem Tode ringt.

In einer anderen Ecke des Zimmers lag Henriette von Nevers, diese unerschrockene Frau, besinnungslos auf einem Teppich. Auch sie hatten, nach ihrer Rückkehr vom Grèveplatz, alle Kräfte verlassen, und die arme Gillonne lief von der einen zur anderen und wagte es nicht, ein Wort des Trostes an beide Frauen zu richten.

In dem Zustand, der einem großen Unglück folgt, geizt man mit seinem Schmerz, wie mit einem Schatz und hält jeden für einen Feind, der es versucht, die Gedanken nur im geringsten von dem Unglück abwenden zu wollen.

Karl der Neunte stieß die Tür auf, ließ Nancey draußen im Gang stehen und trat blaß und zitternd in das Zimmer ein.

Keine der beiden Frauen hatte ihn bemerkt. Gillonne allein, die gerade Henriette Beistand leisten wollte, erhob sich auf ein Knie und blickte den König ganz erschrocken an.

Der König machte ein Zeichen mit der Hand, sie erhob sich, verbeugte sich und ging hinaus.

Dann näherte sich der König Margarete, blieb vor ihr stehen und betrachtete sie einen Augenblick lang stillschweigend. In einem Ton, dessen man die sonst so rauhe Stimme nicht für fähig gehalten hätte, sagte er: »Margot, meine Schwester!«

Die junge Frau zitterte und richtete sich auf.

»Eure Majestät!« murmelte sie.

»Also, liebe Schwester, Mut!«

Margarete hob ihre Augen zum Himmel.

»Ja, ja,« sagte Karl, »ich weiß alles, doch höre mich an.«

Die Königin von Navarra machte eine Bewegung des Einverständnisses.

»Du hast mir versprochen, heute den Ball zu besuchen,« sagte Karl.

»Ich!« rief Margarete aus.

»Ja, deinem Versprechen gemäß erwartet man dich auch dort. Wenn du nicht kämest, wäre man jedenfalls sehr erstaunt über deine Abwesenheit.«

»Entschuldigen Sie mich, mein Bruder . . . Sie sehen aber, ich bin leidend.«

»Nehmen Sie sich ein wenig zusammen.«

Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob Margarete ihren ganzen Mut zusammennehmen wollte, doch plötzlich fiel sie wieder in sich zusammen und ließ ihren Kopf in die Kissen sinken.

»Nein, nein, ich werde nicht kommen!« seufzte sie.

Karl nahm ihre Hand, setzte sich zu ihr auf den Liegestuhl hin und sagte: »Du hast eben einen Freund verloren, Margot, ich weiß es. Doch sieh mich an, habe ich nicht alle, alle Freunde verloren? Und mehr noch: ich habe auch meine Mutter verloren! Du, du hast dich immer nach Herzenslust ausweinen können, wie du es auch jetzt tust, ich aber, ich mußte in den Stunden meines größten Schmerzes immer nur lächeln und lächeln. Du leidest, sieh mich aber an, ich, ich sterbe! Also, Margot, nimm dich zusammen, Mut! Ich bitte dich darum, meine Schwester, unserer Ehre und unseres Ruhmes wegen. Wie ein Kreuz des Schmerzes und der Qual tragen wir den guten Ruf unseres Hauses auf den Schultern, tragen es, wie es unser Herr und Gott auf dem Kalvarienberg getragen hat. Wenn wir, so wie einstmals er, auf unserem Wege straucheln und fallen, dann sollen wir uns auch wieder erheben, so mutig und so ergeben, wie er es getan hat.«

»Oh, mein Gott, mein Gott!« rief Margarete aus.

»Ja,« sagte Karl, der ihre Gedanken erriet, »ja, das Opfer ist hart, meine Schwester, doch ein jeder muß sein Opfer bringen, die einen ihrer Ehre, die anderen bringen es ihrem Leben. Glaubst du denn, daß ich es nicht bedauere, mit meinen fünfundzwanzig Jahren und mit diesem schönsten Thron auf der Welt sterben zu müssen? Und sieh mich doch einmal an . . . meine Augen, meine Gesichtsfarbe, meine Lippen, sie sind die eines Sterbenden! Aber mein Lächeln . . . könnte man nicht glauben, daß ich voll Hoffnung bin, wenn man mich lächeln sieht? Und trotzdem . . . in acht Tagen, längstens aber in einem Monat, wirst du mich beweinen müssen, meine Schwester, wie du den beweinst, der heute gestorben ist!«

»Mein Bruder!« rief Margot aus und warf ihre beiden Arme um den Hals des Königs.

»Also, kleiden Sie sich an, meine liebe Margarete,« sagte Karl, »verbergen Sie Ihre Blässe, erscheinen Sie auf dem Ball! Ich habe eben den Befehl gegeben, daß man Ihnen neuen Schmuck aus Edelsteinen überbringt und eine Gewandung, die Ihrer Schönheit würdig ist.«

»Ach, Diamanten und Kleider,« sagte Margarete, »was mache ich mir jetzt aus dem!«

»Das Leben ist lang, Margarete,« lächelte Karl ihr zu, »für dich wenigstens.«

Gillonne wurde gerufen.

»Bereiten Sie alles vor, um die Königin anzuziehen, Gillonne,« sagte Karl.

»Niemals, niemals!«

»Meine Schwester, bedenken Sie eines: manchmal ehrt man die Toten viel mehr, wenn man seinen Schmerz zu unterdrücken oder zu verbergen weiß.«

»Nun dann, Sire,« sagte Margarete schaudernd, »dann werde ich kommen!«

Eine Träne, die aber gleich wieder von seinem trockenen Lid aufgesogen wurde, benetzte das Auge Karls.

Er beugte sich zu seiner Schwester nieder und küßte sie auf die Stirne, dann blieb er einen Augenblick vor Henriette, die ihn weder gesehen noch gehört hatte, stehen und sagte: »Arme Frau!«

Hierauf entfernte er sich schweigend.

Gleich nach dem König erschienen einige Pagen und brachten Koffer und Schmuckkästchen herein.

Margarete gab ihnen ein Zeichen, und sie stellten alles auf den Boden nieder.

Gillonne sah ihre Herrin erstaunt an.

»Ja,« sagte Margarete in einem Ton, dessen Bitterkeit kaum zu beschreiben war, »ja, ich werde mich ankleiden, ich werde auf den Ball gehen, man erwartet mich dort. Tummle dich daher! Der Tag wird so gut ausgefüllt sein, am Morgen das Fest auf dem Grèveplatz, abends das Fest im Louvre.«

»Und die Frau Herzogin?« fragte Gillonne.

»Ach, die ist wohl glücklich! Die kann hierbleiben, sie kann weinen, sie kann sich nach Belieben ihrem Schmerz überlassen! Sie ist nicht eines Königs Tochter, eines Königs Frau, eines Königs Schwester! Sie ist nicht Königin! Hilf mir jetzt beim Ankleiden, Gillonne!«

Das junge Mädchen gehorchte. Der Schmuck war prachtvoll, die Kleider waren herrlich. Niemals war Margarete so schön gewesen.

Sie betrachtete sich in einem Spiegel.

»Mein Bruder hat recht,« sagte sie sich, »und der Mensch ist wohl ein recht erbärmliches Wesen.«

Gillonne kam wieder in das Zimmer herein.

»Madame,« meldete sie, »ein Mann ist draußen, der Sie zu sprechen wünscht.«

»Mich?«

»Ja, Madame.«

»Wer ist der Mann?«

»Ich weiß es nicht, er ist aber furchtbar anzusehen und sein Anblick allein machte mich schaudern.«

»Frage ihn um seinen Namen!« befahl Margarete erbleichend.

Gillonne entfernte sich und kam gleich darauf wieder herein.

»Er wollte mir seinen Namen nicht sagen, Madame, er hat mich aber gebeten, Ihnen das hier zu übergeben.«

Gillonne überreichte Margarete das Denkzeichen, das sie am vorhergehenden Abend La Mole geschenkt hatte.

»Oh, lassen Sie ihn eintreten, lassen Sie ihn herein!« sagte lebhaft Margarete.

Sie wurde noch bleicher und frostiger, als sie es gewesen.

Ein schwerer Schritt ließ den Fußboden erzittern. Es schien, als ob dieser grobe Lärm sich nicht getraue, in diesen Räumen einen richtigen Widerhall zu wecken, denn nur die Holztäfelungen der Wände wurden dumpf erschüttert. Der Mann stand plötzlich auf der Türschwelle.

»Sie sind . . .?« fragte die Königin.

»Ich bin derjenige, dem Sie eines Tages bei Montfaucon begegnet sind, Madame, und der damals in seinem Karren zwei junge verwundete Edelleute in den Louvre geführt hat.«

»Ja, ja, ich erkenne Sie, Sie sind Meister Caboche!«

»Henker des Obergerichtes von Paris, Madame.«

Das waren die einzigen Worte, die Henriette aus allen Gesprächen, die seit einer Stunde in diesem Zimmer geführt worden wären, gehört hatte. Sie hob ihren blassen Kopf aus beiden Händen empor, ein doppelter Blitz ihrer smaragdfarbenen Augen traf den Henker.

»Und Sie kommen . . .?« fragte Margarete bebend.

»Um Sie an das Versprechen zu erinnern, das Sie dem jüngeren der zwei Edelleute gegeben haben, der mich auch beauftragt hat, Ihnen das Denkzeichen zu überbringen. Denken Sie noch daran, Madame?«

»Ah, ja, ja!« rief die Königin, »und nie noch soll eine großmütige Seele eine größere Ehrung gefunden haben . . . doch wo ist es?«

»Es liegt bei mir und noch beim Körper!«

»Bei Ihnen? Warum haben Sie es nicht mitgebracht?«

»Ich hätte bei der Pforte des Louvre angehalten werden können, man hätte mich zwingen können, meinen Mantel zu lüften. Was hätte man aber gesagt, wenn man unter diesem Mantel ein abgeschlagenes Haupt gesehen hätte!«

»Gut, behalten Sie es bei sich, ich werde es morgen abholen kommen.«

»Morgen, Madame, morgen?« sagte Meister Caboche. »Das dürfte vielleicht schon zu spät sein.«

»Warum das?«

»Weil die Königin-Mutter anbefohlen hat, daß ich die Köpfe der ersten Verurteilten, die ich abschlagen würde, aufheben müßte. Sie benötigt sie für kabbalistische Versuche.«

»Oh, welche Entweihung! Die Köpfe unserer Vielgeliebten, Henriette,« rief Margarete und eilte auf ihre Freundin zu, die schon aufrecht dastand, als ob sie von Federn emporgeschnellt worden wäre, »Henriette, mein Engel, hörst du, was dieser Mann da sagt?«

»Ja, was ist nun zu machen?«

»Wir müssen gleich mit ihm gehen.«

Mit einem Schrei, wie er oft Menschen, die der Schmerz gebrochen, das Leben wiedergibt, rief die Herzogin aus: »Ah! mir war ja so wohl, ich glaubte mich schon tot!«

Mittlerweile hatte Margarete einen Samtmantel über ihre nackten Schultern geworfen.

»Komm, komm!« sagte sie. »Wir werden sie noch einmal sehen.«

Dann ließ sie alle Türen schließen und befahl, daß man die Sänfte zum verborgenen kleinen Tor bringe. Sie faßte Henriette unter dem Arm, stieg über die geheime Stiege hinunter und gab Caboche ein Zeichen, der Sänfte zu folgen.

Beim unteren Tore stand die Sänfte bereit und bei der kleinen Pforte wartete ein Diener Caboches mit einer Laterne.

Die Sänftenträger Margaretes waren verläßliche Leute, waren stumm und taub, und sicherer als Lasttiere.

Die Reise dauerte ungefähr zehn Minuten. Voran schritten Meister Caboche mit seinem Diener, der die Laterne trug.

Als angehalten wurde, öffnete der Henker die Tür der Sänfte, während der Diener vorauseilte.

Margarete entstieg der Sänfte und half dann der Herzogin von Nevers beim Aussteigen. Im großen gemeinsamen Schmerz beherrschte eine ängstliche Vorsorge alle anderen Rücksichtnahmen.

Wie ein finsterer, unförmlicher Riese richtete sich der Prangerturm vor den beiden Frauen auf, ein rötlicher Lichtschein flimmerte von seiner Spitze durch zwei Schießscharten auf.

Der Diener erschien bei der Eingangstür.

»Sie können eintreten, meine Damen,« sagte Caboche, »im Turm schläft bereits alles.«

Eng aneinander geschmiegt traten beide Frauen durch eine kleine, spitzbogenförmig geformte Tür und fühlten dann einen feuchten und holprigen Boden unter sich. Am Ende des gewundenen Ganges bemerkten sie ein Licht und, vom unheimlichen Hausherrn geführt, begaben sie sich in diese Richtung. Die Tür hatte sich hinter ihnen geschlossen.

Mit einem Wachslicht in der Hand führte sie Caboche zunächst in einen niedrigen, rauchigen Raum. In seiner Mitte stand ein Tisch mit drei Gedecken und den Überbleibseln eines Nachtmahles. Zweifellos waren die drei Gedecke für den Henker, für seine Frau und für seinen ersten Gehilfen bestimmt gewesen.

An einer deutlich sichtbaren Stelle dieses Raumes war ein mit dem Siegel des Königs versehenes Schriftstück mittels eines Nagels an der Wand befestigt. Es war die urkundliche Bestallung des Henkers.

In einer Ecke stand ein Schwert mit langem Griff, das war das flammende Richtschwert.

Hier und da erblickte man noch einige schlecht ausgeführte Bilder, die verschiedene Heilige und ihr Märtyrerleiden darstellten.

Hier angekommen, verneigte sich Caboche tief vor den beiden Frauen.

»Eure Majestät werden entschuldigen, daß ich es gewagt habe, in den Louvre zu kommen, um Sie hierherzuführen. Doch dies war der letzte und ausdrückliche Wunsch des jungen Edelmannes, so daß ich . . .«

»Sie haben gut daran getan, Meister, Sie haben richtig gehandelt und nehmen Sie dies für Ihre Bemühungen an,« sagte Margarete.

Caboche betrachtete traurig die gefüllte Goldbörse, die Margarete auf den Tisch gelegt hatte.

»Gold, immer nur Gold!« murmelte er. »Ach, leider kann ich um diese Goldsumme das Blut nicht zurückkaufen, das ich heute fließen zu lassen verpflichtet war, Madame!«

»Meister,« sagte Margarete in schmerzlichem Bangen und sah sich nach allen Seiten um, »Meister, müssen wir nicht noch wo anders hingehen? Ich sehe nicht . . .«

»Nein, Madame, nein, Sie sind hier . . . doch der Anblick ist traurig und ich könnte ihn Ihnen ersparen, wenn ich Ihnen das, was Sie wünschen, in einem Mantel verpackt überbringen dürfte?«

Margarete und Henriette warfen sich gleichzeitig einen Blick zu.

»Nein,« erklärte dann die Königin, die in den Augen ihrer Freundin den gleichen Entschluß gelesen hatte, den sie selbst gefaßt. »Nein, zeigen Sie uns nur den Weg und wir werden Ihnen folgen.«

Caboche ergriff den Leuchter, öffnete eine Eichentür, die zu einer Stiege mit nur wenig Stufen führte. Sie senkte sich in ein unterirdisches Gelaß hinab. Im gleichen Augenblick drang ein scharfer Luftzug über die Stiege herauf, vom Wachslicht sprühten Funken auf und ein ekliger Geruch von Schimmel und Blut warf sich den Prinzessinnen entgegen.

Henriette stützte sich, weiß wie eine Alabasterstatue, auf den Arm ihrer Freundin und wollte den Gang antreten. Zuerst glaubte sie sich stark genug, dann aber wankte sie schon auf der ersten Stufe.

»Oh, ich werde es nicht über mich bringen!« seufzte sie.

»Wenn man wirklich geliebt hat, Henriette,« erwiderte die Königin, »dann muß man auch bis in den Tod lieben können.«

Es war ein furchtbarer und zugleich rührender Anblick, der sich den beiden Frauen hier darbot, den beiden Frauen, die von Jugend, Schönheit und Schmuck erstrahlten, die sich hier unter dem niedrigen und kreidigen Deckengewölbe bücken mußten, die schwächere an die stärkere Freundin gelehnt, die stärkere gestützt auf den Arm des Henkers.

Man war an das Ziel gekommen.

Im Hintergrund des Kellers lagen zwei menschliche Körper, über die ein breites, schwarzes Köpertuch geworfen war.

Caboche hob das Tuch an der einen Ecke empor, näherte sich den Körpern mit dem Leuchter und sagte: »Sehen Sie, Frau Königin!«

Die zwei jungen Leute lagen in ihren schwarzen Kleidern Seite an Seite, vereint im schrecklichen Ebenmaß des Todes. Ihre Köpfe waren an die Körper herangeschoben worden und schienen nur durch einen einzigen, lebhaft rot gefärbten Strich am Halse von diesen getrennt zu sein. Auch ihre Hände schien der Tod nicht getrennt zu haben, denn, sei es durch Zufall, sei es, daß der Henker aus frommer Scheu so aufmerksam gewesen war, die rechte Hand La Moles lag in der linken Hand Coconas.

Unter den Lidern La Moles war der Ausdruck der Liebe erstarrt, während das Lächeln der Verachtung noch auf Coconas Gesicht zu bemerken war.

Margarete kniete neben ihrem Geliebten nieder und mit ihren beringten, funkelnden Händen hob sie sanft das Haupt empor, das sie so sehr geliebt hatte.

Die Herzogin von Revers war an die Mauer gelehnt und konnte ihren Blick nicht von dem blassen Antlitz abwenden, aus dem ihr einst so viel Heiterkeit und Liebe entgegengeleuchtet hatten.

»La Mole, lieber La Mole!« murmelte Margarete.

»Hannibal, Hannibal, einst so schön, so stolz, so tapfer, du antwortest mir nicht mehr!« rief die Herzogin aus.

Ein Tränenstrom ergoß sich über ihr Antlitz.

Diese Frau, die in ihrem Glück so geringschätzig, so unerschrocken und so frech war, die Frau, die ihre Zweifelsucht bis zum Äußersten treiben konnte und deren Leidenschaft nicht selten in Hartherzigkeit ausartete, diese Frau hatte niemals an den Tod gedacht.

Jetzt wurde ihr Margarete zum Beispiel.

Sie barg den Kopf La Moles in einen mit Perlen bestickten und mit den feinsten Duftwässern getränkten Sack. Dieser Kopf wurde noch schöner, als er von Gold und Samt umgeben war und diese Schönheit sollte ihm durch ein besonderes Verfahren, das in jenem Jahrhundert bei den Einbalsamierungen der Könige angewendet wurde, erhalten bleiben.

Auch Henriette näherte sich nun und hüllte den Kopf Coconas in einen Seitenteil ihres Mantels ein.

Gebückt stiegen dann beide die Treppe hinauf, doch der Schmerz drückte sie nieder und nicht ihre Last. Einen letzten Blick warfen sie noch auf die Überreste ihrer Freunde, die sie nun der Gnade des Henkers überlassen mußten, die jetzt in dem finstern Loch, wie die Leichen gemeiner Verbrecher liegen bleiben mußten.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Madame,« sagte Caboche, der den Blick beider Frauen verstanden hatte, »die Edelleute werden in Leichentücher gehüllt und werden dann wie fromme Christen begraben werden, das schwöre ich Ihnen.«

»Und du wirst für sie Messen lesen lassen . . . dafür!« sagte Henriette, riß ein prachtvolles Rubinhalsband von ihren Schultern herab und reichte es dem Henker hin.

Man kam in den Louvre zurück, wie man aus dem Louvre gegangen war, nur gab sich die Königin bei der kleinen Eingangspforte zu erkennen. Sie ging über ihre Sonderstiege in ihre Wohnung, hob das traurige Überbleibsel in ihrem, dem Schlafzimmer benachbarten Nebenzimmer auf, das bestimmt war, von nun an ein Raum für Gebete und Andachten zu werden, und ließ Henriette als Wache zurück, denn bleich, aber schöner denn je, begab sie sich gegen zehn Uhr in den großen Ballsaal, den wir vor nahezu anderthalb Jahren im ersten Kapitel unserer Erzählung im Festglanz erstrahlen gesehen haben.

Alle Augen waren auf sie gerichtet, und sie ertrug diese allgemeine Bewunderung mit Stolz und mit Freude.

Hatte sie doch den letzten Wunsch ihres Freundes gewissenhaft und getreulich erfüllt.

Karl der Neunte durchschritt wankend die goldenen Menschenfluten, die ihn umbrandeten, als er seine Schwester bemerkte.

»Meine Schwester« sagte er laut, »ich danke Ihnen!«

Dann aber flüsterte er ihr zu: »Geben Sie acht, Sie haben einen Blutfleck auf Ihrem Arm . . .«

»Ach, was kümmert mich das, Sire,« erwiderte Margarete, »wenn nur ein Lächeln auf meinen Lippen zu sehen ist!«

 


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