Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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XVIII

            Dort, wo kein Baum der frommen Trauer
Verlass'ne Hügel grün belaubt,
Dort ruht, dicht an der Kirchhofs-Mauer,
Ruht meines Vaters heilig' Haupt.

Warum sie ihn so weit gebettet
Von guter Christen Lagerstatt?
Weil er, den And're nicht gerettet,
Zuletzt sich selbst gerettet hat.

Weil er zum Dieb nicht werden mochte
Und weil dem Bettler Niemand gab,
Drum schnitt er seinem Lebensdochte
Rasch selbst die todte Kohle ab.

Selbstmördern streng den Stab zu brechen,
Wenn man warm sitzt im hohen Rath,
Von Feigheit und Verirrung sprechen,
Ist, wahrlich! keine Heldenthat.

Doch wüßtet Ihr, wie dem zu Muthe,
Der, aller Erdenhoffnung quitt,
Fertig mit Gott, mit kaltem Blute
In seine rothen Adern schnitt:

Der Nachts sich in die Wellen stürzte,
Nachdem er lang am Ufer hing,
Der künstlich selbst die Schlinge schürzte,
Darin sein Athem sich verfing:

Säh't Ihr, wie reuig und erstarrend
Die Hand nach einem Halme griff,
Und wie die Kehle, rettungs-harrend,
Nach ferner Hilfe krampfhaft rief: – –

Ihr wäret lasser im Verdammen
Und littet wol in Majestät,
Daß solche Blumen nah' beisammen
Modern mit den, so Gott gemäht!

Sie haben keinen Stein gegeben,
Kein Mal, mein armer Vater, dir,
Und dennoch warest du im Leben
Ein Mann wie wenig Männer hier.

Gleichviel! Ich finde doch die Pfade
Zu deines Grabes Nesselbeet,
Wenn gleich kein Kreuz mit »Gottes Gnade«
Und »Schlumm're sanft« darübersteht.

Dank deinem Leben, das geschäftig
Mir keine Lehre schuldig blieb,
Dank deiner Hand, die allzukräftig
Sie auf den jungen Rücken schrieb!

Dank deinem Tod, der ohne Worte
Mir einen großen Trost verhieß;
Er zeigt mir doch, an welchem Orte
Ein Loch der Zimmermeister ließ.


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