Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Kapelle

Der traurige Zug bewegte sich in größter Stille über die zwei Zugbrücken des Festungsgürtels und kam dann durch den großen Schloßhof zur Kapelle, deren Glasfenster durch ein mattes Licht erleuchtet waren. Auf diesen waren die fahlen Gestalten der zwölf Apostel in roten Gewändern zu sehen.

Gierig sog Coconas die Nachtluft ein, obgleich sie feucht und regengeschwängert war. Er stellte die tiefe Dunkelheit der Nacht fest und beglückwünschte sich, weil alle diese Umstände für seine und seines Freundes Flucht nur günstig sein mußten.

Er mußte seine ganze Willenskraft, seine Klugheit und Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht von der Tragbahre herabzuspringen, als sie in die Kapelle getragen wurde. Denn im Chor, drei Schritte weit vom Altar, sah er einen in einen weißen Mantel gehüllten Körper auf dem Boden liegen.

Es war La Mole.

Die zwei Soldaten, die die Tragbahre begleitet hatten, waren draußen bei der Kapellentür stehen geblieben.

»Da man uns diese letzte Gunst erweist und uns nochmals vereint,« sagte Coconas mit scheinbar ersterbender Stimme, »so tragen Sie mich zu meinem Freund hin.«

Die Träger hatten keinen Befehl, der diesem Wunsche zuwiderlief, machten daher keine weiteren Schwierigkeiten und entsprachen Coconas Verlangen.

La Mole sah düster und blaß aus, er hatte seinen Kopf an eine Marmorwand der Kapelle gelehnt. Sein schweißbedecktes Antlitz war von der matten Glanzfarbe des Elfenbeins, sein schwarzes, gleichfalls vom Schweiß durchtränktes Haar war aufgerichtet und es sah so aus, als ob es sich vor Schrecken gesträubt hätte und nun in dieser Lage verblieben wäre.

Auf ein Zeichen des Beschließers entfernten sich die zwei Gehilfen, um den von Coconas verlangten Priester zu holen.

Das war das vereinbarte Zeichen.

Coconas folgte ihnen mit ängstlichen Blicken. Aber er war nicht der einzige in der Kapelle, dessen Augen so lebhaft auf die davongehenden Gehilfen gerichtet waren. Kaum waren sie verschwunden, als zwei Frauen aus einem Versteck hinter dem Altar hervorstürzten. Wie der heiße Wind, der vor einem Gewitter über das Land zu rauschen pflegt, so ging auch den beiden ein freudiges Seufzen und Beben voraus, als sie sich in das Chor begaben.

Margarete stürzte auf La Mole zu und nahm ihn in ihre Arme.

La Mole stieß aber einen fürchterlichen Schrei aus, einen jener Schreie, wie ihn auch schon Coconas in seinem Verlies gehört hatte, worüber er fast ein Narr geworden wäre.

»Ach, mein Gott! Was soll das, La Mole?« rief Margarete und wich erschrocken zurück.

La Mole stöhnte aus tiefster Brust auf und dann führte er seine Hände an die Augen, als ob er Margarete nicht sehen könnte.

Über das Schweigen und über diese Handbewegung war Margarete entsetzter noch als über den Schmerzensschrei, den La Mole ausgestoßen hatte.

»Oh,« schrie sie auf, »was fehlt dir? Du liegst ja im Blut?«

Coconas, der zum Altar geeilt, der den Dolch an sich genommen hatte und Henriette umschlungen hielt, kehrte sich um.

»Steh doch auf!« bat Margarete. »Steh auf, ich flehe dich an, du siehst doch, daß der Augenblick gekommen ist!«

Ein schrecklich trauriges Lächeln lief über die farblosen Lippen La Moles, die so aussahen, als ob sie nie mehr lächeln sollten.

»Liebe Königin,« sagte der junge Mann, »Sie haben nicht mit Katharina gerechnet und darum auch mit keinem Verbrechen. Ich habe eine Folterung über mich ergehen lassen müssen, meine Knochen sind gebrochen, mein ganzer Körper ist nur eine einzige Wunde, und wenn ich mich jetzt in diesem Augenblick aufrichte, um meine Lippen an Ihre Stirne zu legen, quälen mich Schmerzen, die ärger sind als der Tod.«

Erbleichend und mit großer Anstrengung legte La Mole jetzt wirklich seine Lippen an die Stirne der Königin.

»Die Folter!« rief Coconas, »aber auch ich bin doch ihr Opfer gewesen! Hat denn der Henker dir nicht den gleichen Liebesdienst erwiesen wie mir?«

Und nun berichtete Coconas.

»Ah!« seufzte La Mole, »das ist verständlich: du hast ihm am Tage unseres Besuches die Hand gereicht, ich hatte aber vergessen, daß alle Männer Brüder sind, ich spielte den Hochmütigen. Gott straft meinen Stolz . . . mein Gott, ich danke dir!«

La Mole faltete die Hände.

Coconas und die beiden Frauen wechselten Blicke unbeschreiblichen Entsetzens.

»Vorwärts, vorwärts!« rief jetzt der Gefangenaufseher, der an der Tür Wache gehalten hatte und zurückkam. »Vorwärts, verlieren Sie keine Zeit, lieber Herr von Coconas! Geben Sie mir meinen Dolchstoß und besorgen Sie das als wahrer Edelmann, denn sie werden bald kommen!«

Margarete hatte sich neben La Mole niedergekniet. Sie glich so einer Marmorstatue, wie man sie über Grabstätten gebeugt sieht, neben dem Bildnis dessen, der darin eingeschlossen ist.

»Gehen wir, Freund,« sagte Coconas. »Mut! ich bin stark, ich werde dich tragen, ich werde dich auf dein Pferd heben, ich werde dich sogar vor mich hinsetzen, wenn du dich nicht allein im Sattel erhalten kannst! Aber gehen wir, gehen wir, du hörst ja wohl, was uns der brave Mann da sagt, es handelt sich um unser Leben!«

La Mole machte eine übermenschliche, eine erhabene Anstrengung.

»Es ist wahr,« flüsterte er, »es handelt sich um dein Leben!«

Er machte den Versuch sich aufzurichten.

Hannibal faßte ihn unter den Armen und stellte ihn auf die Füße. Während dieser Bewegung hatte La Mole nur etwas, wie ein dumpfes Murren hören lassen. In dem Augenblick aber, als Coconas ihn ausließ, um sich zum Gefangenaufseher zu begeben, als der Leidende nur mehr durch die Arme der beiden Frauen gestützt wurde, gaben seine Füße nach und trotz der Bemühungen der weinenden Margarete, fiel er wie ein Sack in sich zusammen. Der herzzerreißende Schrei, den er nicht mehr unterdrücken konnte, fand in der Kapelle einen schauerlichen Widerhall, der noch lange Zeit im Gewölbe nachzitterte.

»Sehen Sie,« sagte La Mole jetzt im Ton bitterer Herzensnot, »sehen Sie, meine Königin! Lassen Sie mich daher hier liegen, verlassen Sie mich mit einem letzten Lebewohl von Ihren Lippen. Ich habe nichts ausgesagt, Margarete, Ihr Geheimnis bleibt also durch meine Liebe geschützt und es wird auch mit mir zu Grabe gehen. Adieu, meine Königin, adieu . . .«

Fast selbst schon leblos vor Schmerz, umfaßte Margarete mit beiden Armen den schönen Kopf des jungen Mannes und drückte einen beinahe gottesfürchtigen Kuß auf dessen Stirne.

»Du, Hannibal,« sagte La Mole, »du, dem die Schmerzen erspart geblieben sind, du, der du noch jung bist und leben kannst, fliehe, fliehe, mein Freund, schaff mir diesen letzten Trost, daß ich dich in Sicherheit und in Freiheit weiß.«

»Die Zeit vergeht,« rief der Aufseher, »vorwärts, sputen Sie sich!«

Henriette versuchte, Hannibal sanft hinauszudrängen, während Margarete, vor La Mole auf den Knien, mit aufgelöstem Haar und mit nassen Augen der büßenden Magdalena glich.

»Flieh, Hannibal,« ermahnte La Mole abermals den Freund, »flieh! Gib unseren Feinden nicht die Gelegenheit des erfreulichen Schauspieles, zwei Unschuldige sterben zu sehen.«

Coconas schob zärtlich Henriette zurück, die ihn gegen die Tür ziehen wollte. Dann sagte er mit einer Gebärde, die so feierlich war, daß man sie auch majestätisch hätte nennen können: »Madame, geben Sie diesem Mann vorerst die fünfhundert Taler, die wir ihm versprochen haben.«

»Hier sind sie!« sagte Henriette.

Hierauf wendete sich der Freund zu La Mole hin, ließ seinen Kopf traurig auf die Brust sinken und sagte: »Was dich nun betrifft, mein guter La Mole, so tust du mir bitter Unrecht, wenn du nur einen Augenblick lang glaubst, daß ich dich verlassen könnte. Habe ich nicht geschworen, mit dir zu leben und mit dir zu sterben? Aber du leidest so sehr, mein armer Freund, und darum verzeihe ich dir.«

Und er legte sich entschlossen neben seinen Freund nieder, beugte seinen Kopf über ihn und hauchte einen Kuß auf seine Stirne.

Dann zog er leise, ganz leise, wie es eine Mutter mit ihrem Kind tun würde, den Kopf seines Freundes so an sich, daß er an der Mauer abglitt und schließlich auf seiner Brust zu liegen kam.

Margarete blickte düster vor sich hin. Sie hatte den Dolch aufgehoben, der Coconas aus der Hand gefallen war.

»O meine Königin, sagte La Mole, der ihren Gedanken erraten hatte und jetzt beide Hände gegen sie streckte, »o meine Königin, vergessen Sie nicht, daß ich sterbe, um damit jeden Verdacht, der auf unsere Liebe fallen könnte, aus der Welt zu schaffen!«

»Aber was kann ich denn für dich tun,« schrie Margarete verzweifelt auf, »wenn ich schon nicht mit dir sterben kann!«

»Du kannst bewirken,« erwiderte La Mole, »du kannst bewirken, daß mir der Tod süß vorkommen wird, daß er mir gewissermaßen mit lächelnder Miene entgegentritt.«

Margarete näherte sich ihm und faltete die Hände, als ob sie ihn bitten wollte, weiterzusprechen.

»Erinnerst du dich des Abends, Margarete, an dem du mir als Gegengeschenk für mein Leben, das ich dir darbot und das ich dir heute aufopfere, ein heiliges Versprechen gegeben hast? . . .«

Margarete erbebte.

»Ah! du erinnerst dich daran,« sagte La Mole, »weil du schauderst.«

»Ja, ja! Ich erinnere mich daran und bei der Unsterblichkeit meiner Seele, Hyazinth, dieses Versprechen werde ich halten!«

Und sie streckte ihre Hand gegen den Altar aus, als wollte sie so Gott zum zweitenmal als Zeugen ihres Schwures anrufen.

Über das Antlitz La Moles ging ein Leuchten der Zufriedenheit, als ob sich das Gewölbe der Kapelle plötzlich geöffnet hätte, und das Licht des Himmels zu ihm herabgestiegen wäre.

»Man kommt, man kommt!« rief der Aufseher.

Margarete stieß einen Schrei aus und stürzte auf La Mole zu, aber die Angst, daß seine Schmerzen nur noch verdoppelt werden könnten, hielt sie zurück, zitternd blieb sie vor ihm stehen.

Henriette drückte ihre Lippen auf die Stirn Coconas und sagte ihm: »Ich verstehe dich, mein Hannibal, und ich bin stolz auf dich. Ich weiß, daß dein Heldenmut dich in den Tod treibt, und deines Heldenmutes wegen liebe ich dich. Vor Gott werde ich dich immer lieben, vor allem anderen und mehr als alles andere in dieser Welt. Was Margarete geschworen hat für La Mole zu tun, das werde ich auch für dich tun, ich schwöre es dir, ohne jetzt noch zu wissen, um was es sich handelt!«

Und sie streckte Margarete die Hand hin.

»Das war schön gesprochen, Dank!« sagte Coconas.

»Bevor Sie mich verlassen, meine Königin,« sagte La Mole, »noch eine letzte Gnade: geben Sie mir irgendein Andenken an Sie, damit ich es küssen kann, wenn ich zum Schafott hinaufsteige.«

»Oh, ja!« rief Margarete, »da, nimm . . .«

Sie nahm ein kleines, goldenes Denkzeichen von ihrem Hals herunter, das an einer Kette aus gleichem Metall hing.

»Nimm,« sagte sie, »das ist ein heiliges Gedenkstück, das ich seit meiner Kindheit trage. Meine Mutter hat es mir um den Hals gehängt, als ich noch klein war und als sie mich noch liebte. Es stammt von unserem Oheim, dem Papst Clemens, ich habe mich nie von ihm getrennt. Da, nimm es!«

La Mole nahm das goldene Schmuckstück und küßte es gierig.

»Man macht die Tür auf,« sagte der Aufseher, »fliehen Sie, meine Damen, fliehen Sie!«

Die zwei Frauen eilten hinter den Altar und verschwanden.

Fast gleichzeitig trat der Priester ein.

 


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