Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Zwei Köpfe für eine Krone

»Man wolle den Herzog von Alençon bitten, mich zu besuchen,« hatte Karl der Neunte angeordnet, als er seine Mutter verabschiedete.

Herr von Nancey, der über Aufforderung des Königs von nun an nur ihm selbst zu gehorchen hatte, sprang sofort zum Bruder des Königs und übermittelte ihm ohne jede weitere Erläuterung den erhaltenen Befehl.

Der Herzog von Alençon fuhr zusammen. Immer schon hatte er vor Karl gezittert, umso mehr hatte er jetzt gewichtige Gründe ihn zu fürchten, seit er an einer Verschwörung teilgenommen hatte.

Nichtsdestoweniger begab er sich sofort mit berechneter Geschäftigkeit zum König.

Karl stand aufrecht in seinem Zimmer und pfiff das »Halali zu Fuß« durch die Zähne.

Beim Eintreten bemerkte der Herzog, daß ihn aus dem gläsernen Auge Karls einer jener giftigen, haßerfüllten Blicke traf, die er so gut kannte.

»Eure Majestät haben mich gewünscht, hier bin ich, Sire,« sagte er, »was verlangen Eure Majestät von mir?«

»Ich habe das Verlangen, mein guter Bruder, Ihnen zu sagen, daß ich mich, aus Dank für die große Freundschaft, die Sie mir stets entgegenbrachten, entschlossen habe, heute das zu tun, was Sie sich immer am meisten wünschten.«

»Was ich mir wünsche?«

»Ja, für Sie zu tun, was Sie sich wünschen! Forschen Sie ein wenig in Ihrem Gedächtnis nach, Sie werden auf den Gegenstand Ihrer Träume kommen, der Sie seit einiger Zeit sehr beschäftigt, den Sie aber von mir nicht zu verlangen wagten. Diesen Gegenstand werde ich Ihnen schenken!«

»Sire,« sagte Franz, »ich schwöre meinem Bruder, daß ich mir nichts anderes wünsche, als daß sich die Gesundheit des Königs erhält.«

»Dann müssen Sie also vollständig befriedigt sein, Alençon, denn das Unwohlsein, das mich zur Zeit der Ankunft der polnischen Gesandten befiel, ist gänzlich geschwunden. Ich bin, dank Henriot, einem wütenden Keiler entkommen, der mich ein wenig aufschlitzen wollte, und ich befinde mich außerdem in einem Zustand, in dem ich auch nichts für das Wohlergehen meines Reiches zu wünschen habe. Sie können demnach, ohne ein schlechter Bruder sein zu müssen, auch anderes wünschen als meine Gesundheit, die eben vortrefflich ist.«

»Ich habe mir nichts gewünscht, Sire.«

»Schon recht, schon recht, Franz,« erwiderte der König ungeduldig, »Sie möchten die Krone von Navarra haben, da Sie sich mit Henriot und mit Mouy darüber besprochen haben. Mit dem ersten, damit er Verzicht leiste, mit dem zweiten, damit er sie Ihnen verschaffe! Nun also, Henriot verzichtet, Herr von Mouy hat mir Ihren Wunsch übermittelt und die Krone, nach der Sie trachten . . .«

»Nun?« fragte der Herzog mit zitternder Stimme.

»Also, Tod und Teufel, die Krone gehört Ihnen!«

Alençon wurde schrecklich bleich. Plötzlich aber drang das Blut aus seinem erschütterten Herzen in alle Gliedmaßen und brennende Röte färbte seine Wangen. Die Gunst, die ihm der König schenken wollte, brachte ihn in diesem Augenblick zur Verzweiflung.

»Aber, Sire,« meinte er, bebend vor Erregung und vergeblich bemüht, sich zu beherrschen, »ich habe mir nichts gewünscht und auch nicht nach dergleichen verlangt.«

»Das ist möglich,« sagte der König, »denn Sie sind sehr bescheiden, mein Bruder, jedoch hat man für Sie gewünscht, für Sie verlangt, mein Bruder!«

»Sire, ich schwöre Ihnen, daß ich nie . . .«

»Fordern Sie Gott nicht mit Schwüren heraus!«

»Aber, Sire, Sie verbannen mich also?«

»Sie nennen das Verbannung, Franz? Teufel, sind Sie aber schwer zu befriedigen! Was haben Sie sich denn noch Besseres erhofft?«

Alençon biß sich vor Verzweiflung auf die Lippen.

»Meiner Treu!« meinte Karl mit erkünstelter Leutseligkeit, »ich wußte nicht, daß Sie so beliebt wären, Franz, und das namentlich bei den Hugenotten! Doch sie verlangen Sie geradezu, und ich muß mir es selbst gestehen, daß ich mich da gründlich geirrt habe. Übrigens konnte ich mir ja nichts Besseres wünschen, als einen Mann an der Spitze einer uns seit dreißig Jahren bekriegenden Partei zu haben, der mein Bruder ist, mich liebt und unfähig ist, an mir Verrat zu üben. Wie durch einen Zauber wird sich plötzlich alles beruhigen, ohne erst in Betracht zu ziehen, daß wir dann drei Brüder und drei Könige in der Familie sein werden. Nur der arme Henriot wird nichts sein, nichts als mein Freund! Doch er ist nicht ehrgeizig und er wird diese Ehre, die ja niemand beansprucht, gerne für sich beanspruchen.«

»Oh, Sire, Sie irren sich, diese Ehre beanspruche ich . . . wer hat auch mehr Recht darauf, als ich? Heinrich ist nur durch seine Ehe Ihr Schwager geworden, ich bin Ihr leiblicher Bruder, mit meinem Blut und mit meinem Herzen an Sie gekettet . . . Sire, ich flehe Sie an, behalten Sie mich bei sich!«

»Nein, nein, Franz,« antwortete Karl, »das hieße Ihr Unglück vorbereiten wollen!«

»Wieso?«

»Aus tausend Gründen!«

»Bedenken Sie doch ein wenig, Sire, daß Sie keinen treueren Helfer finden können als mich. Seit meiner Kindheit habe ich Eure Majestät nicht verlassen.«

»Das weiß ich wohl, das weiß ich wohl und manchmal hätte ich mir sogar gewünscht, daß Sie weiter entfernt von mir wären!«

»Was will der König damit sagen?«

»Nichts, nichts . . . ich meinte nur so . . . Oh, was für eine prächtige Jagd werden Sie dort haben! Franz, wie beneide ich Sie darum! Wissen Sie, daß man dort in den verteufelten Bergen den Bär geradeso jagt, wie wir hier auf Schwarzwild jagen? Sie werden uns alle mit prächtigen Fellen beteilen. Man jagt dort mit dem Dolch, wissen Sie? Man wartet auf die Bestie, man reizt sie, man bringt sie in Verwirrung. Der Bär geht auf den Jäger los und vier Schritte vor ihm erhebt er sich auf den Hinterläufen. In diesem Augenblick muß man ihm den Stahl ins Herz stoßen, wie Heinrich es während der letzten Jagd bei dem Keiler getan hat. Gefährlich ist die Sache, doch Sie sind ja tapfer, Franz, und die Gefahr wird für Sie ein Vergnügen werden!«

»Ah, Eure Majestät verdoppeln meinen Kummer, weil ich nicht mehr mit Eurer Majestät zusammen jagen werde!«

»Was der Teufel, umso besser!« sagte der König. »Es gelingt ja weder dem einen noch dem andern von uns beiden, gemeinschaftlich mit Erfolg zu jagen.«

»Was wollen Eure Majestät damit sagen?«

»Daß Ihnen das Jagen mit mir einerseits solche Freude bereitet, anderseits Sie hingegen so in Aufregung versetzt, daß Sie, sonst die Geschicklichkeit selbst, Sie, der mit der ersten besten Büchse eine Elster auf hundert Schritte tadellos trifft, bei der letzten Jagd einen groben Keiler auf zwanzig Schritte gefehlt haben. So haben wir gemeinschaftlich gejagt, Sie mit einer Waffe, die Ihnen vertraut ist, Sie haben gefehlt, um dafür meinem besten Pferd das Bein zu zerschmettern. Tod und Teufel! Franz, das gibt zu denken, meinen Sie nicht?«

»Oh, Sire, verzeihen Sie meine Aufregung!« stammelte der Herzog, der alle Farbe verlor.

»Eh, ja, die Aufregung!« sagte Karl. »Das weiß ich wohl! Wegen dieser Aufregung lege ich auf meine Worte ein besonderes Gewicht und darum hören Sie, Franz: Es wird besser für uns beide sein, recht weit voneinander zu jagen! Überlegen Sie sich das, mein Bruder, nicht jetzt, nicht in meiner Gegenwart, denn meine Gegenwart verwirrt Sie, wie ich bemerke, sondern dann, wenn Sie allein sind, und Sie werden einräumen müssen, daß ich allen Grund zur Befürchtung haben muß, eine neuerliche Jagd könnte Sie abermals in Aufregung versetzen. Denn dann wird wieder nur die Aufregung daran schuld sein können, daß Sie ihr Ziel zu hoch fassen, den Reiter töten statt des Pferdes, den König statt des Wildes. Alle Teufel! eine zu hoch oder zu niedrig angebrachte Kugel, die gibt unter Umständen einer Regierung ganz ein anderes Gesicht, und wir finden in unserer Familie Beispiele hierfür. Als Montgomery durch unglücklichen Zufall unseren Vater Heinrich den Zweiten tötete – vielleicht auch in der Aufregung! – hat dieser einzige Lanzenstich unsern Bruder Franz den Zweiten auf den Thron und unsern Vater Heinrich nach Saint-Denis gebracht. Geringfügigkeiten genügen oft, damit Gott schwerwiegende Entscheidungen trifft!«

Während dieser ebenso furchtbaren als unvorhergesehenen Anschuldigung fühlte der Herzog, wie ihm der Schweiß auf die Stirne trat.

Deutlicher konnte der König seinem Bruder nicht sagen, daß er alles erraten hätte. Karl, der seinen Zorn mit dem Mantel einer Scherzhaftigkeit umgab, wirkte in diesem Zustand viel unheimlicher, als wenn er dem siedenden Hasse, der an seinem Herzen fraß, einfach Luft gemacht hätte. Sein Groll paßte sich seiner Rachsucht an, in dem Maße, als der eine heftiger wurde, wuchs auch die andere. Der Herzog von Alençon aber lernte zum erstenmal die Gewissensbisse kennen oder lernte vielmehr zu bedauern, daß sein geplantes Verbrechen so mißlungen war.

Er hatte den Kampf nach Möglichkeit durchgehalten, doch unter dem letzten Schlage beugte er sein Haupt, und Karl bemerkte, wie in seinen Augen jene verzehrende Flamme aufflackerte, die bei zartbesaiteten Wesen den kommenden Tränen den Weg zu bahnen pflegt.

Alençon gehörte aber zu jenen Wesen, die nur aus Wut weinen können.

Mit dem Blick eines Raubvogels betrachtete ihn Karl, als wollte er sozusagen alle Empfindungen, die im Herzen des jungen Mannes wechselten, in sich aufsaugen. Und alle diese Empfindungen standen ihm, dank gründlicher Beschäftigung mit den Stärken und Schwächen der eigenen Familie, so deutlich vor den Augen, als ob er im Herzen des jungen Mannes wie in einem offenen Buche läse.

Er ließ ihn eine Weile gebrochen, unbeweglich und stumm vor sich stehen. Dann aber sagte er in einem Ton zielbewußten Hasses: »Mein Bruder, wir haben Ihnen unseren Entschluß mitgeteilt und unser Entschluß ist unwandelbar: Sie werden abreisen!«

Der Herzog machte eine Bewegung, doch Karl schien sie nicht zu bemerken und fuhr fort: »Ich will, daß Navarra stolz darauf ist, einen Herrscher zu haben, der der Bruder des Königs von Frankreich ist. Macht und Ehre, alles wird Ihnen zufallen, wie es Ihrer Geburt zukommt, wie es auch Ihr Bruder Heinrich besessen hat. Wie er,« fügte der König mit einem Lächeln bei, »werden auch Sie mich von weitem segnen. Doch was tut die Entfernung? Segnungen kennen keine Entfernungen!«

»Sire . . .«

»Nehmen Sie an, vielmehr fügen Sie sich! Sind Sie einmal König, dann wird man eine Frau für Sie finden, eine Frau, die eines Sohnes des königlichen Hauses von Frankreich würdig ist . . . und wer weiß, die Ihnen vielleicht noch einen anderen Thron mit in die Ehe bringt!«

»Aber,« sagte der Herzog, »Eure Majestät vergessen Ihren guten Freund Heinrich.«

»Heinrich! Aber ich sagte Ihnen doch schon, daß er den Thron von Navarra gar nicht will, sagte Ihnen, daß er ihn Ihnen überläßt! Heinrich ist ein lustiger Kerl und nicht so ein Blaßgesicht wie Sie. Er will lachen, will sich unterhalten, und es fällt ihm gar nicht ein zu welken, wie etwa wir, die wir unter unseren Kronen verurteilt sind.«

Alençon stieß einen Seufzer aus.

»Also,« sagte er, »Eure Majestät befehlen, daß ich mich kümmere . . .«

»Nein, nein, keineswegs! Machen Sie sich keine Sorgen, Franz, ich selbst werde alles in Ordnung bringen! Verlassen Sie sich auf mich, wie auf einen guten Bruder. Und jetzt, da alles abgemacht ist, gehen Sie! Sie können Ihren Freunden von unserer Unterredung berichten oder auch nicht, ich werde jedenfalls Maßregeln ergreifen, damit die Sache bald öffentlich bekannt wird. Gehen Sie, Franz!«

Da war nichts mehr zu antworten, der Herzog grüßte und entfernte sich mit grollendem Herzen.

Er brannte darauf, mit Heinrich zusammenzukommen, um sich mit ihm über alle Ereignisse zu beraten. Aber er traf nur Katharina an, denn in Wirklichkeit ging Heinrich einer Unterredung aus dem Wege, während die Königin-Mutter eine solche herbeizuführen suchte.

Sobald der Herzog die Königin-Mutter sah, unterdrückte er seinen ganzen Kummer und versuchte zu lächeln. Nicht so glücklich wie Heinrich von Anjou, suchte er in Katharina nicht die Mutter, sondern einfach eine Verbündete. Er begann sich daher vor ihr zu verstellen, denn um erfolgreiche Bündnisse miteinander abzuschließen, ist es meist notwendig, sich gegenseitig ein wenig zu betrügen.

Demnach näherte er sich Katharina mit einem Gesichte, in dem nichts anderes als eine gewisse Beunruhigung Ausdruck fand.

»Also, Madame,« begann er, »es gibt ja große Neuigkeiten! Kennen Sie diese schon?«

»Ich weiß, daß es sich nicht darum handelt, einen König aus Ihnen zu machen.«

»Das ist von meinem Bruder unendlich gütig, Madame.«

»Nicht wahr?«

»Ich bin fast versucht zu glauben, daß ich auch Ihnen einen Teil meines Dankes schuldig bin. Denn wenn Sie ihm schließlich den Rat gegeben haben, mich mit einem Thron zu beschenken, dann würde ich ihn überhaupt nur Ihnen verdanken. Übrigens muß ich eingestehen, daß es mir peinlich ist, den König von Navarra derartig zu berauben.«

»Wie es scheint, lieben Sie Henriot sehr, mein Sohn?«

»Aber ja! Seit einiger Zeit haben wir uns freundschaftlichst miteinander verbunden.«

»Glauben Sie, daß auch er Sie so liebt, wie Sie ihn lieben?«

»Ich hoffe es, Madame!«

»Eine solche Freundschaft ist erbaulich, wissen Sie das? Namentlich unter Prinzen! Die Freundschaften bei Hof gelten nicht als zu fest, mein lieber Franz.«

»Liebe Mutter, bedenken Sie, daß wir nicht nur Freunde, sondern auch fast Brüder sind.«

Katharina lächelte seltsam.

»Gut,« meinte sie, »gibt es aber auch Brüder unter Königen?«

»Oh, was das anbetrifft, so waren weder er noch ich König, als wir uns so zusammengefunden haben, liebe Mutter. Wir hätten es eigentlich auch nie werden sollen und darum haben wir uns auch so geliebt.«

»Gegenwärtig hat sich jedoch manches geändert.«

»Wieso geändert?«

»Ja, zweifelsohne! Wer sagt Ihnen nicht, daß Sie noch beide Könige sein werden?«

Die unruhigen Bewegungen des Herzogs, die Röte, die plötzlich seine Stirne bedeckte, überzeugten Katharina davon, daß der Schlag, den sie geführt, den jungen Mann bis in das Herz getroffen hatte.

»Er?« stammelte Alençon. »Henriot König? In welchem Reich, liebe Mutter?«

»Im mächtigsten Reich der Christenheit, mein Sohn!«

»Ach, liebe Mutter,« sagte der Herzog erbleichend, »was sagen Sie denn nur?«

»Das, was eine gute Mutter ihrem Sohn sagen muß, das, worüber Sie mehr als einmal nachgedacht haben, Franz!«

»Ich? Ich habe an nichts gedacht, Madame, ich schwöre es!«

»Das will ich Ihnen gerne glauben. Ihr Freund aber oder Bruder Heinrich, wie Sie ihn nennen, ist trotz seiner scheinbaren Aufrichtigkeit ein sehr gewandter und sehr durchtriebener Herr, der seine Geheimnisse viel besser zu wahren weiß als Sie die Ihrigen, Franz. Hat er Ihnen zum Beispiel jemals erzählt, daß Mouy seine rechte Hand ist?«

Und während sie dies sagte, senkte Katharina ihren Blick wie einen Dolch in die Seele Alençons.

Doch der hatte nur eine Gabe, vielmehr einen Fehler, das war die Verstellungskunst. Er ertrug den Blick mit vollkommener Ruhe.

»Mouy?« sagte er erstaunt und so, als ob dieser Name zum erstenmal in diesem Zusammenhang vor ihm genannt worden wäre.

»Ja, der Hugenotte Mouy von Saint-Phale, derselbe, dem es nicht gelungen ist, Herrn von Maurevel zu töten, und der heimlich und in stets verschiedener Kleidung in ganz Frankreich und in der Hauptstadt herumläuft, Ränke spinnt und eine ganze Armee auf die Beine bringt, um Ihren Bruder Heinrich gegen Ihre Familie zu unterstützen.«

Katharina, die nicht ahnte, daß ihr Sohn Franz in dieser Angelegenheit ebensoviel, wenn nicht mehr wußte als sie selbst, erhob sich auf diese Worte hin und schickte sich an, mit einer erhabenen Geste das Gemach zu verlassen.

Franz hielt sie zurück.

»Liebe Mutter, sagte er, »noch ein Wort, wenn es Ihnen beliebt. Da Sie geruhten, mich in Ihre Politik einzuweihen, sagen Sie mir nur noch, wieso es möglich ist, daß Heinrich mit so schwachen Kräften und unbekannt, wie er ist, imstande wäre, einen Krieg heraufzubeschwören, der ernst genug sein könnte, um meine Familie in Unruhe zu versetzen?«

»Kind!« erwiderte die Königin lächelnd. »Erfahren Sie hiermit, daß er vielleicht mehr als dreißigtausend Mann zur Verfügung hat, daß an dem Tag, an dem er ein Wort spricht, diese dreißigtausend Mann wie aus dem Boden gewachsen vor uns stehen können! Diese dreißigtausend Mann sind aber Hugenotten, bedenken Sie nur, das heißt die tapfersten Soldaten der Welt! Und dann hat er eine Gönnerschaft, die Sie nicht erwerben konnten oder wollten!«

»Welche?«

»Er hat den König für sich, der König liebt ihn und hält ihn. Aus Eifersucht gegen seinen Bruder in Polen, geärgert über Sie, sucht der König aus seiner Umgebung einen Nachfolger. Nur sucht er ihn und Sie müssen blind sein, wenn Sie das nicht bemerken, ganz anderswo als in seiner eigenen Familie.«

»Der König? . . . das glauben Sie, liebe Mutter?«

»Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, wie er Henriot zärtlich behandelt, seinen Henriot?«

»Schon richtig, liebe Mutter, schon richtig!«

»Und daß ihm Gleiches mit Gleichem vergolten wird? Denn dieser Henriot, der scheinbar vergessen hat, daß sein Schwager ihn am Abend der Bartholomäusnacht mit einer Büchse niederschießen wollte, liegt jetzt vor ihm mit dem Bauch auf der Erde, wie ein Hund, der die Hand leckt, die ihn geschlagen.«

»Ja, ja,« murmelte Franz, »ich habe es schon bemerkt, Heinrich ist meinem Bruder gegenüber sehr unterwürfig.«

»Erfinderisch, um ihm in jeder Beziehung gefällig sein zu können.«

»So sehr, daß er, verärgert, weil ihn der König fortwährend wegen seiner Unwissenheit in der Falkenjagd verspottet, sich jetzt mit ihr vertraut machen will. So sehr, daß er mich gestern ersucht hat, ja, es war nicht später als gestern, ich möchte ihm irgendein gutes Buch leihen, das diesen Gegenstand behandelt.«

»Warten Sie doch . . .«, unterbrach Katharina und ihre Augen blitzten auf, als ob ihr ein plötzlicher Gedanke durch den Kopf gegangen wäre, »warten Sie doch . . . was haben Sie ihm darauf geantwortet?«

»Daß ich unter meinen Büchern nachsuchen werde.«

»Gut,« meinte Katharina, »er soll es haben, dieses Buch!«

»Ich habe gesucht, Madame, habe aber nichts gefunden.«

»Ich werde eines finden, ich werde es finden . . . und Sie werden ihm das Buch geben, als ob es von Ihnen wäre.«

»Und was wird die Folge sein?«

»Haben Sie Vertrauen zu mir, Alençon?«

»Ja, liebe Mutter!«

»Wollen Sie mir Heinrich gegenüber blindlings gehorchen, Heinrich, den Sie auch nicht lieben, obwohl Sie vorhin das Gegenteil behaupteten?«

Alençon lächelte.

»Und den ich hasse!« schloß Katharina.

»Ja, ich werde gehorchen!«

»Übermorgen holen Sie das Buch hier ab, ich werde es Ihnen geben, und Sie werden es Heinrich überbringen . . . und . . .«

»Und?«

»Lassen Sie Gott walten! Die Vorsehung oder der Zufall werden das übrige tun.«

Franz von Alençon kannte seine Mutter zu gut, um nicht zu wissen, daß sie sich gewöhnlich nicht auf Gott, die Vorsehung und den Zufall verließ, wenn es sich darum handelte, Freundschaft oder Feindschaft zu betätigen. Er hütete sich aber auch nur ein Wort zu sagen, grüßte und zog sich in seine Wohnung zurück, wie ein Mann, der einen Auftrag zur Ausführung übernommen hat.

»Was meint sie damit?« dachte sich der junge Mann, während er die Stiege hinaufstieg. »Ich verstehe nichts davon. Was für mich aber in der ganzen Sache augenfällig ist: sie will gegen einen gemeinsamen Feind vorgehen, und darum lassen wir ihr freies Spiel!«

Während dieser Zeit hatte Margarete durch Vermittlung La Moles einen Brief von Mouy erhalten. Da die beiden berühmten Verbündeten in politischen Dingen kein Geheimnis voreinander hatten, öffnete sie den Brief und las ihn.

Zweifellos mußte ihr das Schreiben besonders wichtig scheinen, denn unter dem Schutz der Dunkelheit, die sich allmählich zwischen den Mauern des Louvre breitmachte, schlüpfte Margarete wenige Augenblicke später durch den geheimen Gang, stieg die Wendeltreppe hinauf und verschwand, nachdem sie sich mit größter Vorsicht überallhin umgesehen hatte, im Vorzimmer des Königs von Navarra.

In diesem Vorzimmer hielt seit dem Verschwinden Orthons niemand mehr Dienst.

Dieses Verschwinden, von dem seit der Beschreibung des so furchtbar traurigen Endes Orthons nicht mehr die Rede war, hatte Heinrich in Sorge und Unruhe versetzt. Er hatte sich darüber zu Frau von Sauve und zu seiner Frau geäußert, doch weder die eine noch die andere wußte mehr davon als er selbst. Trotzdem leuchtete es ihm auf Grund einiger Auskünfte der Frau von Sauve vollkommen ein, daß das arme Kind das Opfer einer Quertreiberei der Königin-Mutter geworden sein mußte und daß er infolge dieser Tücke mit Herrn von Mouy im Gasthof »Zum schönen Sternbild« fast hätte verhaftet werden können.

Ein anderer als Heinrich hätte wohl Schweigen bewahrt, denn er hätte es nicht gewagt, darüber zu reden. Heinrich aber überlegte folgendes: Sein Schweigen müßte ihn überführen, denn man verliert doch nicht für gewöhnlich einen seiner Diener, einen seiner Vertrauensleute, ohne sich nach ihm zu erkundigen, ohne ihn zu suchen. Demgemäß fragte Heinrich überall herum und erkundigte sich sogar in Anwesenheit des Königs und der Königin-Mutter. Er fragte bei aller Welt an, was aus Orthon geschehen wäre, fragte den Posten, der vor dem Tor des Louvre auf und ab schritt, fragte den Kapitän der Garde, der im Vorzimmer des Königs Dienst hatte. Alles war vergeblich. Heinrich schien durch diesen Vorfall so niedergedrückt und so persönlich vom Verlust des treuen Dieners getroffen, daß er erklärte, seine Stelle nicht eher besetzen zu wollen, als bis er tatsächlich in Erfahrung gebracht hätte, daß Orthon für immer verloren sei.

Das Vorzimmer war also leer, als Margarete beim König von Navarra vorsprach.

So leicht auch die Schritte der Königin waren, Heinrich hatte sie gehört und kam ihr gleich entgegen.

»Sie, Madame?« rief er.

»Ja,« erwiderte Margarete, »lesen Sie rasch.«

Sie überreichte ihm den offenen Brief.

Er enthielt folgende Zeilen:

»Sire, der Augenblick ist gekommen, in dem wir unseren Fluchtplan zur Durchführung bringen müssen. Übermorgen findet eine Beizjagd längs der Seine statt, von Saint-Germain bis nach Maisons, das heißt also in der ganzen Länge des Waldes. Begeben Sie sich auf diese Jagd, wenn es auch nur eine Beizjagd ist. Ziehen Sie sich unter ihren Kleidern einen guten Kettenpanzer an, gürten Sie Ihren besten Degen um und nehmen Sie das schnellste Pferd aus Ihrem Stall. Gegen Mittag, das heißt also, wenn sich die Jagd auf ihrem Höhepunkt befindet, wenn der König den Falken nachjagen wird, werden Sie sich wegstehlen, entweder allein oder mit der Königin von Navarra. Fünfzig unserer Leute werden sich im Lusthaus Franz des Ersten versteckt halten, dessen Schlüssel wir in den Händen haben. Niemand wird eine Ahnung davon haben, denn sie werden sich in der Nacht einschleichen und die Fensterläden werden geschlossen bleiben. Sie werden die Allee des Violettes hinabreiten, an deren Ende ich Sie erwarten werde. Rechts von dieser Allee, auf einer kleinen Lichtung, werden Herr von La Mole und Herr von Coconas mit zwei Handpferden warten. Die frischen Pferde sollen Ihr Pferd und das Ihrer Majestät, der Königin von Navarra, ersetzen, falls sie zufällig zu müde sein sollten. Adieu, Sire, halten Sie sich bereit, wir sind es!«

»Sie werden bereit sein!« sagte Margarete, indem sie nach sechzehnhundert Jahren dieselben Worte gebrauchte, die Cäsar am Ufer des Rubikon gesprochen hatte.

»So soll es sein, Madame,« erwiderte Heinrich, »nicht ich werde Ihre Worte in Abrede stellen!«

»Wohlan, Sire, werden Sie ein Held! Es ist nicht zu schwer, Sie haben nur dem vorgezeichneten Weg zu folgen . . . und erringen Sie mir einen schönen Thron!« sagte die Tochter Heinrichs des Zweiten.

Ein unmerkliches Lächeln huschte über die feinen Lippen des Bearners. Er küßte Margarete die Hand und schritt als erster hinaus, um den Ausgang aufzuklären. Hierbei trällerte er den Kehrreim eines alten Liedes vor sich hin:

Sein Schloß von außen nicht beschaut,
Wer seine Mauern besser baut!

Heinrichs Vorsicht war nicht schlecht angebracht. In dem Augenblick, als er die Tür seines Schlafzimmers öffnete, öffnete der Herzog die Tür des Vorzimmers. Heinrich gab Margarete ein Zeichen mit der Hand und sagte dann laut: »Ah! Sie sind es, mein Bruder? Willkommen!«

Die Königin hatte das Zeichen ihres Gatten verstanden und hatte sich in sein Ankleidezimmer geflüchtet, vor dessen Tür ein riesiger Vorhang gespannt war.

Der Herzog trat mit ängstlichem Schritt ein und sah sich nach allen Seiten um.

»Sind wir allein?« fragte er Heinrich mit halblauter Stimme.

»Ganz allein! Was gibt es denn, Sie scheinen mir ganz aus dem Gleichgewicht gebracht?«

»Unser Plan ist entdeckt, Heinrich!«

»Wieso entdeckt?«

»Mouy wurde festgenommen.«

»Das weiß ich.«

»Nun, Mouy hat alles dem König gesagt!«

»Was hat er gesagt?«

»Er hat gestanden, daß ich den Thron von Navarra erstrebe und daß ich mich deswegen verschworen habe.«

»O weh! Auf die Art sind Sie ja gefährdet, mein armer Bruder! Wieso hat man Sie noch nicht festgenommen?«

»Ich selbst weiß nichts Näheres, nur der König hat mich zum besten gehalten, indem er mir nur zum Schein den Thron von Navarra angeboten hat. Wahrscheinlich wollte er mir auf diese Art ein Geständnis entlocken, doch ich habe gar nichts gestanden.«

»Da haben Sie recht daran getan. Himmel und Hölle!« sagte der Bearner, »bleiben wir nur standhaft, unser Leben hängt davon ab!«

»Ja,« erwiderte Franz, »der Fall ist wohl mißlich und darum wollte ich Sie auch um Ihre Meinung fragen, mein Bruder. Was soll ich nach Ihrem Dafürhalten jetzt tun? Soll ich bleiben oder fliehen?«

»Sie haben den König gesehen, da Sie ja mit ihm gesprochen haben?«

»Ja, natürlich!«

»Nun gut, dann mußten Sie ja auch seine Gedanken erraten. Folgen Sie Ihrer ersten Eingebung!«

»Ich würde lieber hier bleiben,« sagte Franz.

Trotz seiner Selbstbeherrschung konnte sich Heinrich einer freudigen Bewegung nicht enthalten. So unmerklich sie auch war, dem Herzog war sie aufgefallen.

»Bleiben Sie demnach!« sagte Heinrich.

»Und Sie?«

»Teufel! Wenn Sie dableiben, so habe auch ich keinen Grund, mich davonzumachen. Ich wäre nur fortgegangen, um Ihnen zu folgen, aus Ergebenheit und um einen lieben Bruder nicht im Stich zu lassen.«

»Also ist es mit allen unseren Plänen zu Ende! Sie weichen kampflos der ersten Gewalt eines Mißgeschickes?«

»Ich halte es nicht für ein Mißgeschick, vorläufig hierzubleiben. Dank meinem sorglosen Wesen fühle ich mich überall wohl.«

»Nun gut, so sei es!« sagte Alençon. »Reden wir nicht mehr darüber. Nur wenn Sie einen neuen Entschluß fassen sollten, dann lassen Sie mich ihn wissen.«

»Donnerwetter, das können wir glauben!« antwortete Heinrich. »Haben wir nicht vereinbart, kein Geheimnis voreinander zu haben?«

Alençon drang nicht weiter in Heinrich und entfernte sich nachdenklich, denn in einem bestimmten Augenblick war es ihm vorgekommen, als ob sich der Vorhang beim Ankleidezimmer bewegt hätte.

Kaum war Alençon hinausgegangen, als sich dieser Vorhang schon hob und Margarete im Schlafzimmer erschien.

»Was halten Sie von diesem Besuch?« fragte Heinrich.

»Dahinter steckt etwas Neues und sehr Bedeutendes.«

»Was glauben Sie, was das sein könnte?«

»Noch weiß ich nichts, doch werde ich bald alles erfahren haben.«

»Und mittlerweile?«

»Mittlerweile vergessen Sie nicht, mich morgen abend zu besuchen.«

»Ich werde mich hüten, dies zu vergessen!« erwiderte Heinrich und küßte ritterlich die Hand seiner Gattin.

Mit der gleichen Vorsicht, wie sie gekommen war, begab sich Margarete in ihre Wohnung zurück.

 


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