Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Plattform auf dem Festungswerk zu Vincennes

Während dieser Zeit spazierte Heinrich von Navarra allein und nachdenklich auf der Terrasse des Festungsturmes auf und ab. Er wußte, daß sich der Hof, keine hundert Schritte weit, in dem Schloß befand, und sein durchdringendes Auge sah durch die dicken Mauern den sterbenden König Karl vor sich liegen.

Der Himmel erstrahlte in Blau und Gold. Ein Meer von Sonnenstrahlen ergoß sich über die weiten Ebenen, während die Gipfel der Bäume im Wald, stolz auf ihre erste, reiche Blätterpracht, in flüssiges Gold getaucht waren. Selbst die grauen Quadersteine der Festungsmauer schienen die süße Himmelswärme in sich aufzusaugen, und die Blütendolden des Goldlacks, dessen Samen einst ein Ostwind in die Fugen der Mauern getragen, öffneten ihre roten und gelben Samtblätter den Küssen einer lauen Brise.

Doch Heinrichs Auge verweilte nicht auf den grünenden Ebenen und nicht auf den vergoldeten Eichenwipfeln, es überflog die Zwischenräume, um sich mit brennender Ehrbegierde auf Frankreichs ferne Hauptstadt zu richten, die bestimmt war, einstmals die Hauptstadt der Welt zu werden.

»Paris,« murmelte der König von Navarra, »dort ist Paris! Das heißt eigentlich: dort ist die Freude, der Triumph, der Ruhm, die Macht und das Glück! Paris, in dem sich der Louvre befindet und der Louvre, in dem der Königsthron steht! Sich sagen zu müssen, daß mich nur ein einziger Umstand vom ersehnten Paris trennt! . . . Die Steine, die mir da unter den Füßen liegen und die gegenwärtig meinen Feind und mich einschließen!«

Während sein Blick wieder auf Vincennes zurückglitt, bemerkte er links in einem kleinen, von blühenden Mandelsträuchern halb verdeckten Tal einen Mann im Panzer. Auf diesem spiegelten sich die Sonnenstrahlen, und so war eigentlich nur ein einziger flammender Punkt zu erblicken, der sich je nach der Bewegung des Mannes im Äther auf und ab bewegte.

Der Mann war beritten, sein Pferd schien feurig zu sein und er führte ein Handpferd an seiner Seite, das nicht minder ungeduldig war.

Der König von Navarra beobachtete den Reiter und sah, wie er jetzt sein Schwert aus der Scheide zog, an dessen Spitze ein Taschentuch heftete, und wie er es herumschwenkte als wolle er ein Zeichen geben.

Gleichzeitig fast wiederholte sich dieses Zeichen auf einem gegenüberliegenden Hügel, dann flatterte auf einmal um das ganze Schloß herum ein Kreis von Taschentüchern.

Das war Mouy und seine Hugenotten, die vom bevorstehenden Tode Karls des Neunten wußten und in Sorge, daß gegen Heinrich ein Anschlag verübt werden könnte, herbeigeeilt waren und sich bereit hielten, entweder zu verteidigen oder anzugreifen.

Heinrich nahm nochmals den ersten Reiter scharf ins Auge, beugte sich über die Brüstung vor, hielt die Hand über die Äugen, um die blendenden Sonnenstrahlen abzuhalten und erkannte den jungen Hugenotten.

»Mouy!« rief er, als ob der ihn hätte hören können.

Und in der Freude, sich so von Freunden umgeben zu sehen, riß er den Hut vom Kopf und ließ seine Schärpe im Winde flattern.

Alle weißen Fähnchen begannen alsbald zu winken, und zwar mit einer Lebhaftigkeit, die deutlich eine Freude erkennen ließ.

»Leider kann ich nicht zu ihnen, und sie erwarten mich!« sagte sich Heinrich. »Daß ich es nicht schon getan habe, als ich vielleicht noch konnte . . . jetzt habe ich zu lange zugewartet!«

Er gab ihnen ein Zeichen der Trostlosigkeit, das Mouy mit dem Zeichen: »ich werde warten,« beantwortete.

In dem Augenblick vernahm Heinrich Schritte auf der nahen Steinstiege. Rasch zog er sich zurück. Die Hugenotten ahnten den Grund dieses Rückzuges, ihre Schwerter fuhren in die Scheiden zurück, die Taschentücher verschwanden.

Heinrich sah die Gestalt einer Frau auf der Stiege auftauchen und hörte an ihrem keuchenden Atem, daß sie rasch gegangen sein mußte. Dann erkannte er nicht ohne heimlichen Schrecken Katharina von Medici, deren Anblick ihn stets zu beängstigen pflegte.

Hinter ihr erschienen zwei Gardesoldaten, die beim letzten Treppenabsatz stehen blieben.

»Oh, oh!« murmelte Heinrich. »Da muß etwas ganz besonders Wichtiges und Ernstes vorgefallen sein, daß die Königin-Mutter mich hier auf der Plattform des Festungsturmes von Vincennes aufsucht!«

Katharina ließ sich, um sich zu erholen, auf eine Steinbank nieder, die an eine Zinne des Turms gelehnt war.

Heinrich näherte sich ihr mit dem liebenswürdigsten Lächeln.

»Sollten Sie mich suchen, meine gute Mutter?« fragte er.

»Ja, mein Herr,« erwiderte Katharina, »ich wollte Ihnen einen letzten Beweis meiner Anhänglichkeit geben. Wir stehen vor einem entscheidenden Augenblick: der König stirbt und will noch mit Ihnen sprechen.«

»Mich?« fragte Heinrich und zuckte vor Freude auf.

»Ja, Sie! Man hat ihm erzählt, das weiß ich ganz bestimmt, daß Sie nicht nur den Verlust des Thrones von Navarra bedauern, sondern daß Sie Ansprüche auf den Thron von Frankreich erheben wollen.«

»Oh!«

»Das ist ja nicht der Fall, ich weiß es, doch er glaubt es, und es besteht kein Zweifel, daß er Ihnen in der Unterredung, die er mit Ihnen zu haben wünscht, eine Falle stellen will.«

»Mir?«

»Ja! Vor seinem Tode will Karl noch wissen, was er von Ihnen zu befürchten oder zu erhoffen hat. Von Ihren Antworten auf seine Vorschläge – nehmen Sie sich nur gut in acht! – werden seine letzten Verfügungen abhängen, das heißt es hängt Ihr Tod oder Ihr Leben davon ab.«

»Aber was soll er mir denn vorschlagen?«

»Was weiß ich? Wahrscheinlich lauter unmögliche Sachen!«

»Erraten Sie nichts davon, meine Mutter?«

»Nein, ich kann nur annehmen, zum Beispiel . . .«

Katharina hielt inne.

»Was?«

»Ich nehme an, daß der König, weil er Sie nach Aussage der anderen für ehrgeizig hält, von Ihnen selbst, sozusagen aus Ihrem eigenen Munde hören möchte, was das Ziel Ihrer Bestrebungen ist. Nehmen Sie an, daß er Sie auf die Probe stellen will, wie man andernfalls Schuldige auf die Probe stellt, um auf die Art ohne Folter ein Geständnis hervorzurufen. Nehmen Sie an,« fuhr Katharina fort und blickte Heinrich starren Auges an, »daß er Ihnen eine Statthalterschaft, ja die Regierung selbst anträgt.«

Eine namenlose Freude erfaßte das bedrängte Herz Heinrichs, doch er erkannte rechtzeitig die Finte und an seiner starken und geschmeidigen Seele prallte der beabsichtigte Schlag wirkungslos ab.

»Mir?« wiederholte er. »Die Falle wäre doch zu grob! Mir die Regierung, wenn sie doch Ihnen zukommt, meinem Bruder Alençon zukommt?«

Katharina biß sich in die Lippen, um ihre Genugtuung zu verbergen.

»Sie verzichten also auf die Regierung?« fragte sie lebhaft.

»Der König ist tot,« dachte Heinrich, »und sie will mir eine Falle stellen.«

Dann sagte er laut: »Ich muß vor allem den König von Frankreich selbst hören, Madame, denn Ihrer Ansicht zufolge ist ja das alles, was wir hier besprochen haben, nur eine Annahme.«

»Zweifellos! Doch können Sie immerhin sagen, was Sie eigentlich beabsichtigen.«

»Eh, mein Gott!« meinte Heinrich mit unschuldiger Stimme. »Ich habe keine Ansprüche, daher habe ich auch keine Absichten.«

»Das ist keine Antwort!« sagte Katharina, denn sie merkte, daß die Zeit verrann, und geriet in Zorn. »Erklären Sie sich auf diese oder auf jene Art, aber erklären Sie sich endlich!«

»Ich kann eine Erklärung nicht auf Grund von Annahmen abgeben, Madame, und ein bestimmter Entschluß ist eine so schwierige und vor allem andern so schwerwiegende Sache, daß man Tatsachen abwarten muß.«

»Hören Sie, mein Herr,« sagte Katharina, »es ist keine Zeit zu verlieren und wir verlieren sie hier mit weitschweifigen Erörterungen und mit gegenseitigen Verschmitztheiten. Spielen wir unser Spiel als König und als Königin. Wenn Sie die Regentschaft annehmen, dann sind Sie ein toter Mann.«

»Der König lebt!« dachte sich Heinrich Und dann sagte er entschlossen: »Madame, in Gottes Hand ist das Leben der Menschen und auch der Könige gegeben, und Gott wird mich erleuchten. Man wolle Seiner Majestät sagen, daß ich bereit bin, bei Seiner Majestät zu erscheinen.«

»Überlegen Sie sich das, mein Herr!«

»Seit zwei Jahren bin ich für vogelfrei erklärt, seit einem Monat bin ich Gefangener,« erwiderte Heinrich ernst, »ich hatte lange genug Zeit, um mir alles zu überlegen, Madame, und ich habe auch überlegt. Wollen Sie demnach die Güte haben, Madame, als erste zum König hinunterzugehen und ihm zu sagen, daß ich Ihnen folge. Die zwei Braven hier,« Heinrich zeigte auf die Soldaten, »werden achtgeben, daß ich nicht entfliehe. Übrigens ist das gar nicht meine Absicht.«

Im Ton seiner Stimme lag eine so feste Entschlossenheit, daß Katharina einsah, daß alle ihre Versuche vergeblich sein würden und daß sie – ganz gleich, wie – keinen Einfluß auf die Stimmung Heinrichs nehmen könnte. Sie hastete daher die Treppe hinunter.

Kaum war sie verschwunden, als Heinrich schon an die Brustwehr eilte und Mouy ein Zeichen gab, das Folgendes sagen sollte: Kommen Sie näher heran und halten Sie sich auf alle Fälle bereit!

Herr von Mouy, der abgesessen war, sprang in den Sattel und galoppierte mit seinem Handpferd auf zwei Büchsenschußlängen zum Festungsturm heran.

Heinrich dankte mit einem Zeichen und stieg die Treppe hinab.

Auf dem ersten Treppenabsatz fand er die zwei Soldaten, die auf ihn warteten.

Eine doppelte Postenkette von Schweizern und leichter Reiterei bewachte die Ausgänge der Höfe, desgleichen mußte man auch eine doppelte Reihe von Partisanenträgern durchschreiten, um in das Schloß oder aus dem Schloß zu gelangen.

Hier war Katharina stehen geblieben und wartete.

Sie gab den zwei Soldaten ein Zeichen zurückzubleiben und legte ihre Hand auf Heinrichs Arm.

»Dieser Hof hat zwei Ausgänge,« sagte sie, »bei jenem Tor, das Sie dort hinter der Wohnung des Königs sehen, warten Ihrer, falls Sie die Regentschaft ausschlagen sollten, ein Pferd und die Freiheit! Bei diesem Tor, das Sie eben durchschritten haben, wird, wenn Sie Ihrem Ehrgeiz . . . was wollen Sie sagen?«

»Ich sage, daß wenn mich der König zum Regenten ernennt, Madame, ich derjenige sein werde, der den Soldaten die Befehle erteilt und nicht Sie! Ich sage, daß sich, falls ich heute abend dieses Schloß hier verlassen sollte, alle diese Piken, Hellebarden und Musketen vor mir zur Erde senken werden!«

»Verblendeter!« murmelte Katharina in verzweifelter Stimmung vor sich hin. »Glaube mir, man spielt mit Katharina nicht umsonst ein Spiel auf Leben oder Tod!«

»Warum nicht?« fragte Heinrich, der die Worte gehört hatte und nun die Königin fest ansah. »Warum nicht mit Ihnen gerade so gut wie mit jedem anderen? Bis jetzt habe ich das Spiel doch immer gewonnen!«

»Gehen Sie also zum König hinauf, mein Herr, da Sie ja nichts hören oder glauben wollen,« sagte Katharina und wies mit der Hand gegen eine Stiege hin. Mit der anderen Hand spielte sie mit den zwei vergifteten Dolchen, die sie in genarbten schwarzen Lederscheiden stets bei sich trug und die eine historische Berühmtheit geworden sind.

»Gehen Sie voran, Madame,« sagte Heinrich, »solange ich nicht der Regent bin, gebührt Ihnen die Ehre des Vortrittes!«

In allen ihren Absichten erkannt, gab Katharina den Kampf auf und ging als erste die Stiege hinauf.

 


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