Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Atriden

Seit seiner Ankunft in Paris hatte Heinrich von Anjou seine Mutter Katharina noch nicht sehen und ungezwungen sprechen können, obwohl er, wie bekannt, der Lieblingssohn der Königin war.

Für ihn bedeutete dieser Besuch nicht nur eine den Hofsitten entsprechende Gepflogenheit, die Erfüllung einer peinlichen Notwendigkeit, sondern ihm mußte er eine angenehme Sohnespflicht sein, und wenn er schon seine Mutter nicht selbst liebte, so konnte er sicher sein, von ihr zärtlich geliebt zu werden.

Tatsächlich zog Katharina diesen Sohn allen anderen Kindern vor. Vielleicht bevorzugte sie ihn wegen seiner Tapferkeit, vielleicht wegen seiner Schönheit, denn, abgesehen von den Gefühlen einer Mutter, empfand Katharina auch mit dem Blick eines Weibes. Vielleicht aber – wenn man einigen Klatschgeschichten glauben darf – erinnerte sie Heinrich von Anjou an die Zeit einer gewissen heimlichen und glücklichen Liebe.

Katharina allein wußte von der Ankunft des Herzogs in Paris, von der selbst Karl der Neunte nichts erfahren hätte, wenn er ihm nicht zufällig beim Palast Condé, in dem Augenblick, als der Herzog aus dessen Tor getreten war, begegnet wäre. Karl hatte ihn erst am nächsten Tage zu sehen erwartet, während Heinrich von Anjou dem König den zweifachen Zweck seiner um einen Tag verfrühten Ankunft gerne verheimlicht wäre. Das war einmal der Besuch bei der schönen Marie von Cleves, Prinzessin von Condé, dann aber seine Unterredung mit den Abgesandten Polens.

Bezüglich dieses letzteren Umstandes und der damit verbundenen Absicht war Karl im unklaren, während der Herzog seiner Mutter darüber berichten wollte. Der Leser, der gleich Heinrich von Navarra hinsichtlich der Unternehmung Anjous sicherlich nicht aufgeklärt war, wird aus dessen Unterredung die Beweggründe seiner Reise ersehen.

Der lang erwartete Sohn trat endlich bei seiner Mutter ein. Katharina, so kalt und steif sie auch für gewöhnlich war, Katharina, die seit der Abreise ihres geliebten Sohnes nur Coligny, der am nächsten Tage bekanntlich ermordet worden war, mit Begeisterung umarmt hatte, öffnete dem Kind ihrer Liebe beide Arme und drückte es mit einer mütterlichen Zärtlichkeit an ihre Brust, die man ihrem verhärteten Gemüt nicht mehr zugetraut hätte.

Dann trat sie ein paar Schritte zurück, sah ihren Sohn von oben bis unten an und umarmte ihn wieder.

»Ah, Madame!« rief der, »da mir der Himmel die Genugtuung gewährt, meine Mutter ohne Zeugen umarmen zu dürfen, so trösten Sie mich, mich, den unglücklichsten Menschen auf Gottes Erdboden!«

»Eh, mein Gott, mein geliebtes Kind!« sagte Katharina. »Was ist Ihnen denn zugestoßen?«

»Nichts, was Sie nicht wissen sollen, liebe Mutter. Ich bin verliebt, ich werde wiedergeliebt . . . doch gerade diese Liebe ist es, die mich so unglücklich macht!«

»Klären Sie mich auf, mein Sohn!«

»Ach, liebe Mutter . . . diese Gesandten . . . die bevorstehende Abreise . . .«

»Ja,« erwiderte Katharina, »die Gesandten sind angekommen, die Abreise wird dringlich.«

»Sie ist nicht so dringend, liebe Mutter, doch mein Bruder wird mich drängen, abzureisen! Er haßt mich, ich stelle ihn in den Schatten, er will sich meiner entledigen!«

Katharina lächelte.

»Entledigt sich Ihrer, indem er Ihnen einen Thron gibt! Armer, unglücklicher Gekrönter!«

»Ach was, liebe Mutter,« begann Heinrich bekümmert, »ich will aber nicht abreisen! Ich bin ein Königssohn Frankreichs, bin nach der verfeinerten, höflichen Sitte dieses Landes erzogen worden, lebe in der Nähe der besten aller Mütter und werden von der reizendsten Frau dieser Welt geliebt! Ich soll nun dorthin, in diese Schneegefilde, in das andere Ende der Welt, soll unter diesen groben Menschen langsam dahinsterben, unter Menschen, die sich von früh morgens an bis spät in die Nacht hinein betrinken und die Fähigkeiten ihres Königs in der gleichen Weise beurteilen, wie sie den Inhalt eines Fasses prüfen! Nein, liebe Mutter, ich will nicht weg, ich würde dort sterben!«

»Nun, Heinrich,« tröstete Katharina und nahm beide Hände ihres Sohnes in ihre Hände, »Heinrich, ist das wirklich der einzig wahre Grund?«

Heinrich senkte seine Augen zu Boden, als ob er es nicht wagen könnte, der eigenen Mutter das Innerste seines Herzens zu enthüllen.

»Ist der Grund nicht ein anderer?« fragte Katharina. »Ist er nicht weniger romantisch, doch vernünftiger, politischer?«

»Liebe Mutter, es ist nicht meine Schuld, wenn der Gedanke mir im Kopfe liegt und wenn er vielleicht meinen Geist mehr beschäftigt, als er es sollte. Doch sagten Sie mir nicht einmal selbst, daß die Sterndeutung gelegentlich der Geburt meines Bruders Karl die Voraussage enthielt, daß er in jungen Jahren sterben müßte?«

»Ja,« erwiderte Katharina, »doch die Weissagung aus den Sternen kann auch oft unrichtig sein, mein Sohn. Ich selbst bin jetzt in der Lage zu hoffen, daß alle Voraussagungen lügenhaft seien.«

»Aber schließlich enthielt seine Schicksalsdeutung doch jenen Hinweis!«

»Sie sprach von einem Vierteljahrhundert, doch sie drückte sich nicht aus, ob sich die Bestimmung auf sein Leben oder auf seine Regierungszeit bezöge.«

»Nun gut, liebe Mutter, bewirken Sie, daß ich hier bleiben kann. Mein Bruder zählt jetzt fast vierundzwanzig Jahre, in einem Jahr wird sich die Frage entschieden haben.«

Katharina überlegte angestrengt.

»Ja, sicherlich,« meinte sie, »wäre es besser, wenn man das so einrichten könnte.«

»Oh, beurteilen Sie, liebe Mutter!« rief Heinrich aus, »wie verzweifelt ich sein müßte, wenn ich die Krone Frankreichs für die Krone Polens hingegeben haben würde! Dort müßte mich ständig der Gedanke quälen, daß ich im Louvre regieren könnte, inmitten eines vornehmen und gebildeten Hofes, an der Seite der besten Mutter auf Erden, deren Ratschläge mir die Hälfte aller Arbeit ersparen würden, die, gewohnt mit meinem Vater die Bürde des Regierungsgeschäftes zu teilen, auch mir ihre Hilfe nicht versagt hätte! Ach, meine liebe Mutter, so hätte ich ein großer König werden müssen!«

»Nun, nun, mein liebes Kind,« meinte Katharina, denn eine solche Zukunft zählte auch zu ihren schönsten Hoffnungen, »nun, verzweifeln Sie doch nicht! Haben Sie Ihrerseits nicht schon darüber nachgedacht, wie man die Sache einrenken könnte?«

»Ach, natürlich, ja! Und deshalb bin ich ja auch zwei oder drei Tage früher und gegen alle Erwartung vorzeitig hier angekommen. Ich wollte meinen Bruder Karl auch glauben lassen, daß ich nur wegen der Prinzessin von Condé nach Paris geeilt bin. Dann bin ich auch Lasco entgegengeritten, dem bedeutendsten Mitglied der Abordnung, habe mich mit ihm bekannt gemacht und habe mich bei dieser ersten Zusammenkunft nach jeder Möglichkeit hin unbeliebt gemacht und hoffe auch meinen Zweck erreicht zu haben.«

»Ach, mein liebes Kind, das war nicht recht gehandelt. Sie müssen auch die Wohlfahrt Frankreichs allem voranstellen, auch Ihren persönlichen Widerwärtigkeiten!«

»Liebe Mutter, erfordert es die Wohlfahrt Frankreichs, daß, falls meinem Bruder Karl ein Unglück zustoßen sollte, der Herzog von Alençon oder Heinrich von Navarra den Thron besteigt?«

»Oh, der König von Navarra, niemals, niemals!« murmelte Katharina, und es war, als ob eine Wolke ihre Stirne beschattete, als ob, wie jedesmal, wenn diese Frage auftauchte, eine Unruhe sie quälte.

»Meiner Treu!« sagte Heinrich, »mein Bruder Alençon taugt auch nicht viel mehr und liebt Sie auch nicht viel mehr!«

»Was hat also Lasco gesagt?« begann Katharina von neuem.

»Lasco hat selbst geschwankt und gezögert, als ich ihm mit Nachdruck nahelegte, eine besondere Audienz zu erbitten. Oh, wenn er noch nach Polen schreiben könnte, die Königswahl ungültig erklären könnte!«

»Wahnsinn, mein Sohn, Wahnsinn! . . . Was der Landtag bestätigt hat, ist geheiligt!«

»Doch schließlich, liebe Mutter . . . könnte man diesen Polen nicht meinen Bruder an meiner Stelle vorschlagen?«

»Das ist, wenn nicht unmöglich, zum mindesten schwer, mein Sohn!« meinte Katharina.

»Was macht das aus! Versuchen Sie, wagen Sie, sprechen Sie mit dem König, liebe Mutter! Führen Sie alles auf meine Liebe zur Prinzessin von Condé zurück, sagen Sie, daß ich ein Narr geworden bin, daß ich meinen Verstand verliere! Er hat mich ja gerade angetroffen, als ich aus dem Palast des Prinzen mit Guise herauskam, der mir übrigens in dieser Angelegenheit wahre Freundschaftsdienste leistet.«

»Ja, die leistet er Ihnen, um die Liga, das Bündnis der katholischen Parteien, für seine Zwecke zu stiften! Sie durchschauen das noch nicht, aber ich sehe das alles voraus!«

»Schon gut, liebe Mutter, schon gut, doch bis dahin nütze ich ihn aus. Eh, sind wir nicht glücklich darüber, wenn uns ein Mensch dient, der sich damit auch selbst einen Dienst erweist?«

»Was hat der König gesagt, als er Ihnen begegnete?«

»Er scheint geglaubt zu haben, was ich ihm versicherte, daß ich . . . meiner Liebe wegen nach Paris gekommen bin.«

»Hat er nicht Rechenschaft über den zweiten Teil der Nacht verlangt?«

»Gewiß, liebe Mutter! Doch ich war bei Nantouillet nachtmahlen und habe dort fürchterlichen Lärm geschlagen, damit die Aufsehen erregende Unterhaltung zur Bestätigung meines Aufenthaltes zu Ohren des Königs käme.«

»Er weiß also nichts von Ihrem Zusammentreffen mit Lasco?«

»Er weiß gar nichts!«

»Gut, umso besser! Ich werde also versuchen, bei ihm für Sie fürzusprechen, mein liebes Kind . . . doch Sie wissen, daß bei seinem unbändigen Wesen kein Einfluß von nachhaltiger Wirkung ist!«

»Oh, meine Mutter, meine Mutter! Welches Glück für mich, wenn ich hierbleiben könnte! Ich würde Sie, wenn das noch möglich ist, viel mehr lieben, als ich Sie liebe . . .«

»Wenn Sie bleiben sollten, dann wird man Sie sicherlich wieder in den Krieg schicken!«

»Ach, was! Wenn ich nur nicht Frankreich verlassen muß!«

»Sie werden sich töten lassen müssen!«

»Liebe Mutter, man stirbt nicht am Feinde, man stirbt an Schmerzen, an Langeweile! Aber Karl wird mir nicht erlauben, hierzubleiben, dazu haßt er mich zu sehr.«

»Ja, er ist eifersüchtig auf Sie, mein schöner Sieger, das ist eine abgemachte Sache. Warum sind Sie aber auch so tapfer und so glücklich? Warum haben Sie, kaum zwanzig Jahre alt, schon Schlachten gewonnen wie Alexander und wie Cäsar? Vorläufig aber dürfen Sie sich niemand anvertrauen, tun Sie so, als ob Sie fest entschlossen wären, umschmeicheln Sie den König. Heute versammelt man sich zu geheimer Beratung, man wird über die Ansprachen verhandeln, die bei der Feierlichkeit gehalten werden sollen. Spielen Sie sich als König von Polen auf und lassen Sie das andere meine Sorge sein! Bei dieser Gelegenheit, wie ist denn Ihre gestrige nächtliche Unternehmung ausgefallen?«

»Sie ist mißglückt, liebe Mutter! Der Liebhaber ist gewarnt worden und hat durch das Fenster das Weite gesucht.«

»Einmal werde ich es doch erfahren, wer der böse Geist ist, der meine Pläne auf solche Art durchkreuzt,« sagte Katharina, »vorderhand vermute ich nur . . . auf alle Fälle aber, wehe ihm!«

»Also, liebe Mutter?« sagte der Herzog.

»Lassen Sie mich die Angelegenheit in die Hand nehmen.«

Sie küßte Heinrich zärtlich auf die Augen und drängte ihn sanft zum Zimmer hinaus.

Bald kamen die Prinzessinnen der Familie zur Königin. Der König war guter Laune, denn die sichere Haltung seiner Schwester Margot hatte ihn mehr gefreut, als er sich über das Mißlingen des Planes geärgert hatte. Er hatte es auf La Mole auch nicht besonders abgesehen, und er hatte ihm im Gange nur darum mit einigem Eifer aufgelauert, weil ihn die Unternehmung an die Jagd auf dem Anstand erinnerte.

Im Gegensatz zu Karl war der Herzog von Alençon sichtlich unruhig. Seine Abneigung, die er von jeher La Mole gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte, hatte sich, seit er nun wußte, daß der junge Mann von seiner Schwester geliebt wurde, in Haß verwandelt.

Margarete war träumerisch und wachsam zugleich, denn einerseits lebte noch die Erinnerung in ihr auf, anderseits aber mußte sie vor ihren Verwandten auf der Hut sein.

Die polnischen Abgesandten hatten den Wortlaut der Reden, die sie zu halten beabsichtigten, eingeschickt.

Margarete, zu der man von dem Ereignis am Vorabend kein Wort gesprochen hatte, das man scheinbar überging, als ob es gar nicht geschehen wäre, las die eingeschickten Reden durch, und sofort erörterten, mit Ausnahme Karls, alle Anwesenden die Beantwortung der Ansprachen. Der König genehmigte die Antwort Margaretes, wie sie diese nach eigenem Willen zusammengestellt hatte. Sehr unangenehm wurde er aber bezüglich der Wahl der Ausdrücke, die der Herzog von Alençon in seiner Antwort gebrauchen wollte. Gänzlich voreingenommen endlich zeigte er sich gegen die Anrede Heinrichs von Anjou, er war erpicht darauf, sie zu berichtigen und vollständig umzuändern.

Diese Sitzung, die zwar vorläufig noch keine Entladung der allgemeinen Spannung zur Folge hatte, erregte trotzdem alle Gemüter auf das heftigste.

Heinrich von Anjou, der seine Rede von allem Anfang an umzuarbeiten gezwungen war, entfernte sich, um sich dieser Aufgabe zu widmen. Margarete, die seit dem Lebenszeichen zu Schaden ihres Fensters vom König von Navarra keinerlei Nachrichten erhalten hatte, kehrte in ihre Wohnung zurück und hoffte auf seinen baldigen Besuch.

Alençon hatte aus den Augen seines Bruders Anjou eine gewisse Unschlüssigkeit herausgelesen, hatte auch einen Blick des Einverständnisses bemerkt, der zwischen ihm und der Königin-Mutter gewechselt worden war und zog sich nun auch seinerseits zurück, um über die Entstehung der neuen Ränke nachzusinnen, die er allen Anzeichen nach vorausahnen mußte. Karl endlich war eben im Begriff, in seine Schmiede zurückzukehren, um dort einen Degen, den er sich selbst angefertigt hatte, zu vollenden, als ihn Katharina zurückhielt.

Er zweifelte nicht daran, daß seine Mutter seinem Willen irgendwelche Schwierigkeiten entgegenstellen würde, blieb stehen, sah sie scharf an und fragte: »Nun, was wollen Sie noch von mir?«

»Noch ein letztes Wort, Sire! Wir haben auf dieses Wort vergessen und dennoch ist es von größter Wichtigkeit. Welchen Tag sollen wir für die öffentliche Sitzung bestimmen?«

»Ah, richtig!« sagte der König und setzte sich wieder hin. »Reden wir darüber, Mutter. Nun, welchen Tag würden Sie für gut halten?«

»Ich dachte,« erwiderte Katharina, »daß sich hinter dem Schweigen Eurer Majestät, hinter der offensichtlichen Gedankenabwesenheit, irgendeine sehr wichtige und tiefgründige Erwägung verborgen habe.«

»Nein! Warum denn das, liebe Mutter?«

»Weil es, wie mir scheint, mein Sohn, nicht klug ist, den Polen zu zeigen, daß wir ihrer Krone mit so großem Eifer nachjagen,« antwortete Katharina ganz bescheiden.

»Ganz im Gegenteil, liebe Mutter, sie haben sich doch beeilt, sie sind es, die in Eilmärschen von Warschau hierhergekommen sind . . . Ehre um Ehre, Höflichkeit um Höflichkeit!«

»Eure Majestät können in einer Beziehung recht haben, so wie ich in anderer Beziehung vielleicht nicht unrecht habe. Ihre Meinung geht also dahin, daß die öffentliche Sitzung möglichst beschleunigt werden sollte?«

»Fürwahr, das ist meine Ansicht, Mutter! Ist sie nicht zufällig auch die Ihre?«

»Sie wissen, daß ich nur solche Ansichten vertrete, die Ihren Ruhm in jeglicher Weise fördern können. Ich muß also gestehen, daß ich, wenn ich Sie in dieser Hinsicht drängen würde, die Befürchtung hegen müßte, eine Verdächtigung Ihrer Person herbeizuführen. Man würde Sie bezichtigen, die sich darbietende Gelegenheit zur Entlastung des Königshauses durch Abstoßung aller Verpflichtungen Ihrem Bruder gegenüber gar zu schnell ergriffen zu haben. Allerdings – und das ist richtig – geschieht dies ja auch aus Wohlwollen und um damit seinen Ruhm zu begründen.«

»Liebe Mutter,« sagte Karl, »ich werde meinen Bruder bei seiner Abreise aus Frankreich so reich ausstatten und beschenken, daß niemand einen derartigen Gedanken fassen, geschweige denn ein Wort darüber verlieren wird!«

»Gut,« meinte Katharina, »ich beuge mich Ihrer Ansicht, da Sie auf alle meine Einwendungen stets eine so vortreffliche Antwort finden . . . aber, beim Empfang dieses kriegerischen Volkes, eines Volkes, das die Macht eines Staates gewiß nur nach äußeren Zeichen einschätzt, müßten Sie doch eine ansehnliche Truppenmacht aufmarschieren lassen und ich glaube, daß in und um Paris kein genügend starkes Aufgebot vorhanden ist?«

»Verzeihen Sie, liebe Mutter, ich habe das Ereignis vorausgesehen und habe darum auch genügend Vorbereitungen getroffen. Ich habe zwei Bataillone aus der Normandie und ein Bataillon aus der Guyenne hierher einberufen lassen. Meine Bogenschützenkompanie ist gestern aus der Bretagne angekommen. Die leichte Reiterei, die in der Touraine verteilt war, wird im Laufe des heutigen Tages gesammelt in Paris erscheinen und, während man glaubt, daß ich kaum über vier Regimenter verfüge, sind zwanzigtausend Mann im Begriff anzurücken.«

»Ah, ah!« sagte Katharina überrascht. »Dann fehlt Ihnen also nur noch etwas, doch das wird auch beschafft werden.«

»Was denn?«

»Geld! Ich meine, daß Sie gerade keinen Überfluß daran haben?«

»Ganz im Gegenteil, Madame, ganz im Gegenteil!« erklärte Karl.

»Ich besitze vierzehnhunderttausend Taler in der Bastille. Meine besondere Sparsamkeit hat mir außerdem achthunderttausend Taler eingetragen, die ich in den Kellern des Louvre vergraben ließ, und im höchsten Notfalle hält Nantouillet dreihunderttausend weitere Taler zu meiner Verfügung.«

Katharina war außer sich. Bisher hatte sie wohl die heftige und aufbrausende Art ihres Sohnes gekannt, niemals aber bei ihm so kluge Vorsicht vermutet.

»Da sieh einer nur!« sagte sie. »Eure Majestät denken an alles. Das ist bewundernswert und wenn sich die Schneider, die Stickerinnen und die Juweliere recht tummeln, dann werden Eure Majestät die Sitzung noch vor sechs Wochen einberufen können!«

»Sechs Wochen!« rief Karl aus. »Liebe Mutter, die Schneider, die Stickerinnen und die Juweliere arbeiten schon von dem Tage an, an dem ich die Wahl meines Bruders zur Kenntnis genommen habe. Im Notfalle könnte heute alles fertig werden, doch ganz bestimmt wird in zwei oder drei Tagen alles zur Verfügung stehen!«

»Oh!« murmelte Katharina. »Sie haben es noch viel eiliger, als ich glaubte, mein Sohn.«

»Ehre um Ehre, sagte ich Ihnen schon!«

»Gut. Also die Ehre, die man dem Königshause Frankreichs antut, schmeichelt Ihnen so sehr, nicht wahr?«

»Ganz gewiß!«

»Und einen Sohn Frankreichs auf dem polnischen Königsthron zu sehen, ist Ihr sehnlichster Wunsch?«

»Sie sprechen die Wahrheit.«

»Also die Sache an sich liegt Ihnen am Herzen, nicht die Persönlichkeit? Und wer es auch sei, der dort regiert . . .«

»Nein, nein, liebe Mutter, zum Teufel! Bleiben wir nur bei unserem Vorhaben, die Polen haben gut gewählt! Sie sind geschickt und stark, diese Menschen! Ein Soldatenvolk, eine kriegerische Nation, wählen sie sich einen Feldherrn zum regierenden Fürsten, das ist doch folgerichtig, und Donner und Hagel! Anjou ist ihr Mann! Der Sieger von Jarnac und Montcontour paßt ihnen, wie angegossen . . . Wen sollte ich ihnen nach Ihrer Meinung denn sonst hinschicken? Alençon? einen Feigling? Die würden sich einen schönen Begriff von den Valois machen! . . . Alençon, der würde bei der ersten Kugel entfliehen, die ihm um die Ohren pfeift, während Heinrich von Anjou ein Krieger ist, immer den Degen bereit in der Faust, immer den Drang nach vorwärts, zu Fuß und zu Pferd! . . . Dreist ist er, sticht, stößt, bringt um, erschlägt! Ah! Mein Bruder ist ein ganzer Mann, ein Held, der sie von früh morgens bis spät abends Schlachten schlagen lassen wird, vom ersten Tag des Jahres an bis zum letzten! Er kann nicht recht trinken, das ist ja richtig, aber er wird sie kalten Blutes andere töten lassen, das wird das richtige sein! Er wird in seinem Fahrwasser sein, dieser liebe Heinrich! Frisch und munter auf das Schlachtfeld hinaus! Gut so, die Trommler, gut die Trompeten! Hoch der König, es lebe der Sieger, es lebe der Feldherr! Man wird ihn dreimal im Jahr zum Imperator ausrufen, das wird dem Königshaus Frankreichs zur Zierde, den Valois zur Ehre gereichen! . . . Er wird vielleicht getötet werden, aber alle Wetter, das wird ein stolzer Tod werden!«

Katharina schauderte, ein Blitz flammte in ihren Augen auf.

»Sagen Sie doch lieber, daß Sie Heinrich von Anjou entfernen wollen, sagen Sie gleich, daß Sie Ihren Bruder nicht lieben!« rief sie aus.

»Ah, ah, ah!« sagte Karl und brach in ein erregtes Gelächter aus, »Sie haben das erraten, Sie sagen, daß ich ihn entfernen will? Sie haben erraten, daß ich ihn nicht liebe? Und wenn das nun wahr wäre, was sagten Sie dazu? Ich meinen Bruder lieben? Warum sollte ich ihn denn lieben? Ah, ah! Sie wollen vielleicht darüber lachen? . . .« Während er weitersprach, röteten sich seine bis dahin blassen Wangen fieberhaft. »Liebt er vielleicht mich? Lieben Sie mich, Sie? Ist, außer meinen Hunden, Marie Touchet und meiner Amme jemand da, der mich jemals geliebt hätte? Nein, nein, ich liebe meinen Bruder nicht, ich liebe nur mich, hören Sie? Und ich hindere meinen Bruder nicht, ebenso zu fühlen, wie ich fühle!«

»Sire,« sagte Katharina und wurde nun auch erregt, »da Sie mir Ihr Herz eröffnen, so muß ich Ihnen auch meinerseits das Innere meines Herzens zeigen! Sie handeln als schwacher König, als schlechtberatener Herrscher! Sie schicken Ihren nächstältesten Bruder fort, die natürlichste Stütze Ihres Thrones, den Mann, der wohl würdig ist, Ihr Nachfolger zu werden, wenn Ihnen ein Unglück geschehen sollte. Sie lassen in einem solchen Falle die Krone im Stich, denn Sie selbst sagten doch, daß Alençon jung ist, unfähig ist, schwach, ja mehr als schwach, feig! . . . Und der Bearner richtet sich schon hinter uns in seiner ganzen Größe auf, hören Sie wohl?«

»Eh! Tod allen Teufeln!« schrie Karl. »Was geht das mich an, was geschehen wird, wenn ich nicht mehr sein werde! Der Bearner richtet sich hinter meinem Bruder auf, sagen Sie? Donner und Hagel! Umso besser! . . . Ich sagte, daß ich niemand liebe . . . ich irrte mich, ich liebe Henriot, ja, ich liebe ihn, diesen braven Henriot. Er hat ein offenes Wesen, eine warme Hand, während ich sonst um mich herum nur falsche Augen sehe und eisige Hände berühre. Er ist unfähig, mich zu verraten, darauf könnte ich schwören. Überdies muß ich ihn auch entschädigen: Seine Mutter ist vergiftet worden, armer Kerl! Von Leuten meiner Familie, wie ich es wenigstens hörte! Und überhaupt, ich fühle mich sehr gesund. Aber wenn ich schon krank werden sollte, dann rufe ich Henriot zu mir, er dürfte mich nicht mehr verlassen, nur aus seiner Hand würde ich etwas zu mir nehmen . . . und wenn ich dann sterben müßte, dann würde ich ihn zum König von Frankreich und von Navarra machen! . . . Und beim Teufel und Papst! Statt über meinen Tod zu lachen, sich darüber zu freuen, müßten meine Brüder wenigstens weinen oder sie müßten so tun, als ob sie weinten!«

Keine Bombe, die vor ihren Füßen geplatzt wäre, hätte Katharina mehr erschrecken können, als es die Worte ihres Sohnes taten. Wie niedergeschmettert stand sie da und betrachtete Karl mit verstörten Blicken. Endlich nach einigen Sekunden raffte sie sich zusammen und schrie: »Heinrich von Navarra! Heinrich von Navarra! König von Frankreich zum Nachteil meiner Kinder! Ah! heilige Madonna! Das wollen wir noch sehen! Also darum wollen Sie meinen Sohn von hier wegschicken?«

»Ihr Sohn? . . . Und was bin denn ich? Der Sohn einer Wölfin vielleicht, wie Romulus?« schrie Karl zitternd vor Wut und mit plötzlich aufflammenden Augen. »Ihr Sohn, der König von Frankreich, ist nicht Ihr Sohn, Sie haben recht, der König von Frankreich hat keine Brüder, der König von Frankreich hat keine Mutter, der König von Frankreich hat nur Untertanen. Der König von Frankreich braucht keine Gefühle zu haben, er hat nur seinen Willen. Er wird dulden müssen, daß man ihn nicht liebt, er wird aber nicht dulden, daß man ihm nicht gehorcht!«

»Sire, Sie haben meine Worte schlecht verstanden: ich habe ihn deshalb vor allen anderen Kindern Sohn genannt, weil er mich ja nunmehr verlassen soll. Ich liebe ihn in diesem Augenblick inniger, weil ich ihn als ersten zu verlieren befürchte. Ist es denn einer Mutter als Verbrechen anzurechnen, wenn sie wünscht, daß ihr Kind sie nicht verläßt?«

»Und ich sage Ihnen hiermit, daß er Sie verlassen wird, ich sage Ihnen, daß er Frankreich verlassen wird, daß er sich nach Polen begeben wird und zwar in zwei Tagen schon! Und wenn Sie noch ein Wort sagen, dann auch schon morgen! . . . Und wenn Sie nicht Ihre erhobene Stirne senken werden, wenn die flammende Drohung in Ihren Augen nicht allsogleich verlischt, so erwürge ich ihn heute abend, genau so, wie ich nach Ihrem Wunsche den Geliebten Ihrer Tochter hätte erwürgen sollen! Nur, daß ich bei ihm nicht daneben greifen werde, wie es uns bei La Mole geschehen ist!«

Auf diese ernste Drohung hin senkte Katharina wirklich ihre Stirne, doch sofort hob sie wieder ihr Haupt.

»Ach, armes Kind!« seufzte sie. »Dein Bruder will dich töten! Nun gut, sei ruhig, deine Mutter wird dich schützen!«

»Ah, man will mir trotzen?« schrie Karl. »Gut also, beim Blute Christi! Er wird sterben, aber nicht heute abend, nicht in dieser Stunde, doch in diesem Augenblick! Ah, eine Waffe, einen Dolch, ein Messer! . . . Ah! . . .«

Sein Blick irrte im ganzen Zimmer umher, vergeblich suchte er nach einer Waffe. Plötzlich sah er den kleinen Dolch, den seine Mutter am Gürtel trug. Er stürzte darauf los und riß ihn aus der mit Silber beschlagenen, genarbten Lederscheide, stürmte aus dem Zimmer, um Heinrich von Anjou zu töten, wo immer er ihn auch fände. Doch schon im Vorzimmer verließen ihn die über alle menschliche Leistungsfähigkeit überreizten Kräfte ganz plötzlich, er breitete die Arme aus und ließ die spitzige Waffe fallen, die im Fußboden stecken blieb. Ein Jammerlaut entrang sich seiner Kehle, er sank in sich zusammen und rollte über den Boden hin.

Im gleichen Augenblick ergoß sich auch ein starker Blutstrom über seine Lippen und aus seiner Nase.

»Jesus,« stöhnte er, »man tötet mich . . . zu mir, zu mir!«

Katharina, die ihm gefolgt war, hatte ihn niederfallen sehen. Sie betrachtete ihn einen Augenblick lang unberührt und unbeweglich. Dann erst kam sie zu sich, und nicht die Mutterliebe, sondern nur die augenblicklich heikle Lage veranlaßte sie, die Tür zu öffnen und hinauszurufen: »Der König ist unwohl! Zu Hilfe, zu Hilfe!«

Auf den Schrei hin drängte sich sofort eine ganze Welt von Dienern, Offizieren und Höflingen um den jungen König. Vor allen anderen war aber eine Frau herbeigestürzt, stieß die herumstehenden Menschen zur Seite, kniete nieder und versuchte den König, der blaß war wie eine Leiche, zu heben und zu stützen.

»Man tötet mich, Amme, man will mich töten!« seufzte der in Schweiß und Blut förmlich gebadete König.

»Man will dich töten, mein Karl!« schrie die gute Frau auf und überflog die Gesichter der Versammelten mit einem Blick, vor dem selbst Katharina einen Schritt zurückwich. »Und wer ist das, der dich töten will?«

Karl stieß noch einen schwachen Seufzer aus und versank in Bewußtlosigkeit.

»Ah!« meinte der Doktor Ambrosius Paré, den man schleunigst herbeigeholt hatte. »Ah, der König ist schwer erkrankt!«

»Jetzt aber muß er trotz Willen oder Kraft unbedingt einen Aufschub bewilligen!« sagte sich die unerbittliche Katharina. Und sie verließ den König, um ihren zweiten Sohn aufzusuchen. Der wartete aber ängstlich im Betzimmer auf das Ergebnis der für ihn so wichtigen Unterredung.

 


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