Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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Siebente Stazion

I

        Vom Wiener Wald der letzte Rest,
Wer will ihn seh'n verdorren?
Ist sonst ein rechter Baum gewest,
Ist jetzt ein schlechter Knorren.
Es heißt: ein kluger Schlossersmann,
Um seine Kunst zu weisen,
Der schweißte in die Wand ihn an
Und hing ein Zauberschlößlein dran,
Das ist der Stock im Eisen!

Du Wiener Wald, du grüner Wald,
Wie bist du schlimm behandelt,
Aus freiem Waidmanns-Aufenthalt
Zum Tandlermarkt verwandelt!
In deinem Laub spazieren ging
Die Hirschkuh mit den Geißen,
Jetzt steht von dir in Schloß und Ring
Nur noch ein zwerghaft' Krüppel-Ding,
Das ist der Stock im Eisen!

Und wer vom Handwerk lobesam
Als wackerer Schmied-Geselle
Zur Kaiserstadt gezogen kam,
Besieht sich diese Stelle;
Er dreht am Schloß wol hin und her,
Versucht's auf alle Weisen,
Doch öffnen kann er's nimmermehr,
Ja, murrt er, das ist halt zu schwer,
Das ist der Stock im Eisen!

Darauf in den gefeiten Baum
Schlägt er als Gilde-Zeichen
Ein Näglein ein, wo just noch Raum
Vor Nägeln seines Gleichen.
Ei, seht, der ist mir zugedeckt,
Kaum noch ein Baum zu heißen!
Und oben, links am Stamme, steckt
Das Schlößlein, das sie alle neckt,
Das ist der Stock im Eisen!

Und doch, Herr Meister, hüte dich!
Wenn nun die Burschen kämen
Und flugs statt Zang' und Dieterich
Die – Schmiedehämmer nähmen!?
Was nicht mit Kunst zu öffnen ist
Läßt sich vielleicht – zerreißen, –
Und herrlich, wenn zu beß'rer Frist
Neu–grünend in die Höhe schießt
Der alte Stock im Eisen!


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