Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Actäon

Als Karl allein geblieben war, wunderte er sich darüber, daß während der ganzen Zeit nicht einer oder der andere seiner zwei Getreuen erschienen war. Diese zwei Getreuen waren seine Amme Madeleine und sein Jagdhund Actäon.

»Die Amme wird wohl bei einem Hugenotten ihrer Bekanntschaft ihre Psalmen absingen,« sagte er sich, »und Actäon wird noch trotzen, weil ich ihm heute früh den Peitschenhieb verabreicht habe.«

Karl nahm eine Kerze und ging zu der braven Frau hinüber, doch diese war wirklich nicht zu Hause. Eine Tür in der Wohnung Madeleines führte bekanntlich in den Waffensaal. Karl ging auf diese Tür zu.

Doch schon bei den ersten Schritten packte ihn wieder, wie schon früher, ein Anfall, der augenscheinlich immer ganz plötzlich einzutreten pflegte. Der König litt, als ob man mit einem glühenden Eisen in seinen Eingeweiden herumrührte. Unstillbarer Durst verzehrte ihn, er sah eine Schale voll Milch auf einem Tische stehen und leerte sie mit einem Zuge. Darauf beruhigten sich die Schmerzen ein wenig.

Er nahm wieder die Kerze, die er auf einen Stuhl gestellt hatte, und trat in den Waffensaal ein.

Zu seinem großen Erstaunen kam ihm Actäon nicht entgegen. Hatte man ihn eingesperrt? In dem Falle würde er aber sofort gemerkt haben, daß sein Herr von der Jagd zurückgekommen sei, und würde sicherlich heulen.

Karl rief, pfiff, doch der Hund erschien nicht.

Er machte noch vier Schritte nach vorwärts und, da jetzt das Kerzenlicht bis in eine Ecke des Zimmers drang, bemerkte er, daß in dem Winkel eine dunkle, leblose Masse auf dem Fußboden lag.

»Hallo, Actäon, hallo!« rief der König.

Er pfiff abermals.

Der Hund rührte sich nicht.

Da lief Karl zu ihm hin und berührte ihn. Das arme Tier war kalt und steif. Aus seinem vor Schmerz krampfhaft geschlossenem Maule waren ein paar gallige Tropfen auf den Boden gefallen und hatten sich mit blutigem, schaumigem Geifer vermischt. Der Hund hatte ein Barett seines Herrn gefunden und hatte seinen Kopf darauf gelegt, er wollte offenbar auf dem Gegenstand sterben, der ihm seinen Freund vorstellte.

Bei diesem Anblick vergaß Karl die eigenen Schmerzen, er ermannte sich plötzlich, und die Wut kochte in seinen Adern. Er wollte schreien. Doch trotz ihrer Macht sind Könige gefesselte Menschen, sie dürfen ihrer ersten Regung nicht nachgeben, sie sind hierin nicht frei wie alle andern Sterblichen, die sich zugunsten ihrer Tatlust oder Verteidigung die Zügel schießen lassen dürfen. Karl überlegte und erkannte, daß hier eine Missetat begangen worden sein mußte. Darum schwieg er.

Dann kniete er sich zu seinem Hund nieder und untersuchte mit kundigem Auge dessen Körper. Das Auge des Tieres war auffallend glasig, die Zunge war entzündet und von Eiterblattern übersät. Diese Erkrankung war gewiß merkwürdig, der König schauderte.

Karl zog hierauf die Handschuhe wieder an, die er abgenommen und in den Gürtel gesteckt hatte, und hob jetzt die farblose Lefze des Hundes in die Höhe, um die Zähne zu untersuchen. Er fand in ihren Zwischenräumen weißliche Faserteilchen, die sich an den Spitzen der Eckzähne verankert hatten.

Er löste sie aus den Zähnen und erkannte, daß sie Papierreste waren.

An den Stellen, an denen das Papier angeklebt war, war die Entzündung stärker, das Zahnfleisch war angeschwollen, und die Schleimhaut wie von Vitriol zerfressen.

Der König sah aufmerksam im Zimmer umher. Auf dem Teppich lagen noch einige Stückchen Papiers, das anscheinend von gleicher Herkunft war, als das im Maul des Hundes vorgefundene. Auf einem Stückchen, das breiter war als die anderen, waren die Spuren eines Holzschnittes zu bemerken.

Dem König standen fast die Haare zu Berge, als er einen Teil jenes Bildes erkannte, das Actäon aus dem Jagdbuch herausgerissen hatte, und auf dem ein Herr auf der Falkenbeize dargestellt war.

»Ah,« sagte er erbleichend, »das Buch war vergiftet!«

Dann rief er sich alles ins Gedächtnis zurück.

»Tausend Höllengeister!« schrie er auf. »Jede Seite des Buches habe ich mit meinem Finger berührt und immer dann den Finger zum Mund geführt, um ihn zu befeuchten! Die Ohnmachtsanfälle, die Schmerzen, das Erbrechen . . . ich bin dem Tode geweiht!«

Unter dem Eindruck dieser schrecklichen Entdeckung verharrte Karl einen Augenblick lang in vollkommener Unbeweglichkeit. Dann raffte er sich auf, stöhnte dumpf und stürzte auf die Tür los, die in sein Zimmer führte.

»Meister René!« rief er. »Meister René, der Florentiner! Man laufe sofort zur Brücke Saint-Michel und bringe mir ihn her! In zehn Minuten muß er hier sein! Einer von euch soll sich ein Pferd nehmen und ein Handpferd mitführen, damit er früher zurück ist. Den Meister Ambrosius Paré hingegen, bitte ich warten zu lassen, falls er kommen sollte.«

Ein Gardesoldat lief davon, um den Befehl durchzuführen.

»Oh!« murmelte Karl, »und sollte ich die ganze Welt foltern lassen müssen, ich werde erfahren, wer Henriot dieses Buch gegeben hat!«

Mit nasser Stirne und verkrümmten Fingern, mit schweratmender Brust starrte Karl auf den reglosen Körper seines Hundes.

Zehn Minuten später klopfte der Florentiner bescheiden und nicht ohne eine gewisse Unruhe an die Tür des Königs. Es gibt manche Gewissen, für die der Himmel nie rein ist.

»Herein!« sagte der König.

Der Gewürzkrämer erschien. Mit befehlender Miene und verzogenen Lippen schritt Karl auf ihn zu.

»Eure Majestät haben mich rufen lassen,« sagte René zitternd.

»Sie sind ein geschickter Chemiker, nicht wahr?«

»Sire . . .«

»Und Sie verstehen sich auf alles, was die geschicktesten Ärzte wissen?«

»Eure Majestät übertreiben.«

»Nein, meine Mutter sagte es mir. Übrigens, ich habe Vertrauen zu Ihnen und ich möchte Sie lieber um Rat fragen, als jeden anderen. Da sehen Sie einmal hierher,« fügte Karl bei und hob eine Decke vom Körper des Hundes weg, »und untersuchen Sie, bitte, was das Tier zwischen den Zähnen hat. Sagen Sie mir nachher, woran das Tier zugrundegegangen ist.«

Während sich René mit der Kerze in der Hand zur Erde niederbeugte, teils, um seine Aufregung zu verheimlichen, teils, um dem Befehle des Königs nachzukommen, stand Karl aufrecht daneben, hatte die Augen auf den Mann gerichtet und wartete mit begreiflicher Ungeduld auf den Befund, der zugleich sein Todesurteil oder die Sicherheit auf Gesundung enthalten sollte.

René zog eine Art Zergliederungsmesser aus seiner Tasche, öffnete es und löste mit dessen Spitze die kleinen Papierteilchen aus dem Maule des Hundes, wo sie sich an das Zahnfleisch geklebt hatten. Mit Aufmerksamkeit betrachtete er lange Zeit das vom Gift zersetzte Blut, das an den entzündeten Stellen austrat.

»Sire,« sagte er bebend, »das sind wohl sehr traurige Anzeichen.«

Karl fühlte, wie ihm ein eisiger Schauer durch die Adern lief und bis an sein Herz drang.

»Ja,« sagte er, »der Hund ist vergiftet, nicht wahr?«

»Ich befürchte es, Sire.«

»Durch welche Art von Gift?«

»Mit einem mineralischen Gift, wie ich annehmen muß.«

»Könnten Sie sich die Gewißheit verschaffen, daß er vergiftet worden ist?«

»Ja, zweifellos! Ich brauche ihn nur zu öffnen und den Magen zu untersuchen.«

»Öffnen Sie ihn, ich will es klipp und klar wissen.«

»Man müßte jemand rufen, um mir zu helfen.«

»Ich werde Ihnen selbst helfen!« erklärte Karl.

»Sie, Sire?«

»Jawohl, ich! Und wenn er vergiftet worden ist, was für Anzeichen werden wir finden?«

»Gerötete Stellen im Magen, ebenso die sogenannte Herborisation.«

»Vorwärts,« rief Karl, »an die Arbeit!«

Mit einem Schnitt seines Messers öffnete René die Brust des Hundes und hielt die Schnitthälften mit beiden Händen kräftig auseinander, während Karl mit einem Knie auf der Erde, zitternd und mit krampfhaft geschlossener Faust, den Kerzenleuchter hielt.

»Sehen Sie, Sire,« erläuterte René, »hier sind schon sichtbare Spuren. Diese roten Stellen sind die, die ich Ihnen angekündigt habe, während die mit Blut überfüllten Adern, die die Form von Pflanzenwurzeln angenommen haben, sich im Zustande der von mir früher genannten Herborisation befinden. Ich finde hier alles, was ich gesucht habe.«

»Daher ist also der Hund vergiftet worden?«

»Ja, Sire.«

»Mit einem Mineralgift?«

»Aller Wahrscheinlichkeit nach.«

»Und was würde, ein Mensch empfinden, der aus Versehen das gleiche Gift eingenommen hätte?«

»Heftigen Kopfschmerz, dann ein Brennen im Magen, als ob er glühende Kohlen verschluckt hätte, Schmerzen in den Eingeweiden und Erbrechen.«

»Und hätte er Durst?«

»Einen nicht zu stillenden Durst!«

»So ist es, so ist es!« murmelte der König.

»Sire, ich suche vergeblich den Zweck dieser Fragen.«

»Warum denn suchen wollen? Sie brauchen das nicht zu wissen! Antworten Sie auf meine Fragen, das ist alles!«

»Wollen Eure Majestät mich nur fragen!«

»Was für ein Gegengift gäbe es für einen Menschen, der die gleiche Menge von dem Gift genossen hätte, als mein Hund?«

René überlegte einen Augenblick.

»Es gibt mehrere mineralische Gifte,« sagte er endlich, »und ich würde, bevor ich mich äußere, gerne wissen, um welches es sich hier handelt. Haben Eure Majestät irgendeine Ahnung, auf welche Art der Hund vergiftet worden sein kann?«

»Ja, er hat das Blatt eines Buches gekaut.«

»Das Blatt eines Buches?«

»Ja.«

»Und haben Eure Majestät dieses Buch?«

»Hier ist es!« sagte Karl und nahm die Jagdschrift von dem Platz, auf den er sie am Morgen hingelegt hatte.

René machte ein Zeichen der Überraschung, das Karl nicht entging.

»Er hat ein Blatt dieses Buches gekaut?« stammelte er.

»Dieses Blatt!« Karl zeigte René die Stelle, an der das Blatt herausgerissen worden war.

»Erlauben Sie, daß ich noch ein anderes Blatt herausreiße, Sire?«

»Ja.«

René entnahm dem Buch ein Blatt und hielt es an die Kerzenflamme. Das Papier fing Feuer, und ein starker lauchartiger Geruch verbreitete sich sofort im Raume.

»Das Buch ist mit einer Arsenikmischung vergiftet worden,« sagte der Florentiner.

»Sind Sie dessen sicher?«

»So sicher, als ob ich das Buch selbst behandelt hätte.«

»Und das Gegengift?«

René senkte sein Haupt.

»Wie?« fragte Karl mit heiserer Stimme. »Sie kennen kein Heilmittel?«

»Das beste und wirksamste wäre Eierklar, das in Milch geschlagen wird, aber . . .«

»Aber? . . . was?«

»Aber es müßte sofort verabreicht werden, denn sonst . . .«

»Sonst?«

»Sire, dieses Gift ist fürchterlich,« sagte René nochmals.

»Es tötet immerhin nicht sofort,« sagte Karl.

»Nein, aber es tötet unfehlbar, der Zeitpunkt des Sterbens will in diesem Fall nicht viel sagen, und ist auch nur eine recht unsichere Annahme.«

Karl stützte sich auf einen Marmortisch.

»Jetzt aber,« Karl legte eine Hand auf die Schulter Renés, »kennen Sie dieses Buch?«

»Ich, Sire?« rief der Florentiner erbleichend.

»Ja, Sie! Denn beim Anblick des Buches haben Sie sich verraten.«

»Sire, ich schwöre Ihnen . . .«

»René, hören Sie mich gut an,« sagte Karl, »Sie haben die Königin von Navarra mit Handschuhen vergiftet, Sie haben den Prinzen von Porcian mit einer qualmenden Lampe vergiftet, Sie haben den Herrn von Condé mit einem wohlriechenden Apfel zu vergiften versucht! René, ich lasse Ihnen die Haut, Lappen für Lappen, mit einer glühenden Zange herunterreißen, wenn Sie mir nicht sagen, wem dieses Buch gehört.«

Der Florentiner sah ein, daß mit dem Zorn Karls des Neunten nicht zu spaßen war, und beschloß, sich durch Kühnheit zu behaupten.

»Und wenn ich die Wahrheit sage, Sire, wer steht mir dafür ein, daß ich dann nicht noch empfindlicher gestraft werde, als wenn ich mich in Schweigen hülle?«

»Ich!«

»Geben Sie mir Ihr königliches Ehrenwort, Sire?«

»Bei der Ehre eines Edelmannes, Sie werden heil am Leben bleiben,« sagte der König.

»Unter solchen Umständen also: ja, dieses Buch gehört mir!«

»Ihnen selbst?« staunte Karl, wich einen Schritt zurück und betrachtete den Giftmischer mit wirren Blicken.

»Ja, mir!«

»Und wie kam es Ihnen aus den Händen?«

»Ihre Majestät, die Königin-Mutter hat es mir genommen.«

»Die Königin-Mutter!« rief Karl aus.

»Ja!«

»Aber zu welchem Zweck?«

»Zu dem Zweck, glaube ich, es dem König von Navarra zu übermitteln, der den Herzog von Alençon ersucht hatte, ihm ein Buch dieser Art zu leihen, um die Beizjagd durchnehmen zu können.«

»Oh, das ist es also!« rief Karl. »Jetzt weiß ich alles! Dieses Buch war tatsächlich bei Henriot gewesen, es gibt eine Vorsehung und ich bin ihr Opfer!«

In diesem Augenblick wurde Karl von einem trockenen, heftigen Husten befallen, ihm folgten auch wieder Schmerzen in den Eingeweiden. Er stieß zwei oder drei erstickte Rufe aus und fiel auf einen Stuhl nieder.

»Was fehlt Ihnen, Sire?« fragte René mit erschrockener Stimme.

»Nichts,« erwiderte Karl, »nur Durst habe ich, geben Sie mir zu trinken!«

René füllte ein Glas mit Wasser, reichte es mit zitternder Hand dem König, und Karl trank es mit einem einzigen Zuge aus.

»Jetzt,« sagte Karl, nahm eine Feder in die Hand und tauchte sie in die Tinte, »schreiben Sie hier auf dieses Buch!«

»Was soll ich schreiben?«

»Das was ich Ihnen vorsagen werde: Dieses Handbuch der Beizjagd habe ich persönlich der Königin-Mutter Katharina von Medici übergeben.«

René nahm die Feder und schrieb.

»Und nun unterfertigen Sie!«

Der Florentiner setzte seinen Namen darunter.

»Sie haben mir mein Leben versprochen, Sire!« sagte der Gewürzkrämer.

»Und ich werde auch mein Wort halten.«

»Ja, aber die Königin-Mutter?«

»Oh,« sagte Karl, »die Königin-Mutter geht mich in dieser Beziehung nichts an! Wenn man Sie angreift, so verteidigen Sie sich nur!«

»Sire, kann ich Frankreich verlassen, wenn ich mein Leben für gefährdet erachte?«

»Das werde ich Ihnen in fünfzehn Tagen sagen.«

»Doch unterdessen . . .«

Karl legte stirnrunzelnd einen Finger auf seine farblosen Lippen.

»Oh, in der Richtung können Sie beruhigt sein, Sire!«

Und glücklich, so leichten Kaufes losgekommen zu sein, verbeugte sich der Florentiner und ging aus dem Zimmer.

Hinter ihm erschien die Amme auf der Türschwelle.

»Was gibt es denn, mein Charlot?« fragte sie.

»Amme, gar nichts anderes ist geschehen, als daß ich im feuchten Gras herumgegangen bin und daß mir das nicht wohlgetan hat.«

»Du bist tatsächlich blaß, mein Charlot!«

»Weil ich mich auch sehr schwach fühle. Gib mir deinen Arm, Amme, damit ich bis an mein Bett komme.«

Die Amme eilte rasch herbei. Karl stützte sich auf sie und ging in sein Schlafzimmer.

»Jetzt will ich mich ganz allein zu Bett begeben.«

»Und wenn Meister Ambrosius Paré kommt?«

»Du wirst ihm sagen, daß ich mich schon wohler fühle und ihn nicht mehr brauche.«

»Wirst du aber mittlerweile nichts einnehmen?«

»Oh, ein recht einfaches Heilmittel,« sagte der König. »Eierklar in Milch geschlagen! Bei dieser Gelegenheit, Amme,« fügte er bei, »Actäon ist tot. Man muß ihn morgen früh in einer Gartenecke des Louvre begraben lassen. Er war einer meiner besten Freunde . . . ich werde ihm einen Grabstein errichten lassen . . . wenn ich noch Zeit dazu habe . . .«

 


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