Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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IV

Abschied von Wien

              Wie bleich, wie hold, wie schmachtend hingegossen
Sie daliegt, die gefährliche Sirene,
Die dunklen Augen träumerisch geschlossen,
Das Haupt geneigt an ihrer Berge Lehne!
Es geht ein süßes, winkendes Erwarten
Wie Nachtigallen-Locken durch die Flur,
Die Brunnen murmeln heimlich in den Garten,
Die Zweige lallen: Komm, o komm doch nur!

Entschlafen sind Sankt Stephans Wächtersorgen,
Verstummt die Mahnungen des treuen Flusses;
Wie fern der nüchterne, der strenge Morgen,
Wie lang die Nacht entfesselten Genusses!
Nun hat sie abgestreift die letzte Hülle,
Den grünen Gürtel der Glacis gelöst,
Frei glänzt und nackt der Schultern Marmorfülle
Und Arm und Busen, jedem Wunsch entblößt.

Sieh, durch verhangene Fenster schimmert lüstern
Der Mond, im Laube rauscht's wie Regentropfen,
Verbot'ne Schritte rascheln, Küsse flüstern,
Und Herz am Herzen hört sich glühend klopfen!
Ein Meer von Liebe schlägt in heißen Wogen
Hoch über dem entzückten Thale hin,
Zum Vorhang wandelt sich des Himmels Bogen,
Ganz Wien in eine Venus-Priesterin!

Buhldirne Du, die hinter der Gardine
Allnächtlich ihre Phallos-Feste feiert,
Und Morgens früh mit Magdalenen-Miene
Im Beichtstuhl heuchelnd ihr » Absolve« leiert;
Kannst Du mit Wollust nur ein Leben würzen,
Dem jede geist'ge Kraft und Weihe fehlt,
Und nur in des Genusses Abgrund stürzen,
Von keinem heiligeren Drang beseelt?

Ja, Du bist schön in Deinem Rosenkranze,
Die Blüte der Verheißung auf den Wangen,
Wenn Du vorüberfliegst im wilden Tanze,
Begehrlich von der Männer Brunst umfangen!
In Deinem Schoos sich weltvergessen wiegen,
Versinken geh'n in weicher Arme Bucht,
Und Deinem Zauber taumelgleich erliegen, –
Wol ist's ein Ziel, das Götter selbst versucht.

Ich fliehe, Weib, um nicht vor Dir zu knieen,
Auch Einer von den Proselyten-Schaaren;
Du wirst mich nicht auf Deinen Purpur ziehen,
Weib Potiphars, – laß meinen Mantel fahren!
Vor meinen Blicken schwebt in keuschem Lichte
Ein and'res Bild, das meiner Seelen-Braut,
Der hab' ich mich im Leben, im Gedichte
Mit deutschem Wort auf ewig angetraut.

Ihr Aug' ist schön, ob minder schön, als Deines,
Es strahlt nur Frieden, Deines flammt Entzücken,
Dein Kuß ist Glut, der ihre nur ein reines,
Ein hauchendes und flüchtiges Beglücken;
Du neigst Dich ganz in duldender Gewährung
Und ziehst die Deinen stark hinab zu Dir,
Sie schwingt sich stäts in züchtiger Verklärung,
Lächelnd und wehrend, aus den Armen mir.

Ihr Kummer furchte nimmer Deine Stirne,
Doch schwellt ihr Stolz auch nimmer Deine Adern,
Du ahnst die Lust nicht, heit're Schmeicheldirne,
Mit Sklaven und Tyrannen kühn zu hadern;
Ein Kind der Glücklichen, hast Du mit Armen
Und mit Gefang'nen nimmermehr geweint,
Hast nie des Himmels Frieden voll Erbarmen
Mit uns'rer dunklen Erde Kampf vereint.

Geh' und berausch', betäube Dich auf's Neue,
Versuch's, die rasche Stunde festzuhalten;
An Deinem Antlitz nagt doch stille Reue,
Und Ueberdruß zerreißt's mit grauen Falten.
Um eine Nacht, dann welken Rosen-Kränze,
Und Deiner Reize blühend' Reich zerfällt,
Der Lorbeer aber grünt im ew'gen Lenze,
Und ihr, der And'ren ist die junge Welt.

Du kennst sie nicht, Du wirst sie niemals kennen,
Ihr Zwei könnt nirgends mit einander gehen,
Und wollt' ich Dir den theu'ren Namen nennen,
Dir ist er todt, Dir schwerlich zu verstehen.
Fühlst Du's, so schlag' beschämt die Wimper nieder,
Denn eben weht ihr Gruß von Osten her;
Der Tag bricht an – Gottlob! Ich hab' mich wieder:
Die Lieb' ist viel, doch ist die Freiheit mehr!


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