Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Orthon

Heinrich war trotz der Absage des Herzogs von Alençon, die alle Absichten, ja sogar sein eigenes Dasein in Frage gestellt hatte, mittlerweile und soweit es möglich war ein noch besserer Freund des Prinzen geworden.

Katharina schloß aus diesem guten Einvernehmen, daß die beiden Prinzen nicht nur ein Herz und eine Seele geworden waren, sondern daß sie wahrscheinlich auch eine Verschwörung anzetteln wollten. Sie forschte Margarete in dieser Richtung aus. Doch die Königin von Navarra war die würdige Tochter ihrer Mutter und vermied es in erster Linie, heikle Erklärungen abzugeben. Auch wußte sie den Fragen der Mutter so gut zu begegnen, daß sie Katharina nach regelrechten Antworten in einem Kreuzverhör in nur noch größere Verwirrung versetzte.

Die Florentinerin hatte demnach kein anderes Mittel mehr, um sie zu überführen, als die Betätigung jenes heimtückischen Dranges, den sie sich aus Toskana, dem damals ränkevollsten aller kleinen Staaten, mitgebracht hatte, als jenes Haßvermögen, das sie dem Hof von Frankreich förmlich eingeimpft hatte, dem Hofe, der an Uneinigkeiten und Meinungsverschiedenheiten damals seinesgleichen suchte.

Sie erkannte vorerst, daß die Macht des Bearners teilweise aus seiner Verbrüderung mit dem Herzog von Alençon herrührte, und beschloß daher, eine Trennung der Verbündeten herbeizuführen.

Von dem Tag dieses Entschlusses an umgab sie ihren Sohn mit der Geduld und dem Geschick eines Fischers, der, sobald er sein Netz noch weit von den Fischen fallen gelassen, dieses ganz unmerklich und so lange einzieht, bis sich die Beute von allen Seiten in den Schlingen gefangen hat.

Der Herzog Franz bemerkte diese verdoppelten Zärtlichkeiten und kam seiner Mutter sogar einen Schritt entgegen. Heinrich hingegen tat so, als ob er gar nichts wahrnähme, überwachte jedoch seinen Verbündeten noch viel schärfer als zuvor.

Jeder wartete auf ein Ereignis.

Und während der eine in der sicheren, der andere in der wahrscheinlichen Erwartung war, während sich an einem dieser Tage die Sonne rosig aus dem Osten hob, während sich in Ankündigung eines schönen Tages lauwarme Lüfte und feine Wohlgerüche zusammenbrauten, schritt ein bleicher Mann, mühsam und auf seinen Stock gestützt aus einem kleinen, hinter dem Arsenal gelegenen Hause heraus und nahm seinen Weg durch die Straße du Petit-Muse.

Beim Tor Saint-Antoine, nachdem er im Kreise längs der Gräben der Bastille wie über eine sumpfige Prärie dahingeschritten war, ließ er den großen Schutzwall links liegen und trat in den Stadtgarten de l'Arbalete ein. Der Pförtner dieser Anlage begrüßte ihn mit zahlreichen Bücklingen.

Der Garten, der, wie sein Name schon sagt, einem besonderen Verein gehörte, dem Verein der Armbrustschützen, war ganz leer. Wären aber Spaziergänger dort gewesen, dann hätte der blasse Mann unbedingt ihre Aufmerksamkeit erregt. Sein langer Schnurrbart, sein Gang nach militärischer Art, obwohl er immerhin infolge eines Leidens langsam war, zeigten an, daß der Mann irgendein erst jüngst verwundeter Offizier sein mußte, der seine Kräfte wieder mäßig üben und die Wärme der Sonne genießen wollte.

Doch etwas wirkte befremdend. Als nämlich der scheinbar so harmlose Mann den Mantel, den er trotz der beginnenden Hitze trug, ein wenig öffnete, erblickte man zwei lange Pistolen, die mit silbernen Spangen an seinem Gürtel befestigt waren. In dem Gürtel steckten noch außerdem ein breiter Dolch und ein langer Degen. Es sah aus, als könnte der Mann im Notfalle diesen Degen wegen seiner ungeheuerlichen Länge gar nicht aus der Scheide bringen, die um seine abgemagerten und zitternden Beine herumbaumelte. Mit diesen Waffen glich der Spaziergänger einem lebenden Arsenal. Seine Vorsichtsmaßregeln vermehrte der Mann noch dadurch, daß er, obwohl er ganz allein im Garten war, bei jedem Schritt einen forschenden Blick nach rechts und links warf, als müßte er jede Wegkrümmung, die Gebüsche und die Gräben prüfen.

Auf diese Art gelangte dieser Mann tief in den Garten hinein und erreichte ungestört eine Art Laube, die schon in der Nähe des Stadtwalles gelegen und mit ihrer Umfriedung, einem dichten Heckenzaun und einem kleinen Graben, von diesem getrennt war. Hier streckte er sich auf eine Rasenbank in Reichweite eines Tisches hin. Nach einer Weile erschien der Wächter der Anlage, der zugleich mit seiner Anstellung als Pförtner den Beruf eines Garkoches verband, und brachte ihm ein stärkendes Mittel.

Der Kranke war kaum zehn Minuten hier und hatte in längeren Pausen die Steinguttasse an seinen Mund geführt, um deren Inhalt schluckweise zu kosten, als sein Antlitz, trotz der bemerkenswerten Blässe, plötzlich den Ausdruck großen Schreckens annahm. Er sah einen in einem weiten Mantel eingehüllten Reiter von der Richtung Croix-Faubin herankommen. Dieser benützte einen Steig, der heute die Straße von Neapel heißt, hielt beim Bollwerk des Stadtgrabens an und schien hier auf jemand warten zu wollen.

Es waren ungefähr fünf Minuten vergangen, und der blasse Mann, in dem der Leser Maurevel erkannt haben dürfte, hatte kaum Zeit gefunden, sich von seiner plötzlichen Erregung zu erholen, als ein junger, in einem enganschließenden Rock und nach Pagenart gekleideter Mann auf einem Weg, der jetzt die Straße Fossés-Saint-Nicolas genannt wird, daherkam und sich zu dem Reiter gesellte.

Maurevel konnte, versteckt im Blattgewirr seiner Laube, alles beobachten und auch mühelos alles vernehmen, was die zwei miteinander sprachen. In Anbetracht dessen, daß der Reiter niemand anderer als Herr von Mouy, der junge Mann im engen Rock aber Orthon war, kann man sich einen Begriff davon machen, wie sehr die Augen und Ohren Maurevels mit einem Male beschäftigt wurden.

Mit der größten Aufmerksamkeit blickten die Neuangekommenen um sich, und Maurevel verhielt seinen Atem.

»Sie können reden, mein Herr,« sagte Orthon als erster, weil er der jüngere und vertrauensseligere war, »niemand sieht uns und hört uns.«

»Gut!« meinte Mouy. »Du wirst also Frau von Sauve aufsuchen und du wirst ihr, wenn sie zu Hause ist, diesen Brief persönlich übergeben. Ist sie aber nicht daheim, dann wirst du den Brief hinter den Spiegel stecken, hinter dem auch der König seine Briefschaften zu hinterlegen pflegt. Dann wirst du im Louvre warten. Wenn du eine Antwort bekommst, bringst du sie mir zum bewußten Ort, bekommst du keine, dann findest du dich dort mit einem Bruststutzen bewaffnet bei mir ein, woher ich jetzt gekommen bin.«

»Gut,« sagte Orthon, »ich weiß alles.«

»Ich verlasse dich jetzt, denn ich habe während des ganzen Tages sehr viel zu tun. Beeile dich nicht zu sehr, das ist unnötig. Du brauchst nicht eher im Louvre einzutreffen, bevor nicht er dort ist, und ich glaube, er nimmt heute vormittag Unterricht im Jagen mit Falken. Gehe und zeige dich nur ganz unverfroren. Du bist wieder gesund geworden und kommst, um dich bei Frau von Sauve für ihre Güte zu bedanken, die sie dir während deiner Pflege bewiesen. Geh, mein Kind, gehe!«

Maurevel horchte mit aufgerissenen Augen, gesträubten Haaren, mit Schweiß an der Stirne. Seine erste Bewegung war gewesen, eine Pistole vom Gürtel zu lösen und auf Mouy zu zielen. Doch bei einer Lüftung des Mantels hatte er bemerkt, daß Mouy einen gut geschlossenen und starken Panzer trug. Es war also anzunehmen, daß die Kugel sich am Panzer breitschlagen oder einen Teil des Körpers treffen würde, an dem keine tödliche Wirkung entstehen könnte. Außerdem erwog er, daß Mouy mit ihm, dem Verwundeten, leichtes Spiel hätte, und mit einem Seufzer steckte er die Pistole wieder in den Gürtel, die schon auf den Hugenotten gerichtet gewesen war.

»Welches Pech!« murmelte er. »Ohne Zeugen könnte man ihn hier stumm machen, denn diesen zweiten Strolch würde meine andere Kugel sofort niederstrecken!«

Aber in dem Augenblick fiel Maurevel auch ein, daß dieser Orthon eingehändigte und für Frau von Sauve bestimmte Brief von größerer Bedeutung sein könnte als das Leben des Hugenottenführers.

»Ah,« sagte er sich, »heute morgen entkommt er mir noch! Meinetwegen! Geh nur heil und gesund von hinnen, denn morgen schon wird die Reihe an mir sein und ich werde dich verfolgen, wenn auch bis in die Hölle, aus der du gekommen bist, um mich zu töten, wenn ich dich nicht vorher kalt mache!«

Mouy hüllte sein Gesicht zur Hälfte in den Mantel ein und ritt eiligst in die Richtung des nordöstlichen Stadtviertels Temple davon, während Orthon am Graben zurück und dann längs des Flußufers davonging.

Mit größerer Kraft und Beweglichkeit, als er sich selbst zugetraut hätte, erhob sich nun Maurevel und begab sich in die Straße de la Cerisaie zurück. Hier ließ er sich rasch ein Pferd satteln und ritt dann trotz seiner Schwäche und der Gefahr, daß die Wunden wieder aufbrechen könnten, im Galopp durch die Straße Saint-Antoine bis zum Kai. Dort verschwand er im Louvre.

Fünf Minuten nach seinem Verschwinden durch die Pforte des Louvre waren kaum vergangen, als Katharina auch schon alles wußte. Maurevel erhielt die tausend Goldtaler, die ihm für die Festnahme des Königs von Navarra versprochen worden waren.

»Oh,« meinte die Königin-Mutter, »täusche ich mich wohl? Sollte vielleicht doch nicht dieser Mouy der schwarze Fleck sein, den René im Horoskop dieses verfluchten Bearners gefunden hat?«

Eine Viertelstunde nach Maurevel betrat Orthon den Louvre. Wie Mouy es ihm empfohlen hatte, ließ er sich überall blicken und begab sich zur Wohnung der Frau von Sauve, nachdem er mit mehreren Hofbediensteten gesprochen hatte.

Dariole war allein in der Wohnung. Katharina hatte ihre Herrin zu sich rufen lassen, um ihr ein paar wichtige Briefe zum Abschreiben zu übergeben, und seit fünf Minuten hielt sich Frau von Sauve in den Gemächern der Königin-Mutter auf.

»Gut,« meinte Orthon, »ich werde warten.«

Seine Vertrautheit in diesen Räumen ausnützend, begab sich der junge Mann in das Schlafzimmer der Baronin, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß er allein war. ließ er den Brief hinter den Spiegel gleiten.

In dem Augenblick, als er die Hand vom Spiegel zurückzog, trat die Königin-Mutter ein.

Orthon erblaßte, denn es kam ihm vor, als ob ein rascher durchdringender Blick der Königin auf diesen Spiegel gefallen war.

»Was machst du hier, Kleiner?« fragte Katharina. »Suchst du nicht Frau von Sauve?«

»Ja, Madame, es ist schon lange her, daß ich sie nicht gesehen habe, und weil ich mich bisher noch nicht bedankt habe, so fürchtete ich als Undankbarer zu gelten.«

»Du liebst sie sehr, diese reizende Charlotte?«

»Ich bin ihr aus ganzer Seele ergeben, Madame!«

»Und du bist treu, wie man sagt?«

»Eure Majestät werden verstehen, daß dies eine natürliche Folge der Pflege sein muß, die mir Frau von Sauve angedeihen ließ und die ich gar nicht verdiente, weil ich doch nur ein einfacher Diener bin.«

»Bei welcher Gelegenheit hat sie dich gepflegt?« fragte Katharina und tat so, als ob sie nicht wüßte, was dem jungen Burschen zugestoßen war.

»Madame, damals, als ich verwundet wurde.«

»Ach, armes Kind, Du wurdest also verwundet?«

»Jawohl, Madame.«

»Wann denn?«

»An dem Abend, an dem man den König von Navarra verhaften wollte. Ich hatte, als ich die Soldaten sah, so große Angst, daß ich schrie und um Hilfe rief. Einer von ihnen hat mir dann einen Schlag auf den Kopf gegeben und ich bin bewußtlos niedergefallen.«

»Armer Kerl! Und bist du jetzt wieder vollständig genesen?«

»Ja, Madame!«

»So, daß du den König von Navarra suchst, um bei ihm wieder Dienste zu nehmen?«

»Nein, Madame. Als der König davon erfuhr, daß ich mich den Befehlen Eurer Majestät widersetzt habe, hat er mich ohne Erbarmen davongejagt.«

»Ah, wirklich?« fragte Katharina gespannt. »Nun gut also, ich werde mich um diese Angelegenheit kümmern. Wenn du jetzt aber auf Frau von Sauve wartest, wirst du vergeblich warten, denn sie ist bei mir unten beschäftigt, in meinem Arbeitszimmer!«

Katharina, die wohl dachte, daß Orthon noch nicht Zeit gehabt hätte, den Brief hinter den Spiegel zu stecken, ging in ein Nebenzimmer und ließ dem jungen Mann vollkommene Handlungsfreiheit.

Gleich darauf, als Orthon befürchtete, daß das unerwartete Eintreten der Königin-Mutter irgendeinen auf den König von Navarra beabsichtigten Anschlag zur Ursache hätte, hörte er, wie an der Decke des Zimmers dreimal kurz geklopft wurde. Das war das zwischen ihm und dem König schon früher einmal verabredete Zeichen, das er immer dann zu geben hatte, wenn sich sein Herr bei Frau von Sauve befand und irgendeine Gefahr im Anzuge war.

Die drei Schläge ließen ihn stutzen. Eine geheimnisvolle Offenbarung erleuchtete ihn plötzlich, und er glaubte, daß dieses Zeichen diesmal ihm selbst gelten müßte. Er lief daher zum Spiegel und nahm den Brief wieder an sich.

Katharina folgte durch einen Spalt des Vorhanges allen Bewegungen des Knaben. Sie sah auch, wie er auf den Spiegel zustürzte, doch konnte sie nicht unterscheiden, ob er den Brief dort verbarg oder ob er den verborgenen wieder an sich nahm.

»Warum zögert er fortzugehen?« murmelte die ungeduldige Florentinerin.

Und gleich trat sie wieder mit lächelnder Miene in das Schlafzimmer ein.

»Noch immer hier, kleiner Junge?« fragte sie. »Auf was wartest du denn noch? Sagte ich dir nicht schon, daß ich mich deines kleinen Glücks annehmen werde? Zweifelst du daran, wenn ich es dir verspreche?«

»Oh, Madame, Gott behüte mich davor!« erwiderte Orthon.

Der Knabe näherte sich der Königin, ließ sich auf ein Knie nieder, küßte den Saum ihres Kleides und entfernte sich rasch.

Im Vorzimmer sah er den Kapitän der Leibgarde, der auf die Königin wartete. Dieser Anblick war nicht geeignet, seinen früheren Verdacht zu beseitigen, sondern verdoppelte ihn nur.

Kaum hatte sich der Vorhang hinter Orthon geschlossen, als Katharina auch schon zum Spiegel eilte. Vergeblich ließ sie jedoch die zitternde Hand in den Zwischenraum gleiten, ungeduldig suchte sie, fand aber keinen Brief.

Sie hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie sich der Knabe zum Spiegel begeben hatte! So war das also geschehen, um den Brief wieder zurückzunehmen, nicht um ihn dort zu verstecken! Das Schicksal verlieh ihren Feinden ebenbürtige Kräfte! Ein Knabe ward im Kampfe mit ihr zum Mann!

»Oh, der Unglückliche!« rief sie. »Ich wollte ihm ja nichts zuleide tun und jetzt, da er den Brief wieder an sich genommen, geht er seinem Schicksal selbst entgegen! Holla, Herr von Nancey, holla!«

Der durchdringende Ruf der Königin-Mutter gelangte durch den Empfangsraum in das Vorzimmer und zu den Ohren des Kapitäns der Garde, der dort bereitstand.

Herr von Nancey eilte zur Königin.

»Hier bin ich, Madame,« sagte er, »was wünschen Eure Majestät?«

»Waren Sie im Vorzimmer?«

»Zu Befehl, Madame.«

»Haben Sie einen jungen Menschen hinausgehen sehen, einen Knaben?«

»Gerade vorhin!«

»Er kann wohl noch nicht weit sein?«

»Kaum in der Hälfte der Stiege.«

»Rufen Sie ihn zurück!«

»Wie heißt er?«

»Orthon. Wenn er sich weigern sollte, bringen Sie ihn mit Gewalt hierher! Erschrecken Sie ihn aber nicht, wenn er gleich Folge leisten will. Ich muß ihn sofort sprechen!«

Der Kapitän eilte davon.

Wie er es vorausgesehen, war Orthon kaum über die Hälfte der Treppe gekommen. Er war ganz langsam hinabgestiegen, weil er gehofft hatte, dem König von Navarra oder Frau von Sauve auf der Stiege zu begegnen oder in irgend einem Gange zu erblicken.

Jetzt hörte er, wie man ihn zurückrief, und fuhr zusammen. Sein erster Gedanke war, zu fliehen. Doch mit einer Überlegung, die über sein Alter hinausging, erkannte er, daß er durch eine Flucht vielleicht alles verderben könnte.

Er blieb demnach stehen.

»Wer ruft mich?«

»Ich, Herr von Nancey!« rief der Kapitän der Garde und hastete die Stufen herunter.

»Ich habe es aber sehr eilig!« sagte Orthon.

»Befehl von Ihrer Majestät der Königin-Mutter!« erklärte Herr von Nancey, als er den Knaben erreicht hatte.

Der wischte sich den Schweiß von der Stirne und stieg die Treppe wieder hinauf.

Der Kapitän folgte ihm.

Der erste Plan, den sich Katharina zurechtgelegt hatte, war, den jungen Menschen festnehmen zu lassen, dann eine Leibesuntersuchung anzuordnen und sich hierbei des Briefes zu bemächtigen, den er bei sich trug. Sie gedachte ihn eines Diebstahls zu bezichtigen und hatte bereits eine mit Diamanten besetzte Spange von ihrem Kleid entfernt. Die Unterschlagung wollte sie dem Knaben in die Schuhe schieben. Doch sie erwog, daß dieses Mittel gefährlich werden könnte. Der junge Mensch konnte Verdacht schöpfen, konnte seinen Herrn warnen, der dann infolge seines Mißtrauens keinen Angriffspunkt zu seiner Überführung bieten würde.

Zweifellos hätte sie den Knaben auch in irgendein Gefängnis abführen lassen können. Aber der Lärm bei der Festnahme, so heimlich diese auch erfolgt wäre, hätte im Louvre gehört und bekannt werden müssen, und schon ein einziges Wort über die Verhaftung hätte Heinrich vorsichtig gemacht.

Doch haben mußte sie den Brief, denn ein Schreiben von Herrn von Mouy an den König von Navarra, das noch dazu mit so großer Vorsicht zugestellt werden sollte, das mußte die ganze Verschwörung enthalten.

Sie steckte daher die Spange wieder an.

»Nein, nein,« sagte sie sich, »ein Häschergedanke, ein schlechter Gedanke! Doch wegen eines Briefes . . . der vielleicht nicht einmal dafürsteht!« Sie runzelte die Brauen und setzte ihr Selbstgespräch so leise fort, daß sie ihre eigenen Worte nicht hören konnte. »Eh, meiner Treu! Es ist nicht meine Schuld, es ist seine Schuld! Warum hat der kleine Strolch nicht den Brief dorthin getan, wohin er ihn auftragsgemäß zu verstecken hatte? Den Brief muß ich aber unbedingt haben!«

In dem Augenblick trat Orthon ein.

Der Gesichtsausdruck Katharinas mußte zweifellos furchtbar gewesen sein, denn der junge Mensch blieb erbleichend auf der Türschwelle stehen. Er war noch zu jung, um genügend Herr über sich selbst zu sein.

»Madame,« sagte er, »Sie haben mir die Ehre erwiesen, mich noch einmal rufen zu lassen, inwiefern kann ich Eurer Majestät dienlich sein?«

Das Antlitz Katharinas hellte sich auf, als ob Sonnenschein darüber gegangen wäre.

»Ich habe dich rufen lassen, Kind,« sagte sie, »weil mir dein Gesicht gefällt und da ich dir das Versprechen gegeben habe, mich um dein Glück zu kümmern, will ich es gleich und ohne Verzögerung tun. Man beschuldigt uns Königinnen, leicht vergeßlich zu sein. Aber nicht unser Herz ist es, unser Geist vergißt, weil ihn andere Ereignisse zu sehr in Anspruch nehmen. Nun habe ich mich aber daran erinnert, daß die Könige das Glück der Menschen in ihren Händen halten und habe dich darum rufen lassen. Komm, mein Kind, folge mir!«

Herr von Nancey, der diese Worte ernst nahm, war über die Zärtlichkeit Katharinas nicht wenig erstaunt.

»Hast du schon ein Pferd bestiegen, Kleiner?«

»Jawohl, Madame!«

»Dann komm in mein Arbeitszimmer, ich werde dir eine Botschaft übergeben, die du nach Saint-Germain bringen sollst.«

»Ich stehe Eurer Majestät zu Diensten.«

»Lassen Sie ihm ein Pferd satteln, Nancey!«

Herr von Nancey verschwand.

»Gehen wir, Kind!« sagte Katharina.

Sie ging voran und Orthon folgte.

Die Königin-Mutter ging in das untere Stockwerk, schritt dann durch den Gang, von dem man in die Wohnung des Königs und des Herzogs von Alençon kam, und erreichte die Wendeltreppe. Sie stieg auf dieser noch ein Stockwerk hinab und öffnete dann eine Tür, die in eine kreisrunde Galerie führte. Zu dieser hatte nur sie und der König einen Schlüssel. Die Galerie umgab wie ein Bollwerk gewisse Teile der Wohnungen des Königs und der Königin-Mutter. Diese Räumlichkeit glich der Galerie der Engelsburg in Rom oder der Galerie des Palastes Pitti in Florenz und war ein gut angebrachter Zufluchtsort im Falle einer Gefahr. Katharina ließ Orthon eintreten, folgte ihm und verschloß die Tür hinter sich.

Nun war die Königin mit dem jungen Menschen in dem finsteren Gang eingeschlossen. Beide machten etwa zwanzig Schritte nach vorwärts, Katharina ging jetzt voran und Orthon folgte ihr nach.

Plötzlich kehrte sie sich um und nun konnte Orthon wieder in ihrem Gesicht den düsteren Ausdruck bemerken, den er zehn Minuten vorher beobachtet hatte. Ihre Augen, rund, wie die einer Katze oder eines Panthers, schleuderten förmlich Blitze durch die Finsternis.

»Bleib stehen!« befahl sie.

Orthon fühlte, wie ein Schauer über seine Schultern lief. Eine tödliche Kälte fiel wie ein eisiger Mantel von dem Gewölbe herab. Der Boden schien kalt und glatt wie ein Grabstein zu sein, und der Blick Katharinas war nadelspitz und durchbohrte förmlich die Brust des jungen Menschen.

Er wich zurück und lehnte sich zitternd an die Mauer.

»Wo ist der Brief, den du dem König von Navarra zu überbringen hattest?«

»Der Brief?« stammelte Orthon.

»Ja, in seiner Abwesenheit war er hinter dem Spiegel zu verbergen?«

»Ich, Madame . . . ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen?«

»Der Brief, den dir Mouy übergeben hat, vor einer Stunde, hinter dem Garten der Armbrustschützen?«

»Ich habe keinen Brief,« sagte Orthon, »Eure Majestät irren sich bestimmt.«

»Du lügst!« rief Katharina. »Gib mir den Brief und ich werde das Versprechen halten, das ich dir gegeben habe.«

»Welches, Madame?«

»Ich werde dich reich machen.«

»Ich habe keinen Brief, Madame!« stammelte wieder das Kind.

»Zweitausend Goldtaler!«

»Unmöglich! Da ich ihn nicht habe, kann ich ihn Ihnen nicht geben.«

»Zehntausend Goldtaler, Orthon!«

Der Knabe, der jetzt den Zorn wie eine Flut aus dem Herzen zur Stirn der Königin hinaufsteigen sah, erfaßte, daß es nur ein einziges Mittel zur Rettung seines Herrn geben konnte: er mußte das Papier verschlucken. Er griff mit der Hand zur Tasche, aber Katharina erriet seinen Gedanken und hielt die Hand auf.

»Also, Kind,« sagte sie lachend, »du bist treu! Wenn Könige einen Diener an sich ketten wollen, ist es ihnen erlaubt, sich von ihrer treuen Ergebenheit zu überzeugen. Ich weiß jetzt, was ich von dir zu halten habe. Hier hast du meine Börse, als erste Belohnung. Bringe deinem Herrn den Brief und melde ihm, daß du von heute ab in meinen Diensten stehst. Geh jetzt, du kannst auch ohne mich durch die Tür gehen, durch die wir gekommen sind, sie öffnet sich von innen.«

Und Katharina legte die Börse in die Hand des erstaunten Knaben, machte dann ein paar Schritte nach vorwärts und legte eine Hand an die Mauer.

Mittlerweile blieb Orthon zögernd stehen, er konnte nicht glauben, daß die Gefahr, die er schon drohend über seinem Kopfe gefühlt, jetzt plötzlich verschwunden wäre.

»So zittere doch nicht,« sagte Katharina, »sagte ich dir denn nicht, daß du nun frei bist und gehen kannst und daß, wenn du zurückkehren wolltest, dein Glück so gut wie gemacht ist?«

»Ich danke, Madame,« sagte Orthon. »Sie gewähren mir also Gnade?«

»Mehr noch, ich belohne dich auch! Du bist ein guter Liebesbriefträger, ein netter Bote für Liebende, nur vergißt du, daß dich dein Herr erwartet!«

»Ach, das ist wahr!« rief der junge Mensch und eilte auf die Tür zu.

Doch kaum hatte er drei Schritte gemacht, als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor. Er stolperte, warf beide Hände in die Luft, stieß einen fürchterlichen Schrei aus und verschwand in einem Abgrund, einem Verlies des Louvre, dessen federnde Riegel Katharina eben zurückgeschoben hatte.

»Dank der Hartnäckigkeit dieses Tölpels kann ich jetzt hundertfünfzig Stufen hinabsteigen!« murmelte Katharina.

Sie begab sich in ihre Wohnung zurück, zündete dort eine abgeblendete Laterne an und eilte wieder in den Gang. Hier schob sie die Riegel an ihre richtige Stelle und öffnete dann eine Kellertür. Eine steil gewundene Treppe schien sich von diesem Eingang bis in das Innere der Erde hinabzusenken. Von unstillbarer Neugierde und Wissensdurst, den Folgeerscheinungen ihres Hasses, geplagt, eilte sie die Stufen hinunter und kam an eine Eisentür, die sich nach innen öffnete und durch die man zum Grund des Verlieses gelangte.

Auf diesem Grunde lag blutend, mit zerbrochenen Gliedern, zerschmettert nach dem Sturz aus einer Höhe von hundert Fuß, noch zuckend, der Körper des armen Orthon.

Hinter der dicken Mauer hörte man das Rauschen und Rollen der Seine, deren unterirdisch ablaufendes Sickerwasser die letzten Treppenstufen bespülte.

Katharina betrat das feuchte, übelriechende Loch, das seit seinem Bestand wohl oftmals Zeuge ähnlicher furchtbarer Abstürze gewesen sein dürfte. Sie durchsuchte den Körper des Unglücklichen, fand den Brief und überzeugte sich, ob es der richtige und gewünschte wäre. Dann stieß sie die Leiche mit dem Fuß zurück und drückte mit dem Daumen an eine Feder. Der Grund des Kerkerloches schwankte, neigte sich, der Leichnam rutschte durch sein eigenes Gewicht in Bewegung versetzt in die Tiefe und verschwand in der Richtung des Flußwassers.

Dann verschloß die Königin-Mutter wieder die Tür und stieg die Treppe hinauf, um sich sogleich in ihr Arbeitszimmer zu begeben. Sie schloß sich ein und las den Brief, der aus folgenden Worten bestand: »Heute abend zehn Uhr, Straße von Arbre-Sec, Gasthof ›Zum schönen Sternbild‹. Kommen Sie, dann antworten Sie nichts. Kommen Sie nicht, dann sagen Sie dem Überbringer nichts als ›Nein!‹«

Mouy von Saint-Phale.

Bloß ein Lächeln huschte über Katharinas Lippen bei Lesung dieser Nachricht. Sie dachte nur an den Sieg, den sie sich erzwingen wollte, vergaß ganz, um welchen Preis sie diesen Sieg davontragen sollte.

Was war denn auch dieser Orthon? Ein treues Herz, eine ergebene Seele, ein junger hübscher Knabe . . . das war alles!

Dergleichen war nach richtiger Beurteilung auch nicht einen Augenblick lang so von Bedeutung, daß es die Schale jener unerbittlichen Wage hätte zum Sinken bringen können, auf der die Schicksale der Königreiche gewogen werden.

Nachdem sie den Brief gelesen, kehrte Katharina unverzüglich zu Frau von Sauve zurück und versteckte ihn wieder hinter den Spiegel.

In ihrem Vorzimmer traf sie den Kapitän der Garde an.

»Madame,« meldete dieser, »befehlsgemäß steht das gesattelte Pferd bereit.«

»Mein lieber Baron,« erwiderte Katharina, »das Pferd ist nicht mehr nötig. Ich habe den Burschen veranlaßt, zu sprechen, aber er ist wahrhaftig zu einfältig, als daß ich ihm den beabsichtigten Auftrag anvertrauen könnte. Auch habe ich ihn für einen Leibpagen gehalten, doch ist er höchstens ein Stallknecht. Er bekam etwas Geld und ist durch die kleine Pforte weggeschickt worden.«

»Aber der Auftrag, Madame?« fragte Nancey.

»Ja, der Auftrag?« wiederholte Katharina.

»Er hatte etwas nach Saint-Germain zu bringen. Wollen Eure Majestät, daß ich selbst oder daß einer meiner Leute den Auftrag besorgt?«

»Nein, nein,« sagte Katharina, »Sie und Ihre Mannschaft werden heute abend noch etwas ganz anderes zu tun bekommen.«

Und damit kehrte Katharina in ihre Gemächer zurück und hoffte, am kommenden Abend das Schicksal des verfluchten Königs von Navarra endlich fest in ihren Händen halten zu können.

 


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