Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Der Gasthof »Zum schönen Sternbild«

Zwei Stunden nach dem eben erzählten Ereignis, das selbst auf dem Antlitz Katharinas keine Spuren hinterlassen hatte, begab sich Frau von Sauve nach Beendigung ihrer Arbeit bei der Königin in ihre Wohnung zurück. Gleich hinter ihr trat auch Heinrich ein, und da er von Dariole erfahren hatte, daß Orthon dagewesen war, ging er sofort zum Spiegel hin und nahm den Brief aus seinem Versteck heraus.

Wie schon erwähnt, enthielt er folgende Worte: »Heute abend zehn Uhr, Straße von Arbre-Sec, Gasthof ›Zum schönen Sternbild‹. Kommen Sie, dann antworten Sie nichts. Kommen Sie nicht, dann sagen Sie dem Überbringer nichts, als ›Nein‹!« .

Unterschrift war keine zu finden.

»Heinrich wird sicher das Stelldichein einhalten,« hatte sich Katharina gesagt, »denn wenn er auch keine Lust hätte hinzugehen, könnte er doch den Überbringer des Briefes nicht mehr finden, um ihm ›Nein‹ zu sagen.«

In dem Punkt hatte sich Katharina auch nicht geirrt. Heinrich erkundigte sich gleich über Orthon, Dariole berichtete, daß dieser mit der Königin-Mutter fortgegangen sei. Da aber der König den Brief auf dem richtigen Platz gefunden hatte und weil er den armen Knaben eines Verrates für unfähig hielt, empfand er nicht die geringste Unruhe.

Wie gewöhnlich speiste er beim König, der Heinrich wegen der Ungeschicklichkeit aufzog, die er am Vormittag gelegentlich der Beizjagd an den Tag gelegt hatte.

Heinrich entschuldigte sich damit, daß er ein Kind der Berge und nicht des Flachlandes wäre, versprach aber Karl gleichzeitig, der Vogelbeize gründlichst obzuliegen.

Katharina war von angenehmstem Wesen und, als sie vom Tische aufstand, bat sie Margarete, ihr am ganzen Abend Gesellschaft zu leisten.

Um acht Uhr abends nahm sich Heinrich zwei Edelleute und ging mit ihnen in die Stadt. Er schritt durch das Tor Saint-Honoré, machte dann einen langen Umweg und kam wieder über den Turm de Bois zurück. Dann benützte er die Fähre von Nesle zur Überquerung der Seine, ging die Straße Saint-Jacques hinauf, verabschiedete hier seine Edelleute und tat so, als ob er einem Liebesabenteuer nachginge. An der Ecke der Straße des Mathurins begegnete er einem in einen Mantel gehüllten Reiter und näherte sich ihm.

»Mantes!« sagte der Mann.

»Pau!« erwiderte der König.

Sofort stieg der Mann vom Pferde. Heinrich hüllte sich in den Mantel, der ganz mit Kot bespritzt war, und bestieg nun seinerseits das dampfende Pferd. Er ritt durch die Straße de la Harpe davon, ritt über die Brücke Saint-Michel, dann durch die Straße Barthélemy und überquerte abermals die Seine auf der Brücke Pont-aux-Meuniers. Hierauf ritt er am Kai hinunter und bog endlich in die Straße Arbre-Sec ein. Hier klopfte er gleich an die Tür des Meisters La Hurière an.

In dem bekannten Speisesaal saß La Mole und schrieb einen langen Liebesbrief an eine ebenso bekannte Persönlichkeit.

Coconas befand sich mit La Hurière in der Küche und betrachtete sechs Rebhühner am Bratspieß. Er war eben im Begriff mit seinem Freund, dem Wirt, die Dauer des Bratens zu besprechen und wann man die Hühner vom Spieß ziehen müßte.

In dem Augenblick pochte Heinrich an die Tür. Gregor öffnete und führte das Pferd in den Stall, während der Reisende eintrat und seine Stiefel auf dem Boden recht krachen ließ, als müßte er sich die steifgewordenen Beine erwärmen.

»Eh!« rief der schreibende La Mole, »Meister La Hurière, hier ist ein Edelmann, der Sie sucht!«

La Hurière kam herbei, musterte Heinrich vom Kopf bis zum Fuß und, weil ihm der Mantel aus grobem Tuch gerade kein großes Vertrauen einflößte, fragte er kurz: »Wer sind Sie?«

»Eh! Teufel noch einmal!« rief Heinrich und zeigte auf La Mole, »der Herr hier sagte Ihnen gerade, daß ich ein Gascogner Edelmann bin, der nach Paris gekommen ist, um sich bei Hof vorzustellen.«

»Was wünschen Sie?«

»Ein Zimmer und ein Abendessen.«

»Hm!« machte La Hurière, »haben Sie einen Diener?«

Das war, wie bekannt, seine gewöhnliche Frage.

»Nein,« antwortete Heinrich, »doch ich rechne darauf, mir einen zu nehmen, sobald ich mein Glück gemacht habe.«

»Ich vermiete kein Herrenzimmer ohne Dienerzimmer,« sagte La Hurière.

»Selbst dann nicht, wenn ich Ihnen für das Abendessen einen Rosennobel anbiete und damit jede Bezahlung für morgen schon erledigt ist?«

»Oh, oh! Sie sind sehr großmütig, mein Herr!« meinte La Hurière und betrachtete Heinrich mit einigem Mißtrauen.

»Das wohl nicht, aber in der Hoffnung, den Abend und die Nacht in dem Gasthof verbringen zu können, den mir ein Standesherr meiner Heimat so warm empfohlen, habe ich mir einen Freund zum Essen hierher eingeladen. Haben Sie einen guten Wein aus Arbois?«

»Selbst der Bearner kann keinen besseren trinken als meiner ist!«

»Gut, ich werde ihn gesondert bezahlen. Ah, gerade kommt mein Gast an!«

Tatsächlich hatte sich die Tür geöffnet, um einem zweiten Edelmann den Weg freizugeben. Er war um einige Jahre älter als der erste und schleppte einen langen Stoßdegen an seiner Seite.

»Ah! Sie sind ja sehr pünktlich, mein junger Freund,« sagte er, »für jemanden, der gerade zweihundert Meilen hinter sich hat, ist es schön, auf die Minute zu kommen.«

»Ist das Ihr Gast?« fragte La Hurière.

»Ja,« erwiderte der erste Ankömmling und ging dem jungen Mann mit dem langen Degen entgegen. Er drückte ihm die Hand und fügte bei: »Tragen Sie uns ein Abendessen auf.«

»Hier oder in Ihrem Zimmer?«

»Wo Sie wollen!«

»Meister,« meinte La Mole und rief La Hurière herbei, »ich bitte Sie, erlösen Sie uns von diesen Hugenottengestalten. Coconas und ich könnten in ihrer Anwesenheit nicht ein Wort über unsere Angelegenheiten sprechen!«

»Decken Sie für das Abendessen im Zimmer Numero zwei auf, im dritten Stock!« befahl La Hurière. »Gehen Sie nur hinauf, meine Herrn, gehen Sie!«

Die zwei Reisenden folgten Gregor, der ihnen leuchtend voranging.

La Mole folgte ihnen so lange mit den Augen, bis sie verschwunden waren. Als er sich wieder umdrehte, sah er Coconas, der den Kopf durch die Küchentür steckte. Zwei große, runde Augen und ein offenstehender Mund verliehen diesem Gesicht einen deutlichen Ausdruck großen Erstaunens.

La Mole ging auf Coconas zu.

»Verdammt!« sagte der, »hast du gesehen?«

»Was?«

»Die zwei Edelleute?«

»Nun und?«

»Ich würde schwören, daß das . . .«

»Wer soll es sein?«

»Aber . . . der König von Navarra und der Mann im kirschroten Mantel!«

»Schwöre, wenn du willst, aber nicht zu laut!«

»Du hast sie also auch erkannt?«

»Sicherlich!«

»Was wollen sie denn hier?«

»Irgendwelche Liebesgeschichten besprechen.«

»Glaubst du das?«

»Ich bin dessen ganz sicher!«

»La Mole, ich bin mehr für kräftige Degenhiebe als für Liebesgeschichten dieser Art! Früher wollte ich schwören, doch jetzt stehe ich sogar dafür ein!«

»Für was?«

»Daß es sich hier um eine Verschwörung handelt!«

»Ah, du bist verrückt!«

»Und ich sage dir . . .«

»Ich sage dir, daß wenn sie sich auch verschwören, das ganz ihre eigene Sache ist.«

»Ah, das ist richtig! Übrigens,« meinte Coconas, »gehöre ich ja nicht mehr dem Herzog von Alençon an! Folglich können sie machen und besprechen was ihnen beliebt!«

Weil nun die Rebhühner so gebraten waren, wie Coconas sie liebte, rief der Piemontese, der dem Essen die größte Ehre anzutun gedachte, La Hurière herbei, damit er sie vom Bratspieß zöge.

Unterdessen hatten sich Heinrich und Mouy in ihrem Zimmer häuslich niedergelassen.

»Sire,« fragte Mouy, als Gregor den Tisch gedeckt hatte, »haben Sie also Orthon gesehen?«

»Nein, aber den Brief habe ich gelesen, den er hinter den Spiegel gesteckt hatte. Das Kind hat, wie ich annehme, Angst bekommen, weil die Königin Katharina in der Wohnung erschienen ist. So große Angst, daß es sich verflüchtigt hat, ohne auf mich zu warten. Ich hatte einen Augenblick lang einige Sorge, weil Dariole mir erzählte, daß die Königin-Mutter sehr lang mit dem Knaben gesprochen hat.«

»Ach, da ist keine Gefahr dabei vorhanden, denn der Kerl ist sehr geschickt, und obwohl die Königin-Mutter seine Beschäftigung kennt, wird er ihr ganz sicherlich eine harte Nuß zu knacken gegeben haben.«

»Haben Sie ihn wiedergesehen, Mouy?«

»Nein, doch werde ich ihn noch heute abend sehen. Um Mitternacht soll er mich hier aufsuchen und abholen, mit einem Bruststutzen bewaffnet. Während wir dann zusammen weggehen, wird er mir alles erzählen.«

»Und der Mann, der an der Ecke der Straße des Mathurins stand?«

»Welcher Mann?«

»Sind Sie des Mannes sicher, von dem ich Pferd und Mantel habe?«

»Ist der treueste von allen! Übrigens kennt er Eure Majestät gar nicht, er weiß nicht, mit wem er es zu tun hatte.«

»Wir können also in aller Ruhe über unsere Angelegenheiten sprechen?«

»Zweifellos. Übrigens ist La Mole unser Wachtposten.«

»Sehr gut!«

»Nun, Sire, was sagt der Herzog von Alençon?«

»Herr von Alençon will nicht mehr weg, Mouy! Er hat sich ganz deutlich dahin ausgesprochen. Die Wahl des Herzogs von Anjou zum König von Polen und die Erkrankung des Königs haben ihn veranlaßt, seine Pläne zu ändern.«

»Also ist es er, der unsere Absichten zunichte gemacht hat?«

»Ja.«

»Er übt daher Verrat an uns?«

»Noch nicht, aber er wird uns bei der ersten besten Gelegenheit verraten.«

«Feiges Herz, schurkischer Verstand! Warum hat er meine Briefe nicht beantwortet?«

»Um Beweise in den Händen zu haben, ohne welche gegeben zu haben. Wenn wir noch langer warten, ist alles verloren, nicht wahr, Mouy?«

»Im Gegenteil, Sire, alles ist gewonnen. Sie wissen doch, daß die ganze Partei, mit Ausnahme der Gruppe des Prinzen von Condé, für Sie ist und sich nur den Anschein gab mit dem Herzog von Alençon zu verhandeln, in Wirklichkeit seine Person bloß als Deckung benützen wollte. Nun habe ich seit dem Tag des festlichen Empfanges alles neugeordnet und an Ihre Person geknüpft. Hundert Mann hätten genügt, wenn Sie mit dem Herzog geflohen wären, jetzt habe ich fünfzehnhundert bereitgestellt. In acht Tagen werden sie zur Verfügung stehen, werden staffelweise auf der ganzen Marschlinie bis Pau in Bereitschaft stehen, und das wird dann keine Flucht, das wird ein Rückzug sein. Werden Ihnen fünfzehnhundert Mann genügen, Sire, und würden Sie sich mit einer Armee sicher genug fühlen?«

Heinrich lächelte und klopfte Mouy auf die Schulter.

»Du weißt, Mouy,« sagte er, »und du bist vielleicht der einzige, der es auch wissen soll, daß der König von Navarra nicht so ängstlich ist, wie er es zu sein scheint.«

»Eh, mein Gott! Ich weiß es, Sire, und ich hoffe, daß es in kurzer Zeit ganz Frankreich wissen wird.«

»Jede Verschwörung ist aber an den Erfolg gebunden und die erste Bedingung zum Erfolg ist der Entschluß. Damit jedoch dieser Entschluß rasch, freimütig und einschneidend sei, muß die Überzeugung des Gelingens vorherrschen.«

»Gewiß, Sire, und demzufolge frage ich, an welchen Tagen die Jagden stattfinden werden.«

»Alle acht oder zehn Tage wird gejagt werden, Hetzjagd und Beize werden sich abwechseln.«

»Wann war die letzte Jagd?«

»Eben heute.«

»In acht oder zehn Tagen von heute ab wird also wieder gejagt werden?«

»Ohne Zweifel, vielleicht sogar etwas früher.«

»So hören Sie: alles scheint mir vollständig ruhig zu sein. Der Herzog von Anjou ist fort, kein Mensch denkt mehr an ihn. Der König erholt sich von Tag zu Tag von seinem Unwohlsein. Die Verfolgungen der Hugenotten haben so ziemlich ein Ende erreicht. Machen Sie sich lieb Kind bei der Königin-Mutter und ebenso beim Herzog von Alençon. Sagen Sie ihm nur fortwährend, daß Sie ohne ihn nicht fort können. Was aber das schwerste ist, trachten Sie, daß er es Ihnen glaubt.«

«Sei nur ruhig, er wird es mir schon glauben.«

»Meinen Sie, daß er so großes Vertrauen zu Ihnen hat?«

»Das nicht, Gott behüte mich davor! Aber er glaubt alles, was ihm die Königin sagt.«

»Und ist die Königin aufrichtig auf unserer Seite?«

»Oh, dafür habe ich Beweise, übrigens ist sie sehr ehrgeizig und die durch ihre Abwesenheit glänzende Krone von Navarra brennt ihr förmlich auf der Stirne.«

»Nun also, drei Tage bevor die Jagd stattfindet, lassen Sie mir sagen, in welcher Gegend gejagt werden soll, ob in Bondy, in Saint-Germain oder in Rambouillet. Fügen Sie hinzu, ob Sie bereit sind, und wenn Sie dann sehen, daß Herr von La Mole vor Ihnen seinem Pferd die Sporen gibt, dann folgen Sie ihm sogleich und lassen Sie Ihr Pferd laufen, was es laufen kann. Wenn die Königin-Mutter Sie, sobald Sie einmal aus dem Walde sind, noch sehen will, muß sie hinter Ihnen herjagen. Ihre normannischen Pferde werden, wie ich hoffe, nicht einmal die Eisen unserer Berber und spanischen Pferde sehen.«

»Das stimmt, Mouy!«

»Haben Sie Geld, Sire?«

Heinrich schnitt das Gesicht, das er sein ganzes Leben lang auf diese Frage zu schneiden pflegte.

»Nicht gerade zu viel,« sagte er, »doch ich glaube, daß Margot Geld hat.«

»Gut, so oder so, trachten Sie möglichst viel mitzunehmen.

»Und was wirst du unterdessen unternehmen?«

»Nachdem ich mich um die Angelegenheiten Eurer Majestät genug und tatkräftig gekümmert habe, werden mir Eure Majestät in Würdigung dessen sicherlich erlauben, daß ich mich ein wenig um meine Angelegenheiten kümmere.«

»Wie du willst, Mouy, wie du willst! Doch worin bestehen deine Angelegenheiten?«

»Hören Sie, Sire. Orthon sagte mir – er ist übrigens ein sehr verständiger Junge, den ich Eurer Majestät anempfehle – Orthon sagte mir gestern, daß er in der Nähe des Arsenals diesem Verbrecher, dem Maurevel, begegnet wäre. Dank der Pflege Renés soll er sich wieder erholt haben und wärmt sich an der Sonne wie eine richtige Schlange.«

»Ah, ich verstehe!« sagte Heinrich.

»Wenn Sie es verstehen, Sire, dann ist alles gut . . . Sie werden eines Tages König sein, Sire, und wenn Sie dann vielleicht, so wie ich, Vergeltung zu üben haben, werden Sie Ihre Maßregeln als König ergreifen können. Ich aber bin nur ein einfacher Soldat, ich muß mich als Soldat rächen. Sobald also alle meine andern Sachen in Ordnung sind – dem Gauner werden auf die Art noch fünf oder sechs Tage verbleiben, um sich zu erholen – werde ich, jawohl auch ich, einen Spaziergang beim Arsenal unternehmen und werde ihn dann mit vier guten Degenstichen auf den Rasen nageln. Erst dann werde ich Paris mit leichterem Herzen verlassen können.«

»Besorge nur deine Sachen, mein Freund, besorge sie nur,« sagte der Bearner, ». . . bei dieser Gelegenheit! Du bist mit La Mole zufrieden, nicht wahr?«

»Ah, ein netter Mensch, der Ihnen mit Herz und Seele ergeben ist, Sire, und auf den Sie rechnen können, wie auf mich selbst . . . tapfer . . .«

»Und vor allem andern verschwiegen. Auch er wird uns nach Navarra begleiten, Mouy, und wenn wir einmal dort sind, werden wir darüber nachdenken, wie wir uns ihm dankbar erweisen können.«

Als Heinrich mit seinem schalkhaften Lächeln diese Worte gesprochen, öffnete oder vielmehr riß plötzlich derjenige, von dem so lobend gesprochen worden war, die Tür auf und trat blaß und erregt in das Zimmer.

»Hurtig, Sire,« schrie er, »hurtig, das Haus ist umzingelt!«

»Umzingelt?« rief Heinrich und erhob sich. »Von wem?«

»Von den Garden des Königs!«

»Oh!« meinte Mouy und zog seine Pistolen aus dem Gürtel.

»Also eine Schlacht, wie mir scheint!«

»Ach, ja!« erwiderte La Mole. »Es handelt sich wohl um Pistolen und um eine Schlacht, aber was wollen Sie gegen fünfzig Mann ausrichten?«

»Er hat recht,« sagte der König, »doch gibt es vielleicht eine Möglichkeit zum Rückzug?«

»Es gibt eine Möglichkeit, Sire, die mir einmal schon selbst gelegen gekommen ist. Wenn Eure Majestät mir folgen wollten . . .«

»Und Herr von Mouy?«

»Herr von Mouy kann uns ebenfalls folgen, wenn er will, doch ist für Sie beide größte Eile vonnöten!«

Man hörte Schritte auf der Stiege.

»Es ist zu spät!« sagte Heinrich.

»Ah! wenn man sie nur fünf Minuten beschäftigen könnte,« rief La Mole, »dann stehe ich für die Rettung des Königs ein.«

»Dann können Sie schon für die Rettung bürgen, mein Herr,« sagte Mouy, »denn ich übernehme es, sie zu beschäftigen. Gehen Sie, Sire, gehen Sie!«

»Was willst du denn machen?«

»Besorgen Sie nichts, Sire, gehen Sie nur!«

Und Mouy ließ gleich den Teller, die Serviette und das Glas des Königs verschwinden, damit man glauben müßte, er sei allein bei Tisch gesessen.

»Kommen Sie, Sire, kommen Sie!« rief La Mole und zog den König beim Arm zur Stiege hinaus.

»Mouy, mein tapferer Mouy!« sagte der König und hielt dem jungen Mann die Hand hin.

Mouy küßte diese Hand, schob dann Heinrich aus dem Zimmer hinaus und verriegelte hinter ihm die Tür des Zimmers.

»Ja, ich verstehe, er wird sich, während wir uns retten, ergreifen lassen,« sagte Heinrich, »doch wer kann uns verraten haben?«

»Kommen Sie, Sire, kommen Sie, sie steigen schon herauf!«

Tatsächlich flammte schon der Schein von Lichtern längs der engen Stiege herauf, während man unten eine Art Säbelrasseln hörte.

»Schnell, Sire, schnell!« mahnte La Mole.

Er führte den König in der Dunkelheit bei der Hand, stieg mit ihm zwei Stockwerke hinauf, stieß die Tür eines Zimmers auf und verriegelte sie hinter sich. Hierauf öffnete er ein Fenster und fragte: »Sire, ängstigt sich Eure Majestät davor, einen Gang über die Dächer zu machen?«

»Ich?« fragte Heinrich, »aber, aber, ein Gemsenjäger!«

»Dann wollen mir Eure Majestät folgen, ich kenne den Weg und werde als Führer dienen.«

»Gehen Sie nur, ich folge schon nach.«

La Mole schwang sich als erster über die Brüstung. Dann ging er auf einem breiten Dachrand längs einer Rinne fort und gelangte beim Ende des Randes zu einem Sattel, der von zwei Hausdächern gebildet wurde. Hier stieg er in eine Dachkammer ohne Fenster hinein und kam aus dieser in einen unbewohnten Bodenraum.

»Sire,« sagte er hier, »Sie sind in Sicherheit!«

»Ah, umso besser!«

Heinrich trocknete sich die blasse Stirne von perlenden Schweißtropfen.

»Und jetzt geht die Sache wie von selbst,« meinte La Mole, »denn von diesem Boden kommen wir auf eine Stiege, von der Stiege in eine Allee und diese mündet in die Straße. Ich habe den gleichen Weg in einer Nacht gemacht, Sire, die noch viel schrecklicher war, als die heutige.«

»Vorwärts,« rief Heinrich, »gehen wir!«

La Mole schlüpfte durch ein offenes Fenster, erreichte eine schlecht verschlossene Tür, öffnete und befand sich auf der Höhe einer Wendeltreppe. Er gab dem König ein Seil in die Hand, das als Geländer diente.

»Kommen Sie, Sire.«

In der Mitte der Stiege blieb Heinrich stehen. Er war an ein Fenster gekommen und aus diesem sah man in den Hof des »Schönen Sternbildes« hinunter. Man sah durch die Fenster einer gegenüberliegenden Stiege laufende Soldaten, die teils Fackeln trugen, teils den Degen gezogen hatten.

Plötzlich sah der König mitten in einem Haufen Soldaten Herrn von Mouy. Er hatte seinen Degen übergeben und stieg ruhig die Treppe herab.

»Armer Kerl,« murmelte Heinrich, »tapferes, ergebenes Herz!«

»Meiner Treu, Sire,« sagte La Mole, »Eure Majestät bemerken wohl, daß er die Ruhe selbst ist . . . und sehen Sie einmal hin, jetzt lächelt er sogar! Er muß irgendeinen guten Streich im Kopfe haben, denn, wie Sie wissen werden, Mouy lacht selten!«

»Und der junge Mann, der mit Ihnen war?«

»Herr von Coconas?« fragte La Mole.

»Ja, Herr von Coconas, was ist aus ihm geworden?«

»Ach, Sire, ich bin seinetwegen nicht besorgt. Als er die Soldaten erblickte, fragte er mich nur folgendes: Können wir etwas auf das Spiel setzen? Ich antwortete: den Kopf! Und wirst du dich retten? fragte er. Ich hoffe, lautete meine Antwort. Nun dann tue ich es auch, meinte er und ich schwöre Ihnen, Sire, daß er sich auch retten wird. Sollte man aber Coconas gefangen nehmen, dann stehe ich dafür ein, daß es nur auf seinen Willen hin geschieht.«

»Alles geht also gut,« sagte Heinrich, »alles läuft glücklich ab. Jetzt aber zum Louvre zurück!«

»Ach, mein Gott, nichts ist leichter als das, Sire,« sagte La Mole, »hüllen wir uns in unsere Mäntel ein und gehen wir auf die Straße. Die ist voll von den Leuten, die auf den Lärm hin herbeigelaufen sind, und man wird uns ebenfalls für Neugierige halten.«

Heinrich und La Mole fanden das Tor offen und sahen kein anderes Hindernis als die Menschenmenge, die die Straße absperrte.

Trotzdem schlüpften beide durch und gelangten in die Straße d'Averon. In der Straße des Pouliers sahen sie gerade, wie Mouy von der Wache, die der Kapitän der Garde, Herr von Nancey, befehligte, über den Platz Saint-Germain-l'Auxerrois abgeführt wurde.

»Ah, jetzt führt man ihn in den Louvre, wie es scheint!« sagte Heinrich. »Teufel! die Tore werden alle geschlossen sein . . . man wird die Namen aller Heimkehrenden feststellen und wenn man mich hinter ihm in den Louvre eintreten sieht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß ich mit ihm zusammengewesen bin.«

»Aber, Sire,« meinte La Mole, »dann kehren Sie doch auf andere Weise heim!«

»Wie, Teufel, soll ich denn anders heimkehren?«

»Steht Eurer Majestät nicht das Fenster der Königin von Navarra zur Verfügung?«

»Himmel und Hölle! Herr von La Mole, Sie haben recht! . . . Und ich, ich dachte gar nicht daran . . . aber wie soll ich die Königin verständigen?«

»Oh! erwiderte La Mole, und er verbeugte sich mit ehrerbietiger Erkenntlichkeit vor dem König, »Eure Majestät können doch so gut Steine werfen!«

 


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