Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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              So oft ich dieses Gäßlein gehe,
Wol später noch als Mitternacht,
Hält dort in respektabler Höhe
Ein eifersüchtig' Lämpchen Wacht.

Da droben wohnt ein Versedrechsler,
Ein Reimeschmied, ein Bücherwurm,
Hoch sitzt er, der Gedankenwechsler,
Wie Klas auf dem Kathrinen-Thurm.

Und zählt die Füße, feilscht um Silben,
Und putzt die alte Waare rein,
Und frißt wie zähe Käsemilben
Sich in papierenen Quark hinein.

Verdammter Kerl! Wenn ich nur wüßte,
Wer ihn zur Wacht berufen hat,
Und ob er mit mir hüten müßte,
Als angestellter Mann, die Stadt?

Es thut's ihm Niemand kommandiren,
Er treibt's für seinen eig'nen Spaß,
Das Predigen und Schrei'n und Schmieren,
Und Niemand weiß so recht für was?

Die drunten können ihn nicht riechen,
Sie flieh'n ihn Alle wie die Pest,
Am Tag seh' ich umher ihn kriechen
Scheu, wie ein Spätzchen, fern vom Nest.

Sie schelten ihn Poet und Barde,
Sie schütteln stark und zischeln sacht,
Doch er auf seiner Leibmansarde
Hat, scheint es, dessen wenig Acht.

Mag wol in seinem Oberstübchen
Nicht allzurichtig mit ihm sein,
Sie sperren mir das arme Bübchen
Am End' noch ein auf Sonnenstein.

War' Schad' um seine Gab' zu wachen,
Und kennt' ich ihn, den tollen Christ,
Wollt' ich ihn zum Nachtwächter machen,
Wenn er dazu noch brauchbar ist.


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