Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Rückkehr in den Louvre

Als Katharina dachte, daß im Zimmer des Königs von Navarra die Ordnung wiederhergestellt sei, daß also die Leichen der Soldaten weggeschafft wären, daß man Maurevel in seine Wohnung gebracht hätte, daß auch die Teppiche gereinigt worden wären, verabschiedete sie ihre Hofdamen und Kammerfrauen und versuchte, da es schon fast Mitternacht war, zu schlafen. Doch ihre Nervenerschütterung war zu schwer und ihre Enttäuschung zu groß. Dieser verhaßte Heinrich entkam immerfort ihren Nachstellungen, die doch gewöhnlich den erwünschten Tod zur Folge hatten, er schien von einer unbesiegbaren Macht beschützt zu werden. Katharina bestand hartnäckig darauf, daß er sein Glück nur den Launen des Zufalls verdankte, obwohl ihr eine innere Stimme im Grunde ihres Herzens sagte, daß der wahre Name der Schutzmacht Schicksal hieße. Der Gedanke, daß das Gerücht des neuen Anschlages, das sich sicherlich im Louvre und auch außerhalb des Louvre verbreiten mußte, Heinrich und den Hugenotten ein noch größeres Vertrauen auf die Zukunft einflößen könnte, erbitterte sie im höchsten Grade. Wenn dieser Zufall, gegen den sie vergeblich ankämpfte, ihr den Feind in diesem Augenblick in die Hände gespielt hätte, sicherlich hätte sie von dem florentinischen kleinen Dolch, der ihr am Gürtel hing, Gebrauch gemacht, hätte dieses dem König von Navarra stets so günstige Verhängnis vorneweg vereitelt.

Die Nachtstunden, die dem Wartenden und Wachenden so langsam vergehen, wurden Schlag auf Schlag von der Uhr angezeigt, ohne daß Katharina ein Auge schließen konnte. Eine ganze Welt neuer Pläne entrollte sich ihr in diesen finsteren Stunden, entwickelte sich in ihrem abenteuerlichen Geiste. Bei Tagesanbruch erhob sie sich endlich, zog sich ganz allein an und machte sich auf den Weg zur Wohnung Karls des Neunten.

Die Wachtposten, die sie zu jeder Tag- und zu jeder Nachtstunde auf dem Wege zum König zu sehen pflegte, ließen sie ungehindert durch. Sie ging daher durch das Vorzimmer sofort in den Waffensaal. Hier traf sie die Amme Karls an, die scheinbar Wache hielt.

»Mein Sohn?« fragte die Königin.

»Madame, er hat verboten, daß man sein Zimmer vor acht Uhr morgens betritt.«

»Dieses Verbot erstreckt sich nicht auf mich, Amme!«

»Es gilt für alle Welt, Madame.«

Katharina lächelte.

»Ja, ich weiß wohl,« begann wieder die Amme, »ich weiß wohl, daß hier niemand das Recht hat, sich Eurer Majestät zu widersetzen, ich bitte daher der Bitte einer armen Frau Gehör zu schenken und nicht vor acht Uhr einzutreten.«

»Amme, ich muß aber mit meinem Sohn sprechen!«

»Madame, ich werde nur auf ausdrücklichen Befehl Eurer Majestät die Tür öffnen.«

»öffnen Sie, Amme, ich will es!«

Diese Stimme, die im Louvre mehr gefürchtet und geachtet wurde, als die Stimme des Königs selbst, veranlaßte die Amme, der Königin-Mutter den Schlüssel zur Tür zu überreichen. Doch Katharina bedurfte dieses Schlüssels nicht, sie zog einen eigenen aus der Tasche, der zur Zimmertür ihres Sohnes paßte, und unter ihrem heftigen Druck gaben sofort die Flügel nach.

Das Zimmer war leer, das Bett Karls unberührt, nur sein Windhund Actäon, der auf einem Bärenfell am Fußende des Bettes geschlafen hatte, erhob sich und kam auf Katharina zu, um ihre elfenbeinfarbene Hand zu lecken.

»Ah,« sagte die Königin, »er ist ausgegangen, ich werde warten!«

Und sie setzte sich, nachdenklich, ihre finsteren Gedanken sammelnd, zum Fenster hin, von dem man auf den Hof und auf das Haupttor des Louvre hinabsah.

Zwei lange Stunden saß sie unbeweglich und bleich, wie eine Marmorstatue da, als sie endlich eine heimkehrende Reiterschar erblickte, an deren Spitze sie Karl den Neunten und Heinrich von Navarra bemerkte.

Jetzt begriff sie alles. Statt mit ihr über die Verhaftung seines Schwagers irgendwie zu verhandeln, hatte Karl ihn einfach entführt und auf diese Weise gerettet.

»Blinder, Blinder, Blinder!« murmelte sie und wartete weiter.

Einen Augenblick später hallten im Waffensaal nebenan Schritte.

»Doch, Sire,« sagte Heinrich, »jetzt, wo wir wieder im Louvre sind, sagen Sie mir, warum Sie mich zu diesem Ausgang bewogen haben und inwiefern Sie mir dadurch einen Dienst erwiesen haben?«

»Nein, nein, Henriot!« erwiderte Karl lachend. »Du wirst es eines Tages schon erfahren . . . doch für den Augenblick bleibt es Geheimnis. Erfahre nur, daß du mir aller Wahrscheinlichkeit nach in kürzester Zeit eine sehr heftige Auseinandersetzung mit meiner Mutter einbringen wirst.«

Kaum hatte der König die Worte gesprochen, als er schon den Vorhang zum Nebenzimmer aufhob und sich seiner Mutter gegenüber befand.

Hinter ihm und über seiner Schulter tauchte der bleiche und besorgte Kopf des Bearners auf.

»Ah, Sie hier, Madame?« fragte Karl und runzelte die Brauen.

»Ja, mein Sohn, und ich habe mit Ihnen zu sprechen.«

»Mit mir?«

»Ja, mit Ihnen allein.«

»Also, also!« sagte Karl und wandte sich seinem Schwager zu. »Da es keine Möglichkeit gibt auszuweichen . . . je früher, desto besser!«

»Sire, ich verlasse Sie,« sagte Heinrich.

»Ja, ja, laß uns allein! Da du Katholik bist, Henriot, so höre zu meinem Heil die Messe an . . . ich muß bei der Predigt bleiben.«

Heinrich grüßte und ging.

Karl der Neunte kam allen Fragen seiner Mutter zuvor.

»Nun, Madame!« sagte er und versuchte der ganzen Angelegenheit die komische Seite abzugewinnen. »Bei Gott! Sie erwarten mich hier, um mich auszuzanken, nicht wahr. Ich Gottvergessener, ich habe Ihren schönen, kleinen Plan durchkreuzt. Eh, Tod des Teufels! Ich konnte den Mann, der mir gerade das Leben gerettet hatte, nicht verhaften und in die Bastille abführen lassen! Dann wollte ich mit Ihnen über diese Angelegenheit auch nicht herumstreiten, denn ich bin doch ein guter Sohn. Und außerdem,« fügte er ganz leise bei, »straft Gott die Kinder, die sich mit ihren Müttern nicht vertragen. Beweis hierfür: mein Bruder Franz der Zweite! Verzeihen Sie mir daher aufrichtig . . . und dann geben Sie zu, daß der Spaß gut gelungen ist!«

»Sire,« sagte Katharina, »Eure Majestät irren sich, hier handelte es sich nicht um einen Spaß!«

»Schon gut, schon gut! Doch Sie werden ihn schließlich doch noch für einen solchen halten oder es mag mich der Teufel holen!«

»Sire, Sie haben durch eigene Schuld einen Plan mißlingen lassen, der zu einer wichtigen Entdeckung geführt hätte.«

»Bah! ein Plan . . . Sie, meine Mutter, sollten wegen eines verunglückten Planes in Verlegenheit sein? Sie werden zwanzig andere Pläne schmieden und bei diesen, nun meinetwegen, verspreche ich Ihnen meine Unterstützung.«

»Es ist zu spät, mir jetzt beistehen zu wollen, denn er ist gewarnt und wird auf der Hut sein.«

»Also, kommen wir doch zu einem Ziel,« sagte der König, »was haben Sie eigentlich gegen Henriot?«

»Er verschwört sich gegen uns.«

»Ja, ja, ich verstehe, das ist Ihre ewige Anklage . . . aber verschwört sich nicht mehr oder weniger die ganze Welt in dieser reizenden königlichen Residenz, die man den Louvre nennt?«

»Er jedoch mehr, als irgend ein anderer, und er ist gefährlicher, als es irgendjemand nur ahnt!«

»Da sehen Sie doch, ein zweiter Lorenzino!« sagte Karl.

»Hören Sie,« erwiderte Katharina, während sich ihr Antlitz bei Nennung dieses Namens, der sie an das blutigste Kapitel der Geschichte von Florenz erinnern mußte, sichtlich verdüsterte, »hören Sie, es gibt ein Mittel, um mein Unrecht in dieser Angelegenheit zu beweisen.«

»Welches, liebe Mutter?«

»Fragen Sie Heinrich, wer heute nacht in seinem Zimmer gewesen ist?«

»In seinem Zimmer? . . . heute nacht?«

»Ja, und wenn er es Ihnen sagt . . .«

»Was dann?«

»Dann bin ich bereit zuzugeben, daß ich mich geirrt habe.«

»Doch wenn es eine Frau gewesen sein sollte . . . wir können doch nicht verlangen . . .«

»Eine Frau?«

»Ja.«

»Eine Frau, die zwei Ihrer Gardesoldaten zu Boden gestreckt hat und Herrn von Maurevel wahrscheinlich tödlich verwundete?«

»Oh, oh!« sagte der König, »das wird ernst! Es ist also Blut geflossen?«

»Drei Männer sind in ihrem Blut auf dem Boden gelegen.«

»Und der, der sie so weit gebracht hat?«

»Ist heil und glücklich entkommen!«

»Bei Gog und Magog, das war ein Tapferer!« sagte Karl, »Sie haben sehr recht, liebe Mutter, den muß ich kennenlernen!«

»Ich habe Ihnen schon vorher gesagt, daß Sie ihn nicht kennenlernen werden, zum mindesten nicht durch Heinrich.«

»Doch durch Sie, liebe Mutter? Der Mann ist doch gewiß nicht entflohen, ohne ein Beweisstück zurückgelassen oder ohne daß man bemerkt hätte, wie er gekleidet war?«

»Man hat nur einen sehr vornehmen kirschroten Mantel bemerkt, in den er gehüllt war.«

»Ah! einen kirschroten Mantel? Ich kenne nur einen derartigen bei Hof, der aber so auffallend ist, daß er jedem in die Augen springt.«

»Richtig!« sagte Katharina.

»Nun und?«

»Nun, erwarten Sie mich hier bei sich, mein Sohn, ich werde inzwischen nachsehen, ob meine Befehle durchgeführt worden sind.«

Die Königin-Mutter ging aus dem Zimmer hinaus. Karl blieb allein zurück, spazierte zerstreut im Zimmer auf und ab, pfiff eine Jagdweise, hatte eine Hand in sein Wams gesteckt, die andere ließ er herabhängen. So oft er stillstand, leckte sein Windspiel daran.

Heinrich hingegen hatte seinen Schwager besorgt verlassen und, statt durch den gewöhnlichen Gang zu gehen, war er über die heimliche Stiege, von der schon öfters die Rede war, in das zweite Stockwerk hinaufgestiegen. Kaum hatte er aber vier Stufen hinter sich, als er in der ersten Wendung einen Schatten bemerkte. Er blieb stehen und griff nach seinem Dolch. Gleichzeitig aber erkannte er schon, daß eine Frauengestalt vor ihm stand. Er wurde bei der Hand ergriffen und eine reizende Stimme, deren Ton ihm sehr vertraut war, sagte, zu ihm: »Gott sei gelobt, Sire, denn Sie sind heil und gesund geblieben. Ich war in großer Sorge um Sie, doch zweifellos hat Gott mein Gebet erhört.«

»Was ist denn geschehen?« fragte Heinrich.

»Sie werden es erfahren, wenn Sie in Ihre Wohnung kommen. Sorgen Sie sich nicht um Orthon, ich habe ihn bei mir aufgenommen.«

Die junge Frau stieg eilig herab und ging bei Heinrich vorüber, so, ob sie ihm nur zufällig auf der Treppe begegnet wäre.

»Das ist aber merkwürdig!« sagte sich Heinrich. »Was hat sich ereignet, was ist Orthon geschehen?«

Diese Frage konnte leider von Frau von Sauve nicht mehr vernommen werden, denn sie war schon weit.

Hingegen sah Heinrich plötzlich am oberen Ende der Stiege einen zweiten Schatten auftauchen. Doch diesmal war es die Gestalt eines Mannes.

»Ruhig!« warnte diese Gestalt.

»Ah! Sie sind es, Franz?«

»Nennen Sie mich nicht bei meinem Namen.«

»Was ist denn nur los?«

»Kehren Sie in Ihre Wohnung zurück und Sie werden es wissen. Dann schleichen Sie sich in den Hauptgang, sehen Sie sich nach allen Seiten um, ob Sie niemand ausspäht, und kommen Sie dann zu mir, die Tür wird nur angelehnt sein.«

Darauf verschwand auch er, wie die Geister im Theater, die in eine Versenkung hinabstürzen.

»Himmel und Hölle!« brummte der Bearner. »Das Rätsel setzt sich fort! Doch da sich das Schlüsselwort angeblich bei mir befindet, begeben wir uns dahin und wir werden das weitere sehen.«

Nicht ohne Erregung setzte Heinrich seinen Weg fort. Er hatte eine eigenartige Empfindung, die mit seinem jugendlichen Aberglauben in Verbindung stand. Alles spiegelte sich deutlich auf seiner Seele ab, die auch so durchwegs glatt war wie die Oberfläche eines Spiegels, und alles was er gehört hatte, erfüllte ihn mit der Vorahnung eines Unheils.

Er kam bei der Tür seiner Wohnung an und horchte. Kein Geräusch ließ sich vernehmen. Da ihm übrigens Charlotte die Heimkehr empfohlen hatte, war augenscheinlich nichts zu befürchten. Er warf einen raschen Blick im Vorzimmer herum, es war niemand darinnen und nichts verriet ihm noch, was hier vorgegangen war.

»Wahrhaftig,« sagte er sich, »Orthon ist nicht da!«

Dann ging er in das zweite Zimmer.

Hier enträtselte sich alles.

Trotz des Wassers, das man in Strömen über den Fußboden gegossen hatte, röteten ihn stellenweise noch breite Blutflecke. Ein Sessel war zerbrochen, die Bettvorhänge waren durch Degenhiebe zerfetzt worden und eine Pistolenkugel hatte einen venezianischen Spiegel zerschmettert. Der grauenerregende blutige Abdruck einer Hand, die sich offenbar an die Wand gestützt hatte, besagte, daß dieses stumme Zimmer der Zeuge eines Kampfes auf Leben und Tod gewesen sein mußte.

Mit verstörtem Blick betrachtete Heinrich alle Einzelheiten, die auf einen Überfall deuteten, griff sich mit der Hand an die nasse Stirn und murmelte: »Jetzt verstehe ich den Dienst, den mir der König geleistet, man wollte mich ermorden . . . und . . . ah, Mouy! Was hat man aus Mouy gemacht! Die Elenden, sie werden ihn getötet haben!«

Und so begierig die Neuigkeiten zu erfahren, als der Herzog von Alençon begierig schien, solche mitzuteilen, eilte Heinrich, nachdem er noch einen düsteren Blick auf das Zimmer geworfen hatte, auf den Gang hinaus, überzeugte sich, daß er nicht beobachtet wurde, stieß die halboffene Tür zur Wohnung des Herzogs auf, verschloß sie wieder sorgfältig hinter sich und stand dann vor Franz von Alençon.

Der hatte ihn schon im ersten Zimmer erwartet. Er ergriff Heinrich rasch bei einer Hand und indem er einen Finger auf den Mund legte, führte er ihn in ein kleines Turmzimmer, das von den anderen Zimmern vollständig abgetrennt, keine Möglichkeit zur Ausspähung gewährte.

»Ah, mein Bruder,« sagte der Herzog, »welch schreckliche Nacht!«

»Was hat sich denn zugetragen?«

»Man hat Sie verhaften wollen?«

»Mich?«

»Ja, Sie!«

»Aus welchem Grunde?«

»Das weiß ich nicht. Wo waren Sie?« »Der König hat mich gestern abend in die Stadt mitgenommen.«

»Dann muß er es also gewußt haben!« meinte der Herzog, »doch wenn Sie nicht zu Hause waren, wer war dann in Ihrer Wohnung gewesen?«

»War überhaupt jemand in meiner Wohnung?« fragte Heinrich, als ob er es nicht schon gewußt hätte.

»Ja, ein Mann! Als ich den Lärm hörte, lief ich in Ihre Wohnung, um Ihnen zu Hilfe zu kommen, doch es war schon zu spät.«

»Der Mann ist festgenommen worden?« fragte Heinrich besorgt.

»Nein, er hat sich gerettet, nachdem er Maurevel lebensgefährlich verletzt und zwei Gardesoldaten getötet hatte.«

»Ah, tapferer Mouy!« rief Heinrich.

»Der Mann war also Herr von Mouy?« fragte Alençon lebhaft.

Heinrich sah ein, daß er einen Fehler gemacht hatte.

»Ich nehme es wenigstens an,« sagte er, »denn ich hatte ihn zu mir bestimmt, um mich mit ihm über Ihre Flucht zu besprechen und ihm zu sagen, daß ich zu Ihren Gunsten auf alle Thronansprüche in Navarra verzichtet hätte.«

»Wenn die Angelegenheit bekannt geworden ist,« sagte der Herzog erbleichend, »dann sind wir verloren!«

»Ja, denn Maurevel wird sprechen!«

»Maurevel hat einen Degenstich in die Kehle erhalten. Ich habe mich bei dem Wundarzt erkundigt, der ihn verbunden hat, vor acht Tagen dürfte er kein einziges Wort aussprechen können.«

»Acht Tage! Das ist mehr, als Mouy braucht, um sich in Sicherheit zu bringen.«

»Nach allem,« sagte der Herzog, »kann es aber auch ein anderer sein als Herr von Mouy.«

»Glauben Sie?«

»Ja, denn der Mann ist rasch verschwunden, und man hat nur seinen kirschroten Mantel gesehen.«

»Ein kirschroter Mantel paßt allerdings einem Schürzenjäger, nicht aber einem braven Soldaten,« sagte Heinrich. »Niemals wird man glauben, daß Mouy in diesem roten Mantel steckte.«

»Nein. Wenn man jemand verdächtigen könnte, so wäre es höchstens . . .«

Er zögerte.

»So wäre es höchstens Herr von La Mole,« vervollständigte Heinrich den Satz.

»Ganz richtig, weil ich selbst, der den Mann fliehen gesehen hatte, einen Augenblick lang daran dachte.«

»Das glaubten Sie? Es kann aber doch wirklich Herr von La Mole gewesen sein?«

»Weiß der etwas von der Sache?« fragte der Herzog.

»Ganz und gar nichts, wenigstens nichts von Bedeutung!«

»Mein Bruder,« sagte der Herzog, »jetzt glaube ich wirklich, daß er es gewesen ist.«

»Teufel!« meinte Heinrich. »Wenn er es war, wird das der Königin große Sorge bereiten, weil sie ihm Wohlwollen entgegenbringt.«

»Wohlwollen?« fragte Alençon bestürzt.

»Zweifellos. Erinnern Sie sich denn nicht, Franz, daß es Ihre Schwester war, die Ihnen Herrn von La Mole anempfahl?«

»Das stimmt!« erwiderte der Herzog mit dumpfer Stimme. »Ich möchte ja ihm selbst auch behilflich sein, und der Beweis hierfür ist, daß ich, aus Sorge, der rote Mantel könnte ihn in einen Verdacht bringen, in sein Zimmer gegangen bin, um dieses Kleidungsstück bei mir aufzubewahren.«

»Oh!« rief Heinrich. »Das ist doppelt vorsichtig. Jetzt würde ich gar nicht mehr wetten, sondern nur schwören, daß der Mann La Mole gewesen ist.«

»Selbst vor einem Gerichtshof?«

»Meiner Treu, ja!« sagte Heinrich. »Er wird zu mir gekommen sein, um mir eine Nachricht von Margarete zu überbringen.«

»Wenn ich sicher wäre, mich auf Ihre Aussage stützen zu können,« sagte Alençon, »würde ich ihn sogar beschuldigen.«

»Wenn Sie ihn öffentlich anzeigen,« erwiderte Heinrich, »dann, verstehen Sie mich recht, mein Bruder, dann werde ich Sie nicht Lügen strafen.«

»Aber die Königin?«

»Ja, richtig, die Königin!«

»Man muß erfahren, was sie zu tun beabsichtigt.«

»Das kann ich übernehmen!«

»Teufel, mein Bruder! Sie würde sehr unrecht tun, unser Zeugnis in Abrede zu stellen, denn auf diese Art könnte ja der junge Mann vortrefflich den Ruf eines Helden bekommen. Auch würde ihm der Ruf nicht viel kosten, denn er hätte auf Anleihe gekauft und dann könnte er wahrhaftig Zinsen und Barschaft zu gleicher Zeit in seinen Sack befördern.«

»Wahrlich, was ist da zu wollen?« sagte Heinrich. »In dieser elenden Welt bekommt man ja nichts für nichts!«

Indem er den Herzog mit der Hand und mit einem Lächeln grüßte, steckte er vorsichtig seinen Kopf zum Gang hinaus. Erst, als er sich überzeugt hatte, daß niemand zu seiner Beobachtung anwesend war, schlüpfte er rasch über die geheime Treppe zur Wohnung Margaretes hinunter.

Die Königin von Navarra war keineswegs ruhiger als ihr Gatte. Die nächtliche Unternehmung, die der König, der Herzog von Anjou, der Herzog von Guise und Heinrich, den sie übrigens erkannt hatte, gegen sie und die Herzogin von Nevers angezettelt hatte, beunruhigte sie sehr. Zweifellos gab es ja keinen Beweis, um sie bloßzustellen, denn der Pförtner, der von Coconas und La Mole vom Gittertor losgebunden worden war, hatte versichert, daß er stumm geblieben war. Doch vier große Herren von dieser Art, denen von zwei einfachen Edelleuten wie La Mole und Coconas die Stirne geboten worden war, lassen sich nicht durch einen Zufall von ihrem Wege abbringen, wenn sie nicht wissen, um welchen Preis das geschieht. Margarete war nachdem sie den Rest der Nacht bei der Herzogin von Nevers verbracht hatte, bei Tagesanbruch in den Louvre zurückgekehrt. Sie hatte sich sofort niedergelegt, konnte aber nicht einschlafen und erschrak beim geringsten Lärm.

Während sie so ängstlich wartete, wurde plötzlich bei der geheimen Tür angeklopft. Sie ließ durch Gillonne erst die Person des Besuchers feststellen und befahl ihr dann, ihn eintreten zu lassen.

Heinrich blieb bei der Tür stehen. Nichts an ihm verriet den gekränkten Ehegatten. Sein gewöhnliches Lächeln stand auf seinen feinen Lippen und nicht ein Muskel im Gesichte zeigte an, daß er bedeutende Aufregungen hinter sich hatte.

Es schien, als ob er Margarete mit den Augen befragen wollte, ob ihm ein Zusammensein mit ihr allein gestattet wäre. Margarete verstand den Blick ihres Gatten und gab Gillonne das Zeichen, sich zu entfernen.

»Madame,« begann Heinrich, »ich weiß, wie sehr sie Ihren Freunden zugetan sind, ich muß Ihnen leider eine recht ärgerliche Nachricht übermitteln.«

»Was für eine, mein Herr?« fragte Margarete.

»Einer unserer wertvollsten Diener befindet sich augenblicklich in einer sehr heiklen Lage.«

»Wer?«

»Dieser liebe Graf von La Mole.«

»Graf von La Mole sollte sich in einer gefährdeten Lage befinden? In welcher Beziehung denn?«

»Hinsichtlich eines Abenteuers in der heutigen Nacht!«

Trotz ihrer Selbstbeherrschung mußte Margarete erröten.

Schließlich nahm sie sich zusammen und fragte: »Was für ein Abenteuer soll das gewesen sein?«

»Wie?« fragte Heinrich, »haben Sie nichts von der aufregenden Geschichte gehört, die sich heute nacht im Louvre zugetragen hat?«

»Nein, mein Herr!«

»Oh! Ich beglückwünsche Sie, Madame,« sagte Heinrich mit einer köstlichen Harmlosigkeit, »denn Sie müssen ganz ausgezeichnet geschlafen haben.«

»Was ist denn hier geschehen?«

»Geschehen ist, daß unsere gute Mutter dem Herrn von Maurevel und sechs Gardesoldaten den Auftrag gegeben hat, mich zu verhaften.«

»Sie, mein Herr, Sie?«

»Ja, mich!«

»Und aus welchem Grund?«

»Ah! Wer kann die Gründe nennen, die sich unsere Mutter in ihrem abgrundtiefen Geist zurechtlegt? Ich schätze sie hoch, aber ich kenne sie nicht.«

»Sie waren nicht in Ihrer Wohnung?«

»Zufällig nicht, das ist richtig! Sie haben das erraten, Madame, nein, ich war nicht zu Hause. Der König hatte mich gestern abend eingeladen, ihn zu begleiten. Wenn ich aber schon nicht zu Hause war, dann war ein anderer für mich in meiner Wohnung.«

»Wer war das?«

»Es scheint, daß es Herr von La Mole gewesen ist.«

»Der Graf von La Mole?« fragte Margarete erstaunt.

»Bei Gott, was für ein großartiger Kerl, dieser kleine Provenzale!« rief Heinrich. »Hören Sie doch, er hat Maurevel verwundet und zwei Gardesoldaten getötet!«

»Herrn von Maurevel verwundet, zwei Soldaten getötet . . . unmöglich!«

»Wie? Sie bezweifeln seinen Mut, Madame?«

»Gewiß nicht, aber ich behaupte, daß Herr von La Mole nicht bei Ihnen gewesen sein kann.«

»Wieso kann er nicht bei mir gewesen sein?«

»Aber weil er . . . weil er . . .,« sagte Margarete verwirrt, »weil er eben wo anders war.«

»Ah! Wenn er ein Alibi nachweisen kann, dann sieht die Sache anders aus. Er wird sagen, wo er war, und für ihn wird alles erledigt sein.«

»Wo er war?« fragte Margarete lebhaft.

»Zweifelsohne . . . der Tag wird kaum vergehen, ohne daß er festgenommen und ausgefragt werden wird. Da man aber unglückseligerweise Beweise hat . . .«

»Beweise, welche?«

»Der Mann, der sich so verzweifelt verteidigt hat, trug einen roten Mantel.«

»Aber nicht nur Herr von La Mole hat einen roten Mantel . . . ich kenne noch einen zweiten Mantel gleicher Färbung.«

»Ganz richtig . . . ich kenne seinen Besitzer ebenfalls. Doch folgendes dürfte geschehen: Wenn erwiesen wird, daß La Mole nicht bei mir war, so wird der andere Mann mit dem kirschroten Mantel verfolgt werden, und wissen Sie, wer das ist?«

»Himmel!«

»Das ist die Klippe! Sie haben den Mann gesehen, so wie ich, Madame, Ihre Erregung beweist es mir. Sprechen wir demnach wie zwei Menschen miteinander, die über das gesuchteste Ding der Welt zu verhandeln haben . . . über einen Thron . . . und über das kostbarste Gut . . . über das Leben! . . . Wenn Herr von Mouy verhaftet wird, sind wir verloren!«

»Ja, das begreife ich!«

»Während Herr von La Mole niemand bloßstellt . . . höchstens, wenn Sie ihn für fähig halten, irgend eine Geschichte zu erfinden, so zum Beispiel zufällig zu erzählen, daß er mit Damen einen Ausflug gemacht hat . . . oder was weiß ich?«

»Mein Herr, wenn Sie das befürchten, dann können Sie vollkommen beruhigt sein . . . er wird nichts erzählen!«

»Wie,« rief Heinrich, »er wird schweigen? Wird der Tod der Preis für seine Schweigsamkeit sein müssen?«

»Er wird nicht ein Wort reden, mein Herr!«

»Sind Sie dessen sicher?«

»Ich bürge dafür.«

»Dann ist also alles auf dem besten Wege,« sagte Heinrich und erhob sich, um zu gehen.

»Sie wollen fort?« fragte Margarete lebhaft.

»Ach, mein Gott, ja! Das war auch alles, was ich Ihnen zu sagen hatte.«

»Und Sie begeben sich . . .

»Trachten Sie uns alle aus dieser Patsche herauszubekommen oder der Teufel von einem Mann im roten Mantel hat uns gründlichst hineingelegt!«

»Ach, mein Gott, mein Gott! Armer junger Mann!« rief Margarete schmerzlich aus und rang die Hände.

»Wahrhaftig,« sagte Heinrich, während er sich zurückzog, »dieser Herr von La Mole ist wirklich ein unschätzbarer Diener!«

 


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