Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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IV

              Es war ein Sonntag-Morgen im Mai,
Daß ich am Pilatus fuhr vorbei.

Ein Freund saß neben mir im Kahn,
Wir sahen uns Wasser und Felsen an.

Der See lag glatt wie ein Spiegel da,
Kein Segel, kein Ruder fern und nah.

Um die Alpen flogen ungestalt
Nebel und Wolken, zu Klumpen geballt;

Nur wenn das Sonnenlicht sie brach,
Zerrissen die Schatten allgemach.

Auf einmal flammten Zinken und Höh'n
In heller Verklärung wunderschön.

Ich jubelte: Trifft erst die Spitzen ein Strahl,
So fällt auch bald der Nebel im Thal.

Mein Freund schwieg still und nickte für sich,
Nach kurzer Weile ergriff er mich

Und wies auf die Felsen und wies in's Thal, –
Das war eine Nacht, ein Nebel zumal.

Im See und am Himmel kein Bischen Blau,
Nichts Grünes am Ufer! – Nur Grau in Grau!

Wir drückten uns stark und stumm die Hand,
Wir dachten – an unser Vaterland.


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